Der nationalrevolutionäre 1. Mai: gesetzlicher Feiertag seit 1933
Über linken und rechten Antikapitalismus in Deutschland
Wie schon 1997 rufen auch dieses Jahr NPD und JN ihre
VolksgenossInnen am Kampftag der nationalen Arbeit zu einer
Demonstration des nationalen Widerstands nach Leipzig auf.
Während antifaschistische Gruppen angesichts des erwarteten Aufmarsches
von bis zu 10.000 und mehr Nazis langsam beginnen schweren Herzens auf die
Organisation eigener revolutionärer Mai-Demos zu verzichten und
stattdessen nach Leipzig mobilisieren, versuchen sie die Bedeutung
völkisch-antikapitalistischer Parolen wie Gegen System und
Kapital!, Jetzt die nationale, antikapitalistische
Wirtschaftsordnung schaffen!, Vorwärts im Kampf gegen die
Macht der herrschenden Politiker!, mit denen NPD und JN den deutschen
Mob auf die Straße rufen, so weit wie möglich herunterzuspielen.
Kein Wunder, sind doch solche kämpferischen Losungen kaum vom
verbalradikalen Gestus kommunistischer oder autonomer Mai-Demos zu
unterscheiden. Für viele deutsche Linke werden die Nazi-Organisationen
sogar erst durch diese inhaltliche Nähe zu einem ernsthaften politischen
Problem: Die sozialrevolutionäre Agitation von rechtsaußen wird als
Konkurrenz, als Wilderei auf eigentlich linkem Terrain angesehen. Und so werden
linksdeutsche MassenpolitikerInnen auch dieses Jahr wieder sehr empört
sein, wenn vor und nach dem 1. Mai die Nazis mit klassenkämpferischen
Parolen und antikapitalistischer Rhetorik versuchen, die an sich linke
soziale Frage von rechts zu besetzen, weil sie fürchten, daß
ihnen die proletarische, arbeitslose, vom Sozialabbau hart getroffene
Kundschaft vor der Nase weggeschnappt wird.
Etwas besser wußten es die AutorInnen des Leipziger Antifa-Aufrufes gegen
den Nazi-Aufmarsch am 1. Mai 1997, als sie einen seit längeren
offensichtlichen Versuch der NPD/JN, ehemals per se linke Floskeln für
ihre Ziele zu vereinnahmen. feststellten: Der Terminus
Floskeln verrät immerhin, daß mit Parolen wie
Widerstand gegen herrschende Politiker und liberalkapitalistische
Systemparteien auch dann etwas nicht in Ordnung ist, wenn sie nicht von
Nazis, sondern Linken gerufen werden. Doch kommen auch die Leipziger Antifas
nicht von der in linken Kreisen gängigen Vorstellung los, daß die
antikapitalistische Rhetorik der Nazis lediglich das Resultat eines
strategischen Kalküls sei und nicht auf echter politischer
Überzeugung beruhe. Deshalb können sie in ihr keinen veritablen
rechten Antikapitalismus erkennen, sondern lediglich
antikapitalistisch verbrämten rassistischen Populismus
, wie es im Leipziger 1. Mai-Aufruf von 1997 heißt.
Dieser Einschätzung liegt ein systematischer Fehler zugrunde, der bereits
in den Grundbegriffen angelegt ist, mit denen die nationalsozialistische
Ideologie zusammengefaßt wird: Antisemitismus, Rassismus, völkischer
Nationalismus (böse) werden von antikapitalistischen Vorstellungen
(erstmal gut) getrennt. Ignoriert wird dabei, daß die
sozialrevolutionären Attacken gegen System und Kapital
integraler Bestandteil der völkisch-rassistischen Weltanschauung sind und
keineswegs ursprünglich linke Inhalte, wie im folgenden gezeigt werden soll.
1. Mai in Leipzig: Mit Nazis gegen System und Kapital
Wie der sich selbst als arbeitslos bezeichnende stellvertretende
NPD-Bundesvorsitzende Jürgen Schön aus Leipzig einem Journalisten der
Süddeutschen Zeitung mitteilte, kämpft die NPD als
revolutionäre Organisation für das Recht auf Arbeit und
bündelt sich als Schicksalgemeinschaft der Opfer des
Kapitalismus. Im Interview klagt Schön die Herrschaft des
Großkapitals an und propagiert die Zerschlagung der multinationalen
Konzerne. (SZ, 5.3.1998). Was für eine Vorstellung von Kapitalismus
Schöns nationalsozialistisch-revolutionären Bewußtsein zugrunde
liegt, dokumentiert der NPD/JN-Aufruf zum 1. Mai 1997, der eine rapide
zunehmende soziale Verelendung von Teilen unseres Volkes feststellt,
welche von den liberalkapitalistischen Systemparteien
herbeigeführt worden sei: Massenarbeitslosigkeit,
Massenkriminalität, Tausende von Selbstmorden jährlich. Moralischer
und kultureller Verfall sind die sicheren Anzeichen totalen Versagens der
etablierten Politiker in Bonn. Ungebremste Profitsucht, Machtgier und kalter
Egoismus sind ihre niederen Beweggründe.
Der hier sich artikulierende völkische Antikapitalismus zielt nicht
auf die Aufhebung des Kapitals, die Selbstwertung des Werts als solche, sondern
auf ein reibungsloses, sinnerfülltes Arbeiten im Dienste von Volk und
Vaterland. Kapitalismus gilt nicht als eine Produktionsweise, in der die
Schaffung nationalen Reichtums und die Herstellung von Gebrauchswerten wie
Stacheldraht, Deutschlandfahnen, Springerstiefeln und Skinheadkonzerten
notwendig ans Profitmachen gebunden sind und in der die ökonomischen
Subjekte deshalb notwendig asozial, egoistisch, profitsüchtig sein
müssen, wenn sie als Subjekte erfolgreich sein wollen. Sondern
Kapitalismus wird als Produkt einer besonders niederträchtigen
Sorte von Menschen gesehen, deren Profitgier ungebremst ist, deren
Egoismus kalt ist, die eine rapide soziale Verelendung von
Teilen unseres Volkes herbeiführen, die also die Gesellschaft
gezielt zersetzen. Nicht zufällig weisen diese hier in Gestalt der Bonner
Politiker beschimpften Bösewichter sehr ähnliche
Charaktereigenschaften auf, welche nicht nur die Väter und
Großväter der NPD/JN-Nazis den Juden zuschrieben und weiterhin
zuschreiben. Daß letztlich die Juden hinter diesem bösen
Kapitalismus stecken, haben die NPD/JN aus taktischen Gründen weggelassen.
Doch auch ohne die Juden direkt zu benennen, ist die hier dokumentierte
Agitation die Nazis von der ersten bis zur letzten Parole antisemitisch. Denn
dank der deutschen Tradition des eliminatorischen Antisemitismus und ihre vom
nationalen Konsens getragene Umsetzung in Vernichtungspolitik wissen alle
hierzulande nur zu gut, wer solch kalten Egoismus betreibt und die gezielte
Verelendung der Deutschen herbeiführt. Und wenn sich der Volksgenosse
angegriffen fühlt, kann der codierte Antisemitismus jederzeit zur
unverhüllten Attacke gegen den ewigen Juden übergehen:
So beklagt sich ein in Wurzen verteiltes NPD-Informationsflugblatt über
geschichtlich ungebildete Raufbolde am 24.1.1998, welche im Zug von
Leipzig nach Dresden Wurzener und Leipziger Kameraden die Fahrt zur Nazi-Demo
gegen die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht verwehrten.
Diese Antifa-Schläger stünden in den Diensten
von Kriegsgewinnler Reemtsma jun. und dem parasitären, internationalen
Monopolkapital! Wie das? Ganz einfach: Reemtsma sen.,
Tabak-Monopolherr des 3. Reiches und am 20. April 1945 in den Generalsrang
erhoben, konnte seine Kriegsgewinne, die er mit Wehrmacht, Reichsarbeitsdienst,
Organisation Todt usw, machte, 1948 bei der Währungsreform retten, anders
die kleinen Sparer, die verloren fast alles!
Und wem nützen alle diese vaterlandverräterischen
Machenschaften der Monopolkapitalisten, die erst die brave deutsche Wehrmacht
für ihre Profitinteressen an die Ostfront schicken, dann auf Kosten der
kleinen Sparer Kriegsgewinne retten und dann mit diesem Geld antideutsche
Wehrmachtsschandaustellungen finanzieren? Wer lenkt die Schritte aller,
die sich in den Dienst des Monopolkapitals stellen? Die
geschichtsbewußten Flugblattschreiber wissen, wohin die Reise geht, denn
der Weg der Antifa führt vom Bahnhof Wurzen direkt nach Israel:
Aber diese Antifa-Schläger werden spätestens
dann aufwachen, wenn sie als Angehörige der
deutsch-polnisch-dänischen Eingreiftruppe auf den Golanhöhen dann
nicht mehr auf ihre deutschen Mitbürger, sondern auf arabische Menschen,
auch Frauen und Kinder, einprügeln und schießen müssen!
Wir lernen: Hinter der Antifa steht das Monopolkapital, und hinter dem
Monopolkapital steht das Judentum, dem es immer wieder gelingt, die Völker
Europas in Kriege zu hetzen und sie zu zwingen, Frauen und Kinder zu
erschießen. Auch wenn sich die Antifas über die kruden
Argumentationen der NPD (klarofix 3/98, der rechte Rückspiegel)
amüsieren: mit dieser Art von Antikapitalismus haben die Nazis bei ihren
Landsleuten allemal bessere Erfolgsaussichten als alle linke Systemkritik.
Völkischer Antikapitalismus und nationalsozialistische Revolution
Wenn auch der revolutionäre Antikapitalismus zur aktuellen Strategie der
NPD/JN speziell in Ostdeutschland gehört, so ist er doch alles andere als
eine gänzlich neue politische Option.
Eher handelt es sich hier um eine Rückkehr zu den historischen Wurzeln des Nationalsozialismus, der
in seiner eigenen Wahrnehmung nicht nur eine deutsche, sondern zugleich eine
antikapitalistische Revolte war, wobei freilich sein Kapitalbegriff ein anderer
ist als der, den Linke haben sollten. Der Antikapitalismus der NSDAP beruhte
auf der Unterscheidung von schaffenden und raffenden
Kapital, wobei das raffende Geld- und Finanzkapital, weil es sich (scheinbar)
ohne konkrete Arbeit vermehrt und an keine nationale Grenze gebunden ist, zur
Ursache allen Übels erklärt wurde, hinter dem letztlich die
jüdische Weltverschwörung stecke. Gegen Lohnarbeit und
schaffendes Industriekapital hatten und haben die Nazis hingegen
nichts einzuwenden, verlangen jedoch, daß diese ausschließlich in
den Dienst der Nation gestellt werden. Ihr Ideal ist die
völkisch-nationale Verwertungsgemeinschaft, in der die Mehrwertproduktion
der Reproduktion und Stärkung des deutschen Volkes dient. Den zentralen
Gedanken der nationalsozialistischen Weltanschauung bestimmte Hitler in
Mein Kampf wie folgt: Im Hakenkreuz (sehen wir) die
Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit
ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig
antisemitisch war und antisemitisch sein wird.(1)
Wie all jene deutschen völkischen Bewegungen der 20er Jahre, in deren
Kontext die NSDAP anfangs als Splittergruppe enstanden war, wollte Hitler die
Errichtung eines deutschen Sozialismus, einer neuen Gesellschaft,
in der die zersetzenden Einflüsse der
bürgerlich-materialistischen Kultur zugunsten ewiger deutscher Ideale wie
Ehre, Fleiß, Charakterstärke ausgeschaltet sein würden.
Das Judentum verkörperte die Destruktivität der modernen
bürgerlichen Gesellschaft, die abstrakte Herrschaft des Kapitals. Somit
wurde die antikapitalistische Revolte der Nazis, die z. B. die Brechung
der Zinsknechtschaft forderte, zur nationalsozialistischen Revolution
für eine judenreine Welt.
Da sich das deutsche Großkapital vor 1945 als Sponsorin, Förderer
und Nutznießerin der nationalsozialistischen Bewegung betätigte,
wird deren antikapitalistisches Selbstverständnis gewöhnlich nicht
sehr ernst genommen. Und weil das der nach Verständigung mit ihrem Volke
suchenden deutschen Linken sehr gelegen kam, galt auch bei ihren undogmatischen
Fraktionen ungeachtet aller Abgrenzung zur ML-Lehre immer die Parole
Hinter dem Faschismus steht das Kapital. Einen Widerspruch zwischen
Antikapitalismus und Antifaschismus konnte es in dieser Sichtweise nicht geben,
erst recht keinen rechten Antikapitalismus.
Dabei kann der antisemitische deutsche Antikapitalismus durchaus auf eine
längere Tradition als sein kleiner linker bzw. marxistischer Bruder
zurückblicken, der sich von ihm nie richtig lösen konnte.
Der Begriff des raffenden Kapitals wurde bereits von den
antisemitischen Politikern und Schriftstellern in den 70er Jahren des 19.
Jahrhunderts allgemein benutzt. In verschiedenen Hetzschriften und Reden, die
auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stießen, wurden die Juden
mit der Macht des Geldes identifiziert und für die wirtschaftliche Krise
verantwortlich gemacht. Zu den bekanntesten Wortführern dieser
antisemitischen Bewegung zählten der Journalist Otto Glagau und der
christliche Prediger Adolf Stöcker.
Glagaus antikapitalistische Begründung des Antisemitismus bringt auf den
Punkt, was in Deutschland unter dem Begriff soziale Frage wurde und wird:
Das Judentum ist das angewandte, bis zum Extrem durchgeführte
Manchestertum. Es kennt nur noch den Handel, und auch davon nur den Schacher
und Wucher. Es arbeitet nicht selber, sondern läßt andere für
sich arbeiten, es handelt und spekuliert mit den Arbeits- und Geistesprodukten
anderer. Sein Zentrum ist die Börse ... Als fremder Stamm steht es dem
Deutschen Volke gegenüber und saugt ihm das Mark aus. Die soziale Frage
ist wesentlich Gründer- und Judenfrage, alles übrige ist
Schwindel.(2)
Zwar war die Unterscheidung von produktivem und unproduktiven Kapital
keine ausschließlich deutsche Erfindung; insbesondere wurde sie von
Proudhon in Frankreich aufgegriffen und theoretisch fundiert. Sie hat aber in
Deutschland eine einzigartige Verbreitung gefunden und im Begriff des
deutschen Sozialismus, über den Marx und Engels im
Kommunistischen Manifest sich noch lustig machten, über alle anderen
Formen linken Antikapitalismus triumphiert.
Dem Bild vom ehrlichen, fleißigen, ordentlichen deutschen Arbeiter und
Handwerker setzten die Deutschen seit dem Beginn der kapitalistischen
Entwicklung das aus dem Mittelalter überlieferte Klischee vom faulen Juden
als schachernden Schwindler, als betrügerischen Geschäftsmann
gegenüber. Im Nationalsozialismus wurde dieses deutsche Arbeitsethos
aufgegriffen und radikalisiert in der Entgegensetzung von produktiven
Industriekapital und parasitären jüdischen Finanzkapital, im Kampf
der schaffenden Arbeit gegen jüdische Parasiten. Am Ende stand die
Vernichtung der parasitären jüdischen Rasse unter der
Losung Arbeit macht frei. Deshalb ist die Annahme, die soziale
Frage in Deutschland sei irgendwie emanzipatorisch und daher von links zu
besetzen, eine gefährliche Illusion. Gefährlich natürlich nicht
für die deutsche Linke, sondern für diejenigen, die im Namen der
sozialen Frage als raffgierige Spekulanten, Parasiten,
Kriminelle bzw Asylbetrüger vom deutschen Mob verfolgt werden.
Arbeit macht frei von Auschwitz nach Hannoversch-Münden und Leipzig
Die Jungen Nationaldemokraten, die am 1. Mai 1997 unter der Führung von
Steffen Hupka in Hannoversch-Münden auf einer DGB-Kundgebung erschienen,
hatten sich für ihr Transparent zielsicher die deutscheste aller deutschen
Parolen ausgewählt, nämlich den Willkommensgruß über dem
Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz: Arbeit macht frei.
Diese Losung ist nicht nur eine unverhüllte Drohung gegen die
früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Opfer des deutschen
Vernichtungswahns, sondern auch Ausdruck der durchaus ernstgemeinten Hoffnung,
daß hier zusammenwächst, was zusammengehört (Willy
Brandt). Der Gedanke der schaffenden Arbeit, die ewig antisemitisch war und
sein wird, wie Hitler zutreffend feststellte, verbindet deutsche
Gewerkschaften, mittelständische Unternehmen, konservative
StandortpolitikerInnen, sozialdemokratische Arbeit! Arbeit! Arbeit
(SPD)- oder Kämpfen für Arbeit! (PdS)-Parteien mit denen
von ihnen vorläufig noch geschmähten rechtsextremistischer
Organisationen. So bewies die Rede des SPD-Vorsitzenden Lafontaine auf
der DGB-Kundgebung am 1. Mai 1997 in Leipzig, daß die deutsche
Sozialdemokratie ungeachtet der an gleicher Stelle gebetsmühlenhaft
wiederholten Warnung vor der Gefahr von Rechts durchaus die
inhaltlichen Voraussetzungen für Runde Tische und gemeinsame Mai- und
Montagsdemonstrationen mit der NPD erfüllt: Deutsche Unternehmen
dürfen nicht nur darauf achten, daß ihr Aktienkurs steigt. Sie sind
nicht nur eine Veranstaltung für Aktionäre, sondern auch für
Arbeitnehmer, so Lafontaine. Da ist es wieder: das raffende
Börsenkapital, daß die produktiven Industriarbeiter bedroht.
Deutsche Unternehmen sind nicht einfach zum Profitmachen da, sondern sollen dem
deutschen Volke Arbeit, Brot und Lebenssinn geben wenn das der
Führer hätte erleben dürfen!
In den derzeitigen politischen Diskussionen und Maßnahmen zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird der Gegensatz zwischen schaffenden
und raffenden Kapital weiter zugespitzt. Ganz ohne die Hilfe der NPD
erkämpfen sich Deutsche zur Zeit in Leipzig ihr Grundrecht auf Arbeit
gegen ausländische Billiglohnarbeiter und vaterlandslose Banken und
Konzerne. Auf einer von DGB und Kirche unterstützten Demonstration unter
dem Motto Fünf nach Zwölf bildeten Arbeitslose am 6.
März eine Menschenkette von der Deutschen Bank zum Leipziger Rathaus. Laut
Angaben einer Sprecherin soll auf diese Weise der gewünschte
Kapitalfluß zur städtischen Verwaltung symbolisiert werden, mit dem
sich dann die ersehnten sinnvollen Arbeitsplätze schaffen ließen,
denn wenn bei der Schneider-Pleite 50 Millionen Mark Peanuts für die
Deutsche Bank gewesen sind, dann muß doch auch Geld für
Arbeitsplätze da sein., so die Leipziger DGB-Kreisvorsitzende
Möller. Ein wahrlich gut gewählte symbolische Aktion: Das
verantwortungslos Volksvermögen verschleudernde Finanzkapital wird vom
schaffenden Humankapital persönlich an die (Menschen-)kette gelegt, und
aus der abstrakten Welt der Zahlen und Zinsen zurückgeholt und dem
Volkskorper in Gestalt von ehrlicher Arbeit und Brot (statt
Peanuts) zurückerobert.
Am 11. Februar 1998 zog ein Mob von 5500 Bauarbeitern, Arbeitslosen,
mittelständischen Bauunternehmen und Baustoffhändlern mit LKWs und
Betonmischern zum Rathaus, um gegen die Auftragsvergabepolitik der
städtischen Unternehmen zu protestieren, die den Leipziger Mittelstand
zerstöre und Schuld daran sei, daß auf Leipzigs Baustellen ein
babylonisches Sprachgewirr herrsche, während Leipzigs Bauleute
vor dem Arbeitsamt Schlange stünden (LVZ, 12. 2. 98). Hier formiert sich
ein wahrhaft überparteiliches und klassenübergreifendes
Bündnis für Arbeit, dessen uneingestandenes Vorbild die
nationalsozialische Deutsche Arbeitsfront des Dritten Reiches ist, in der sich
deutsche Unternehmer- und Gewerkschaftsverbände nicht nur widerstandslos,
sondern sehr bereitwillig einordneten, wie sich am erstmals zum gesetzlichen
Feiertag der nationalen Arbeit ausgerufenen 1. Mai 1933 zeigte. Es ist nur eine
Frage der Zeit, bis diese Sehnsucht nach Arbeitsplätzen von den mit allen
Weihwassern der Leipziger friedlichen Revolution gewaschenen Protestformen
erneut zu Morden und Pogrom übergehen wird: Da die Arbeit den Deutschen
nicht als notwendiges Übel, als Mittel zum Lebensunterhalt, sondern
Lebensinhalt schlechthin gilt, ist das Problem der Arbeitslosigkeit für
sie eine existenzielle Frage und ebenso existenziell und unversöhnlich
wird der Haß gegen diejenigen sein, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen.
Und so drückt auch die NPD-Forderung Arbeitsplätze zuerst
für Deutsche im Grunde nur die politische Realität und den
nationalen Konsens in Deutschland aus. Was sie erst noch konsequent zu
verwirklichen verspricht, ist in den deutschen Ausländer- und Asylgesetzen
längst festgeschrieben und wird von keiner im Parlament vertretenen
demokratischen Partei ernsthaft in Frage gestellt. Differenzen gibt es
lediglich über die Frage, wieviele ausländische Arbeitskräfte
der deutsche Arbeitsmarkt benötigt und welche Belastung durch
die Anwesenheit fremdvölkischer Menschen die Deutschen maximal verkraften können.
Linker Antikapitalismus in Deutschland
Indem linke ebenso wie bürgerliche KommentatorInnen in der
antikapitalistischen Nazi-Propaganda immer nur eine geschickte Strategie von
rechten Rattenfängern verstehen, welche die
verständliche Empörung der deutschen Bevölkerung
über soziale und politische Mißstände für
reaktionäre Zweck mißbrauchen, zeigen sie, daß ihre
Kapitalismuskritik sich aus Vorstellungen speist, die denen der Nazis
näher ist, als es die linken Deutschen wahrhaben wollen.
Dabei geht es nicht nur um die nationalen SozialistInnen von PdS/ND/ junge
Welt, die freundschaftliche Gespräche mit Nazi-Kadern (siehe C. Ostrowski,
Dresden) und antisemitschen Mob (siehe Gollwitz) als legitime Mittel, wenn
nicht gar Zwecke ihrer populistischen Politik ansehen.
Auch der Hinter dem Faschismus steht das Kapital-Antifaschismus
vieler autonomer und antiimperialistischer Gruppen weist keine
Trennschärfe gegenüber dem völkischen Antikapitalismus auf.
Wenn die NPD in den 70er Jahren in der BRD gegen die Ostpolitik der
Brandt-Regierung mit Sprechchören
Macht den Volksverrätern Dampf nationaler
Freiheitskampf demonstrierte und Antifas aus der AAB/BO heute
Wir machen dem Faschismus Dampf Klassenkampf,
Klassenkampf rufen, dann handelt es sich dabei nicht um eine
unglückliche zufällige sprachliche Ähnlichkeit.
Hier wird im Rahmen der gleichen deutschen politischen Kultur, die von den
Auswirkungen der vergangenen nationalsozialistischen Revolution geprägt
ist, von verschiedener Seite an das gleiche völkische
Alltagsbewußtsein appelliert. Gegen die Verräter und Feinde wird die
Gemeinschaft, das Volk, die Klasse, die Masse mobilisiert, der Kampf
beschworen; es wird rhetorisch Dampf gemacht und Gas
gegeben, was darauf hinausläuft, den beim deutschen Publikum
abrufbaren latenten oder manifesten gemeinsamen Vernichtungswunsch gegen
Volksschädlinge für die eigene Mobilisierungszwecke zu nutzen.
Gleiches gilt allgemein für alle Linken, die ihre Politik in Deutschland
auf die soziale Frage, auf den angeblichen Grundwiderspruch
zwischen herrschender Klasse und unterdrückter arbeitender
Bevölkerung hin ausrichten, und in irgendeinerweise an das verbreitete
Ressentiment gegen die da oben, die das Volk verraten, appellieren.
Der Kapitalbegriff dieser KlassenkämpferInnen und sozial Bewegten besteht
in der Regel aus wenig mehr als der Überzeugung, daß Geld die Welt
regiert und die Bevölkerung von Bonzen, Banken und Konzernen ausgebeutet
und unterdrückt und was vielen am allerschlimmsten erscheint
individualisiert und entwurzelt wird. Der
Neoliberalismus und vor allem die Globalisierung gelten
dabei als besonders gefährliche Bedrohung vorgeblich, weil sie zur
wachsenden Verarmung führen. In Wirklichkeit dürfte jedoch die
Vorstellung einer alle nationalen und sonstigen Identitäten
auflösenden Globalisierung für bodenständige deutsche Linke die
Horrorvision sein, die sie weit mehr als den reinen materiellen Verlust fürchten.
Dieser linke romantische Antikapitalismus, der als Kiezgemeinschaft und als
regionales Bündnis von Unten gegen die
Herrschenden antritt und mit selbstbestimmten Projekten und
ökologisch vorbildlichen alternativen Lebensformen gegen Profit und
Kommerzialisierung kämpft, richtet wie der rechte völkische
Antikapitalismus gegen die RepräsentantInnen der kapitalistischen
Zirkulationsspäre, gegen die Anhäufung von Reichtum ohne
gesellschaftliche Verantwortung, gegen unproduktiven Konsum auf Kosten der
Gemeinschaft. Deshalb war es kein Zufall, daß die Kapitalismuskritik
verschiedenster linken Gruppen und Parteien immer vom völkischen
Ressentiment gegen abgehobene Intellektuelle sowie von
Antiamerikanismus und Antisemitismus (offen oder verdeckt als
Antizionismus) begleitet wurde.
Nicht der Wille zu einer umfassenden Kritik von Kapital und Arbeit, sondern das
Bedürfnis nach Volksnähe und Gemeinschaft im Land von Hitlers
willigen Vollstreckern war hier das eigentliche Motiv für die
Übernahme solcher antikapitalistischen Positionen.
SchlußAngesichts der oben beschriebenen Zusammenhänge ist allen von deutschen
Linken unternommenen Versuchen, sich am Maifeiertag der Nazis durch einen
eigenen klassenkämpferischen Beitrag zu beteiligen, ein möglichst
klägliches Scheitern zu wünschen. Wenn es überhaupt eine
soziale Frage gibt, die am 1. Mai zu thematisieren wäre, dann
betrifft sie die Lebensbedingungen jener Menschen, die im deutschen Alltag
durch das Handeln der Nazis und anderer Bündnisse für deutsche Arbeit
existenziell bedroht sind. Aber das ist natürlich so gut wie nie gemeint,
wenn über Sozialabbau oder wachsende soziale Verelendung gejammert wird.
Konsequenterweise gab es deshalb in den letzten Jahren z. B. in Berlin auch
eine Spaltung der revolutionären 1. Mai Demos, auf denen inzwischen
deutsche und nichtdeutsche Linke weitgehend getrennt voneinander marschieren.
So bleibt wohl nichts anderes übrig, als am 1. Mai die mit
Arbeitsplätze zuerst für Deutsche gestellte soziale Frage
in zweifacher Hinsicht negativ zu beantworten, nämlich:
Arbeit ist scheiße! Deutsche sind scheiße!anonymous
- (1)
- Zitiert nach Daniel J. Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996
- (2)
- Zitiert nach: Paul W. Massing: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1986
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