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review-corner, 2.7k

Bilder vom Feind.

Eine Buch-, Text- und Veranstaltungskritik. Oder: Wie die Antinationale Gruppe (ANG) die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen brachte.
Buch-Cover I, 22.2k

Buch-Cover II, 21.7k

Hermann L. Gremliza (Hrsg.):

Hat Israel noch eine Chance? Palästina in der neuen Weltordnung

Konkret Literatur Verlag: 2001, 239 S., ISBN 3-930786-32-X
 
 
 
 

Jochen Hippler, Andrea Lueg (Hrsg.):

Feindbild Islam

Konkret Literatur Verlag: 1993, 205 S., ISBN: 3-89458-118-2

, 0.0k

Die Antinationale Gruppe Leipzig (ANG) war jahrelang Garant für klare Analysen und kompromißlose Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Der geschmähten „Gefühlsduselei“ der autonomen Linken wurde der unabänderliche Hass auf Deutschland entgegengesetzt. Doch große Veränderungen bahnen sich langsam an. Im CEE IEH wirft Ralf der AG Öffentlichen Räume „die Unfähigkeit zu trauern“(1) vor. Zwei Monate später wird die ganze ANG in einer Gefühlswelle überrollt. „Absolute Fassungslosigkeit“, „die nackte Angst“, „Trauer“, „Mitgefühl“(2) überkam die Mitglieder der ANG nicht nur vor ihrem Fernseher, sondern werden angesichts der Terroranschläge in den USA zur Grundlage einer „marxistischen Gesellschaftsanalyse“ erklärt. Ergebnis dieser Analyse ist, dass der Hass auf Deutschland verrübergehend zurückzustehen hat: Mann meldet sich bei der Bundeswehr und Frau geht auf der Hamburger Reeperbahn anschaffen(3). Die Gruppe, die bislang jegliche praktische Politik vehement ablehnte, da sie das kapitalistische System nicht reformieren wöllte, macht nun diese Vorschläge zur Bekämpfung der „Zombies, die mitten unter uns gelebt haben“: gemeint sind die islamistischen „Autisten“, äh: Terroristen. So werden die Verhältnisse, zumindest im hiesigen Blätterwald und an den Leipziger Stammtischen, noch mal mächtig zum Tanzen gebracht.
Es sei nicht verschwiegen, dass mich beim Sehen der Bilder von den einstürzenden Türmen des World Trade Centers ähnliche Gefühle überkamen. Allerdings schämte ich mich schon am nächsten Tag für diese bürgerliche Sentimentalität. Warum dies so war und derartige Gefühle mit Marxismus genauso viel zu tun haben, wie die Anschläge in den USA mit emanzipatorischer Politik, soll im folgenden erklärt werden. Vorab will ich allerdings betonen, dass trotz aller Kritik an der Veranstaltung der ANG und dem BAHAMAS-Text aus dem letzten CEE IEH(4), die referierten Thesen zum Teil ihre Berechtigung haben und ich somit ausdrücklich zum Lesen der Texte(5) anregen möchte. Sie schießen in ihrer Polemik allerdings oft genug über’s Ziel hinaus, in die falsche Richtung oder gar mit ihren Kanonen auf Spatzen(6).
Um die Kritik konkret zu machen, seien im folgenden zwei Bücher aus dem Konkret Literatur Verlag besprochen – schließlich befinden wir uns hier in der Rubrik „review corner“.(7)

Feindbild Islam

In der „Stellungnahme der BAHAMAS-Redaktion zum islamistischen Massaker in den USA“ (CEE IEH #81) ist die Rede davon, dass der „zur Vernichtung entschlossene Antisemitismus“ der „palästinensischen Volksgemeinschaft“ „seinem nationalsozialistischen Vorbild auf qualitativer Ebene durchaus ebenbürtig sei“ und „dem Koran eine ähnliche Rolle (...) wie seinerzeit Hitlers Machwerk ‘Mein Kampf’“ zukäme. Der Islam sei eine Religion „archaischer Gesellschaften“ und der „Heidegger für Analphabeten“. Moslems wären von „Mordlust“, „Dummheit“, „Engsiegmentalität“, „Haß auf Schönheit und Genuß“ besessen.
Es geht im folgenden nicht darum, wie die BAHAMAS-Redaktion schreibt, die „in Deutschland gebetsmühlenhaft aufgetischte Mär, daß der Islam eine nette, freundliche Religion sei, die nur von einigen Fehlgeleiteten - und das auch aus nachvollziehbaren Gründen – zum radikalen Islamismus verkehrt werde“ fortzuschreiben.(8) (Religionen sind nie nett und freundlich, es ist ihnen allerdings immer eigen, dass es Realisten und Fundamentalisten gibt. In den religiösen Grundlagen, die sich allerdings in den großen Weltreligionen nicht sonderlich unterscheiden, ist der Wahn der Fundamentalisten mit angelegt, sie konstruieren allerdings kein homogenes Kollektiv aller Gläubigen.) Die berechtigte Kritik am Antisemitimus im Islam diskreditiert sich, wenn sie auf rassistische und anti-islamische Argumente zurückgreift. Der Verweis auf die deutsch-arabische Freundschaft, deren Vorhut die deutsche Außenpolitik, die Neue Rechte und Teile der deutschen Autonomen und Antiimps sind und waren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Deutschen sowohl von Antisemitismus, Anti-Amerikanismus, Rassismus und Anti-Islamismus durchdrungen sind. Der Analyse des „Feindbild Islam“ widmet sich das gleichnamige Buch, herausgegeben von Jochen Hippler und Andrea Lueg.
Im ersten Beitrag („Das Feindbild Islam in der westlichen Öffentlichkeit“) des Buches versucht Andrea Lueg zu ergründen, wie das Feindbild in den 80er Jahren an Bedeutung erlangt hat. Sie tischt uns die nicht unbedingt falschen, aber doch recht platten und verkürzten Thesen auf, daß sich die westliche Gesellschaft mit der Abnahme der kommunistischen Bedrohung auf die Suche nach neuen Feindbildern machen mußte. In Frage kamen damals die Drogen und der Terrorismus, beides Bedrohungsszenarien, die sich gut mit dem Islam verknüpfen ließen. Nach dem Ende das Kalten Krieges habe das Feindbild Islam als Identitätsersatz enormen Auftrieb erhalten. Die anti-islamischen Vorurteile hätten im Westen eine wirkliche Auseinandersetzung mit den realen Gefahren des Islam – das werden die AutorInnen des Sammelbandes nicht müde zu betonen: daß sich „in islamisch geprägten Gesellschaften tatsächlich Agression, Represson, Fanatismus etc.“ finden lassen – verhindert. Der Erfolg islamistisch-fundamentalistischer Strömungen wird mit den „katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen“ Verhältnissen, der Abgrenzung vom westlichen Kultur-“Imperialismus“ und dem „Bankrott sämtlicher säkularer Alternativideologien“ erklärt. Die Begrenztheit dieser Erklärungsversuche erhellt sich durch eine Blick auf die ähnlich klingenden für das Naziproblem im Osten. Ähnlich primitiv wird die „Menschenrechtsfrage“ abgehandelt: Lueg konstatiert, daß es auch im arabischen Raum Diskussionen über das westliche Modell der Menschenrechte gäbe sowie im Westen Menschenrechtsverletzung – was sich allerdings hinter dem Konzept universeller Menschenrechte verbirgt und inwieweit es sinnvoll ist, sich darauf zu beziehen, versucht sie nicht zu ergründen.
Das Feindbild Islam eigne sich aber nicht nur zur Abgrenzung nach außen, sondern auch zur Selbstvergewisserung der eigenen, vermeintlich überlegenen Identität. Im Gegensatz zum als vormodern, frauen- und demokratiefeindlich erklärten Islam erscheint die eigene Gesellschaft als emanzipiert und aufgeklärt. Gerade an der hysterisch geführten „Kopftuchdebatte“ (ein Kleidungsstück wie jedes andere, welches aber bei Musliminnen einen „provozierenden und militanten Charakter“ habe(9)) läßt sich erkennen, wie selbst linke und liberale AutorInnen auf den „Kampf der Kulturen“ hereinfallen.(10) Dies funktioniert aber nur, weil der Religion Islam nicht etwa das Christentum entgegengesetzt wird – zu auffällig wären die Parallelen – sondern der geographisch-kulturelle Raum des Westens. Vor diesem Hintergrund verwundet es nicht, wie z.B. ein französischer „Islamexperte“ die Armut Bangladeschs verklärt: „Stellen wir uns vor, wie durch Zauberei würde man die bengalischen Muslime durch Niederländer ersetzen: Im Nu tauchten am Ganges Polder und Kanäle, Dämme und Windmühlen auf!“. Fehlt nur noch der Käse und die Tulpen, die wie von alleine aus dem Boden spriesen würden.
Ein weiteres Moment des Antiislamismus sei die Verschränkung mit dem bevölkerungspolitischen Diskurs: Einzelne Moslems kommen in der Feindbildproduktion kaum vor, die Rede ist immer von fanatisierten Massen, die schon allein quantitativ eine Bedrohung darstellen sollen.
Zum Abschluß erinnert Lueg mit Verweis auf „ausländerfeindliche Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit“ daran, was „unter dem Lack unserer Zivilisation schlummert.“ Das Dritte Reich werde als historischer Unfall, nicht als Teil unserer Kultur betrachtet – während dem Islam immer alles zugerechnet werde. An dieser Stelle ist der Aufklärungpathos der Autorin erwacht, der sich für die Lackierung unserer verschlafenen Zivilisation (z.B. auf Gewerkschaftsseminaren) eignet, nicht jedoch für eine linke Analyse.
Leipziger Volkszeitung, 21.7k Entgegen der Beteuerung in der Einleitung des Buches, sich nicht mit dem Islam an sich auseinandersetzen zu wollen, sondern nur mit dem über ihn vorherrschenden Feindbild, wird in den folgenden Beiträgen des Buches auch die „islamische Realität“ ausgeleuchtet – und genau das macht die Stärke des Buches aus.
Der Beitrag von Petra Kappert („Europa und Orient“) widmet sich der Entwicklung des Verhältnisses zwischen „Abend- und Morgenland“ seit dem 10. Jahrhundert. Bis zum Mittelalter strahlte die kulturelle Überlegenheit des arabischen Raums kaum nach Europa aus, bis aufgrund militärischer Eroberungen sich die „Türkenfurcht“ tief ins Gedächtnis der westlichen Gesellschaften einschrieb. Mit der Aufklärung wandelte sich das Bild: Der Orient wurde getreu dem dualistischen Weltbild zu einer naturhaften, weiblichen, sinnlich-romantischen Traumwelt verklärt – im Gegensatz zur „kalten“, westlichen, technokratischen, frühkapitalistischen Rationalität. Schon zum Ende des 19. Jahrhunderts verstand es Deutschland, kolonialistische Politik ideologisch aufzuwerten: „Deutschland verlangt aber im Oriente nicht nach Eroberung, nicht nach Gebietszuwachs, es will (...) Nutznießung und Wohlstand erlangen und verbreiten helfen. Wohl aber wird der deutsche Eisenbahnbetrieb, wird die Lokomotive zum wirksamsten ‘Erzieher’ im fernen Oriente werden. (...) Aus Deutschland! sagen die Türken und Araber dann ehrfürchtig. Und eine Ahnung steigt in dem Asiaten empor, daß er eine ganze Welt verschlafen und verträumt hat. (...) Von dieser Stunde der Erkenntnis an ist aber der Sieg über den Asiatismus errungen, (...) liegt das einstige Paradies weit erschlossen da für eine neue germanische Völkerwanderung!“ (1900).
In „Muslimische Intellektuelle und die Moderne“ erläutert Reinhard Schulze, daß der islamische Fundamentalismus nicht die rückwärtsgewandte Antwort auf die „westliche Moderne“ ist, sondern selbst Teil der Moderne. Daran anknüpfend führt Azmi Bishara („Religion und Politik im Nahen und Mittleren Osten“) aus, daß der Fundamentalismus – ursprünglich eine protestantische Erfindung – kaum etwas mit den jeweiligen Religionen zu tun hat. Die recht ausführlichen religionswissenschaftlichen Abhandlungen darob, daß der Koran kein politisches Buch sei, bringen keine neuen Erkenntnisse zu tage, seien jedoch der BAHAMAS-Redaktion wegen ihres „Mein Kampf“-Vergleiches ans Herz gelegt.
Jochen Hippler untersucht das Verhältnis von „Islam und westlicher Außenpolitik“. In diesem Kapitel zeigt sich deutlich, wie sich die weltpolitische Lage in den letzten acht Jahren verändert hat – das Buch erschien 1993. Daß der deutschen Außenpolitik Zurückhaltung in der Nahost-Politik attestiert wird, dürfte nicht an der Blindheit der AutorInnen gelegen haben, sondern an den damaligen Gegebenheiten. Insofern ist das Buch richtig veraltet und wäre durch die Analyse deutscher Interessen im arabischen Raum (die ja von der BAHAMAS geleistet wird) zu ergänzen. Hippler betont, daß – z.B. im Gegensatz zu den deutschen Verschwörungstheorien und Dolchstoßlegenden, die jeglicher Grundlage entbehrten – der westliche Einfluß durch Kolonialismus und Imperialismus nicht zu verleugnen ist. Insofern ist der politische Islam, der immer in Konkurrenz zum arabischen Nationalismus stand, auch eine Reaktion auf den Westen. Der arabische Nationalismus galt dem Westen aber immer als gefährlicher, da er entgegen dem Islam nicht antisowjetisch war und z.T. staatssozialistischen Versuchen nicht abgeneigt. Es ist kein Geheimnis, daß selbst der israelische Regierung die Hamas förderte, um die PLO zu schwächen. Das schon lange im Westen präsente Feindbild Islam spiegelte sich in der herrschenden Politik kaum wider: In den offenherzigen Verlautbarungen us-amerikanischer Militärs und Politiker werden als Bedrohungsszenarien Staatskrisen, regionale Kriege, Atomwaffen, Engpässe in der Ölversorgung etc. beschrieben, vom islamistischen Fundamentalismus (der schließlich jahrzehntelang als prowestlich galt und somit den postkolonialen Interessen der Großmächte diente) ist nirgends die Rede. Hippler attestiert der westlichen Außenpolitik einen außerordentlichen Pragmatismus (der sich ja auch in der momentanen Kriegsführung der USA zeigt), der scheinbar im Widerspruch zur propagandistisch geschürten Islamparanoia steht. „Eher erfreulich ist der Schluß, daß die westliche Außenpolitik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten rational ist, auch wenn sie von dem Interesse an politischer und wirtschaftlicher Dominanz gekennzeichnet ist, und von der Bereitschaft, in ‘zweckrationaler’ Manier gelegentlich ein paar Hundertausend Menschenleben - arabische, versteht sich – der Durchsetzung der eigenen Interessen zu opfern. Der Westen betreibt also keinen ‘Kreuzzug’, keine Politik, die sich von einem rassistischen Feindbild leiten ließe, sondern ‘nur’ imperiale Politik. Wenn das die gute Nachricht ist – was ist die schlechte? Wirklich bedrohlich ist es, daß diese imperiale Politik je nach Opportunität auf die latente Emotionalisierung zurückgreifen kann. (...) Das Feindbild läßt sich jederzeit einsetzen, es gestattet, je nach Bedarf eine islamische Bedrohung zu präsentieren, gegen die es sich zu ‘verteidigen’ gilt.“
Warum aber die rationalen Toten der imperialistischen Politik die gute Nachricht sind, die rassistischen Diskurse zur Legitimierung derselben bzw. die irrationalen Toten, die Opfer des Spiegelbildes der rationalen Moderne werden, die schlechte, vermag weder Hippler noch die ANG zu erklären.

Feinbild Israel

Die F.A.Z., die sich normalerweise nicht sonderlich für populäre „Stimmen der Unterdrückten“ stark macht, veröffentlichte am 28.09.2001 ein langes Essay der Inderin Arundhati Roy zu den Anschlägen in den USA. Und bei nadir,(11) dem linken Provider schlechthin, gibt es eine Diskussion darüber, ob dieser F.A.Z.-Artikel weiterzuverbreiten sei.(12) Und das, obwohl nicht mal harmlose Veranstaltungsankündigen der Heinrich-Böll-Stiftung auf nadir veröffentlicht werden dürfen – aufgrund der Nähe der Stiftung zu Bündnis 90/Die Grünen. In ihrem Essay vergleicht die Autorin die Terroristen mit multinationalen Konzernen und als Mörderstaaten werden die USA und Israel an den Pranger gestellt, die die ganze Welt lang genug geknechtet hätten.
„Fast automatisch hat so gut wie die gesamte Linke fast jeder nationalen Befreiungsbewegung ihre Solidarität erklärt. Und doch an keinem Ort der Welt einhelliger und unbeirrbarer als in Palästina, im Kampf der dort lebenden, von dort geflüchteten oder vertriebenen Araber mit dem Staat Israel“ schreibt Hermann L. Gremliza in dem vom ihm herausgegeben Buch „Hat Israel noch eine Chance? Palästina in der neuen Weltordnung“. Und tatsächlich: Es ist wohl kein Zufall, daß die Palästinenser diejenigen sind, die von der BRD heute die höchte Pro-Kopf-Unterstützung erhalten, während die Linke mangels Geld den „palästinensischen Befreiungskampf“ dafür ideologisch, moralisch und personell unterstützte, wie keine andere Bewegung. Im Gegensatz zur BAHAMAS zeichnet das Buch nicht die billige Polemik, sondern sachliche Abhandlungen verschiedener Facetten (der antisemitischen Hintergründe) des Israel-Palästina-Konflikts und seiner Rezeption aus.
Ralf Schröder geht der Geschichte der palästinensischen Befreiungsbewegung der letzten 100 Jahre nach. Die Freundschaftsbezeugungen zwischen Hitler und Führern des palästinensischen Nationalismus, die in Waffenlieferungen und gemeinsamen Besuchen der Konzentrationslager mündeten, kamen nicht von ungefähr: als gemeinsame Feinde wurden die „Engländer, die Juden und die Kommunisten“ ausgemacht. Justus Wertmüller (BAHAMAS-Autor) sowie Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer gehen in ihren Beiträgen der Frage nach, was den arabischen Antisemitimus von dem westlichen unterscheidet. Wertmüller arbeitet heraus, dass historisch gesehen der religöse (islamische) Antisemitismus zwar zu Diskriminierung führte, die Juden jedoch ihrem Leben nachgehen konnten und es kaum tätliche Angriffe gab. Die Radikalisierung und Modernisierung zum völkischen Antisemitismus wurde im 19. Jahrhundert durch den europäischen Einfluß, vor allem durch die französiche Kolonialisierung, vorangetrieben. Dagegen behaupten Osten-Sacken und Uwer sogar, dass „die Araber tatsächlich nicht antisemitisch in dem im Westen gebrauchten Sinne des Wortes (waren) ..., weil sie zum allergrößten Teil keine Christen sind.“ Einig sind sich jedoch alle drei Autoren, dass der Export der völkischen und antisemitischen Literatur durch die christlichen Missionare in den Nahen Osten und die Politik der Konstruktion und Förderung ethnischer wie religiöser Minderheiten durch die Kolonialmächte dem Antisemitismus im arabischen Raum zu seinem Durchbruch verhalf.
Genau diese historische Betrachtungsweise zeigt auf, dass, wer den modernen Islam untersuchen will, nicht in den Koran schauen sollte – dieser Bezug wäre vielmehr als ein Ablenkungsmanöver der Islamisten und Islamkenner aufzudecken – sondern lieber in frühkapitalistische Bekenntnisliteratur über die Vorteile der Marktwirtschaft.
Wertmüller zitiert nichtsdestotrotz aus dem Koran und erklärt damit nicht viel. Seine Islam-Beschimpfungen („Seine primitive Ausformung als rigide und erstarrte Religion, die mit eiferndem Dogmatismus an der möglichst wörtlichen Umsetzung der Gesetze ihres heiligen Buches Leipziger Volkszeitung 2 - Klicken für große Ansicht, 7.9k festhält...“) ist so wahr wie falsch: Nicht eingebettet in eine generelle Religionskritik und ohne Untersuchung der unterschiedlichen Funktionen von Religionen in den historischen Epochen, drücken diese Zeilen nur sein Ressentiment aus. Auch in anderen Beiträgen des Buches offenbart sich diese Schwäche: Mensch versucht der realen und z.T. herbeibeschworenen Gefährlichkeit der Palästinser mit Verächtlichmachung beizukommen: Da belächelt Sylke Tempel in ihrem Beitrag „Beruf: Palästinenser: Yassir Arafat und die PLO“ die „stets proper gebügelte olivfarbene Uniform (von Arafat), selbst wenn sie schon lange das Amüsierfett nicht mehr verbergen kann“ oder den Repräsentationswahn der PLO, der sich in 53 Botschaften ausdrückt - in Ländern wie Bangladesh, Gabun, Guinea Bissau oder Mali, die „offensichtlich von außerordentlicher Bedeutung für die palästinensische Sache sind“. Dieser TITANIC-Stil eignet sich natürlich hervorragend, um die Absurdität der bürgerlichen Gesellschaft zu demaskieren, das Lachen gerät jedoch schnell in den falschen Hals, weil es in dem ansonsten so sachlichem Buch zu einem Lachen auf Kosten der anderen wird, ohne zu reflektieren, dass 53 palästinensische Botschaften harmlos sind gegenüber den wohl über 300 deutschen. Zu Apologeten der herrschenden Ordnung machen sich die AutorInnen auch, wenn sie beklagen, die PLO könne keine Rechtssicherheit herstellen, „die es palästinensischen und ausländischen Investoren erleichtern würde, so etwas wie den dringend benötigten Grundstock einer freien Wirtschaft zu legen und damit Jobs zu schaffen in einem Landstrich wie Gaza, der unter einer 50prozentigen Arbeitslosenquote leidet“. Selbst die „unaufgeregten Experten“ Osten-Sacken und Uwer schließen ihren guten Beitrag mit einer seitenweisen Auflistung von sensationslüsternen Zitaten, die die Parallalität des islamistischen Antisemitismus mit dem nationalsozialistischen suggerieren. So erschreckend und wichtig die Kenntnis dieser Zitate ist – so unkommentiert stehen sie nicht für sich selbst und torpedieren das Anliegen des Beitrages, Gleichsetzungen zu vermeiden bzw. die Ähnlichkeiten zu erklären.
Hier offenbart sich das Dilemma, welches auch die innerisraelische Auseinandersetzung kennzeichnet. Yoram Kaniuk konstatiert in seinem Beitrag „Aus der Traum“: „Die Linke hatte eine gute Antwort, aber sie hatte nicht richtig gefragt, während die Rechte zwar die richtige Frage gestellt, aber keine Lösung anzubieten hatte“. Die richtige Antwort der Linken war Frieden und „Aussöhnung“, jedoch verschlossen sie „dabei ihre Augen vor der ausgesprochenen feindseligen Haltung der Palästinenser und behaupteten, der Haß sitze nicht so tief“ (der Grund, warum die israelische, z.T. antizionistische Friedensbewegung oft gefragter Interviewpartner der deutschen Medien quer durch alle politischen Lager ist). Die Rechte dagegen war schlau genug, das Problem nicht zu verharmlosen, setzte im Gegenzug aber ausschließlich auf militärische Überlegenheit und offensive Siedlungspolitik.
Weitere Beiträge setzen sich mit speziellen Aspekten des Konfiktes auseinander: Es gibt eine ausführliche „Chronik der Al-Aksa-Intifada“, eine Übersicht über den Revisionismus in palästinensischen Schulbüchern, in denen der Staat Israel schon heute vom Erdboden getilgt wurde, sowie Abhandlungen zu dem Verhältnis Israels zu den Vereinten Nationen, zu der Rückkehrproblematik palästinensischer Flüchtlinge und Rechtsfragen im Konflikt zwischen Israel und Palästina. Diese Beiträge liefern neben der immergleichen Feststellung, dass Barak in Camp David große Zugeständnisse gemacht hat, interessante Details (z.B. über den „antiimperialistischen“, d.h. antizionistischen Charakter der UNO, die sich mit keinem Land so oft beschäftigt hat, wie mit Israel, was meist zuungunsten von Israel ausfiel. Israel ist bis heute die Mitarbeit in allen UNO-Gremien verwehrt), tragen allerdings nicht zur analytischen Vertiefung bei, da sie oberflächlich demokratie- und rechtsgläubig argumentieren. Augenscheinlich wird das bei der Untersuchung, ob Israel sich an die Haager Kriegskonvention und andere juristische Spielregeln hält. Diese Frage wird bejaht, den Palästinensern dagegen terroristische Methoden attestiert. Wichtig ist diese Feststellung allemal, schließlich haben schon viele Israel als faschistisches Terror-Regime gebrandmarkt. Daß die Palästinenser klassische „Partisanen“-Methoden anwenden, sagt allerdings nicht viel über die Legitimität des Kampfes aus.
Im letzten Beitrag („Zwischen Scham und Wahn: Israel und die deutsche Linke 1945-2000“) bringt es Martin Kloke auf den Punkt: „Man muß sich nicht die verschwörungstheoretischen Argumente antinationaler Linker(13) zu eigen machen (...) um die Konturen einer zweiten - mehr als virtuellen - Nahostfront in den Medien zu erkennen: Eine bemerkenswerte Koalition linksliberaler, linksradikaler und rechtsextremer Deutscher scheut nicht davor zurück, Sympathien mit den zentralen Inhalten einer politischen Theologie des Islam zum Ausdruck zu bringen (...)“. In seinem empfehlenswerten Beitrag zeichnet er nach, wie sich innerhalb der deutschen Linken eine proisraelische und philosemitische Grundstimmung (die von der Verdrängung der eigenen Geschichte geprägt war) ab 1967 in eine antizionistische, antisemitische umschlug, was er auch auf die Begeisterung bürgerlicher Kreise für Israel (bzw. der militärischen Schlagkraft), der weltpolitischen Lage (Blockkonfrontation) und die Verbreitung antiimperialistischer Theorien – und somit nicht ausschließlich auf den kollektiven Antisemitismus – zurückführt.

Feindbild Barbarei

Parallel zur Diskussion ob der Veröffentlichung eines F.A.Z.-Artikels bei nadir läuft eine Kampagne gegen die Seiten der BAHAMAS auf dem Provider von nadir. Gefordert wird von einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen (u.a. Contraste e.V., Interkonti Berlin, Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten) die Sperrung des Accounts, ein bekannter Arranca!-Autor empfiehlt zusätzlich die Beobachtung der BAHAMAS durch ein Antifa-Archiv. Dem Conne Island wird in einem offenen Brief anempfohlen, das CEE IEH #81 wegen einem BAHAMAS-Artikel einstampfen zu lassen.(14) Die Empörung kocht nicht wegen der Verharmlosung einer Vergewaltigung hoch, sondern aufgrund der Stellungnahme der BAHAMAS zum islamistischen Massaker in den USA: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“ Die heftigen Reaktionen auf diesen Beitrag liefern der BAHAMAS wieder viel Material für den nächsten Angriff auf die vermeintlich durch und durch antisemtische Linke. Und so erfüllen sie mit ihrer radikalen Polemik und rassistischen Ausfällen ihre eigene Prophezeiung. Die Abwehr ihrer Positionen dient im Zirkelschluss als Beleg für die Richtigkeit derselben. Zum Teil mag das sogar stimmen, schaut mensch sich die Diskussionsbeiträge auf nadir an (wo alle möglichen und unmöglichen Gruppen ihren Mist ungestört ablassen können). Das ist allerdings kein Freibrief dafür, mit den gleichen Mitteln (Pauschalisierungen und Vorurteile) zurückzuschlagen.
Robert Kurz, der uns sonst mit seinen kruden Zusammenbruchstheorien nervt, hat sich angesichts des realen und medialen Terros zusammengerissen und erstmalig kluge Gedanken zu Papier gebracht (jungle World, Nr. 42): „Dazu (zur Leugnung der Singularität der Nazis durch die BAHAMAS) passt es, die Ereignisse nicht mehr im Licht der Kapitalismuskritik zu betrachten, sondern im Gegenteil vom Standpunkt eines Abfeierns der kapitalistischen Moderne gegen eine halluzinierte ‘Vormodernität’ des Islamismus, der ungefähr so mittelalterlich ist wie die Propheten der New Economy. In einem übelriechenden Schwall kommt der ganze Herrenmenschen-Rassismus eines Kant oder Hegel und die alte kolonialistische Arroganz zusammen mit dem irrationalen Hass der postmodernen Konsumfetischisten gegen das Phantasma einer ruralen Bedürfnisarmut hoch, um die genuin kapitalistisch-moderne Pest des Antisemitismus in einen imaginären vormordenen Raum zu veräußerlichen.“ Mehr lässt sich zum BAHAMAS-Text auch nicht sagen.

Feindbild Afghanistan

Nun kann die BAHAMAS noch so viel Mist und Kluges schreiben, wie sie will. Es findet sich immer eine Gruppe in Leipzig, die es zielsicher drauf hat, den Mist in Veranstaltungen zu verbreiten und die klugen Gedanken unter den Podiums-Tisch fallen zu lassen. Diese Rolle fällt oft der ANG zu. So auch diesmal. Am 02.10. lud sie zur Veranstaltung „Stahlgewitter – Reflexionen der Terroranschläge auf die USA oder 13 Thesen und mehr, warum über den Anschlag vom 11. September weder offene noch klammheimliche Freude angebracht ist“ ins Conne Island ein.
Ralf hatte zwar im CEE IEH #81 noch erklärt: „Wen die Bilder von Manhattan und vom Pentagon noch ernstlich erschüttern konnten, offenbarte damit gleichzeitig, sich nicht etwa ein Stück Menschlichkeit bewahrt zu haben, sondern die eigene Abstumpfung, die notwendige Eindimensionalität seiner eigenen Existenzweise, überhaupt nicht zu reflektieren. Mit diesen Menschen läßt sich allerhand an Schweinereien anstellen und ganz bestimmt auch ein KZ betreiben, in dem die Verantwortlichen der Anschläge und ihre Helfershelfer darben sollen.“ Dagegen artikulierte der Referent Hannes seine „tiefe Erschütterung“ über den „barbarischen Anschlag“ und empörte sich über die distanzierten und verhaltenen Reaktionen seiner linken Ex-Freunde, die der ANG heute als „neurechte Gruppierung“ gelten und denen er Antisemitismus attestierte (nicht nur der Anschlag sei also als antisemitisch zu verstehen, sondern auch die Reaktionen alljener, die nicht Hannes’ Gefühlswelt teilen). In den Ankündigungstexten im Klarofix (10/2001) gehen die Referenten sogar noch weiter: Die trauernde Zivilgesellschaft (die bislang als antisemitisches und völkisches Kollektiv denunziert wurde, was sich gerade auch bei den Reaktionen auf die Anschläge anbieten würde) sei gegenüber deren linken Kritiker zu verteidigen. Der Referent Martin ist da vorsichtiger: Er betont, dass es zynisch ist, die Toten der Anschläge gegen die Toten des Kapitalismus aufzurechnen, jeder einzelne Tote wäre einer zuviel. Er fordert, die Gefühle (wie Angst und Mitgefühl) auszubauen und zur Grundlage für eine marxistische Gesellschaftsanalyse zu machen. Beide übersehen jedoch, dass die Gesellschaft gerade darauf beruht, „menschliche“ Gefühle abzutrainieren, da sie sich nicht rechnen. Der Linken, die aus einer Gesellschaft kommt, in der nur die Liebe zu Haustieren und Konsumgütern zulässig ist, vorzuwerfen, sie wäre gefühllos, ist banal.
Die ANG bläst zum großen Angriff auf die materialistische Gesellschaftskritik, auch wenn sie genau das Gegenteil behauptet. Die kapitalistische Produktionsweise gilt den Antinationalen quasi als Natur-Gesetzmäßigkeit, die eben kein zivilisatorisches Produkt sei. Da sie nicht vom Menschen gedacht wurde, kann sie auch nicht vom Menschen abgeschafft werden. Sondern die dem Kapitalismus immanenten Gesetze, die Krisenhaftigkeit, werden ihn zum Fall bringen(15) und die Menschen werden zu ZuschauerInnen bei diesem großen Spektakel degradiert. Das führt dann zu so lustigen Stilblüten wie: Die Islamisten und Antisemiten hätten sich selbst für ihre Ideologie entschieden,(16) die Kapitalisten nicht – deswegen wären erstere zu bekämpfen. Aus den gleichen Gründen scheinen die Toten des Kapitalismus in einem milden Licht: Sie sind aus rationalen Gründen gestorben (Auf Nachfrage wird bestätigt, dass die „Ausrottung der Indianer“ auch unter normales kapitalistisches Morden fällt). Die Taliban würden aber aus Selbstzweck morden und das sei irrational. Dabei sind die Hinrichtungen der Taliban in ihrer inneren Logik genauso zwingend und rational, wie die Toten des Kapitalismus, die in irrsinnigen Kriegen, Hungersnöten, Umweltkatastrophen oder rassistischen Anschlägen etc. umkommen.
Die ANG fährt aber nicht nur auf Naturgesetze ab, sondern weiß diese dann nicht mal richtig zu deuten. Von mir aus bricht der Kapitalismus irgendwann mal zusammen – aber sicher nicht heute oder morgen – und die Terroranschläge sind kaum Ausdruck davon, wie die Referenten meinen. Da sollte mensch sich eher die ökonomischen Entwicklungen ansehen. Einerseits hat laut ANG alles mit der Ökonomie zu tun, anderseits geht es ihr überhaupt nicht mehr um Ökonomie. Wenn z.B. imperialistische Kriege geführt werden, diene das nicht Besatzungs- und Ausbeutungszwecken, sondern alleinig der Befriedung. („Die führenden kapitalistischen Mächte zetteln nicht Kriege an, sondern versuchen gerade Konflikte zu deckeln, sozusagen Ruhe reinzubringen“, was mensch ja beim Jugoslawienkrieg sehr gut beobachten konnte...) Der Kapitalismus wäre also in der Defensive und führt nur noch Rückzugsgefechte. Mensch muss nicht alles auf das Erdöl reduzieren, wie es Rainer Trampert in der jungle World (Nr. 42) macht, um zu sehen, dass es sehr wohl ökonomische Interessen gibt, die mit einer Menschenrechtsrhetorik getarnt werden sollen. Martin schlägt ins andere Extrem aus: „Öl hat mit einer marxistischen Gesellschaftskritik überhaupt nichts zu tun“. Wir erinnern uns, was er als Alternative vorschlägt: Gefühle. Die ANG geht in ihren 13 Thesen sogar soweit zu behaupten, daß „kein Staat durch den Krieg wirtschaftliche Vorteile hat (...) und selbst der Kolonialismus zu seinen besten Zeiten allenfalls ein Nullsummenspiel“ (und zu seinen schlechtesten? – Die Alimentierung der faulen Neger durch die emsigen Deutschen? Weil die Deutschen sich an den gefühlsechten afrikanischen Tänzen ergötzen wollten?)
Das mechanistische Weltbild der ANG macht den Kapitalismus zu einem einzigen Räderwerk, in dem die Menschen unabhängig von Stellung und Einstellung als Schmiermittel dienen. Die Absolutsetzung des „apersonalen Herrschaftsverhältnisses“ befördert solche geistigen Kurzschlüsse wie „Jemand der im Betrieb arbeitet, reproduziert das System genauso, wie jemand, der einen Staat leitet. (...) Es gibt keine Unterdrückung. (...) Für eine Welt der Bonzen!“ (Hannes). Diese Gleichung geht allerdings nicht mehr auf, wenn mensch sich vor Augen hält, was passiert, wenn der eine oder der andere sich überlegt, nicht mehr das System reproduzieren zu wollen. Natürlich sind die vermeintlichen „Herrscher“ nicht für den Kapitalismus verantwortlich zu machen – schließlich haben sie ihn nicht erfunden, sondern vorgefunden –, allerdings im Gegenzug den unterschiedlichen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen und die damit verbundene Machtpostionen und die bewußte Verteidigung der ideologischen Grundlagen des Kapitalismus leugnen zu wollen, ist primitiv. Warum der Kapitalismus keine Ideologie sei, die umgesetzt wird, sondern lediglich eine Struktur (wie Hannes betont), konnte bislang noch niemand erklären. Was soll nicht ideologisch daran sein, zu behaupten, dass Arbeit glücklich macht und Dinge mit einem Wert versehen sein müssen, um sie zu tauschen. Im Kampf gegen das angeblich postmoderne Gerede von den Ideologie und Diskursen gehen die ANGler jetzt sogar noch einen Schritt weiter. Bislang leiteten sie die Ideologien Rassismus und Patriarchat verkürzt aus den kapitalistischen Verhältnissen ab, machten sie zum nebensächlichen (weil inzwischen fast aufgelösten) Nebenwidersprüche. Jetzt sollen Rassismus und Patriarchat auf ihre angebliche materialistische Grundlage runtergeholt werden: „Weder die fortwährende Naturverhaftetheit des Menschen als Teil der ersten Natur und die damit verbundenen natürlichen Unterschiede von Mann und Frau, schwarz und weiß innerhalb der Gattung Mensch, dem vernunftbegabten Tier, können so auch nur ansatzweise erfasst werden.“ Dekonstruktion ist out, der Mensch ist ein Tier, und im Tierreich, das wissen wir dank der neurechten Verhaltensforscher sehr genau, gibt es auch zivilisierte Tiere (der schlaue Fuchs) und unzivilisierte (die dumme Gans). Dem Antirassismus wird in der Verkehrung aller Realitäten unterstellt, ihm würde es angesichts der „totalen Gleichmacherei der Totalität nur noch um die Findung von Differenz- und Andersartigkeitsidentitäten gehen“. Es überraschte also nicht, dass am 02.10. von der ANG das nächste Gewitter angekündigt wurde: Am 30.10. soll den „Steigbügelhalter der Barbarei“,(17) den Antirassisten nämlich, die Leviten gelesen werden.(18)
Wie eine Wetterfahne, die vom weltpolitischen Klima zum ständigen Kreiseln angehalten wird, richtet die ANG ihre Meinung völlig beliebig aus: Erst wird die „unpraktische“ Kritik der Totalität zum Non-Plus-Ultra des linken Daseins ausgerufen, wenig später soll mit aller Vehemenz die bürgerliche Gesellschaft gegen die Barbarei verteidigt werden – nichts anderes hat die Antifa jahrelang getan und wurde deswegen von der ANG beschimpft. Gleichzeitig wird aber erläutert, die Barberei sei die zwangsläufige Kehrseite der Zivilisation. Wer sie also verteidigt, produziert noch mehr Barberei? Die ANGlerInnen, die eigentlich aus anderen geistigen Spähren kommen, üben sich plötzlich in realpolitischer und militärstrategischer Beratung(19) der USA, obwohl sie eigentlich, wie sie kokett behaupten, keine Militärstrategen seien. Ein T-Shirt der US-Luftwaffe nennen sie aber schon stolz ihr eigen und präsentieren es auf der Veranstaltung. Mehr als eine ästhetische Kritik(20) wird daran allerdings kaum zu üben sein, schließlich war das PLO-Tuch jahrzehntelang das linke Modestück schlechthin. Ich trage auch keine Uniform der Polizei, obwohl sie ab und zu Amokläufer niederstreckt.
Wie schon seit Jahren verwechselt die ANG auch die Verteidigung Israels und das gönnerhafte Anstoßen mit israelischem Wein (eine Floskel, die sich in vielen antinationalen Texten finden läßt und natürlich vor dem Hintergrund der alten Boykottforderungen Sinn macht) mit antideutscher Politik. So wichtig und notwendig ersteres ist, so falsch ist es, Israel als Negation deutscher Geschichte zu begreifen, wie es auf der Veranstaltung geschehen ist. Die Negation deutscher Geschichte wäre die Schaffung einer Grenze zwischen Polen und Frankreich; dass Israel und deutsche Kontinuitäten sehr gut zusammenpassen, lässt sich gerade jetzt angesichts der neuen deutschen Nahost-Politik beobachten. Vor diesem Hintergrund verwundert es umsomehr, dass Deutschland und seiner Zivilgesellschaft nicht mehr der Krieg erklärt werden darf (wie es von Seiten des BGR am 01.09.2001 geschehen ist), Kriegserklärungen an Afghanistan aber so leicht über die Lippen gehen. In der Verteidigung der Zivilisation vergißt die ANG auch ihre wenige Minuten vorher referierte Kritik am strukturellen Antisemitismus, der die USA oder die Juden für den Kapitalismus verantwortlich macht. Der Islam und der Terror lassen sich für die ANG nämlich sehr genau lokalisieren (Afghanistan) und personalisieren (Bin Laden). Die Beweisführung der ANG geht so: „Es (der Anschlag) ging sicher von Bin Laden aus, weil er es oft in Interviews erwähnt hat.“ Zur Untermauerung fallen Sätze wie: „Mir sind die Taliban sau unsympathisch“. Eher sympathisch ist Hannes dagegen die neue BRD. Er lobt den staatlichen „Antifasommer“, weil er mehr Dissidenz ermögliche. Das nächste Mal wird sicher wieder erzählt, dass nach Adorno und Horkheimer in den modernen Gesellschaften Dissidenz gar nicht möglich sei. Die Dissidenz, von der die ANG träumt, sieht dann so aus: Nicht die deutschen Nazis, „Bonzen“ oder Politiker sollen auf „die Fresse bekommen“, wie es Linke bislang propagierten (schließlich sei deren imaginierter Lebensstil, mal abgesehen von den Nazis, anstrebenswert), sondern die Taliban – das sei „gut für die afghanische Bevölkerung“. Für die hat sich bislang zwar niemand interessiert (mal abgesehen von den geschmähten Antirassisten), deswegen wird es jetzt wohl um so mehr Zeit, hart und kräftig zuzuschlagen.
Schade, dass die ANG sich die Kritik der Verhältnisse versagt: Dem Antiamerikanismus werden Pro-Amerika-Bekundungen entgegengesetzt (als ob das identisch wäre mit dem notwendigen Anti-Antiamerikanismus), der Kritik an Teilen der Friedensbewegung, die pauschal die ganze Bewegung treffen soll, wird Kriegstreiberei als Alternative entgegengesetzt (als ob es irgendeine Wirkung hätte, dass die ANG in den Chor einstimmt), dem linken „Aber...“ wird unterstellt, mit „...die USA haben es verdient“ fortgesetzt zu werden, der „bürgerlichen Herrschaft“, die den Terror hervorbringe, wird die „Zivilisation als allgemeine Menschheitsgeschichte“ entgegengesetzt, als ob das eine mit dem anderen nicht zu tun habe, das Scharping-Auschwitz-Zitat wird in Anschlag gebracht und die Unterscheidung in gute und schlechte Tote aufgemacht.
Auf den Punkt gebracht: Die ganzen Tränen der ANG und das Einstehen für die Zivilisation lassen sich auf einen wohlstandschauvinistischen Reflex zurückführen. Natürlich lässt es sich für uns in den USA besser leben als in Afghanistan. Auch die Afghanen wären lieber Amerikaner. Das Bedrohungsszenario erscheint nur deswegen als so gefährlich, weil wir uns davon betroffen fühlen. Bislang schienen die Krisenerscheinungen lediglich an den Benzinpreisen ablesbar zu sein. Die Vorstellung, auf unserem nächsten Urlaubsflug als Geisel in ein Hochaus zu fliegen oder etwas unspektakulärer vom Milzbrandbakterien dahingerafft zu werden, ist wahrlich keine schöne. Anders verhält es sich mit der Notwendigkeit der Verurteilung der Anschläge und jeglicher Sympathie diesbezüglich sowie der Verteidigung von Israel. Es bleibt der ANG und der BAHAMAS zu wünschen, das eine vom anderen in Zukunft besser trennen zu können. Manchmal haben sie auch lichte Momente: z.B. wenn sie darauf bestehen, dass der Kommunismus die Minimalforderung sei! Xaver

Fußnoten:

1 CEE IEH #79, http://www.conne-island.de/nf/79/16.html. Reaktion auf diesen Artikel im CEE IEH #80, http://www.conne-island.de/nf/80/26.html
2 alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate sind aus den Referaten und Redebeiträgen auf der Veranstaltung der ANG „Stahlgewitter“ am 02.10.2001 im Conne Island (Leipzig). Die Veranstaltungsankündigung ist unter http://www.left-action.de/archiv/0109271141.htm nachzulesen.
3 Auf den Hamburger Strich zu gehen, sei der normale Umgang mit männlichen Bedürfnissen, während die Türme umzuknallen, eine falsche Triebabfuhr der Hamburger Studenten darstelle.
4 "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“, CEE IEH #81, http://www.conne-island.de/nf/81/20.html
5 Siehe Fußnote 2 und 4 sowie Klarofix #90/2001, S. 36-47 und CEE IEH #81, http://www.conne-island.de/nf/81/19.html
6 Soll heißen: In der aktuellen BAHAMAS gelingt der Antisemitismus-Nachweis für linke Publikationen anhand – und wen verwundert das schon – traditionsmarxistischer Zeitungen wie der jungen Welt. Der Antisemitismus-Vorwurf richtet sich bei der BAHAMAS in der Regel jedoch gegen die gesamte Linke. Eine Durchsicht der linken Zeitungen zum Thema – die meisten sind erst erschienen, nachdem die BAHAMAS ihre Stellungnahme veröffentlicht hat – ergibt ein differenzierteres Bild, als es die BAHAMAS-Redaktion wahrhaben will.
7 Beide Bücher können im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.
8 Die HerausgeberInnen des Buches „Feindbild Islam“ geben allerdings zu bedenken, dass die Islam-KritikerInnen oft die gleiche Position wie die Fundamentalisten bei der Religionsdeutung einnehmen: „Oft wird der Islam ‘erledigt’, indem die Autoren zuerst wie islamistische Mullahs argumentieren – denn der ‘wahre’ Islam sei ja eigentlich fundamentalistisch.“
9 so die Relegationsbegründung für moslemische Schülerinnen in Frankreich
10 Da war die ehemals feministische EMMA, inzwischen eine Zeitschrift für KatzenliebhaberInnen, der Bahamas um einige Jahre voraus. Der Spiegel titelte: „Die westdeutschen Frauenhäuser sind voll von türkischen Frauen“ und unterschlägt, daß die meisten vor ihren deutschen Ehemännern geflohen sind.
11 http://www.nadir.org
12 links-autonome Zeitschriften sind da schon weiter und drucken ihn einfach ab (z.B. die Swing aus dem Rhein-Main-Gebiet). Es dürfte wohl einmalig sein, dass in solchen Zusammenhängen positiv auf einen dokumentierten F.A.Z.-Artikel bezug genommen wird.
13 damit meint er die BAHAMAS, was er durch ein entsprechendes Zitat aus der Zeitschrift belegt
14 siehe dazu auch die anderen Beiträge in diesem Heft
15 Der Kapitalismus könne seine Krisenhaftigkeit nicht bekämpfen. Als Beleg führt Martin an, dass die Arbeitsgesellschaft sich die Arbeit abschafft, was zu einen Widerspruch führe, der sich systemimmanent nicht lösen ließe. Dagegen zu halten wäre: Es gab immer interne und externe Lösungsmöglichkeiten für kapitalistische Krisen: sei es durch die Schaffung neuer Produktionsbereiche (Dienstleistungsektor), die dazu führen, dass in den Metropolen mehr gearbeitet wird als je zuvor, Tendenz steigend, oder sei es durch die Abschaffung der ArbeiterInnen im Trikont durch Kriege, Bevölkerungspolitik und Hunger.
16 Da ist die ANG sich auch noch nicht einig: Zum einen müssen die Menschen am Ende des krisenhaften Kapitalismus zwangsläufig „austicken“, zum anderen sollen sie für ihren Fundamentalismus haftbar gemacht werden. Festzuhalten bleibt, dass es immer richtig war, den Nazis abzusprechen, Opfer der Verhältnisse zu sein (was sie 1. aus soziologischer Sicht nicht sind, 2. sie verharmlosen würde und 3. in Konsequenz immer hieß, nicht die Verhältnisse zu ändern sondern die Nazis mit Jugendclubs zu fördern). Dagegen gilt natürlich für das „Austicken der bürgerlichen Subjekte“ in den Randgebieten der Metropolen, dass sie 1. soziologisch gesehen sehr wohl Opfer sind, 2. sie wenig Auswahl haben, wie sie austicken und 3. in Konsequenz sie anstelle von Jugendclubs Bomben erhalten. Das heisst nicht, dass die Islamisten in Schutz zu nehmen sind, nur verbieten sich alle Vergleiche mit den Nazis und daraus folgend auch analoge Strategien, sie zu bekämpfen.
17 alle drei vorhergehenden Zitate von Ralf im CEE IEH #81
18 Sie wollen sich also genauso blamieren wie Jürgen Elsässer, der in der konkret 09/2001 die Grenzcamp-Losung „no border, no nation, stop deportation“ mit der deutschen Außenpolitik auf dem Balkan gleichsetzt: Dort würden ja auch die souveränen Nationalstaaten abgeschafft und die Grenzen geschleift.
19 Der USA wird z.B. empfohlen: „Von Israel lernen heißt siegen lernen“. Gemeint war die Liquidierung führender Köpfe der Intifada. Ob sich Terrorismus durch das Töten der Terroristen bekämpfen lässt, wird sich zeigen...
20 Es sah wirklich nicht gut aus. Es strahlte auch wenig von dem Glanz und Pathos aus, den Hannes verkündete: „In diesem T-Shirt kämpfen Menschen aller Religionen und Hautfarben. Die US-Armee exportiert ihre Werte“. Aus dem Publikum wurde ergänzt, dass die Verwerflichkeit der Taliban sich schon darin zeige, dass keine Frauen bei ihnen mitkämpfen dürften. Da hat die Bundeswehr noch mal Glück gehabt. Bis vor kurzem war sie ja auch ein patriarchaler Terrorhaufen, jetzt eine emanzipatorische Friedensarmee. Und dass die US-Armee bislang nach Afghanistan die Werte (islamischer Fundamentalismus, Antikommunismus, Patriarchat) exportiert hat, die sie nun vorgibt zu bekämpfen, ist sicherlich nur ein bedauerlicher Kolleteralschaden. Die Todeskandidaten in den US-Knästen repräsentieren übrigens genausowenig den amerikanische Bevölkerungdurchschitt wie die gehobenere Posten in der Armee: erstere sind vornehmlich schwarz, letztere vornehmlich weiß.



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last modified: 28.3.2007