Der Terror in den USA und das Wiederaufleben alter Stereotypen.
Die Juden sind schuld, zumindest die
Juden in Israel. In diesen apokalyptischen Tagen des sich auf den Islam
berufenden Terrors ist dieses Argument von einer das Christentum
praktizierenden Umwelt zu hören. Nicht weniger direkt in unserem
christlich sich nennenden Deutschland stößt man auf diesen gedanken-
und kenntnislosen Gedanken. Je gebildeter und geschulter die Argumentierenden,
desto eher formulieren sie verklausuliert, aber wers versteht,
verstehts. Und wir Juden verstehen. Mit dem
Antisemitismusvorwurf sollte man dabei freilich zurück haltend sein, denn
subjektiv sind die meisten, die jene These vertreten durchaus Juden- und
Israelfreunde. Objektiv müssen wir leider feststellen, daß auch
viele dieser Freunde sich in ihren Tiefenschichten nicht von uralten
antisemitischen Klischees befreit haben. Man wäre versucht, zu sagen,
daß wir mit solchen Freunden keine Feinde mehr benötigten.
Das Denkmuster der Freunde, von den Gegnern und wahren Antisemiten ganz zu
schweigen, ist schnell skizziert: Weil Israel, die Juden, seit
Jahrzehnten eine völlig uneinsichtige und brutale
Palästinenserpolitik betrieben hätten, bekämen jetzt die USA als
Israelfreunde und -helfer die Rechnung für Israels (vermeintliche oder
tatsächliche) Mißachtung der Menschenrechte in den besetzten
Gebieten, und besonders für die Methoden von Israels
Ministerpräsident Scharon vorgelegt.
Daß die USA seit dem Sechstagekrieg von 1967 (aus eigenem Interesse!)
eine strategische Allianz mit Israel geschmiedet haben, ist unbestreitbar.
Daß sie deshalb Israels Politik insgesamt unkritisch gebilligt und nicht
zu ändern versucht hätten, ist eine abenteuerliche, kenntnislose
Behauptung.
Doch um Nahost geht es nur vordergründig. Das sind vorgeschobene
Argumente, willkommene Anlässe, um eine grundsätzliche Distanzierung
des Westens von Israel zu rechtfertigen. Längst gibt es diese
Distanzierung in Westeuropa, besonders in Frankreich. Nun sollen auch
Deutschland und vor allem die USA folgen. Darum geht es denen, die einen
unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Terroranschlägen gegen die USA und
Nahost herstellen. Sie übersehen oder wollen übersehen, daß ein
derartiges Terrorinferno nur nach jahrelangen Vorarbeiten verwirklicht werden
konnte. Da Scharon erst im Februar dieses Jahres zum Premier Israels
gewählt wurde, scheidet schon aus zeitlich logischen Gründen das
Scharon-Argument aus. Davor, bei den Wahlen vom Mai 1999, hatten die Israelis
der Fallren-Politik Netanjahus einen Korb gegeben und Barak den
Auftrag erteilt, eine friedenspolitische Offensive einzuleiten. Sie scheiterte,
aus welchen Gründen auch immer, aber es gab sie. Eine Reaktion auf Israels
Fortsetzung der Konfrontation kann daher weder der antiisraelische noch der
antiamerikanische Terror sein, zumal Israel, genau an dem Tag, an dem die
Al-Aksa-Intifada (29. September 2000) ausbrach, die weitestgehenden
Zugeständnisse in der Jerusalemfrage verkündete und im Januar 2001
sogar bereit war, fast hundert Prozent des Westjordanlandes zu räumen.
Trotzdem wurden die Intifada und die Vorbereitungen der Terroranschläge
fortgeführt. Sowohl Israels vermeintliche Nachgiebigkeit als auch Israels
Unnachgiebigkeit scheiden deshalb als Erklärung aus. Intifada und Terror
gab und gibt es unter beiden Vorgaben israelischer Politik.
Die Verbindung zwischen Israel und dem islamistischen Anti-US-Terror ist also
unsinnig, weil falsch. Dieser Terror richtet sich nicht gegen Israel oder die
USA, sondern gegen den Westen, die
westlich-freiheitlich-demokratische-marktwirtschaftliche Ordnung schlechthin
und letztlich natürlich auch gegen Deutschland als unbestreitbaren Teil
des Westens. Israel verantwortlich zu machen, bedeutet, es in die
Rolle zu drängen, die traditionell den Juden zugedacht war:
als Ruhestörer und Sündenbock für alles und jedes.
Blauäugig dachten viele Amerikaner bis zum 11. September,
Außenpolitik finde weit draußen statt und gehe sie nichts an. Sie
mußten leidvoll erfahren, daß Außenpolitik ihr Innenleben,
ganz wörtlich, vital trifft. Sie verstanden bis zum 11. September auch
nicht, daß man Terror mehr präventiv als reaktiv begegnen
müsse. Deshalb lehnten sie damals die gezielte Ermordung der Väter
des Terrors ab. In Deutschland und Westeuropa ist man außen- und
weltpolitisch nicht mehr ganz so provinziell, hielt aber in den vergangenen
Jahren den Terror weitgehend für ein innernahöstliches Problem und
kritisierte heftig die gezielten Tötungen der Terrordrahtzieher. Man
übersah und übersieht, daß der gegen Israel gerichtete
Terror eigentlich schon seit langem ein Krieg ist,
daß Angriffe auf und in Jerusalem oder Tel Aviv im Kern nichts anderes
als jene Angriffe auf New York und Washington sind. Bei letzteren spricht man
nun auch vom Krieg und dort, in und gegen Israel, ist es
nur Terror.
Krieg ist ein Akt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu
zwingen (Clausewitz, Vom Kriege). Jeder Krieg, das wissen wir auch vom
alten Clausewitz, hat ein ursprüngliches Motiv, einen
politischen Zweck. Krieg ist kein Selbstzweck, er ist eine bloße
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Israels gezielte Ermordung
beziehungsweise Liquidierung von Palästinensern, Politikern
oder Terroristen oder beiden, ist also kein politischer, sondern ein rein
kriegerischer Akt. In jedem Krieg sterben Menschen. Das ist überall und
immer das schreckliche, unmenschliche Gesetz des Krieges.
Wenn Menschen unter dem Gesetz des Krieges sterben müssen,
gibt es folgende Alternative: Sollen möglichst viele Menschen auf der
anderen (im Krieg nennt man sie feindlichen) Seite sterben oder nur
diejenigen, die einer politischen Lösung im Wege stehen und ihrerseits
sogar militärisch (terroristisch) gegen die eigene Seite
vorgehen? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten, es sei denn man
haßt die andere Seite insgesamt. Weil selbst die Regierung Scharon nicht
aus kollektivem Haß, sondern aus politischen Zielen Palästinenser
(nicht aber die Palästinenser, also das palästinensische
Volk) bekämpft, wählt sie die gezielte Ermordung.
Das bedeutet: Wenn schon Unmenschlichkeit durch Krieg und im Krieg, dann so
wenig wie möglich, nur so viel Unmenschlichkeit wie militärisch
nötig und vor allem gezielt auf Einzelne, um die politische Lösung
(welche auch immer) im Kollektiv der anderen mit den dort politisch Denkenden
und dann Handelnden auch eines Tages durchsetzen zu können. Nicht zuletzt
deshalb bleibt Arafat verschont. Die meisten Israelis wissen nämlich: Die
Arafats kommen und gehen, aber das Palästinenserproblem bleibt.
Die derzeitige Vorgehensweise der Anti-US-Terroristen und Palästinenser,
ihrer Führung ebenso wie der islamischen Fundamentalisten und der
weltlichen Ablehnungsfront, geht kollektiv vor. Ihre Aktionen
richten sich blind gegen den Westen und gegen Israel,
nicht gezielt gegen bestimmte Menschen. Ihre Vorgehensweise ist deshalb durch
und durch unpolitisch und ohne jede Perspektive, also leider dem
Islam sowie dem palästinensischen Volk schädlich.
Über die Gerechtigkeit, Richtigkeit oder gar Weisheit der israelischen
Politik mag man streiten, nicht jedoch darüber, daß Israel nur ein
Vorwand für antiwestlichen Terror von Islamisten ist.
Den USA wird geraten, sie werden so gar gewarnt, ja nicht
alttestamentarisch zu reagieren. Nicht Auge um Auge, Zahn um
Zahn, sei die Parole, sondern die
Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und Strafe. Jene
Warnung ist im Kern eine Warnung vor den Juden, denn das Alte
Testament, die Hebräische Bibel, ist das A und B und C von Juden und
Judentum. Ganz abgesehen davon besagt Auge um Auge, Zahn um Zahn
nichts anderes als Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und
Strafe. Auch wenn jüdische Museen wie Pilze aus dem Boden
sprießen, die Unkenntnis über uns Juden und das Judentum ist
geblieben und auch die Bereitschaft, uns als Ruhestörer und
Sündenböcke anzusehen.
Vor einem Jahr rief Kanzler Schnöder die Deutschen zum Aufstand der
Anständigen auf. Jetzt spricht man vom Krieg der
Anständigen. Hoffentlich ist dieser erfolgreicher als jener
so schlimm jeder Krieg ist. Doch manchmal ist das Schlimme notwendig, um das
Schlimmste zu verhindern.
Michael Wolfssohn
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