Über den Hirntod der GlobalisierungsgegnerInnen
Immer dann, wenn die radikale Linke schwächer
wird, beeilen sich die Überbleibsel, mit fliegenden Fahnen in das
feindliche Lager zu wechseln. Der Trick ist dabei stets der gleiche: Man tut
so, als ob man neue Erkenntnisse hätte, die man dann als Tabubruch und vor
Kühnheit zitternd vorträgt. Es gälte Abschied zu nehmen von den
alten, verstaubten Ideologien, vom orthodoxen Marxismus. Die verkrusteten
Strukturen müßten aufgebrochen, ganz neue Formen des Widerstandes
gefunden werden. So leitete die alte Sozialdemokratie ihren Untergang ein, der
darin mündete, daß sie den ersten Weltkrieg bejubelte. So erging es
Joschka Fischer und seiner Gang, die schließlich Jugoslawien in Schutt
und Asche bombte und auch der PDS, die übereifrig ihre Dogmatiker
herausekelt und sich vom Kommunismus distanziert, als ob je jemand in der
Partei diesen gewollt hätte. Es scheint einen gespenstischen Sog zum
Konformismus zu geben, der immer gerade dann einsetzt, wenn Widerstand
besonders notwendig wäre. Auffallend ist vor allem, daß die
Liquidatoren jeglicher radikaler Kritik sich immer erst dann zu Wort melden,
wenn das bekämpfte Schreckgespenst eh längst tot ist: Der linke
Antistalinismus kam erst dann so recht in Mode, als es den Stalinismus
längst nicht mehr gab. Aber dann läßt es sich um so ungehemmter
auf den Leichnam eindreschen, den niemand mehr ernsthaft verteidigt. Etwa der
oben skizzierten Figur folgen auch die Linken, die ihren Schwenk zum
Bestehenden durch Kritik an den klassischen Autonomen legitimieren.
Schluß mit der Nischenpolitik! hieß und heißt die
stereotyp wiederholte Parole, die allen SkeptikerInnen den Wind nimmt - wer
will schon oldfashioned sein. Doch Raus aus der Nische bedeutet
nicht, den tatsächlich anekelnden Mief von Volksküchen und
selbstbezogenen Moralappellen zugunsten kommunistischer Kritik abzulegen,
sondern immer nur Schluß mit dem pc-Terror und der Subkultur und herein
in den Mainstream, in die Welt der elektronischen Musik, der Marken und der
Seifenopern. War das Ziel früher die Weltrevolution, so heißt es
heute Für eine starke Linke oder Für eine linke
Strömung (FelS), also für einen größeren Verein, der
dann natürlich ein etablierter politischer Faktor zu sein hat, anstatt das
Establishment zu bekämpfen. Deshalb gibt es angeschlossene PR-Abteilungen,
Hochglanzwerbeflyers und Pressekonferenzen, genau wie in einem seriösem
Verbund. Man diskutiert öffentlich im Fernsehen mit der Polizei, wie die
AAB am Vorabend der verbotenen 1.Mai Demonstration und ist sich nicht einmal zu
schade, sich von MTV interviewen zu lassen. Für die Revolution ist da nur
noch als Anglizismus Platz, was andeuten soll, wenn wir revolution
sagen, meinen wir doch nur flexibility. Keineswegs aber könnte
von uns eine ernsthafte Gefahr für die Eigentumsverhältnisse
ausgehen.
Beliebter wird in Deutschland momentan der Trick, sich über die
Antiglobalisierungskampagne zu entradikalisieren. Es begann mit dem Aufstand
der Zapatisten in Mexiko 1994. Sah es zunächst danach aus, als würde
die Liebe für die Kämpfer in Chiapas nur ein weiteres und ebenso bald
beendetes Kapitel in Sachen Revolutionsromantik deutscher Linker sein, so
stellte sich schon bald heraus, daß gemäß der neuen
Weltordnung und der nun verordneten Ideologiefreiheit die Zapatistas noch nicht
einmal die Staatsgewalt brechen wollen, wie die an der kubanischen Revolution
orientierten Guerillagruppen Südamerikas während des kalten Krieges.
Kein Wunder also, daß die Linken nicht allein mit ihrer Solidarität
blieben, sondern daß diesmal auch Pfarrer, Sozialdemokraten und sonstige
Gutmenschen sich dem Protest gegen den freien Markt anschlossen, der seinen
bisherigen Höhepunkt bei den Krawallen von Seattle fand, die durchaus auch
von Leuten begrüßt wurden, die normalerweise bei
Gewaltdemonstrationen Panikattacken bekommen und einen Eid auf das Grundgesetz
leisten: Unverhohlen freut sich das Regierungsorgan taz über die
revoltierenden Demonstranten, die sich gegen den entfesselten
Kapitalismus (taz, 23.4.2001) stellen, der viel zu amerikanisch
sei. Manchen wird dazu noch das geflügelte Wort des Dr. Joseph Fischer
einfallen, der vom bedrohten rheinischen Kapitalismus redete,
anderen vielleicht eine ältere Parole: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.
Der neueste Trend der Bewegung kommt aus Italien. Man schwärmt von den
Ya-Basta AktivistInnen, den sogenannten tute bianche,
die in der Jungle World vorgestellt wurden und nun durch Deutschland tingeln,
um ihr - natürlich brandneues - Konzept zu präsentieren, das darin
besteht, das Gehirn noch tiefer einzugraben und das letzte Quantum der eh nur
in Spurenelementen vorgekommenen Radikalität ad acta zu legen. So wie sich
in Deutschland die AA/BO von den klassischen Autonomen trennte, lösten
sich die Italiener mit den weißen Overalls von der Autonomia Operaia, die
besonders 1977 in Italien für Furore sorgte, als sich tausende
Arbeiterinnen und Arbeiter einem Aufstand anschlossen, der schließlich
repressiv zerschlagen werden mußte. In dieser zumindest
verbalrevolutionären Tradition steht die italienische Linke und mit dieser
muß brechen, wer sich anpassen will. Mit den Worten: Wir haben
uns entschieden, von allen Ideologien Abstand zu nehmen, andere haben das
nicht gibt ein Sprecher des Vereins den von Überbleibseln der
marxistischen Autonomia Operaia des öfteren geäußerten
Reformismusvorwurf recht. Wer ständig von Ideologiefreiheit redet, ist
selbst der größte Ideologe. Aller Wahrheitsanspruch, ohne den
Revolution nicht zu machen sein wird, soll weggefegt werden, um endlich in den
pluralen Meinungsmarkt einsteigen zu können. Und um dort kompatibel zu
sein, redet man nicht mehr von der Enteignung der Bourgeoisie, sondern vom
Kampf gegen Neoliberalismus und unterscheidet sich dadurch kaum noch von dem
taz-Liebling Bourdieu, der le monde diplomatique oder den
großen Kirchen, die auch immer wieder Worte gegen den Wucher finden. Die
Alternative zum gehaßten freien Markt sind logischerweise
Staatseingriffe. Wer gegen die Globalisierung des Kapitals wettert,
muß zwingend das Kapital selbst und den Nationalstaat bejahen.
Außerdem muß alle Neoliberalismuskritik die Vergangenheit
verklären. Dachte man bisher, daß der Spätkapitalismus, der auf
den klassischen Liberalismus folgte, zu zwei Weltkriegen, dem Judenmord und
weltweiter Hungersnot geführt hat, während die bürgerliche
Epoche neben der schrecklichen Armut doch immerhin auch ein
selbstbewußtes Bürgertum und eine revolutionäre
Arbeiterbewegung hervorbrachte, die Anlaß zu der Hoffnung gaben, die
Menschheit könnte endlich geschichtsmächtig werden, so klingt das bei
den tute bianche nun so: Ihre Globalisierung hat ihr
wahres Gesicht gezeigt: Eine Orwellsche Diktatur der mächtigsten
Banken und multinationalen Unternehmen, der Versuch, ein Jahrhundert sozialen
Fortschritts auszulöschen und die Ressourcenverteilung von ungleich zu
unmenschlich zu verschieben Ein Jahrhundert sozialen Fortschritts,
wie schön. Vergessen sind die Opfer des Faschismus genauso, wie der
Umstand, daß die Menschen in den meisten Teilen der Welt auch schon in
Zeiten verhungerten, als noch niemand ständig von Neoliberalismus
palaverte. Aber aber, was soll der Spott, das war damals nur ungleich, jetzt
wirds unmenschlich: Alle hängen vom gierigen Mechanismus,
Neoliberalismus genannt, ab und wie ist die Reaktion der Linken auf
die Verschärfung der Lage? Man verzichtet auf Gewalt und Revolution und
plädiert für zivilen Ungehorsam - was heißt,
daß man sich unbewaffnet und mit erhobenen Händen vor
ausgebildete Profi-Militärs stellt. Gute Idee! Letztere schlagen
dann natürlich kräftig drauf, was aber auch der Zweck der Aktion ist,
die liebevoll Rebellion der Körper genannt wird. Wenn
erst alle verprügelt worden sind, dann lassen sich einfach alle noch
einmal verprügeln und dann stellt man fest, daß es einen Unterschied
zwischen Legalität und Legitimität gibt.
Wir wollen uns verprügeln lassen, weil wir die Gewalt des Systems
zeigen wollen, erklärt eine Sprecherin der Bewegung die Taktik,
die so neu nicht ist und von Jesus stammt. Abgeklärt schreibt man,
daß die Revolution nicht von wenigen und in kurzer Zeit zu
machen ist, also plant man in Genua ein Fest, bzw. eine
Explosion von Freiheit, Festlichkeiten, Musik, Tanzen und Unterhaltung [...]
ein spontaner, und also revolutionärer Karneval des Ungehorsams
Die Herrschenden werden zittern, vor allem wegen der mutigen
Ankündigung ihres Demosegments: Vom Gelben Block wird keine Art
von Gewalt gegen Personen, Tiere oder Sachen ausgehen, sondern er wird vor
allem das Recht der Bürger zu demonstrieren verfechten. Dieses
Recht haben die Bürger schon, das Nahziel ist also erreicht, vielleicht
deshalb eine Freudenparty, als Zeichen gegen Unmenschlichkeit und für
Toleranz. Nun muß man kein Gewaltfetischist sein, um diejenigen für
bekloppt zu halten, die ohne zu Schmunzeln sagen: Jetzt wird alles noch viel
schlimmer als früher, also feiern wir ein friedliches Fest und stellen uns
unbewaffnet vor die Militärs. Freilich gibt es Gründe, momentan auf
spektakuläre, militante Aktionen zu verzichten, weil diese dazu
führen könnten, das angesichts der Schwäche der Linken diese
vollends zerschlagen wird. Aber wer immerzu seine Gewaltfreiheit herausposaunt,
hat etwas zu verbergen: dass alle Menschen die -engelsgleich- frei von Gewalt
sein wollen, am Ende das Gewaltmonopol des Staates doch bejahen müssen.
Ziel der neuen Bewegung ist nicht Kommunismus, sondern Teilhabe am Regime. Die
tute bianche haben bereits Stadtratsabgeordnete. Ob die heutige
Linke es gleich den Achtundsechzigern und den Grünen schaffen wird, an die
Schalthebel der Macht zu gelangen, kann zwar bezweifelt werden, aber das
hindert offensichtlich niemanden, sich anzubiedern.
Wer gegen den globalen, freien Markt ist und auf Staatskritik verzichtet, der
wird nicht nur reformistisch, sondern unter gegebenen Umständen
reaktionär. Eine Globale Aktion der Völker (Azione
Globale di Popoli) etwa beklagt, daß durch die Globalisierung das ideale
Umfeld geschaffen wird, um Arbeiter und Regierungen gegeneinander
auszuspielen. Immerhin ehrlich. Es geht ihnen nicht um Klassenkampf
(auch so eine orthodoxe, marxistische Betonkopfideologie), sondern um den
Volkskapitalismus. Auch die tute bianche geben zu, daß sie
nur ein starkes Mißtrauen gegenüber denjenigen Parteien und
den institutionellen Sektoren haben, die de facto das Werk
von Organen wie dem G8 legitimieren. Vielleicht könnte dieser
Verein sein Mißtrauen ja ablegen, wenn eine Partei fordern würde,
daß soziale und ökonomische Belange mit den Bedingungen von
Land, Volk und Ökologie in Übereinstimmung gebracht werden
sollen (Aus dem NPD-Programm). Die Zielgruppe ist jedenfalls schon jetzt
eine ähnliche: Die tute bianche wollen all diejenigen nach
Genua mobilisieren, die den Frieden, die Gerechtigkeit und Würde
zwischen den Menschen, die Erhaltung und Wiedergeburt des Ökosystems
für fundamentale Werte halten. Es ist höchste Zeit für
bleibende Werte!
(Alle kursiven Zitate von www.tutebianche.org
oder aus der Jungle World)
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