Unter dem Eindruck des Schreckens entpuppt sich die
bürgerliche Subjekt-Ontologie der antideutschen Linken
In der Geschichte gibt es immer wieder erschütternde Ereignisse, Katastrophen +
zumeist, die mit einem Schlag untergründige Widersprüche an die Oberfläche
schleudern und verborgene Motive erhellen. Blitzartig finden Umgruppierungen
statt, Freund und Feind tauschen die Plätze, und nichts ist mehr so,
wie es vorher war. Einige Akteure überraschen sich dabei
gewissermaßen selbst, und umso mehr erscheint Unvorhergesehenes, wenn es
sich um die grundsätzliche theoretische Interpretation des Geschehens
handelt. Die Terrorakte in den USA haben offenbar mit großer symbolischer
Kraft mitten ins kollektive Unbewußte der kapitalistischen
Weltgesellschaft getroffen. Entsprechend extrem und aufschlußreich fallen
die Reaktionen des gesellschaftlichen Bewußtseins aus.
Das gilt nicht zuletzt für die Restbestände der radikalen Linken, die
dabei unfreiwillig deutlich machen, warum ihre Gesellschaftskritik nicht mehr
greifen kann. Äußerlich haben die Ereignisse des 11. September die
Linke in feindliche Gegensätze gespalten wie selten zuvor, vergleichbar
vielleicht mit dem Schisma bei Ausbruch des 1. Weltkriegs (wenn auch nur noch
im Sinne intellektueller Positionen, nicht mehr als gesellschaftliche
Kräfte). Große Teile der an der kritischen Theorie Adornos
orientierten und einige der so genannten postmodernen oder kulturalistischen
Linken, in den vergangenen Debatten einander oft spinnefeind, nehmen angesichts
des Terrors mit überraschend großer Selbstverständlichkeit
gemeinsam Partei für Kapitalismus und Demokratie, wobei sie teilweise
sogar so weit gehen, Bombenkrieg und Militäreinsätze nicht nur zu
befürworten, sondern die herrschenden Mächte eines Mangels an
Blutdurst zu beschuldigen. Diese kriegshetzerische Haltung rechtfertigt sich
unter Verweis auf den antiamerikanischen und antisemitischen Charakter der
Anschläge, der jede klammheimliche Freude von Jüngern eines platten
Antiimperialismus nur noch als ekelhaft erscheinen lasse.
So richtig dieser Gedanke ist, so sehr ist er bloßer Vorwand. Denn mit
derselben Vehemenz werden auch diejenigen angegriffen, die zwar ebenso die
barbarische und antisemitische Dimension der Anschläge benennen, daraus
jedoch keinerlei Parteinahme für freedom and democracy ableiten, sondern
im Gegenteil die planetarisch vereinheitlichte kapitalistische
Anti-Zivilisation als den Quellgrund aller Barbarei darstellen. Diese Position,
die im Terror des Dschihad und im Terror der Ökonomie, in Nato-Bombern und
Gotteskriegern zwei Seiten derselben Medaille erkennt, wird mit den
antiimperialistischen Claqeuren des Massenmords auf eine Stufe gestellt, getreu
nach dem Motto des westlichen Gotteskriegers Bush: You are with us, ore
you are with the terrorists.
Es geht hier gar nicht mehr um die Einschätzung einer bestimmten
Situation, über die man im Kontext einer emanzipatorischen
Kapitalismuskritik streiten könnte, sondern es kommt ein sehr viel tiefer
liegender, unheilbarer Dissens über den Begriff der Emanzipation selber
zum Vorschein. Was die neue Qualität des Terrors ebenso bewußtlos
wie grundsätzlich in Frage stellt, ist weniger ein äußeres
Machtverhältnis innerhalb des Kapitalismus als vielmehr die
bürgerliche Subjektform selbst. Aber die Linke konnte die Emanzipation nie
anders als in dieser Form denken.
Dem völlig form-unkritischen Arbeiterbewegungsmarxismus war das Kapital
sowieso immer nur als eine äußere Gegenmacht erschienen, die auf dem
Boden der ontologisierten gesellschaftlichen Kategorien des Werts zu
überwinden sei. Die kritische Theorie ging über dieses Denken hinaus,
ohne es wirklich aufheben zu können. Zwar erfaßte Adorno mit der
(keineswegs ökonomiekritisch fundierten) Kritik des Tauschs
oder der Tauschgesellschaft einen Aspekt der allgemeinen Formebene
bürgerlicher Subjektivität. Aber erstens blieb diese Kritik auf die
Zirkulation und damit auf ein bloßes Moment der bürgerlichen
Gesamt-Konstitution durch die Wertform beschränkt, während die
Arbeitsform ebensowenig wie die Politikform einer kategorialen Kritik
unterzogen wurde. Und zweitens machte Adorno just dieselbe Form des
räsonierenden, auch in die politische Dimension gesetzten
bürgerlichen Zirkulationssubjekts zum vermeintlich einzig denkbaren
Träger der Emanzipation (eine Subjektform, die er fälschlich durch
die staatskapitalistischen Tendenzen der Weltkriegsepoche für
negativ aufgehoben hielt). Damit handelte er sich die in seiner
Theorie unauflösbare Aporie ein, die Emanzipation einerseits als radikale
Kritik der Tauschform oder des Zirkulationssubjekts zu denken,
andererseits jedoch diese Kritik nur in der ungebrochenen Form eben dieses
Zirkulationssubjekts selbst für realisierbar zu halten.
Praktisch und insbesondere in der Reaktion auf erschütternde
Krisenerscheinungen stellt sich diese von Adorno hinterlassene Aporie, die
bürgerliche Subjektform in der bürgerlichen Subjektform selbst
aufheben zu wollen, als die absurde Notwendigkeit dar, den Kapitalismus immer
erst einmal retten zu müssen, um ihn aufheben zu können. Was
natürlich nur heißt, daß er letzten Endes unaufhebbar ist. Die
platte Faktizität, daß der Kapitalismus die negative Voraussetzung
seiner eigenen Kritik und Überwindung ist, verwandelt sich so in das
positive Programm seines Erhalts zwecks vermeintlicher
Subjektrettung. Diese logische Schleife, zur Zeit Adornos immerhin
Ausdruck eines theoretischen Fortschritts wie gleichzeitig einer bestimmten
historischen Situation, ist allerdings heute hoffnungslos ausgeleiert. Die an
der kritischen Theorie orientierte Linke, die Adornos transitorischen
Reflexionsstand zu einer Orthodoxie versteinert hat, muß
ebenso wie ihre Vettern der postmodern-kulturalistischen Linken am Ende der
bürgerlich-aufklärerischen Modernisierungsgeschichte notwendig
reaktionär werden, indem sie der zerfallenden modernen Subjektform des
Werts nachtrauert, die sie hoffnungslos festzuhalten sucht. Dieses
reaktionäre Leitmotiv kommt in den entsprechenden Stellungnahmen zu den
Terroranschlägen gegen die USA gerade deswegen besonders krass zum
Vorschein, weil eine solche gesellschaftliche Katastrophe eben diese Form
grundsätzlich dementiert.
Nicht umsonst wurden die barbarischen Taten von New York und Washington mit dem
verheerenden Erdbeben von Lissabon (1755) verglichen, das damals nicht nur eine
der Hauptstädte Europas, sondern auch den falschen historischen Optimismus
der Aufklärungsphilosophie erschütterte. Und in der Tat hat ja
seither die bürgerliche Gesamtepoche des modernen warenproduzierenden
Systems, deren Hardcore-Ideologen die Aufklärer nur waren, mit der
erdbeben-ähnlichen blinden Gewalt der Wertvergesellschaftung und ihrer
unsichtbaren Hand mehr und größere
Vernichtungspotentiale entfaltet als alle Fetischverhältnisse,
Sklavenhalterzivilisationen und gekrönten Schlächter der bisherigen
Geschichte zusammengenommen.
Daß am Anfang der Moderne eine wirkliche Naturkatastrophe symbolisch die
Ideologie der bürgerlichen Subjektform erschütterte, während an
ihrem Ende diese Subjektform selber symbolisch als sekundäre
Naturkatastrophe erscheint, kennzeichnet sowohl das Wesen dieser Form als auch
ihren naturgesetzlichen historischen Werdegang. Diese Taten
können nicht mehr als Äußerungen eines Modernisierungs-Subjekts
mit der bürgerlichen Emphase dieses Begriffs mißverstanden werden;
die Täter erweisen sich vielmehr als bloße Momente eines
gesellschaftlichen Pseudo-Naturprozesses, in dem die Subjektlosigkeit der
Fetischform auf die Individuen mit derartiger Gewalt zurückschlägt,
daß sie in dieser Form nur noch reagieren wie Agentien eines
anorganischen Ablaufs von blinder Zerstörung, ohne deshalb ihre
technische Kalkulationsfähigkeit zu verlieren.
Diese Täter sind zwar schon deshalb nicht juristisch abzuurteilen, weil
man ja nicht einmal mehr ihre Körper begraben kann; könnte man sie
aber vor Gericht stellen, wäre dies sowohl hinsichtlich der Delinquenten
als auch ihrer Richter nur noch eine schauerliche Farce auf die
bürgerliche Rechtssubjektivität. Taten wie diese führen
endgültig das moderne Subjekt und dessen Selbstverantwortung
in der Fetischform des Werts ad absurdum, mehr als jede bloße Theorie es
könnte. In gewisser Weise galt das auch schon für die Nürnberger
Kriegsverbrecherprozesse, denn die historisch beispiellosen Untaten der Nazis,
die eine unbegreifliche Dimension enthalten, stehen ebenfalls in einem krassen
Mißverhältnis zu den Kategorien bürgerlicher Rechtspflege. Der
Holocaust entzieht sich der juristischen Bewertung, weil er den Übergang
der allem bürgerlichen Recht zugrunde liegenden Subjektform in den
mörderischen Wahn deutlich macht.
Der entscheidende Unterschied, der dennoch den Nürnberger Prozessen ein
Moment innerkapitalistischer Legitimation verlieh, besteht in der jeweiligen
Reichweite kapitalistischer Entwicklungsfähigkeit. Diese ist heute auf
Null geschrumpft, während der 2. Weltkrieg noch einmal eine Epoche
erweiterter realer Kapitalakkumulation und Metamorphose kapitalistischer
Subjektivität einleitete. Wenn die Nazis auch bereits den manifesten
Todestrieb des Warensubjekts ausagierten, so repräsentierten sie doch
gleichzeitig einen möglichen Entwicklungsweg der bevorstehenden Epoche.
Sie waren also im Stande, der weiteren Ausformung kapitalistischer
Weltgesellschaft ihren Stempel aufzudrücken. Deshalb ging es im 2.
Weltkrieg um die Frage, ob die zweite industrielle Revolution des Fordismus
durch ein antisemitisch-rassistisches und militaristisches Weltreich der
Achsenmächte oder durch eine ökonomistische und konsumistische
Weltmarkt-Gesellschaft der Pax Americana geformt würde. Eine solche
innerkapitalistische Alternative stellt sich heute nicht mehr, obwohl sie von
Bush bis zu den Bahamas, von Blair und Schröder/Fischer bis zur Jungle
World beschworen wird. Der islamistische Terrorismus ist mit seinem technischen
Potential des Massenmords gemeingefährlich, aber nicht mehr
gesellschaftlich form- und entwicklungsfähig. Dasselbe gilt für die
herrschenden demokratischen Mächte selber.
In der Enthemmung der globalen Krisenkonkurrenz, die sich im perspektivlosen
Terror wie in den ebenso perspektivlosen demokratischen Weltordnungskriegen und
in zahlreichen verwandten Erscheinungen (ethnische Bürgerkriege,
Plünderungsökonomie, Amokläufer usw.) zeigt, verliert der
moderne Staat das Monopol auf den technologischen Massenmord, der in dieser
staatlichen Form von Anfang an ein Wesensmerkmal der kapitalistischen
Anti-Zivilisation war. Das blinde Morden im großen Maßstab geht
jetzt unmittelbar auf die Individuen und ihre synthetischen Aggregierungen (wie
zum Beispiel fanatische religiöse Sekten) über; die Zersetzung der
Subjektivität fällt zusammen mit einer Zersetzung der Ideologien, in
denen sich die Modernisierung dargestellt hatte. Das Massaker von New York war
eine im wahrsten Sinne des Wortes zivilgesellschaftliche Tat. Im Zerfall der
bürgerlichen Subjektivität kehrt sich deren Gewaltkern manifest nach
außen; das vom objektiven Wahn getriebene Konkurrenzsubjekt macht als
letzte Konsequenz der Wertvergesellschaftung die unmittelbare Identität
von Vernichtung und Selbstvernichtung deutlich.
Weil es keine weitere Entwicklung des Kapitalismus und seiner Subjektform mehr
gibt, kann auch keine neue Epoche kapitalistischer Dynamik mehr emanzipatorisch
besetzt werden (was allerdings auch in der Vergangenheit immer schon einem auf
die bürgerliche Subjektivität verkürzten Begriff von
Emanzipation entsprochen hatte). Die Grenzen des modernen warenproduzierenden
Systems sind objektiv und immanent, können also nicht weggeredet werden.
Die linkskulturalistischen und antideutschen Ignoranten, die eine wertkritische
Reformulierung der Marxschen Krisentheorie als bloße
Schwarzseherei oder Apokalyptik abtun möchten,
werden von der Realität selbst widerlegt. Die völlige Verkennung der
Situation, wie sie aufgrund ihrer reaktionären Haltung unvermeidlich ist,
treibt sie allerdings dazu, in den Konflikten der weltkapitalistischen
Barbarisierung geradezu verzweifelt nach dem wegbrechenden Boden der
wunderbaren Moderne zu strampeln; ganz so, als handelte es sich nach wie vor um
einen weiteren Schub des Modernisierungsprozesses und nicht um dessen
selbstdestruktives Ende, als könnte noch einmal ein gutes,
irgendwie emanzipatorisch mißzuverstehendes Subjekt in der
bürgerlichen Form angerufen und müßte nicht endlich die
radikale Kritik dieser Subjektform selbst auf die Tagesordnung gebracht
werden.
In dieser Hinsicht nehmen die kruden Antiimperialisten und die antideutschen
bzw. kulturalistischen Zivilisationsretter der Form nach eine identische
Position ein; nur der phantasmatische Subjektbezug ist historisch different.
Was bei den ersteren spukt, ist das Gespenst jenes Antiimperialismus, dem das
bürgerliche Subjekt nachholender Modernisierung im Ostblock
und in der Dritten Welt entsprochen hatte. Dieses Subjekt, das von 1917 bis
1989 in den historisch ungleichzeitigen peripheren Regionen eine falsche
Jugendfrische der warenproduzierenden Moderne samt allen Attributen
revolutionärer Emblematik mimen konnte, gibt es nicht mehr, weil im
globalen Krisenprozeß der dritten industriellen Revolution die Welt
negativ gleichzeitig gemacht und zu einem einzigen geschlossenen Gesamtsystem
vereinheitlicht worden ist. Bin Laden ist in all seiner Scheußlichkeit
von Antisemitismus und religiösem Wahn tatsächlich der einzig noch
mögliche Typus von Repräsentation der Dritten Welt, soweit sie sich
nicht von der Illusion einer eigenständigen Entwicklung auf dem Boden des
modernen warenproduzierenden Systems zu lösen vermag.
Nachdem die Mimikry der aufklärerischen bürgerlichen Morgenröte
in der kapitalistischen Peripherie (Che Guevara mit Goethe-Schmöker und
der MP im Arm) sich unter den Bedingungen der negativen Globalisierung in die
gesellschaftliche Finsternis von Massenelend und Todessehnsucht verwandelt hat,
flüchten insbesondere die von der kritischen Theorie Adornos beeinflussten
Linken, die es noch nie so besonders mit dem Antiimperialismus hatten, noch
weiter zurück in die moderne Subjektgeschichte, nämlich in die
aufklärerische Bürgerlichkeit des europäischen 18. Jahrhunderts.
In dieser Version bezieht sich die reaktionäre Subjekt-Nostalgie direkt
zurück auf die westliche Urform der Ideologie vom autonomen
Bürger der Wertvergesellschaftung; übrigens mit allen
chauvinistischen Konsequenzen. Aber diese demokratische und zirkulative
Autonomie des Marktsubjekts, der Logik nach von Haus aus eine
illusionäre Selbstdefinition von Exekuteuren des irrationalen
kapitalistischen Selbstzwecks, gibt es als greifbare historische
Realerscheinung ebensowenig mehr wie das ehemalige Subjekt nachholender
Modernisierung in der Peripherie.
In demselben Maße, wie die Schrecken der äußeren und inneren
Zerstörungsprozesse auch die kapitalistischen Zentren erreichen,
fällt die nur scheinbar radikale Kritik von der aufklärerischen
Linken ab wie eine alte Haut, und sie bekennt sich mit ungeahnter Vehemenz zu
ihrem bürgerlichen Wesen, um gemeinsam mit der herrschenden
Krisendemokratie das Ende einer Welt von Subjekten des Werts nicht wahrhaben zu
wollen. Zur Legitimation dieser Haltung fällt einigen bauernschlauen
Köpfen nichts besseres ein als die Behauptung, eine (wertkritische)
Distanz zu den Zersetzungsprozessen der kapitalistischen Anti-Zivilisation,
ihrer Subjektform und ihren falschen Alternativen sei gewissermaßen
logisch gar nicht möglich, weil wir schließlich alle Bestandteile
der Wertvergesellschaftung und selber bürgerliche Subjekte seien. Diese
Argumentationsfigur ist schlicht albern. Daß wir Produkte einer
mehrhundertjährigen bürgerlichen Zurichtungs-, Zumutungs- und
Verinnerlichungsgeschichte sind, daß man uns auch individuell in dieses
System hineinsozialisiert hat und wir zweifellos in der bürgerlichen
Subjektform leben - all dies verhindert doch nicht, diese negativen
gesellschaftlichen Formen kritisch wahrnehmen zu können.
Wie jeder Mensch in seinem persönlichen Leben virtuell zu sich selbst auf
Distanz gehen und sich in seinem Denken und Handeln selbst beobachten kann, so
ist dies auch hinsichtlich der eigenen Gesellschaftlichkeit möglich. Und
dabei handelt es sich ja auch nicht um ein bloßes intellektuelles
Glasperlenspiel, sondern um die unausweichliche Verarbeitung negativer
Erfahrungen von Zumutung, Leid und Unlebbarkeit. Daß diese Verarbeitung
als ideologische (im Sinne eines falschen, nämlich affirmativen
Bewußtseins) mit mörderischen Konsequenzen geschieht, macht die
kritische und emanzipatorische Verarbeitung nicht unmöglich. Das
Individuum geht eben nicht in seiner bürgerlichen Subjektform auf.
Was von den Adepten Adornos einst (zu Unrecht) als die vermeintliche
kybernetische Geschlossenheit der Wertvergesellschaftung und ihrer Subjekte
beklagt wurde, womit man dann sich selber als Kritiker nicht mehr erklären
konnte, wird nun gegen das Beharren auf radikaler Kritik gerichtet: Mit dem
Anspruch kritischer theoretischer Begrifflichkeit und der Verweigerung einer
ferneren innerkapitalistischen Parteinahme, so die denunziatorische Behauptung,
würden sich die Träger dieser Kritik der Sünde einer unerlaubten
Distanz zu ihrer eigenen bürgerlichen Immanenz schuldig machen. Was
für ein Scheinargument: Weil wir Kinder des Kapitalismus sind, sollen wir
diesen als ein Ding an sich gar nicht erkennen können und,
sobald es mit der Krise ernst wird, auch nicht mehr als feindlichen Gegenstand
behandeln dürfen. Das kantianisch verblödete Gerede, daß
der Theoretiker der Wert sei, zunächst als kryptische
höhere Form der radikalen Kritik angepriesen, entpuppt sich
jetzt als Schutzbehauptung eines ordinären theoretischen Opportunismus und
als Selbstvergatterung auf die kapitalistische Subjektform, die man zur
allgemeinen Verpflichtung machen möchte. Die theoretische
Gewissenlosigkeit selbst spielt sich als Gewissen der kritischen Theorie auf.
Während die auf die Subjektform zu erweiternde Reformulierung radikaler
Kritik verweigert wird, kommt das ebenso illusionäre wie schäbige
Motiv zum Vorschein, angesichts des drohenden Zusammenbruchs der
Wertvergesellschaftung die eigene bürgerliche Haut zu retten.
Diese Halloween-Party der antideutschen und postmodernen Linken nach dem 11.
September macht allerdings auch deutlich, daß die Aporie in der Theorie
Adornos nicht mehr länger ausgesessen werden kann. Sie wird denn auch
aufgelöst; allerdings nicht kritisch, sondern affirmativ. Die Adornosche
Kritik der Tauschform und damit des Zirkulationssubjekts entfällt. Schon
länger hatte sich die Tendenz angedeutet, die im Anschluß an die
Marxsche Krisentheorie betriebene Analyse des postmodernen Finanzkapitalismus
und der in den 90er Jahren ausgebildeten globalen Strukturen des fiktiven
Kapitals als potentiell oder irgendwie antisemitisch zu
denunzieren. Nicht in der falschen Erklärung des fiktiven Kapitals und
seiner Funktion soll die politische Ökonomie des Antisemitismus bestehen,
sondern darin, überhaupt seine Existenz zu benennen. In der
Rückkoppelung auf die Affirmation des Warentauschs wird daraus zwingend
die Anforderung, die Geldform als solche für sakrosankt zu erklären.
Als Antisemit muß demzufolge schon gelten, wer das Bankensystem nicht
unbedingt für einen Hort der Zivilisation hält. Diese Affirmation des
Zirkulationssubjekts kann gar nicht anders, als schließlich einen
antisemitischen und barbarischen Charakter der Kapitalismuskritik
überhaupt zu entdecken. Erst dann ist die theoretische Regression
abgeschlossen.
Natürlich ist diese intellektuelle Rückwärtsbewegung auch
defensiv gegenüber dem realen Krisenprozeß: Die zerbrechende
Vergesellschaftungsform soll um jeden Preis erhalten werden, und sei es als
Trugbild einer immerwährenden globalen Finanzblasen-Zivilisation; gerade
wenn diese vor unseren Augen zerplatzt. Die illusorische Defensive wird auch
auf einer anderen Ebene bürgerlicher Subjektivität deutlich. Dem
antideutschen Sekten-Organ Bahamas ist zu entnehmen, daß alles, was
den Islam ausmache, der Haß auf Schönheit und
Genuß sei. Diese Aussage ist so brüllend dumm, daß sie
keine Kritik verdient. Aufschlußreich ist allerdings, welche Gegenbilder
bemüht werden.
So findet sich in demselben Traktat der Hinweis, die antizivilisatorische
Potenz der deutschen Gesellschaft nach dem 11. September manifestiere sich
ausgerechnet in den Kommentaren über das Ende der
Spaßgesellschaft. Die Redaktion der Jungle World wiederum schickt
der Wertkritik schöne Grüsse aus Kabul, die in diesem Zusammenhang
etwas dunkel auf die Geilheit von Girlie-Klamotten verweisen. Und
eine Aushilfs-Jeanne d'Arc der Nato namens Andrea Albertini kreiert zur
Abrundung ihres Beifalls für den zivilisatorischen Bombenregen auf
afghanische Wohn- und Krankenhäuser den überaus intelligenten und
mitreißenden Slogan Fanta statt Fatwa! (Jungle World
43/2001). Dürfen wir aus diesen netten Hinweisen auf die Natur von
Schönheit und Genuß in der alleinseligmachenden
Warenform schließen? Was spontan herausrutscht, ist meistens
verräterisch und manchmal unfreiwillig komisch. Mit der hier zum Ausdruck
kommenden materiellen, seelischen und intellektuellen Frugalität
(Spaßgesellschaft, Girlie-Klamotten, Fanta) kann es allerdings kaum ein
archaischer Beduinenstamm in der Wüste aufnehmen. Je militanter die
jüngsten ideologischen WerbetexterInnen des Zivilisationskampfes die
kapitalistische Ontologie verteidigen, desto unwiderstehlicher verweisen die
von ihnen gewählten Bilder und Symbole auf das Mitleid erregende
Endstadium einer zugerichteten Subjektivität, die den längst armselig
gewordenen Warenkonsum ideologisiert. Fanta auf Lebenszeit sei ihnen
gegönnt.
Bislang waren sich postmodern-kulturalistische Linke und antideutsche
Adorno-Enkel nicht zuletzt deshalb in den Haaren gelegen, weil die einen es
vorzogen, der kapitalistischen Kulturindustrie zu frönen und in diese
irgendwelche widerständigen Potentiale hineinzuinterpretieren (der
Konsument als Dissident), während die anderen einem elitären
Ideal von gehobenem bildungsbürgerlichen Luxusgenuß huldigten, das
zu verallgemeinern wäre; beide gleichermaßen unreflektiert
hinsichtlich der Kontamination des Genusses durch die Wertabstraktion (z.B.
Leistungshedonismus und Konkurrenzhedonismus) und der materiellen
Produktionsbedingungen (z.B. Zerstörung der natürlichen
Lebensgrundlagen). Jetzt sind es ausgerechnet die antideutschen Edelhedonisten,
die in ihren Imaginationen auf der untersten Stufe warenkonsumistischer
Banalität ankommen, als wollten sie dem Islam unbedingt den
infantilen Charakter der westlichen Zivilisation beweisen.
Die Regression auf die kapitalistische Muttervernunft ist eben bloß
fiktiv und kann die frühbürgerlichen Ideale nicht revitalisieren,
sondern muß dem tatsächlichen Verfallszustand nolens volens Rechnung
tragen; und so kann die Milch der frommen Denkungsart, die aus diesen
verwelkten Brüsten noch zu saugen ist, eben nur eine fade Limonade sein.
Die Kritik, die lediglich die aufklärerische Subjekt-Illusion des
autonomen Bürgers konserviert hat, zerfällt bei der
ersten ernsthaften Berührung mit der Realität des 21. Jahrhunderts zu
Staub. Was übrig bleibt, ist der Ruf nach dem pragmatischen
Flächenbombardement. Heute gilt für eine kritische Theorie, die schon
keine mehr ist: Kratze an der elitären orthodoxen Adornitin, und der
vulgäre bürgerliche Nato-Demokrat kommt zum Vorschein.
Wenn die Aporie Adornos affirmativ aufgelöst wird, erscheint eine
Ideologie der willkürlich auseinandergerissenen bürgerlichen
Subjektform, die im Verhältnis zum Antisemitismus und zu den Nazis
bloß spiegelverkehrt ist. Die Scheinkonkretion, die jetzt offenbar an die
Stelle der Arbeit gesetzt werden soll, ist der Warenkonsum. Wie die Nazis das
Arbeitssubjekt durch die Vernichtung der Juden vom Zirkulations- und
Konsumsubjekt befreien wollten (schaffendes versus
raffendes Kapital, Arbeit macht frei, Kanonen
statt Butter), so soll jetzt umgekehrt in der Diktion der antideutschen
Zivilisationsretter das Zirkulations- und Konsumsubjekt durch die
perspektivische Auslöschung der barbarisierten Massen in der Dritten Welt
(Antirassismus ist antizivilisatorisch) von der Arbeit
befreit werden. Dieses irrationale Konstrukt löst die
wirkliche Einheit der bürgerlichen Subjektform natürlich ebensowenig
auf wie das entgegengesetzte der Nazis. Blieben dort Geldform und
Zirkulationssphäre real unaufgehoben, so bleibt hier die Arbeit kategorial
unangetastet und die Arbeitskritik beschränkt sich auf einen flachen
bürgerlichen Konsumhedonismus.
Von diesem Standpunkt aus hat auch jede Kritik an der keynesianischen Nostalgie
etwa der so genannten linken Globalisierungsgegner, der Attac-Leute etc. etwas
durchaus verlogenes. So richtig es ist, die politische Regulations-Illusion
gegenüber den transnationalen Finanzmärkten, die demokratische
Staatsfixiertheit und Arbeitsontologie dieser Positionen zu kritisieren und
deren implizite Nähe zur politischen Ökonomie des Antisemitismus
aufzudecken, so unwahr wird diese Kritik, wenn sie selber auf einer bloß
umgekehrten, im kapitalistischen Sinne positiv globalistischen Apotheose des
Zirkulations- und Konsumsubjekts beruht und damit ebenso verkürzt und
für mörderische Implikationen offen ist wie ihr Gegenstand.
Zwar mag diese Version der bürgerlichen Subjekt-Ontologie dem
transnationalen Kasino- und Dienstleistungs-Kapitalismus der 90er Jahre mehr
entsprechen als die nostalgische Apotheose von Arbeit, Beschäftigung und
nationalem Sozialstaat. Aber erstens fliegt der arbeitslose neue
Finanzkapitalismus sowieso in die Luft und läßt kein
unbeschädigtes Zirkulations- und Konsumsubjekt in den kapitalistischen
Zentren zurück. Was Bin Laden nicht schafft, das schafft die unsichtbare
Selbstmordhand des Kapitals. Und zweitens besteht überhaupt kein Bedarf an
einer neuen Generation von weltordnungs-kriegerischen Realos der kritischen
Theorie. Die bombenfreundliche Fanta-Linke ist nur noch eines, nämlich
völlig überflüssig.
Robert Kurz
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