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Im Folgenden dokumentieren wir einen Text der Gruppe „Antideutsche KommunistInnen Berlin“.

Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses

Über den Hirntod der GlobalisierungsgegnerInnen

Tute Biache, 27.5k Immer dann, wenn die radikale Linke schwächer wird, beeilen sich die Überbleibsel, mit fliegenden Fahnen in das feindliche Lager zu wechseln. Der Trick ist dabei stets der gleiche: Man tut so, als ob man neue Erkenntnisse hätte, die man dann als Tabubruch und vor Kühnheit zitternd vorträgt. Es gälte Abschied zu nehmen von den alten, verstaubten Ideologien, vom orthodoxen Marxismus. Die verkrusteten Strukturen müßten aufgebrochen, ganz neue Formen des Widerstandes gefunden werden. So leitete die alte Sozialdemokratie ihren Untergang ein, der darin mündete, daß sie den ersten Weltkrieg bejubelte. So erging es Joschka Fischer und seiner Gang, die schließlich Jugoslawien in Schutt und Asche bombte und auch der PDS, die übereifrig ihre Dogmatiker herausekelt und sich vom Kommunismus distanziert, als ob je jemand in der Partei diesen gewollt hätte. Es scheint einen gespenstischen Sog zum Konformismus zu geben, der immer gerade dann einsetzt, wenn Widerstand besonders notwendig wäre. Auffallend ist vor allem, daß die Liquidatoren jeglicher radikaler Kritik sich immer erst dann zu Wort melden, wenn das bekämpfte Schreckgespenst eh längst tot ist: Der linke Antistalinismus kam erst dann so recht in Mode, als es den Stalinismus längst nicht mehr gab. Aber dann läßt es sich um so ungehemmter auf den Leichnam eindreschen, den niemand mehr ernsthaft verteidigt. Etwa der oben skizzierten Figur folgen auch die Linken, die ihren Schwenk zum Bestehenden durch Kritik an den klassischen Autonomen legitimieren. „Schluß mit der Nischenpolitik!“ hieß und heißt die stereotyp wiederholte Parole, die allen SkeptikerInnen den Wind nimmt - wer will schon oldfashioned sein. Doch „Raus aus der Nische“ bedeutet nicht, den tatsächlich anekelnden Mief von Volksküchen und selbstbezogenen Moralappellen zugunsten kommunistischer Kritik abzulegen, sondern immer nur Schluß mit dem pc-Terror und der Subkultur und herein in den Mainstream, in die Welt der elektronischen Musik, der Marken und der Seifenopern. War das Ziel früher die Weltrevolution, so heißt es heute „Für eine starke Linke“ oder „Für eine linke Strömung“ (FelS), also für einen größeren Verein, der dann natürlich ein etablierter politischer Faktor zu sein hat, anstatt das Establishment zu bekämpfen. Deshalb gibt es angeschlossene PR-Abteilungen, Hochglanzwerbeflyers und Pressekonferenzen, genau wie in einem seriösem Verbund. Man diskutiert öffentlich im Fernsehen mit der Polizei, wie die AAB am Vorabend der verbotenen 1.Mai Demonstration und ist sich nicht einmal zu schade, sich von MTV interviewen zu lassen. Für die Revolution ist da nur noch als Anglizismus Platz, was andeuten soll, wenn wir ‚revolution’ sagen, meinen wir doch nur ‚flexibility’. Keineswegs aber könnte von uns eine ernsthafte Gefahr für die Eigentumsverhältnisse ausgehen.
Beliebter wird in Deutschland momentan der Trick, sich über die Antiglobalisierungskampagne zu entradikalisieren. Es begann mit dem Aufstand der Zapatisten in Mexiko 1994. Sah es zunächst danach aus, als würde die Liebe für die Kämpfer in Chiapas nur ein weiteres und ebenso bald beendetes Kapitel in Sachen Revolutionsromantik deutscher Linker sein, so stellte sich schon bald heraus, daß gemäß der neuen Weltordnung und der nun verordneten Ideologiefreiheit die Zapatistas noch nicht einmal die Staatsgewalt brechen wollen, wie die an der kubanischen Revolution orientierten Guerillagruppen Südamerikas während des kalten Krieges. Kein Wunder also, daß die Linken nicht allein mit ihrer Solidarität blieben, sondern daß diesmal auch Pfarrer, Sozialdemokraten und sonstige Gutmenschen sich dem Protest gegen den freien Markt anschlossen, der seinen bisherigen Höhepunkt bei den Krawallen von Seattle fand, die durchaus auch von Leuten begrüßt wurden, die normalerweise bei Gewaltdemonstrationen Panikattacken bekommen und einen Eid auf das Grundgesetz leisten: Unverhohlen freut sich das Regierungsorgan taz über die revoltierenden Demonstranten, die sich gegen den „entfesselten Kapitalismus“ (taz, 23.4.2001) stellen, der viel zu amerikanisch sei. Manchen wird dazu noch das geflügelte Wort des Dr. Joseph Fischer einfallen, der vom bedrohten ‘rheinischen Kapitalismus’ redete, anderen vielleicht eine ältere Parole: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.
Der neueste Trend der Bewegung kommt aus Italien. Man schwärmt von den „Ya-Basta AktivistInnen“, den sogenannten „tute bianche“, die in der Jungle World vorgestellt wurden und nun durch Deutschland tingeln, um ihr - natürlich brandneues - Konzept zu präsentieren, das darin besteht, das Gehirn noch tiefer einzugraben und das letzte Quantum der eh nur in Spurenelementen vorgekommenen Radikalität ad acta zu legen. So wie sich in Deutschland die AA/BO von den klassischen Autonomen trennte, lösten sich die Italiener mit den weißen Overalls von der Autonomia Operaia, die besonders 1977 in Italien für Furore sorgte, als sich tausende Arbeiterinnen und Arbeiter einem Aufstand anschlossen, der schließlich repressiv zerschlagen werden mußte. In dieser zumindest verbalrevolutionären Tradition steht die italienische Linke und mit dieser muß brechen, wer sich anpassen will. Mit den Worten: „Wir haben uns entschieden, von allen Ideologien Abstand zu nehmen, andere haben das nicht“ gibt ein Sprecher des Vereins den von Überbleibseln der marxistischen Autonomia Operaia des öfteren geäußerten Reformismusvorwurf recht. Wer ständig von Ideologiefreiheit redet, ist selbst der größte Ideologe. Aller Wahrheitsanspruch, ohne den Revolution nicht zu machen sein wird, soll weggefegt werden, um endlich in den pluralen Meinungsmarkt einsteigen zu können. Und um dort kompatibel zu sein, redet man nicht mehr von der Enteignung der Bourgeoisie, sondern vom Kampf gegen Neoliberalismus und unterscheidet sich dadurch kaum noch von dem taz-Liebling Bourdieu, der ‚le monde diplomatique’ oder den großen Kirchen, die auch immer wieder Worte gegen den Wucher finden. Die Alternative zum gehaßten freien Markt sind logischerweise Staatseingriffe. Wer gegen die Globalisierung des Kapitals wettert, muß zwingend das Kapital selbst und den Nationalstaat bejahen. Außerdem muß alle Neoliberalismuskritik die Vergangenheit verklären. Dachte man bisher, daß der Spätkapitalismus, der auf den klassischen Liberalismus folgte, zu zwei Weltkriegen, dem Judenmord und weltweiter Hungersnot geführt hat, während die bürgerliche Epoche neben der schrecklichen Armut doch immerhin auch ein selbstbewußtes Bürgertum und eine revolutionäre Arbeiterbewegung hervorbrachte, die Anlaß zu der Hoffnung gaben, die Menschheit könnte endlich geschichtsmächtig werden, so klingt das bei den ‚tute bianche’ nun so: „Ihre Globalisierung hat ihr wahres Gesicht gezeigt: Eine Orwell’sche Diktatur der mächtigsten Banken und multinationalen Unternehmen, der Versuch, ein Jahrhundert sozialen Fortschritts auszulöschen und die Ressourcenverteilung von ungleich zu unmenschlich zu verschieben“ Ein Jahrhundert sozialen Fortschritts, wie schön. Vergessen sind die Opfer des Faschismus genauso, wie der Umstand, daß die Menschen in den meisten Teilen der Welt auch schon in Zeiten verhungerten, als noch niemand ständig von Neoliberalismus palaverte. Aber aber, was soll der Spott, das war damals nur ungleich, jetzt wird’s unmenschlich: Alle hängen „vom gierigen Mechanismus, Neoliberalismus genannt, ab“ und wie ist die Reaktion der Linken auf die Verschärfung der Lage? Man verzichtet auf Gewalt und Revolution und plädiert für „zivilen Ungehorsam“ - was heißt, daß „man sich unbewaffnet und mit erhobenen Händen vor ausgebildete Profi-Militärs stellt“. Gute Idee! Letztere schlagen dann natürlich kräftig drauf, was aber auch der Zweck der Aktion ist, die liebevoll „Rebellion der Körper“ genannt wird. Wenn erst alle verprügelt worden sind, dann lassen sich einfach alle noch einmal verprügeln und dann stellt man fest, daß es einen Unterschied zwischen Legalität und Legitimität gibt.
Wir wollen uns verprügeln lassen, „weil wir die Gewalt des Systems zeigen wollen“, erklärt eine Sprecherin der Bewegung die Taktik, die so neu nicht ist und von Jesus stammt. Abgeklärt schreibt man, „daß die Revolution nicht von wenigen und in kurzer Zeit zu machen ist“, also plant man in Genua ein Fest, bzw. „eine Explosion von Freiheit, Festlichkeiten, Musik, Tanzen und Unterhaltung [...] ein spontaner, und also revolutionärer Karneval des Ungehorsams“ Die Herrschenden werden zittern, vor allem wegen der mutigen Ankündigung ihres Demosegments: „Vom Gelben Block wird keine Art von Gewalt gegen Personen, Tiere oder Sachen ausgehen, sondern er wird vor allem das Recht der Bürger zu demonstrieren verfechten“. Dieses Recht haben die Bürger schon, das Nahziel ist also erreicht, vielleicht deshalb eine Freudenparty, als Zeichen gegen Unmenschlichkeit und für Toleranz. Nun muß man kein Gewaltfetischist sein, um diejenigen für bekloppt zu halten, die ohne zu Schmunzeln sagen: Jetzt wird alles noch viel schlimmer als früher, also feiern wir ein friedliches Fest und stellen uns unbewaffnet vor die Militärs. Freilich gibt es Gründe, momentan auf spektakuläre, militante Aktionen zu verzichten, weil diese dazu führen könnten, das angesichts der Schwäche der Linken diese vollends zerschlagen wird. Aber wer immerzu seine Gewaltfreiheit herausposaunt, hat etwas zu verbergen: dass alle Menschen die -engelsgleich- frei von Gewalt sein wollen, am Ende das Gewaltmonopol des Staates doch bejahen müssen. Ziel der neuen Bewegung ist nicht Kommunismus, sondern Teilhabe am Regime. Die ‚tute bianche’ haben bereits Stadtratsabgeordnete. Ob die heutige Linke es gleich den Achtundsechzigern und den Grünen schaffen wird, an die Schalthebel der Macht zu gelangen, kann zwar bezweifelt werden, aber das hindert offensichtlich niemanden, sich anzubiedern.
Wer gegen den globalen, freien Markt ist und auf Staatskritik verzichtet, der wird nicht nur reformistisch, sondern unter gegebenen Umständen reaktionär. Eine ‚Globale Aktion der Völker’ (Azione Globale di Popoli) etwa beklagt, daß durch die Globalisierung das ideale Umfeld geschaffen wird, „um Arbeiter und Regierungen gegeneinander auszuspielen“. Immerhin ehrlich. Es geht ihnen nicht um Klassenkampf (auch so eine orthodoxe, marxistische Betonkopfideologie), sondern um den Volkskapitalismus. Auch die ‚tute bianche’ geben zu, daß sie nur „ein starkes Mißtrauen gegenüber denjenigen Parteien und den institutionellen Sektoren“ haben, „die de facto das Werk von Organen wie dem G8 legitimieren“. Vielleicht könnte dieser Verein sein Mißtrauen ja ablegen, wenn eine Partei fordern würde, daß „soziale und ökonomische Belange mit den Bedingungen von Land, Volk und Ökologie in Übereinstimmung gebracht werden sollen“ (Aus dem NPD-Programm). Die Zielgruppe ist jedenfalls schon jetzt eine ähnliche: Die ‚tute bianche’ wollen all diejenigen nach Genua mobilisieren, „die den Frieden, die Gerechtigkeit und Würde zwischen den Menschen, die Erhaltung und Wiedergeburt des Ökosystems für fundamentale Werte halten“. Es ist höchste Zeit für bleibende Werte!

(Alle kursiven Zitate von www.tutebianche.org oder aus der Jungle World)



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last modified: 28.3.2007