Hermann L. Gremliza (Hrsg.):Hat Israel noch eine Chance? Palästina
in der neuen WeltordnungKonkret Literatur Verlag: 2001, 239 S., ISBN
3-930786-32-X
Jochen Hippler, Andrea Lueg (Hrsg.): Feindbild IslamKonkret Literatur
Verlag: 1993, 205 S., ISBN: 3-89458-118-2
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Die Antinationale Gruppe Leipzig (ANG) war jahrelang Garant für klare
Analysen und kompromißlose Kritik an den herrschenden
Verhältnissen. Der geschmähten Gefühlsduselei der
autonomen Linken wurde der unabänderliche Hass auf Deutschland
entgegengesetzt. Doch große Veränderungen bahnen sich langsam an. Im
CEE IEH wirft Ralf der AG Öffentlichen Räume die
Unfähigkeit zu trauern(1) vor. Zwei Monate
später wird die ganze ANG in einer Gefühlswelle überrollt.
Absolute Fassungslosigkeit, die nackte Angst,
Trauer, Mitgefühl(2) überkam
die Mitglieder der ANG nicht nur vor ihrem Fernseher, sondern werden angesichts
der Terroranschläge in den USA zur Grundlage einer marxistischen
Gesellschaftsanalyse erklärt. Ergebnis dieser Analyse ist, dass der
Hass auf Deutschland verrübergehend zurückzustehen hat: Mann meldet
sich bei der Bundeswehr und Frau geht auf der Hamburger Reeperbahn
anschaffen(3). Die Gruppe, die bislang jegliche praktische
Politik vehement ablehnte, da sie das kapitalistische System nicht reformieren
wöllte, macht nun diese Vorschläge zur Bekämpfung der
Zombies, die mitten unter uns gelebt haben: gemeint sind die
islamistischen Autisten, äh: Terroristen. So werden die
Verhältnisse, zumindest im hiesigen Blätterwald und an den Leipziger
Stammtischen, noch mal mächtig zum Tanzen gebracht.
Es sei nicht verschwiegen, dass mich beim Sehen der Bilder von den
einstürzenden Türmen des World Trade Centers ähnliche
Gefühle überkamen. Allerdings schämte ich mich schon am
nächsten Tag für diese bürgerliche Sentimentalität. Warum
dies so war und derartige Gefühle mit Marxismus genauso viel zu tun haben,
wie die Anschläge in den USA mit emanzipatorischer Politik, soll im
folgenden erklärt werden. Vorab will ich allerdings betonen, dass trotz
aller Kritik an der Veranstaltung der ANG und dem BAHAMAS-Text aus dem letzten
CEE IEH(4), die referierten Thesen zum Teil ihre Berechtigung haben
und ich somit ausdrücklich zum Lesen der Texte(5) anregen
möchte. Sie schießen in ihrer Polemik allerdings oft genug
übers Ziel hinaus, in die falsche Richtung oder gar mit ihren
Kanonen auf Spatzen(6).
Um die Kritik konkret zu machen, seien im folgenden zwei Bücher aus dem
Konkret Literatur Verlag besprochen schließlich befinden wir uns
hier in der Rubrik review corner.(7)
Feindbild Islam
In der Stellungnahme der BAHAMAS-Redaktion zum islamistischen Massaker in
den USA (CEE IEH #81) ist die Rede davon, dass der zur Vernichtung
entschlossene Antisemitismus der palästinensischen
Volksgemeinschaft seinem nationalsozialistischen Vorbild auf
qualitativer Ebene durchaus ebenbürtig sei und dem Koran eine
ähnliche Rolle (...) wie seinerzeit Hitlers Machwerk Mein
Kampf zukäme. Der Islam sei eine Religion archaischer
Gesellschaften und der Heidegger für Analphabeten.
Moslems wären von Mordlust, Dummheit,
Engsiegmentalität, Haß auf Schönheit und
Genuß besessen.
Es geht im folgenden nicht darum, wie die BAHAMAS-Redaktion schreibt, die
in Deutschland gebetsmühlenhaft aufgetischte Mär, daß der
Islam eine nette, freundliche Religion sei, die nur von einigen Fehlgeleiteten
- und das auch aus nachvollziehbaren Gründen zum radikalen
Islamismus verkehrt werde fortzuschreiben.(8) (Religionen sind
nie nett und freundlich, es ist ihnen allerdings immer eigen, dass es Realisten
und Fundamentalisten gibt. In den religiösen Grundlagen, die sich
allerdings in den großen Weltreligionen nicht sonderlich unterscheiden,
ist der Wahn der Fundamentalisten mit angelegt, sie konstruieren allerdings
kein homogenes Kollektiv aller Gläubigen.) Die berechtigte Kritik am
Antisemitimus im Islam diskreditiert sich, wenn sie auf rassistische und
anti-islamische Argumente zurückgreift. Der Verweis auf die
deutsch-arabische Freundschaft, deren Vorhut die deutsche Außenpolitik,
die Neue Rechte und Teile der deutschen Autonomen und Antiimps sind und waren,
darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Deutschen sowohl von
Antisemitismus, Anti-Amerikanismus, Rassismus und Anti-Islamismus durchdrungen
sind. Der Analyse des Feindbild Islam widmet sich das gleichnamige
Buch, herausgegeben von Jochen Hippler und Andrea Lueg.
Im ersten Beitrag (Das Feindbild Islam in der westlichen
Öffentlichkeit) des Buches versucht Andrea Lueg zu ergründen,
wie das Feindbild in den 80er Jahren an Bedeutung erlangt hat. Sie tischt uns
die nicht unbedingt falschen, aber doch recht platten und verkürzten
Thesen auf, daß sich die westliche Gesellschaft mit der Abnahme der
kommunistischen Bedrohung auf die Suche nach neuen Feindbildern machen
mußte. In Frage kamen damals die Drogen und der Terrorismus, beides
Bedrohungsszenarien, die sich gut mit dem Islam verknüpfen ließen.
Nach dem Ende das Kalten Krieges habe das Feindbild Islam als
Identitätsersatz enormen Auftrieb erhalten. Die anti-islamischen
Vorurteile hätten im Westen eine wirkliche Auseinandersetzung mit den
realen Gefahren des Islam das werden die AutorInnen des Sammelbandes
nicht müde zu betonen: daß sich in islamisch geprägten
Gesellschaften tatsächlich Agression, Represson, Fanatismus etc.
finden lassen verhindert. Der Erfolg islamistisch-fundamentalistischer
Strömungen wird mit den katastrophalen wirtschaftlichen und
sozialen Verhältnissen, der Abgrenzung vom westlichen
Kultur-Imperialismus und dem Bankrott sämtlicher
säkularer Alternativideologien erklärt. Die Begrenztheit dieser
Erklärungsversuche erhellt sich durch eine Blick auf die ähnlich
klingenden für das Naziproblem im Osten. Ähnlich primitiv wird die
Menschenrechtsfrage abgehandelt: Lueg konstatiert, daß es
auch im arabischen Raum Diskussionen über das westliche Modell der
Menschenrechte gäbe sowie im Westen Menschenrechtsverletzung was
sich allerdings hinter dem Konzept universeller Menschenrechte verbirgt und
inwieweit es sinnvoll ist, sich darauf zu beziehen, versucht sie nicht zu
ergründen.
Das Feindbild Islam eigne sich aber nicht nur zur Abgrenzung nach außen,
sondern auch zur Selbstvergewisserung der eigenen, vermeintlich
überlegenen Identität. Im Gegensatz zum als vormodern, frauen- und
demokratiefeindlich erklärten Islam erscheint die eigene Gesellschaft als
emanzipiert und aufgeklärt. Gerade an der hysterisch geführten
Kopftuchdebatte (ein Kleidungsstück wie jedes andere, welches
aber bei Musliminnen einen provozierenden und militanten Charakter
habe(9)) läßt sich erkennen, wie selbst linke und liberale
AutorInnen auf den Kampf der Kulturen hereinfallen.(10)
Dies funktioniert aber nur, weil der Religion Islam nicht etwa das Christentum
entgegengesetzt wird zu auffällig wären die Parallelen
sondern der geographisch-kulturelle Raum des Westens. Vor diesem Hintergrund
verwundet es nicht, wie z.B. ein französischer Islamexperte
die Armut Bangladeschs verklärt: Stellen wir uns vor, wie durch
Zauberei würde man die bengalischen Muslime durch Niederländer
ersetzen: Im Nu tauchten am Ganges Polder und Kanäle, Dämme und
Windmühlen auf!. Fehlt nur noch der Käse und die Tulpen, die
wie von alleine aus dem Boden spriesen würden.
Ein weiteres Moment des Antiislamismus sei die Verschränkung mit dem
bevölkerungspolitischen Diskurs: Einzelne Moslems kommen in der
Feindbildproduktion kaum vor, die Rede ist immer von fanatisierten Massen, die
schon allein quantitativ eine Bedrohung darstellen sollen.
Zum Abschluß erinnert Lueg mit Verweis auf ausländerfeindliche
Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit daran, was unter
dem Lack unserer Zivilisation schlummert. Das Dritte Reich werde als
historischer Unfall, nicht als Teil unserer Kultur betrachtet
während dem Islam immer alles zugerechnet werde. An dieser Stelle ist der
Aufklärungpathos der Autorin erwacht, der sich für die Lackierung
unserer verschlafenen Zivilisation (z.B. auf Gewerkschaftsseminaren) eignet,
nicht jedoch für eine linke Analyse.
Entgegen der Beteuerung in der Einleitung des Buches, sich nicht mit dem Islam
an sich auseinandersetzen zu wollen, sondern nur mit dem über ihn
vorherrschenden Feindbild, wird in den folgenden Beiträgen des Buches auch
die islamische Realität ausgeleuchtet und genau das
macht die Stärke des Buches aus.
Der Beitrag von Petra Kappert (Europa und Orient) widmet sich der
Entwicklung des Verhältnisses zwischen Abend- und Morgenland
seit dem 10. Jahrhundert. Bis zum Mittelalter strahlte die kulturelle
Überlegenheit des arabischen Raums kaum nach Europa aus, bis aufgrund
militärischer Eroberungen sich die Türkenfurcht tief ins
Gedächtnis der westlichen Gesellschaften einschrieb. Mit der
Aufklärung wandelte sich das Bild: Der Orient wurde getreu dem
dualistischen Weltbild zu einer naturhaften, weiblichen, sinnlich-romantischen
Traumwelt verklärt im Gegensatz zur kalten, westlichen,
technokratischen, frühkapitalistischen Rationalität. Schon zum Ende
des 19. Jahrhunderts verstand es Deutschland, kolonialistische Politik
ideologisch aufzuwerten: Deutschland verlangt aber im Oriente nicht nach
Eroberung, nicht nach Gebietszuwachs, es will (...) Nutznießung und
Wohlstand erlangen und verbreiten helfen. Wohl aber wird der deutsche
Eisenbahnbetrieb, wird die Lokomotive zum wirksamsten Erzieher im
fernen Oriente werden. (...) Aus Deutschland! sagen die Türken und Araber
dann ehrfürchtig. Und eine Ahnung steigt in dem Asiaten empor, daß
er eine ganze Welt verschlafen und verträumt hat. (...) Von dieser Stunde
der Erkenntnis an ist aber der Sieg über den Asiatismus errungen, (...)
liegt das einstige Paradies weit erschlossen da für eine neue germanische
Völkerwanderung! (1900).
In Muslimische Intellektuelle und die Moderne erläutert
Reinhard Schulze, daß der islamische Fundamentalismus nicht die
rückwärtsgewandte Antwort auf die westliche Moderne ist,
sondern selbst Teil der Moderne. Daran anknüpfend führt Azmi Bishara
(Religion und Politik im Nahen und Mittleren Osten) aus, daß
der Fundamentalismus ursprünglich eine protestantische Erfindung
kaum etwas mit den jeweiligen Religionen zu tun hat. Die recht
ausführlichen religionswissenschaftlichen Abhandlungen darob, daß
der Koran kein politisches Buch sei, bringen keine neuen Erkenntnisse zu tage,
seien jedoch der BAHAMAS-Redaktion wegen ihres Mein
Kampf-Vergleiches ans Herz gelegt.
Jochen Hippler untersucht das Verhältnis von Islam und westlicher
Außenpolitik. In diesem Kapitel zeigt sich deutlich, wie sich die
weltpolitische Lage in den letzten acht Jahren verändert hat das
Buch erschien 1993. Daß der deutschen Außenpolitik
Zurückhaltung in der Nahost-Politik attestiert wird, dürfte nicht an
der Blindheit der AutorInnen gelegen haben, sondern an den damaligen
Gegebenheiten. Insofern ist das Buch richtig veraltet und wäre durch die
Analyse deutscher Interessen im arabischen Raum (die ja von der BAHAMAS
geleistet wird) zu ergänzen. Hippler betont, daß z.B. im
Gegensatz zu den deutschen Verschwörungstheorien und
Dolchstoßlegenden, die jeglicher Grundlage entbehrten der
westliche Einfluß durch Kolonialismus und Imperialismus nicht zu
verleugnen ist. Insofern ist der politische Islam, der immer in Konkurrenz zum
arabischen Nationalismus stand, auch eine Reaktion auf den Westen. Der
arabische Nationalismus galt dem Westen aber immer als gefährlicher, da er
entgegen dem Islam nicht antisowjetisch war und z.T. staatssozialistischen
Versuchen nicht abgeneigt. Es ist kein Geheimnis, daß selbst der
israelische Regierung die Hamas förderte, um die PLO zu schwächen.
Das schon lange im Westen präsente Feindbild Islam spiegelte sich in der
herrschenden Politik kaum wider: In den offenherzigen Verlautbarungen
us-amerikanischer Militärs und Politiker werden als Bedrohungsszenarien
Staatskrisen, regionale Kriege, Atomwaffen, Engpässe in der
Ölversorgung etc. beschrieben, vom islamistischen Fundamentalismus (der
schließlich jahrzehntelang als prowestlich galt und somit den
postkolonialen Interessen der Großmächte diente) ist nirgends die
Rede. Hippler attestiert der westlichen Außenpolitik einen
außerordentlichen Pragmatismus (der sich ja auch in der momentanen
Kriegsführung der USA zeigt), der scheinbar im Widerspruch zur
propagandistisch geschürten Islamparanoia steht. Eher erfreulich ist
der Schluß, daß die westliche Außenpolitik gegenüber dem
Nahen und Mittleren Osten rational ist, auch wenn sie von dem Interesse an
politischer und wirtschaftlicher Dominanz gekennzeichnet ist, und von der
Bereitschaft, in zweckrationaler Manier gelegentlich ein paar
Hundertausend Menschenleben - arabische, versteht sich der Durchsetzung
der eigenen Interessen zu opfern. Der Westen betreibt also keinen
Kreuzzug, keine Politik, die sich von einem rassistischen Feindbild
leiten ließe, sondern nur imperiale Politik. Wenn das die
gute Nachricht ist was ist die schlechte? Wirklich bedrohlich ist es,
daß diese imperiale Politik je nach Opportunität auf die latente
Emotionalisierung zurückgreifen kann. (...) Das Feindbild läßt
sich jederzeit einsetzen, es gestattet, je nach Bedarf eine islamische
Bedrohung zu präsentieren, gegen die es sich zu verteidigen
gilt.
Warum aber die rationalen Toten der imperialistischen Politik die gute
Nachricht sind, die rassistischen Diskurse zur Legitimierung derselben bzw. die
irrationalen Toten, die Opfer des Spiegelbildes der rationalen Moderne werden,
die schlechte, vermag weder Hippler noch die ANG zu erklären.
Feinbild Israel
Die F.A.Z., die sich normalerweise nicht sonderlich für populäre
Stimmen der Unterdrückten stark macht, veröffentlichte am
28.09.2001 ein langes Essay der Inderin Arundhati Roy zu den Anschlägen in
den USA. Und bei nadir,(11) dem linken Provider schlechthin, gibt es
eine Diskussion darüber, ob dieser F.A.Z.-Artikel weiterzuverbreiten
sei.(12) Und das, obwohl nicht mal harmlose
Veranstaltungsankündigen der Heinrich-Böll-Stiftung auf nadir
veröffentlicht werden dürfen aufgrund der Nähe der
Stiftung zu Bündnis 90/Die Grünen. In ihrem Essay vergleicht die
Autorin die Terroristen mit multinationalen Konzernen und als
Mörderstaaten werden die USA und Israel an den Pranger gestellt, die die
ganze Welt lang genug geknechtet hätten.
Fast automatisch hat so gut wie die gesamte Linke fast jeder nationalen
Befreiungsbewegung ihre Solidarität erklärt. Und doch an keinem Ort
der Welt einhelliger und unbeirrbarer als in Palästina, im Kampf der dort
lebenden, von dort geflüchteten oder vertriebenen Araber mit dem Staat
Israel schreibt Hermann L. Gremliza in dem vom ihm herausgegeben Buch
Hat Israel noch eine Chance? Palästina in der neuen
Weltordnung. Und tatsächlich: Es ist wohl kein Zufall, daß die
Palästinenser diejenigen sind, die von der BRD heute die höchte
Pro-Kopf-Unterstützung erhalten, während die Linke mangels Geld den
palästinensischen Befreiungskampf dafür ideologisch,
moralisch und personell unterstützte, wie keine andere Bewegung. Im
Gegensatz zur BAHAMAS zeichnet das Buch nicht die billige Polemik, sondern
sachliche Abhandlungen verschiedener Facetten (der antisemitischen
Hintergründe) des Israel-Palästina-Konflikts und seiner Rezeption
aus.
Ralf Schröder geht der Geschichte der palästinensischen
Befreiungsbewegung der letzten 100 Jahre nach. Die Freundschaftsbezeugungen
zwischen Hitler und Führern des palästinensischen Nationalismus, die
in Waffenlieferungen und gemeinsamen Besuchen der Konzentrationslager
mündeten, kamen nicht von ungefähr: als gemeinsame Feinde wurden die
Engländer, die Juden und die Kommunisten ausgemacht. Justus
Wertmüller (BAHAMAS-Autor) sowie Thomas von der Osten-Sacken und Thomas
Uwer gehen in ihren Beiträgen der Frage nach, was den arabischen
Antisemitimus von dem westlichen unterscheidet. Wertmüller arbeitet
heraus, dass historisch gesehen der religöse (islamische) Antisemitismus
zwar zu Diskriminierung führte, die Juden jedoch ihrem Leben nachgehen
konnten und es kaum tätliche Angriffe gab. Die Radikalisierung und
Modernisierung zum völkischen Antisemitismus wurde im 19. Jahrhundert
durch den europäischen Einfluß, vor allem durch die französiche
Kolonialisierung, vorangetrieben. Dagegen behaupten Osten-Sacken und Uwer
sogar, dass die Araber tatsächlich nicht antisemitisch in dem im
Westen gebrauchten Sinne des Wortes (waren) ..., weil sie zum
allergrößten Teil keine Christen sind. Einig sind sich jedoch
alle drei Autoren, dass der Export der völkischen und antisemitischen
Literatur durch die christlichen Missionare in den Nahen Osten und die Politik
der Konstruktion und Förderung ethnischer wie religiöser Minderheiten
durch die Kolonialmächte dem Antisemitismus im arabischen Raum zu seinem
Durchbruch verhalf.
Genau diese historische Betrachtungsweise zeigt auf, dass, wer den modernen
Islam untersuchen will, nicht in den Koran schauen sollte dieser Bezug
wäre vielmehr als ein Ablenkungsmanöver der Islamisten und
Islamkenner aufzudecken sondern lieber in frühkapitalistische
Bekenntnisliteratur über die Vorteile der Marktwirtschaft.
Wertmüller zitiert nichtsdestotrotz aus dem Koran und erklärt damit
nicht viel. Seine Islam-Beschimpfungen (Seine primitive Ausformung als
rigide und erstarrte Religion, die mit eiferndem Dogmatismus an der
möglichst wörtlichen Umsetzung der Gesetze ihres heiligen Buches
festhält...) ist so wahr wie falsch: Nicht eingebettet in eine
generelle Religionskritik und ohne Untersuchung der unterschiedlichen
Funktionen von Religionen in den historischen Epochen, drücken diese
Zeilen nur sein Ressentiment aus. Auch in anderen Beiträgen des Buches
offenbart sich diese Schwäche: Mensch versucht der realen und z.T.
herbeibeschworenen Gefährlichkeit der Palästinser mit
Verächtlichmachung beizukommen: Da belächelt Sylke Tempel in ihrem
Beitrag Beruf: Palästinenser: Yassir Arafat und die PLO die
stets proper gebügelte olivfarbene Uniform (von Arafat), selbst wenn
sie schon lange das Amüsierfett nicht mehr verbergen kann oder den
Repräsentationswahn der PLO, der sich in 53 Botschaften ausdrückt -
in Ländern wie Bangladesh, Gabun, Guinea Bissau oder Mali, die
offensichtlich von außerordentlicher Bedeutung für die
palästinensische Sache sind. Dieser TITANIC-Stil eignet sich
natürlich hervorragend, um die Absurdität der bürgerlichen
Gesellschaft zu demaskieren, das Lachen gerät jedoch schnell in den
falschen Hals, weil es in dem ansonsten so sachlichem Buch zu einem Lachen auf
Kosten der anderen wird, ohne zu reflektieren, dass 53 palästinensische
Botschaften harmlos sind gegenüber den wohl über 300 deutschen. Zu
Apologeten der herrschenden Ordnung machen sich die AutorInnen auch, wenn sie
beklagen, die PLO könne keine Rechtssicherheit herstellen, die es
palästinensischen und ausländischen Investoren erleichtern
würde, so etwas wie den dringend benötigten Grundstock einer freien
Wirtschaft zu legen und damit Jobs zu schaffen in einem Landstrich wie Gaza,
der unter einer 50prozentigen Arbeitslosenquote leidet. Selbst die
unaufgeregten Experten Osten-Sacken und Uwer schließen ihren
guten Beitrag mit einer seitenweisen Auflistung von sensationslüsternen
Zitaten, die die Parallalität des islamistischen Antisemitismus mit dem
nationalsozialistischen suggerieren. So erschreckend und wichtig die Kenntnis
dieser Zitate ist so unkommentiert stehen sie nicht für sich selbst
und torpedieren das Anliegen des Beitrages, Gleichsetzungen zu vermeiden bzw.
die Ähnlichkeiten zu erklären.
Hier offenbart sich das Dilemma, welches auch die innerisraelische
Auseinandersetzung kennzeichnet. Yoram Kaniuk konstatiert in seinem Beitrag
Aus der Traum: Die Linke hatte eine gute Antwort, aber sie
hatte nicht richtig gefragt, während die Rechte zwar die richtige Frage
gestellt, aber keine Lösung anzubieten hatte. Die richtige Antwort
der Linken war Frieden und Aussöhnung, jedoch verschlossen sie
dabei ihre Augen vor der ausgesprochenen feindseligen Haltung der
Palästinenser und behaupteten, der Haß sitze nicht so tief
(der Grund, warum die israelische, z.T. antizionistische Friedensbewegung oft
gefragter Interviewpartner der deutschen Medien quer durch alle politischen
Lager ist). Die Rechte dagegen war schlau genug, das Problem nicht zu
verharmlosen, setzte im Gegenzug aber ausschließlich auf
militärische Überlegenheit und offensive Siedlungspolitik.
Weitere Beiträge setzen sich mit speziellen Aspekten des Konfiktes
auseinander: Es gibt eine ausführliche Chronik der
Al-Aksa-Intifada, eine Übersicht über den Revisionismus in
palästinensischen Schulbüchern, in denen der Staat Israel schon heute
vom Erdboden getilgt wurde, sowie Abhandlungen zu dem Verhältnis Israels
zu den Vereinten Nationen, zu der Rückkehrproblematik
palästinensischer Flüchtlinge und Rechtsfragen im Konflikt zwischen
Israel und Palästina. Diese Beiträge liefern neben der immergleichen
Feststellung, dass Barak in Camp David große Zugeständnisse gemacht
hat, interessante Details (z.B. über den
antiimperialistischen, d.h. antizionistischen Charakter der UNO,
die sich mit keinem Land so oft beschäftigt hat, wie mit Israel, was meist
zuungunsten von Israel ausfiel. Israel ist bis heute die Mitarbeit in allen
UNO-Gremien verwehrt), tragen allerdings nicht zur analytischen Vertiefung bei,
da sie oberflächlich demokratie- und rechtsgläubig argumentieren.
Augenscheinlich wird das bei der Untersuchung, ob Israel sich an die Haager
Kriegskonvention und andere juristische Spielregeln hält. Diese Frage wird
bejaht, den Palästinensern dagegen terroristische Methoden attestiert.
Wichtig ist diese Feststellung allemal, schließlich haben schon viele
Israel als faschistisches Terror-Regime gebrandmarkt. Daß die
Palästinenser klassische Partisanen-Methoden anwenden, sagt
allerdings nicht viel über die Legitimität des Kampfes aus.
Im letzten Beitrag (Zwischen Scham und Wahn: Israel und die deutsche
Linke 1945-2000) bringt es Martin Kloke auf den Punkt: Man
muß sich nicht die verschwörungstheoretischen Argumente
antinationaler Linker(13) zu eigen machen (...) um die Konturen
einer zweiten - mehr als virtuellen - Nahostfront in den Medien zu erkennen:
Eine bemerkenswerte Koalition linksliberaler, linksradikaler und rechtsextremer
Deutscher scheut nicht davor zurück, Sympathien mit den zentralen Inhalten
einer politischen Theologie des Islam zum Ausdruck zu bringen (...). In
seinem empfehlenswerten Beitrag zeichnet er nach, wie sich innerhalb der
deutschen Linken eine proisraelische und philosemitische Grundstimmung (die von
der Verdrängung der eigenen Geschichte geprägt war) ab 1967 in eine
antizionistische, antisemitische umschlug, was er auch auf die Begeisterung
bürgerlicher Kreise für Israel (bzw. der militärischen
Schlagkraft), der weltpolitischen Lage (Blockkonfrontation) und die Verbreitung
antiimperialistischer Theorien und somit nicht ausschließlich auf
den kollektiven Antisemitismus zurückführt.
Feindbild Barbarei
Parallel zur Diskussion ob der Veröffentlichung eines F.A.Z.-Artikels bei
nadir läuft eine Kampagne gegen die Seiten der BAHAMAS auf dem Provider
von nadir. Gefordert wird von einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen
(u.a. Contraste e.V., Interkonti Berlin, Anarchistische
Gruppe/Rätekommunisten) die Sperrung des Accounts, ein bekannter
Arranca!-Autor empfiehlt zusätzlich die Beobachtung der BAHAMAS durch ein
Antifa-Archiv. Dem Conne Island wird in einem offenen Brief anempfohlen, das
CEE IEH #81 wegen einem BAHAMAS-Artikel einstampfen zu lassen.(14) Die
Empörung kocht nicht wegen der Verharmlosung einer Vergewaltigung hoch,
sondern aufgrund der Stellungnahme der BAHAMAS zum islamistischen Massaker in
den USA: Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die
Mörder! Die heftigen Reaktionen auf diesen Beitrag liefern der
BAHAMAS wieder viel Material für den nächsten Angriff auf die
vermeintlich durch und durch antisemtische Linke. Und so erfüllen sie mit
ihrer radikalen Polemik und rassistischen Ausfällen ihre eigene
Prophezeiung. Die Abwehr ihrer Positionen dient im Zirkelschluss als Beleg
für die Richtigkeit derselben. Zum Teil mag das sogar stimmen, schaut
mensch sich die Diskussionsbeiträge auf nadir an (wo alle möglichen
und unmöglichen Gruppen ihren Mist ungestört ablassen können).
Das ist allerdings kein Freibrief dafür, mit den gleichen Mitteln
(Pauschalisierungen und Vorurteile) zurückzuschlagen.
Robert Kurz, der uns sonst mit seinen kruden Zusammenbruchstheorien nervt, hat
sich angesichts des realen und medialen Terros zusammengerissen und erstmalig
kluge Gedanken zu Papier gebracht (jungle World, Nr. 42): Dazu (zur
Leugnung der Singularität der Nazis durch die BAHAMAS) passt es, die
Ereignisse nicht mehr im Licht der Kapitalismuskritik zu betrachten, sondern im
Gegenteil vom Standpunkt eines Abfeierns der kapitalistischen Moderne gegen
eine halluzinierte Vormodernität des Islamismus, der
ungefähr so mittelalterlich ist wie die Propheten der New Economy. In
einem übelriechenden Schwall kommt der ganze Herrenmenschen-Rassismus
eines Kant oder Hegel und die alte kolonialistische Arroganz zusammen mit dem
irrationalen Hass der postmodernen Konsumfetischisten gegen das Phantasma einer
ruralen Bedürfnisarmut hoch, um die genuin kapitalistisch-moderne Pest des
Antisemitismus in einen imaginären vormordenen Raum zu
veräußerlichen. Mehr lässt sich zum BAHAMAS-Text auch
nicht sagen.
Feindbild Afghanistan
Nun kann die BAHAMAS noch so viel Mist und Kluges schreiben, wie sie will. Es
findet sich immer eine Gruppe in Leipzig, die es zielsicher drauf hat, den Mist
in Veranstaltungen zu verbreiten und die klugen Gedanken unter den
Podiums-Tisch fallen zu lassen. Diese Rolle fällt oft der ANG zu. So auch
diesmal. Am 02.10. lud sie zur Veranstaltung Stahlgewitter
Reflexionen der Terroranschläge auf die USA oder 13 Thesen und mehr, warum
über den Anschlag vom 11. September weder offene noch klammheimliche
Freude angebracht ist ins Conne Island ein.
Ralf hatte zwar im CEE IEH #81 noch erklärt: Wen die Bilder von
Manhattan und vom Pentagon noch ernstlich erschüttern konnten, offenbarte
damit gleichzeitig, sich nicht etwa ein Stück Menschlichkeit bewahrt zu
haben, sondern die eigene Abstumpfung, die notwendige Eindimensionalität
seiner eigenen Existenzweise, überhaupt nicht zu reflektieren. Mit diesen
Menschen läßt sich allerhand an Schweinereien anstellen und ganz
bestimmt auch ein KZ betreiben, in dem die Verantwortlichen der Anschläge
und ihre Helfershelfer darben sollen. Dagegen artikulierte der Referent
Hannes seine tiefe Erschütterung über den
barbarischen Anschlag und empörte sich über die
distanzierten und verhaltenen Reaktionen seiner linken Ex-Freunde, die der ANG
heute als neurechte Gruppierung gelten und denen er Antisemitismus
attestierte (nicht nur der Anschlag sei also als antisemitisch zu verstehen,
sondern auch die Reaktionen alljener, die nicht Hannes Gefühlswelt
teilen). In den Ankündigungstexten im Klarofix (10/2001) gehen die
Referenten sogar noch weiter: Die trauernde Zivilgesellschaft (die bislang als
antisemitisches und völkisches Kollektiv denunziert wurde, was sich gerade
auch bei den Reaktionen auf die Anschläge anbieten würde) sei
gegenüber deren linken Kritiker zu verteidigen. Der Referent Martin ist da
vorsichtiger: Er betont, dass es zynisch ist, die Toten der Anschläge
gegen die Toten des Kapitalismus aufzurechnen, jeder einzelne Tote wäre
einer zuviel. Er fordert, die Gefühle (wie Angst und Mitgefühl)
auszubauen und zur Grundlage für eine marxistische Gesellschaftsanalyse zu
machen. Beide übersehen jedoch, dass die Gesellschaft gerade darauf
beruht, menschliche Gefühle abzutrainieren, da sie sich nicht
rechnen. Der Linken, die aus einer Gesellschaft kommt, in der nur die Liebe zu
Haustieren und Konsumgütern zulässig ist, vorzuwerfen, sie wäre
gefühllos, ist banal.
Die ANG bläst zum großen Angriff auf die materialistische
Gesellschaftskritik, auch wenn sie genau das Gegenteil behauptet. Die
kapitalistische Produktionsweise gilt den Antinationalen quasi als
Natur-Gesetzmäßigkeit, die eben kein zivilisatorisches Produkt sei.
Da sie nicht vom Menschen gedacht wurde, kann sie auch nicht vom Menschen
abgeschafft werden. Sondern die dem Kapitalismus immanenten Gesetze, die
Krisenhaftigkeit, werden ihn zum Fall bringen(15) und die Menschen
werden zu ZuschauerInnen bei diesem großen Spektakel degradiert. Das
führt dann zu so lustigen Stilblüten wie: Die Islamisten und
Antisemiten hätten sich selbst für ihre Ideologie
entschieden,(16) die Kapitalisten nicht deswegen wären
erstere zu bekämpfen. Aus den gleichen Gründen scheinen die Toten des
Kapitalismus in einem milden Licht: Sie sind aus rationalen Gründen
gestorben (Auf Nachfrage wird bestätigt, dass die Ausrottung der
Indianer auch unter normales kapitalistisches Morden fällt). Die
Taliban würden aber aus Selbstzweck morden und das sei irrational. Dabei
sind die Hinrichtungen der Taliban in ihrer inneren Logik genauso zwingend und
rational, wie die Toten des Kapitalismus, die in irrsinnigen Kriegen,
Hungersnöten, Umweltkatastrophen oder rassistischen Anschlägen etc.
umkommen.
Die ANG fährt aber nicht nur auf Naturgesetze ab, sondern weiß diese
dann nicht mal richtig zu deuten. Von mir aus bricht der Kapitalismus
irgendwann mal zusammen aber sicher nicht heute oder morgen und
die Terroranschläge sind kaum Ausdruck davon, wie die Referenten meinen.
Da sollte mensch sich eher die ökonomischen Entwicklungen ansehen.
Einerseits hat laut ANG alles mit der Ökonomie zu tun, anderseits geht es
ihr überhaupt nicht mehr um Ökonomie. Wenn z.B. imperialistische
Kriege geführt werden, diene das nicht Besatzungs- und Ausbeutungszwecken,
sondern alleinig der Befriedung. (Die führenden kapitalistischen
Mächte zetteln nicht Kriege an, sondern versuchen gerade Konflikte zu
deckeln, sozusagen Ruhe reinzubringen, was mensch ja beim
Jugoslawienkrieg sehr gut beobachten konnte...) Der Kapitalismus wäre also
in der Defensive und führt nur noch Rückzugsgefechte. Mensch muss
nicht alles auf das Erdöl reduzieren, wie es Rainer Trampert in der jungle
World (Nr. 42) macht, um zu sehen, dass es sehr wohl ökonomische
Interessen gibt, die mit einer Menschenrechtsrhetorik getarnt werden sollen.
Martin schlägt ins andere Extrem aus: Öl hat mit einer
marxistischen Gesellschaftskritik überhaupt nichts zu tun. Wir
erinnern uns, was er als Alternative vorschlägt: Gefühle. Die ANG
geht in ihren 13 Thesen sogar soweit zu behaupten, daß kein Staat
durch den Krieg wirtschaftliche Vorteile hat (...) und selbst der Kolonialismus
zu seinen besten Zeiten allenfalls ein Nullsummenspiel (und zu seinen
schlechtesten? Die Alimentierung der faulen Neger durch die emsigen
Deutschen? Weil die Deutschen sich an den gefühlsechten afrikanischen
Tänzen ergötzen wollten?)
Das mechanistische Weltbild der ANG macht den Kapitalismus zu einem einzigen
Räderwerk, in dem die Menschen unabhängig von Stellung und
Einstellung als Schmiermittel dienen. Die Absolutsetzung des apersonalen
Herrschaftsverhältnisses befördert solche geistigen
Kurzschlüsse wie Jemand der im Betrieb arbeitet, reproduziert das
System genauso, wie jemand, der einen Staat leitet. (...) Es gibt keine
Unterdrückung. (...) Für eine Welt der Bonzen! (Hannes). Diese
Gleichung geht allerdings nicht mehr auf, wenn mensch sich vor Augen hält,
was passiert, wenn der eine oder der andere sich überlegt, nicht mehr das
System reproduzieren zu wollen. Natürlich sind die vermeintlichen
Herrscher nicht für den Kapitalismus verantwortlich zu machen
schließlich haben sie ihn nicht erfunden, sondern vorgefunden
, allerdings im Gegenzug den unterschiedlichen Einfluss auf
gesellschaftliche Entwicklungen und die damit verbundene Machtpostionen und die
bewußte Verteidigung der ideologischen Grundlagen des Kapitalismus
leugnen zu wollen, ist primitiv. Warum der Kapitalismus keine Ideologie sei,
die umgesetzt wird, sondern lediglich eine Struktur (wie Hannes betont), konnte
bislang noch niemand erklären. Was soll nicht ideologisch daran sein, zu
behaupten, dass Arbeit glücklich macht und Dinge mit einem Wert versehen
sein müssen, um sie zu tauschen. Im Kampf gegen das angeblich postmoderne
Gerede von den Ideologie und Diskursen gehen die ANGler jetzt sogar noch einen
Schritt weiter. Bislang leiteten sie die Ideologien Rassismus und Patriarchat
verkürzt aus den kapitalistischen Verhältnissen ab, machten sie zum
nebensächlichen (weil inzwischen fast aufgelösten)
Nebenwidersprüche. Jetzt sollen Rassismus und Patriarchat auf ihre
angebliche materialistische Grundlage runtergeholt werden: Weder die
fortwährende Naturverhaftetheit des Menschen als Teil der ersten Natur und
die damit verbundenen natürlichen Unterschiede von Mann und Frau, schwarz
und weiß innerhalb der Gattung Mensch, dem vernunftbegabten Tier,
können so auch nur ansatzweise erfasst werden. Dekonstruktion ist
out, der Mensch ist ein Tier, und im Tierreich, das wissen wir dank der
neurechten Verhaltensforscher sehr genau, gibt es auch zivilisierte Tiere (der
schlaue Fuchs) und unzivilisierte (die dumme Gans). Dem Antirassismus wird in
der Verkehrung aller Realitäten unterstellt, ihm würde es angesichts
der totalen Gleichmacherei der Totalität nur noch um die Findung von
Differenz- und Andersartigkeitsidentitäten gehen. Es
überraschte also nicht, dass am 02.10. von der ANG das nächste
Gewitter angekündigt wurde: Am 30.10. soll den Steigbügelhalter
der Barbarei,(17) den Antirassisten nämlich, die Leviten
gelesen werden.(18)
Wie eine Wetterfahne, die vom weltpolitischen Klima zum ständigen Kreiseln
angehalten wird, richtet die ANG ihre Meinung völlig beliebig aus: Erst
wird die unpraktische Kritik der Totalität zum Non-Plus-Ultra
des linken Daseins ausgerufen, wenig später soll mit aller Vehemenz die
bürgerliche Gesellschaft gegen die Barbarei verteidigt werden
nichts anderes hat die Antifa jahrelang getan und wurde deswegen von der ANG
beschimpft. Gleichzeitig wird aber erläutert, die Barberei sei die
zwangsläufige Kehrseite der Zivilisation. Wer sie also verteidigt,
produziert noch mehr Barberei? Die ANGlerInnen, die eigentlich aus anderen
geistigen Spähren kommen, üben sich plötzlich in realpolitischer
und militärstrategischer Beratung(19) der USA, obwohl sie
eigentlich, wie sie kokett behaupten, keine Militärstrategen seien. Ein
T-Shirt der US-Luftwaffe nennen sie aber schon stolz ihr eigen und
präsentieren es auf der Veranstaltung. Mehr als eine ästhetische
Kritik(20) wird daran allerdings kaum zu üben sein,
schließlich war das PLO-Tuch jahrzehntelang das linke Modestück
schlechthin. Ich trage auch keine Uniform der Polizei, obwohl sie ab und zu
Amokläufer niederstreckt.
Wie schon seit Jahren verwechselt die ANG auch die Verteidigung Israels und das
gönnerhafte Anstoßen mit israelischem Wein (eine Floskel, die sich
in vielen antinationalen Texten finden läßt und natürlich vor
dem Hintergrund der alten Boykottforderungen Sinn macht) mit antideutscher
Politik. So wichtig und notwendig ersteres ist, so falsch ist es, Israel als
Negation deutscher Geschichte zu begreifen, wie es auf der Veranstaltung
geschehen ist. Die Negation deutscher Geschichte wäre die Schaffung einer
Grenze zwischen Polen und Frankreich; dass Israel und deutsche
Kontinuitäten sehr gut zusammenpassen, lässt sich gerade jetzt
angesichts der neuen deutschen Nahost-Politik beobachten. Vor diesem
Hintergrund verwundert es umsomehr, dass Deutschland und seiner
Zivilgesellschaft nicht mehr der Krieg erklärt werden darf (wie es von
Seiten des BGR am 01.09.2001 geschehen ist), Kriegserklärungen an
Afghanistan aber so leicht über die Lippen gehen. In der Verteidigung der
Zivilisation vergißt die ANG auch ihre wenige Minuten vorher referierte
Kritik am strukturellen Antisemitismus, der die USA oder die Juden für den
Kapitalismus verantwortlich macht. Der Islam und der Terror lassen sich
für die ANG nämlich sehr genau lokalisieren (Afghanistan) und
personalisieren (Bin Laden). Die Beweisführung der ANG geht so: Es
(der Anschlag) ging sicher von Bin Laden aus, weil er es oft in Interviews
erwähnt hat. Zur Untermauerung fallen Sätze wie: Mir sind
die Taliban sau unsympathisch. Eher sympathisch ist Hannes dagegen die
neue BRD. Er lobt den staatlichen Antifasommer, weil er mehr
Dissidenz ermögliche. Das nächste Mal wird sicher wieder
erzählt, dass nach Adorno und Horkheimer in den modernen Gesellschaften
Dissidenz gar nicht möglich sei. Die Dissidenz, von der die ANG
träumt, sieht dann so aus: Nicht die deutschen Nazis, Bonzen
oder Politiker sollen auf die Fresse bekommen, wie es Linke bislang
propagierten (schließlich sei deren imaginierter Lebensstil, mal
abgesehen von den Nazis, anstrebenswert), sondern die Taliban das sei
gut für die afghanische Bevölkerung. Für die hat
sich bislang zwar niemand interessiert (mal abgesehen von den geschmähten
Antirassisten), deswegen wird es jetzt wohl um so mehr Zeit, hart und
kräftig zuzuschlagen.
Schade, dass die ANG sich die Kritik der Verhältnisse versagt: Dem
Antiamerikanismus werden Pro-Amerika-Bekundungen entgegengesetzt (als ob das
identisch wäre mit dem notwendigen Anti-Antiamerikanismus), der Kritik an
Teilen der Friedensbewegung, die pauschal die ganze Bewegung treffen soll, wird
Kriegstreiberei als Alternative entgegengesetzt (als ob es irgendeine Wirkung
hätte, dass die ANG in den Chor einstimmt), dem linken Aber...
wird unterstellt, mit ...die USA haben es verdient fortgesetzt zu
werden, der bürgerlichen Herrschaft, die den Terror
hervorbringe, wird die Zivilisation als allgemeine
Menschheitsgeschichte entgegengesetzt, als ob das eine mit dem anderen
nicht zu tun habe, das Scharping-Auschwitz-Zitat wird in Anschlag gebracht und
die Unterscheidung in gute und schlechte Tote aufgemacht.
Auf den Punkt gebracht: Die ganzen Tränen der ANG und das Einstehen
für die Zivilisation lassen sich auf einen wohlstandschauvinistischen
Reflex zurückführen. Natürlich lässt es sich für uns
in den USA besser leben als in Afghanistan. Auch die Afghanen wären lieber
Amerikaner. Das Bedrohungsszenario erscheint nur deswegen als so
gefährlich, weil wir uns davon betroffen fühlen. Bislang schienen die
Krisenerscheinungen lediglich an den Benzinpreisen ablesbar zu sein. Die
Vorstellung, auf unserem nächsten Urlaubsflug als Geisel in ein Hochaus zu
fliegen oder etwas unspektakulärer vom Milzbrandbakterien dahingerafft zu
werden, ist wahrlich keine schöne. Anders verhält es sich mit der
Notwendigkeit der Verurteilung der Anschläge und jeglicher Sympathie
diesbezüglich sowie der Verteidigung von Israel. Es bleibt der ANG und der
BAHAMAS zu wünschen, das eine vom anderen in Zukunft besser trennen zu
können. Manchmal haben sie auch lichte Momente: z.B. wenn sie darauf
bestehen, dass der Kommunismus die Minimalforderung sei!
Xaver
Fußnoten:
1 CEE IEH #79,
http://www.conne-island.de/nf/79/16.html. Reaktion auf diesen
Artikel im CEE IEH #80, http://www.conne-island.de/nf/80/26.html
2 alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate sind aus den Referaten
und Redebeiträgen auf der Veranstaltung der ANG Stahlgewitter
am 02.10.2001 im Conne Island (Leipzig). Die Veranstaltungsankündigung ist
unter http://www.left-action.de/archiv/0109271141.htm nachzulesen.
3 Auf den Hamburger Strich zu gehen, sei der normale Umgang mit
männlichen Bedürfnissen, während die Türme umzuknallen,
eine falsche Triebabfuhr der Hamburger Studenten darstelle.
4 "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die
Mörder, CEE IEH #81,
http://www.conne-island.de/nf/81/20.html
5 Siehe Fußnote 2 und 4 sowie Klarofix #90/2001, S. 36-47 und
CEE IEH #81, http://www.conne-island.de/nf/81/19.html
6 Soll heißen: In der aktuellen BAHAMAS gelingt der
Antisemitismus-Nachweis für linke Publikationen anhand und wen
verwundert das schon traditionsmarxistischer Zeitungen wie der jungen
Welt. Der Antisemitismus-Vorwurf richtet sich bei der BAHAMAS in der Regel
jedoch gegen die gesamte Linke. Eine Durchsicht der linken Zeitungen zum Thema
die meisten sind erst erschienen, nachdem die BAHAMAS ihre Stellungnahme
veröffentlicht hat ergibt ein differenzierteres Bild, als es die
BAHAMAS-Redaktion wahrhaben will.
7 Beide Bücher können im Infoladen Leipzig ausgeliehen
werden.
8 Die HerausgeberInnen des Buches Feindbild Islam geben
allerdings zu bedenken, dass die Islam-KritikerInnen oft die gleiche Position
wie die Fundamentalisten bei der Religionsdeutung einnehmen: Oft wird der
Islam erledigt, indem die Autoren zuerst wie islamistische Mullahs
argumentieren denn der wahre Islam sei ja eigentlich
fundamentalistisch.
9 so die Relegationsbegründung für moslemische
Schülerinnen in Frankreich
10 Da war die ehemals feministische EMMA, inzwischen eine
Zeitschrift für KatzenliebhaberInnen, der Bahamas um einige Jahre voraus.
Der Spiegel titelte: Die westdeutschen Frauenhäuser sind voll von
türkischen Frauen und unterschlägt, daß die meisten vor
ihren deutschen Ehemännern geflohen sind.
11 http://www.nadir.org
12 links-autonome Zeitschriften sind da schon weiter und drucken ihn
einfach ab (z.B. die Swing aus dem Rhein-Main-Gebiet). Es dürfte wohl
einmalig sein, dass in solchen Zusammenhängen positiv auf einen
dokumentierten F.A.Z.-Artikel bezug genommen wird.
13 damit meint er die BAHAMAS, was er durch ein entsprechendes Zitat
aus der Zeitschrift belegt
14 siehe dazu auch die anderen Beiträge in diesem Heft
15 Der Kapitalismus könne seine Krisenhaftigkeit nicht
bekämpfen. Als Beleg führt Martin an, dass die Arbeitsgesellschaft
sich die Arbeit abschafft, was zu einen Widerspruch führe, der sich
systemimmanent nicht lösen ließe. Dagegen zu halten wäre: Es
gab immer interne und externe Lösungsmöglichkeiten für
kapitalistische Krisen: sei es durch die Schaffung neuer Produktionsbereiche
(Dienstleistungsektor), die dazu führen, dass in den Metropolen mehr
gearbeitet wird als je zuvor, Tendenz steigend, oder sei es durch die
Abschaffung der ArbeiterInnen im Trikont durch Kriege, Bevölkerungspolitik
und Hunger.
16 Da ist die ANG sich auch noch nicht einig: Zum einen müssen
die Menschen am Ende des krisenhaften Kapitalismus zwangsläufig
austicken, zum anderen sollen sie für ihren Fundamentalismus
haftbar gemacht werden. Festzuhalten bleibt, dass es immer richtig war, den
Nazis abzusprechen, Opfer der Verhältnisse zu sein (was sie 1. aus
soziologischer Sicht nicht sind, 2. sie verharmlosen würde und 3. in
Konsequenz immer hieß, nicht die Verhältnisse zu ändern sondern
die Nazis mit Jugendclubs zu fördern). Dagegen gilt natürlich
für das Austicken der bürgerlichen Subjekte in den
Randgebieten der Metropolen, dass sie 1. soziologisch gesehen sehr wohl Opfer
sind, 2. sie wenig Auswahl haben, wie sie austicken und 3. in Konsequenz sie
anstelle von Jugendclubs Bomben erhalten. Das heisst nicht, dass die Islamisten
in Schutz zu nehmen sind, nur verbieten sich alle Vergleiche mit den Nazis und
daraus folgend auch analoge Strategien, sie zu bekämpfen.
17 alle drei vorhergehenden Zitate von Ralf im CEE IEH #81
18 Sie wollen sich also genauso blamieren wie Jürgen
Elsässer, der in der konkret 09/2001 die Grenzcamp-Losung no border,
no nation, stop deportation mit der deutschen Außenpolitik auf dem
Balkan gleichsetzt: Dort würden ja auch die souveränen
Nationalstaaten abgeschafft und die Grenzen geschleift.
19 Der USA wird z.B. empfohlen: Von Israel lernen heißt
siegen lernen. Gemeint war die Liquidierung führender Köpfe der
Intifada. Ob sich Terrorismus durch das Töten der Terroristen
bekämpfen lässt, wird sich zeigen...
20 Es sah wirklich nicht gut aus. Es strahlte auch wenig von dem
Glanz und Pathos aus, den Hannes verkündete: In diesem T-Shirt
kämpfen Menschen aller Religionen und Hautfarben. Die US-Armee exportiert
ihre Werte. Aus dem Publikum wurde ergänzt, dass die Verwerflichkeit
der Taliban sich schon darin zeige, dass keine Frauen bei ihnen mitkämpfen
dürften. Da hat die Bundeswehr noch mal Glück gehabt. Bis vor kurzem
war sie ja auch ein patriarchaler Terrorhaufen, jetzt eine emanzipatorische
Friedensarmee. Und dass die US-Armee bislang nach Afghanistan die Werte
(islamischer Fundamentalismus, Antikommunismus, Patriarchat) exportiert hat,
die sie nun vorgibt zu bekämpfen, ist sicherlich nur ein bedauerlicher
Kolleteralschaden. Die Todeskandidaten in den US-Knästen
repräsentieren übrigens genausowenig den amerikanische
Bevölkerungdurchschitt wie die gehobenere Posten in der Armee: erstere
sind vornehmlich schwarz, letztere vornehmlich weiß.
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