Naomi Klein: No Logo!Bertelsmann: 2000
Viviane Forrester:Der Terror der ÖkonomieZsolnay: 1997
|
Beide Autorinnen befriedigen mit ihren Büchern ein
weitverbreitetes Bedürfnis von linksliberalen
Intellektuellen und wer würde sich heutzutage nicht als solche/r
bezeichnen? Ihre Kritik ist diffus kapitalismuskritisch, jedoch nicht explizit
antikapitalistisch. Mit dem Ende des Realsozialismus und der weltumfassenden
Dominanz des kapitalistischen Systems gilt die Idee des Kommunismus als
ausreichend diskreditiert. Gleichzeitig greift aufgrund der Beendigung der
ideologischen und politischen Polarisierung bei vielen Menschen ein Unbehagen
um sich. Ein Unbehagen über vermeintlich neue Phänomene der
kapitalistischen Entwicklung, die als Globalisierung oder
Neoliberalismus bezeichnet werden. Dieses Unbehagen verbalradikal,
aber inhaltlich seicht, zu artikulieren, erklärt den Erfolg und die hohen
Auflagenzahlen beider Bücher. Es erklärt allerdings nicht die
unkritische Rezeption in linksradikalen Zeitschriften1
oder vielleicht auch?
Die Hauptthesen beider Bücher sind: Die Globalisierung ist schlimm; der
Staat verliert leider an Einfluss; früher war alles besser; die Konzerne
sind die Feinde der Menschheit; Rassismus und Sexismus sind
Nebenwidersprüche, die die Herrschenden zur Volksverdummung benutzen; die
Linke ist darauf reingefallen; nichtdestotrotz formiert sich jetzt massiver
Widerstand; aber eigentlich ist Politik machen falsch Kritik ist
angesagt.
Der Terror der Ökonomie entpuppt sich beim Lesen als
Terror der Glosse. Ihre Streitschrift hätte einen guten
Kommentar in einer Tageszeitung abgegeben. Eine Spalte voller Wut über die
Irrsinnigkeiten des Kapitalismus auf Seite drei. Das hätten wir alle mit
Gewinn gelesen, gelächelt oder genickt, So isses!, und
wären dann etwas erhabener auf Arbeit oder aufs Arbeitsamt gegangen,
d.h. direkt hinein in die angeprangerte Irrsinnigkeit. Forrester konnte aber
nicht genug bekommen und musste ihre Glosse zu einem 200seitigem Buch
aufblähen. Die Sprache im Buch schwankt zwischen pathetisch und poetisch,
die Gedanken springen von einem Thema zum anderen. Wobei sie nicht mal so viele
kluge Gedanken hat was sie aber mit endlosen Variationen zum selben
Thema zu vertuschen versucht. Die fehlende Strukur wird schon bei der
erfolglosen Suche nach einem Inhaltsverzeichnis oder Register offenbar. Ihr
Pamphlet richtet sich hauptsächlich gegen den staatlich verordneten
Arbeitswahn, obwohl es keine Arbeit mehr gibt.
No Logo! bereitet ganz im Gegensatz zum ersten Buch viel
Lesefreude. Naomi Klein hat ein sachliches, klar gegliedertes und gut
recherchiertes Buch geschrieben. Sie übt sich nicht in schwülstiger
Gesellschaftskritik, sondern liefert Fakten, Analysen, Fotos2,
Tabellen und Thesen. Lobenswert auch, dass sie an einigen Stellen ihre Thesen
selbst in Frage stellt bzw. versucht aufzuzeigen, was Gegenargumente sein
könnten, die sie nicht entkräften kann. Sie versucht den Kapitalismus
nicht über den Arbeitsbegriff zu knacken wie Viviane Forrester. Vielmehr
analysiert sie, wie Werbung und Imagekampagnen unser Leben
beeinträchtigen, gleichzeitig aber auch Ansatzpunkte bieten, die Konzerne
anzugreifen bzw. ein kapitalismuskritisches Bewusstsein zu entwickeln.
Trotz der stilistischen Unterschiede leiden beide Bücher an ähnlichen
inhaltlichen Schwächen.
Der größte Fehler ist das Fehlen von einer grundsätzlichen
Kapitalismuskritik, die wohl nicht ohne einen Bezug auf Marx auskommen
würde. Beide Bücher ergreifen zwar nicht Partei für den
Kapitalismus, ihre ahistorische Kritik an bestimmten Erscheinungsformen
unterstützt aber diese Lesart. So schiesst sich Forrester darauf ein, dass
die moderne Technologie die Arbeit abschaffen würde und somit der
Arbeitsbegriff obsolet wäre. Die Skandalisierung des Arbeitswahns eignet
sich, um beim nächsten Arbeitsamtsbesuch mit Argumenten gewappnet zu sein,
lässt aber offen, ob denn die Arbeit zu Zeiten, als es sie noch gab, gut
war.3
Auch Klein suggeriert, es habe eine Zeit gegeben, als alles noch anders und
wenn schon nicht gut so doch zumindest besser als heute war. Sie macht als
qualitativen Sprung des Kapitalismus allerdings den Moment aus, als die
Konzerne anfingen, nicht mehr Produkte sondern Marken und Images zu
produzieren. Beide sind also nicht in der Lage, Modernisierungsprozesse des
altbekannten Kapitalismus als solchen zu beschreiben, sondern stilisieren neue
Erscheinungsformen der Beschäftigungspolitik oder der Werbung zu etwas an
sich neuem. Damit einhergehend heissen ja Kapitalismus und Imperialismus
heutzutage Globalisierung und Neoliberalismus.4
Als zweites Manko wäre die Staatsfixierheit zu nennen. Ohne den Staat als
solchen zu verteidigen, werden die Konzerne aber dafür kritisiert, sich
nicht mehr staatlicher Macht zu unterwerfen. Eine solche Argumentation
übersieht allerdings gekonnt, wozu Staaten als ideelle Gesamtkapitalisten
da sind, verklärt die Vergangenheit (Stichworte: soziale Marktwirtschaft,
gezähmter Kapitalismus) und dämonisiert die Zukunft (Stichworte:
Neoliberalismus, Turbokapitalismus)5. Forrester schreibt:
Die privatwirtschaftlichen transnationalen Gruppen beherrschen somit mehr
und mehr die staatlichen Machtinstanzen. Sie werden nicht vom Staat
kontrolliert, ganz im Gegenteil, sie kontrollieren ihn und bilden im
großen und ganzen eine Art Nation, die außerhalb eines
Territoriums, außerhalb irgendwelcher Regierungsinstitutionen
unaufhörlich die Institutionen der verschiedensten Länder und deren
Politik beherrscht. (S. 41)
Bei Klein liest sich das dann so: Demokratische Reformen, die im Lauf von
Jahrhunderten eine größere Transparenz der Regierung bewirkt hatten,
schienen in dem neuen Klima multinationaler Konzernmacht wirkungslos geworden.
Welchen Sinn hat es noch, dass das Parlament öffentlich tagte und der
Öffentlichkeit verantwortlich war, wenn undurchsichtige Konzerne in den
Hinterzimmern einen Großteil der globalen politischen Agenda
bestimmten? (S. 350) Klein bezieht sich bewusst positiv auf die
staatliche Bildung, deren fortschrittlicher Gehalt durch die Infiltration von
Werbebotschaften durch die Konzerne untergraben würde. Oder sie hält
die Prinzipien des guten, alten Journalismus hoch, wo konzernfeindliche
Berichte selbst in konzerneigenen Medien gedruckt werden konnten und wo
ein Gleichgewicht zwischen diesen Berichten und der sie umrahmenden
Auto- und Zigarettenwerbung bestanden hätte. Dieses
Gleichgewicht habe sich inzwischen dramatisch zugunsten der sponsernden
Marke verschoben. (S. 57f.) Verwunderlich auch, was Klein so schlecht
daran findet, dass die von ihr konstatierte Markenidentität zu einem
teils verdeckten, teils offenen Krieg gegen (...) das Konzept der
Nationalität (S. 27) führt.
Verrückt wird es dann, wenn in der per Definition staatskritischen weil
anarchistischen Zeitschrift Schwarzer Faden (02/1998) in der Besprechung von
Forresters Buch dazu aufgerufen wird, dass Anarchisten den Sozialstaat
fraglos verteidigen müssen, weil er die einzige wichtige
Machtinstitution sei, auf den die Bevölkerung direkten
Einfluß nehmen kann. Dem schliesst sich dort eine Aufforderung zur
Verteidigung und Erweiterung staatlicher Regulierungen an.
Ärgerlich ist außerdem die Fixierung auf bestimmte Institutionen,
die multinationalen Konzerne, die scheinbar das Wesen des Kapitalismus
ausmachen. Fraglich ist, ob das ein Fortschritt zu den früher
üblichen antisemitischen Personifizierungen vom bösen Kapitalisten
darstellt. Bei Forrester hat sich selbst dieser kleine Fortschritt noch nicht
überall durchgesetzt bzw. besteht lediglich in der fehlenden
Hakennase. Bei der Typisierung der Kapitalisten fällt ihr
folgendes ein: Die größten Ausbeuter, selbst die grausamsten,
kaltblütigsten, dickbäuchigsten Naturen ... (S. 73)
Aber auch die Beschäftigung mit Konzernen verstellt den Blick darauf, dass
das Gegenteil der Globalisierung ein kleinräumig agierender
Kapitalismus des reaktionären Mittelstandes der Traum aller Nazis,
aber keine linke Utopievorstellung ist. Lediglich ökologische Argumente
sprächen gegen den Transport von Waren quer durch alle Kontinente, dies
bleibt in beiden Büchern allerdings unerwähnt. Einhergehend mit der
Fokussierung auf die Konzerne leben verschwörungstheoretische Ansätze
auf, die schon in obigen Zitaten über die vermeintliche Macht der Konzerne
anklingen. Die Erkenntnis, dass Konzerne und Konzernchefs nicht an sich
böse sind, sondern der Kapitalismus als solcher, und kleine Firmen in der
Regel nur weniger Schaden anrichten, weil sie kleiner sind, hat bei den
GlobalisierungsgegnerInnen leider keinen Platz. Besonders schlimm finden beide
AutorInnen vorallem das spekulative Kapital...
Die Bücher sind aber nicht nur ahistorisch, wie schon oben kritisiert. Sie
sind regelrecht apokalyptisch. Am schlimmsten äußert sich das bei
Forrester, die in den französischen Arbeitslosen die Holocaust-Opfer der
modernen Zeit entdeckt.6Beim Stellenabbau
>>verschlanken<< sich die Unternehmen. Dieser
Ausdruck, dessen Eleganz jeder zu schätzen weiß, bedeutet, das
störende Fett zu beseitigen, in diesem Fall die Frauen und Männer,
die arbeiten. Oh, nein, es geht nicht darum, die Menschen selbst zu beseitigen.
Aus ihrem Fett Seife zu machen, aus ihrer Haut Lampenschirme zu fertigen
das wäre von schlechtem Geschmack, es wäre nicht mehr Mode,
entspräche nicht der Zeit (...) Ja, wir leben wirklich in einer
Demokratie. Und dennoch ist das Bedrohliche fast schon ausgesprochen, fast
schon gemurmelt worden: >>Überflüssig...<< Und wenn wir
eines Tages nicht mehr in einer Demokratie leben? (...) Was würde
geschehen, wenn das >>Verdienst<<, von dem stärker als je
zuvor das Recht auf Leben abhinge, eine nutzbringende Arbeit
nämlich, sowie das Recht auf Leben selbst in Frage gestellt und von
einem autoritären Regime entschieden würden? (S. 22, 128)
Da sehen die Kleinschen Teufel-an-die-Wand-Malereien schon fast
beschaulich aus. Sie will nur mit Berichten von Jugendlichen, die sich
gegenseitig für Markenklamotten umbringen,
aufrütteln.7
Eurozentrismus ist Forrester und Klein auch noch vorzuwerfen. Klein lässt
zwar explizit den Blick in den Trikont zu und bringt gute Recherchen zu den
Arbeitsbedingungen in Freihandelzonen, wo die Produkte hergestellt werden, die
irgendwie zu den Konzern-Marken gehören. Allerdings ist ihre
Analyse der Rolle der Konzerne und der Widerstandsmöglichkeiten an den
westlichen Gegebenheiten ausgerichtet. Nur punktuell wird deutlich, dass es
z.B. den in der Textilindustrie beschäftigten Frauen auf den Philippinen
um andere Fragen als das Beschmutzen von Markenimages geht. Sie kämpfen
ganz klassisch um ihre realen Arbeitsbedingungen und finden es einfach nur
praktisch, bestimmte Sachen zu tragen, und cool, Coca Cola zu trinken. Kokett
erwähnt Klein in Klammern, dass ihr philippinischer Gesprächspartner
auf die Frage, ob Verhaltenskodizes für die Konzerne und Fair-Trade-Labels
die Welt verbessern, antwortet, er persönlich sei mehr für die
bewaffnete Revolution (S. 451). Sie setzt sich mit diesen
unterschiedlichen Wahrnehmungen aber nicht weiter auseinander.
Forrester geht es nur um das Wohl der französischen, oder meinetwegen der
westeuropäischen, Arbeitslosen und ArbeiterInnen. Arbeitsbedingungen und
Lebensverhältnisse im Trikont, die sich wohl deutlich von denen in
Frankreich unterscheiden, geraten nur an einer Stelle in den Blick. An dem
Punkt, wo sie ihrem Faschismusvergleich (Wir wissen, daß sie,
die Grausamkeit, mit den neuen Technologien heute über gigantische
Möglichkeiten verfügt, angesichts derer die vergangenen Greuel nur
schüchterne Entwürfe wären) mehr Würze mit dem
Schicksal von Menschen im Trikont, die ihre Organe verkaufen oder sich
prostituieren, verleihen will. (S. 202f.) Aus einer Trikont-Perspektive lassen
sich allerdings die allseits gefeierten Proteste der französischen
Arbeitslosenbewegung als wohlstandschauvinistische Verteilungskämpfe
interpretieren.
All diese Kritikpunkte treffen wohl auf die Leipziger Wertkritik-Fraktion nicht
zu, auch wenn diese sich bislang kaum inhaltlich geäußert hat. Sie
ist insofern gegenüber der bürgerlichen Kapitalismuskritik (der sich
in den letzten Jahren auch etliche Linke angeschlossen haben, wohl wegen dem
Massenansatz) zu verteidigen. Kommen wir jetzt mit den letzten
beiden Punkten zu den Gemeinsamkeiten zwischen den Autoren und Autorinnen.
Forrester und Klein hängen monokausalen Erklärungsmodellen an.
Während mensch den Leipziger WertkritikerInnen noch zu Gute halten kann,
dass sie sich auf eine abstrakte Funktionsweise des Kapitalismus, dem
Wertverhältnis zurückziehen, versuchen die beiden Autorinnen das
gesamte Elend der Welt mit Hilfe eines Phänomens, dem
vermeintlichen Verschwinden der Arbeit bzw. der angeblichen Überflutung
durch Marken, zu erklären. Rassismus, Patriarchat und Biopolitik sind
dementsprechend nicht nur Folge des Hauptwiderspruchs, sondern
manchmal gar nicht mehr existent bzw. eine Beschäftigung damit
kontraproduktiv weil systemstabilisierend.
Bei Forrester geht das ganz einfach: Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit
(...) können dazu beitragen, vom wahren Problem, nämlich dem Elend
und der Not, abzulenken. (...) Dabei sind die Ausgeschlossenen doch wie
immer die Armen. Massenhaft. Die Armen und die Armut. (...) Unseres
Wissens hat man höchst selten einen arabischen Würdenträger
gesehen, der ausgewiesen und in ein Charterflugzeug verfrachtet wurde!
(S. 84) Wenn auf diesem Niveau argumentiert werden soll, nun gut: Meines Wissen
hat man höchst selten einen deutschen sozialhilfe- und
bierdosenabhängigen Rassistenproll gesehen, der ausgewiesen und in ein
Charterflugzeug verfrachtet wurde!
Interessanter wird es da schon bei Klein: In dem neuen globalisierten
Kontext haben die Erfolge der Identitätspolitik etwa dieselbe Bedeutung,
wie wenn man die Möbel umstellt, während das Haus niederbrennt.
(S. 139) Mit Identitätspolitik meint sie ihre eigene politische Praxis der
political correctness aus ihrer Studiumszeit, die sie wie folgt lächerlich
macht: Wir stritten, ob im Komitee für rassische Gleichberechtigung
am Frauenzentrum der Universität auch Juden Mitglied werden dürften,
und erregten uns, weil die Versammlung zu diesem Problem so terminiert war,
dass gleichzeitig der Lesben- und der Schwulenausschuss tagte als ob es
keine jüdischen Lesben und keine schwarzen Bisexuellen gäbe (S.
123) Sie kritisiert an der universitären Identitätspolitik, dass sie
immer auf die Repräsentation (von Frauen, Schwarzen, Homosexuellen in den
Medien, der Politik, den Lehrplänen) ausgerichtet war, glaubte, durch die
Schaffung von positiven Vorbildern Herrschaftsverhältnisse abschaffen zu
können. Ausserdem moniert sie, dass die StudentInnen damit die wirkliche
Welt (sprich: die soziale Frage, den Kapitalismus oder die zunehmende
Präsenz der Konzerne an der Universität) aus den Augen verloren
haben. Am schlimmsten findet sie aber, dass die Identitätspolitik von
Marketing und Popkultur aufgegriffen und vollends vereinnahmt wurde. Diese
Kritik kann geteilt werden und die Ausführungen zum Thema klingen
plausibel. Allerdings sind ihre Schlussfolgerungen eher zweifelhafter Natur.
Sie meint, konzernfeindliche Aktionen könnten im Gegensatz zu z.B.
feministischer Politik nicht vereinnahmt werden, da sie die Grundfesten
angreifen.8 Verwunderlich ist auch, wie sie den Kampf gegen
die Konzerne und ihre Images als einen Kampf mit mehr Bodenhaftung begreifen
kann, wo sie doch im ganzen Buch beschreibt, dass die Konzerne keine Waren
sondern nur Images, virtuelle Realität und Ideologie, fabrizieren.
Schlichtweg falsch ist darüberhinaus, die feministische und
antirassistische Politik auf die von ihr beschriebenen Formen der
Identitätspolitik reduzieren zu wollen. Diese verkürzte Sichtweise
auf Rassismus und Patriarchat führt dann zu solchen
Fehleinschätzungen, wie dass die Konzerne ihre Produktion in den Trikont
verlagern mussten, weil für die Werbung zu viel Geld drauf gehen
würde. Überspitzt ist ihre Kritik an dem Punkt, wo sie den
FeministInnen und AntirassistInnen vorwirft, als Türöffner des
Kapitals für bis dahin nicht erschlossene KäuferInnenschichten
gedient zu haben. Sie wirft der Linken vor, Machtstrukturen kritisiert zu
haben, aber nicht deren ökonomische Ursachen. Sie begreift Rassismus und
Patriarchat als Ideologien, die sich aus etwas Realem, den
Produktionsverhältnissen, ableiten lassen. Dass diese aber genauso
Ideologie sind und gleichzeitig geprägt von Rassismus und Patriarchat,
will sie nicht sehen. Und deswegen sind ihr inzwischen die kanadischen
Obdachlosen auch näher als ihre ehemaligen schwarzen, lesbischen oder
jüdischen KampfgefährtInnen. Weil Obdachlose und Arme Opfer des
vermeintlichen Hauptwiderspruch sind und damit irgendwie wertvoller als Opfer
der Nebenwidersprüche...
Verbalradikalismus ohne Tiefgang ist das letzte Vergehen unserer Autorinnen.
Forrester: Eine Lösung? Vielleicht gibt es gar keine. Aber sollte
man nicht wenigstens versuchen, die Fragen und Probleme einmal darzustellen,
und zu verstehen versuchen, was man erlebt? Um wenigstens diese Würde zu
bewahren? (...) Wer bereits vor der Untersuchung eines Problems darauf besteht,
daß es eine Lösung gibt, und sei es auch nur eine theoretische,
behandelt das Problem als ein Postulat, entstellt es sozusagen und weicht damit
allen möglicherweise nicht zu umgehenden Hindernissen und den
entmutigenden Folgen nur aus. (S. 76) Klingt gut. Nur bei diesem Anspruch
sollten bessere Fragen herauskommen und vor allem sollte in Interviews
vermieden werden, ein weiteres Buch zu Gegenentwürfen und
Alternativen (taz, 23.09.1997) anzukündigen bzw. vorzuschlagen,
die Angst und das Schamgefühl an der Börse zu notieren
(jungle World 39/1998) ist nämlich schlecht fürs
Image.9 Auch Klein hat schon in ihrer Jugend immer auf ihr
persönliches Image geachtet (Regelmäßig habe sie sich
Krokodile auf ihre T-Shirts gestickt, sodass dieser der Marke
>>Lacoste<< ähnelten, taz, 10.03.2001), und kann sich
heute mit einer kompletten Umwälzung der Verhältnisse anfreunden.
Cool. Aber nur wenn die Revolution ökologisch und sozial verträglich
über die Bühne geht. So regt sie sich in ihrem Buch darüber auf,
dass bei einer Reclaim the Streets-Party eine Schaumstoffmatratze
angezündet (ein genialer Schachzug, der auf der ökologischen
Protestveranstaltung giftige Dämpfe verursachte) und ein
Schaufenster eines kleinen Buchladens eingeschmissen wurde (ein wirksamer
Protest gegen die Übeltäter in den Großkonzernen, S.
332). Vielleicht wurde in dem Laden ja ihr Buch verkauft...
Zu guter letzt soll noch ein bisschen Lob verteilt werden. Im Gegensatz zur
Leipziger Fraktion verzichten die bürgerlichen Kapitalismuskritikerinnen
auf abgehobene Schaumschlägerei und psychologisierende Anwandlungen, die
den Menschen in biologistischer Manier auf bestimmte Verhaltensabläufe
festschreibt.10 Während Forrester wie schon angedeutet eine
schöne Lektüre ist, um sich die Stunden zu versüßen, die
mensch alle paar Monate auf dem Arbeits- oder Sozialamt verbringt (am besten
laut vorzutragen bzw. den SachbearbeiterInnen um die Ohren zu hauen), ist Klein
als gute Studie zur Entwicklung der Werbewirtschaft, von Konzernstrategien mit
Schwerpunkt Textilindustrie, dem Zusammenhang von Konsum in der Ersten Welt und
den Arbeitsbedingungen im Trikont und Widerstandsformen zwischen
Kommunikationsguerilla, Greenpeace, Hacktivsm und Reclaim the Streets-Partys zu
goutieren.
Axis-PR GmbH
Fußnoten
1Es gratulierten: konkret (03/1998), jungle World (33/1998,
37/1998, 39/1998, 08/2001, 09/2001), Schwarzer Faden (02/1998),
Graswurzelrevolution (229/1998). Die kritischsten Rezensionen fanden sich in
der taz (z.B. 13.12.1997, 10.3.2001).
2 Mit der Bemerkung, dass die Aufmachung von No Logo! dem
Geist seines Inhalts entsprechen müsse (S. 11) hat sich Klein
allerdings ein Eigentor geschossen. Layoutet von einem Stardesigner, verlegt
bei Bertelsmann...
3 In der konkret 3/98 weist Ralf Blendwoske in seiner
Buchbesprechung darauf hin, dass es die technologische
Arbeitslosigkeit nicht gibt und das Gerede von ihr nur von den Ursachen
der Arbeitslosigkeit ablenkt: Trotz oder vielleicht sogar wegen
der technologischen Entwicklungen hat die absolute Anzahl der
Loharbeitenden wie auch der geleisteten Arbeitsstunden weltweit zugenommen.
(...) Von einem Ende der Arbeit kann daher gar nicht die Rede sein, wohl aber
von einem Beginn der Abwertung der Arbeitskraft, also von
Lohndrückerei.
4 Forrester prangert zwar einerseits an, dass heutzutage die
Begriffe Profit, Klassenkampf, Ausbeutung,
Proletariat oder Kapitalismus als verpönt gelten,
sagt aber im Gegenzug nicht, auf welche sie sich bezieht und wie sie die
inhaltlich füllen würde. (S. 27)
5 Die Hauptgründe für gewisse Veränderungen in
Politik und Ökonomie nämlich das Ende des Kalten Krieges und
der Wegfall des Gegenmodells Realsozialismus bleiben in beiden
Büchern ungenannt. Dass der Staat ansonsten nichts grossartig an Bedeutung
eingebüßt hat, wurde an anderer Stelle ausreichend belegt. (siehe
konkret-Debatte zur Globalisierung im Jahr 1997).
6 Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass einige
linke, materialistische Erklärungsversuche des Holocaust auch darauf
hinauslaufen, dass die Nazis lediglich ein modernes Industrialisierungsprojekt
vorantreiben wollten und deswegen die JüdInnen im Rahmen ihrer
Bevölkerungspolitik als überflüssige Menschenmassen umgebracht
wurden.
7 Den Faschismus-Vergleich versteckt Klein in einem Zitat eines
Gewerkschaftlers: Den Leuten gefällt es nicht, wenn ihre Kultur
zerstört und durch massenproduzierte Logos und Slogans ersetzt wird. Das
ist eine Art Kulturfaschismus (S. 298)
8 An anderer Stelle widerlegt sie dieses Argument zum Glück
selbst, indem sie beschreibt, wie kreativ Konzerne mit den gegen
sie gerichteten Aktionen umgehen. (S. 309) Deutlich wird es aber auch daran,
dass der Body Shop im ersten Teil als besonders böser Konzern
vorkommt, weil er es versteht, Ideen statt Produkte zu verkaufen, im
Widerstandsteil dann aber positive Erwähnung im Zusammenhang mit der
Anti-Shell-Kampagne findet.
9 Auch unsere Leipzig-Fraktion wird, weil sie ja Leiden zu lindern
gut findet und die Antifa etwas zu unprofessionell oder unhip ist, früher
oder später beim DGB landen, wie es einzelne VertreterInnen ja schon
vorgemacht haben. Viel Spass dort, vielleicht wird dann auf einer
Vorstandssitzung mal der Vorschlag der französischen
GenossInnen mit dem Scham an der Börse aufgegriffen...
10 In diese Falle tappt auch der Übervater (wenn
wir schon bei den Begrifflichkeiten bleiben wollen) Jürgen Elsässer,
der in seiner Kritik am Der Terror der Ökonomie gegen den
Massenansatz vorbringt, dass die Menschen nicht in erster Linie durch das
Bewußtsein, sondern durch ihr Unbewußtes gesteuert werden.
Als Gegenrezept empfiehlt er: Feten, Drogen, Sex, lange Haare, Freud und Marx
(jungle World, 33/1998). Naomi Klein könnte ihm zwar erklären, dass
genau das bis auf Marx vielleicht nicht wegzudenkender
Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft ist und sich gewisse
Subversionsmodelle aus den 60er irgendwann verbrauchen können. Fakt ist
aber, dass gegen sein wirkungsloses Rezept ansonsten nichts weiter auszusetzen
ist. Schließlich beinhalten seine Texte noch einen gewissen Partyfaktor.
Ganz anders in Leipzig! Da gilt es in Anlehnung an These Nr. 8 (CEE IEH
06/2001, S. 34) nur zu sagen: Besinnung, Reflexion und Genuß auf einem
Plenum, anstatt in der Bibliothek zu versauern!
|