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Für statt Wider

Die linken Einwände gegen die Inhalte der Globalisierungsproteste haben meist ihre Berechtigung. Die zum Allgemeinplatz gewordene Kritik wird selber zum Problem. Nicht weil sie mittlerweile langweilt, sondern weil sie sich verbietet, die Chancen für eine linke Bewegung zu sehen.

Riots, 10.4k


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Achtung! Die folgende Aussage langweilt auch: Für die Linke waren die 90er Jahre die Geschichte eines schier unaufhaltsamen Niedergangs.
Diese Feststellung ist hornalt und je öfter man sie zu hören bekommt, desto mehr erweckt sie den Eindruck, daß sie dazu dient, sich in bedrückenden Zuständen einzurichten. Weil ihr analytischer Gehalt über die ständige Wiederholung nicht größer wird, macht es nur dann Sinn, sie zu benutzen, wenn die damit beschriebene Entwicklung als absolut unakzeptabel gekennzeichnet wird.
Es ist eine wahrhaft schreckliche Vorstellung, daß mit dem Verschwinden des Staatssozialismus und den dadurch forcierten Zerfallsprozeß der Linken ein gesellschaftlicher Endzustand erreicht ist. Ein Zustand, in dem kapitalistische Systeme nicht einmal die Fähigkeit zur Integration von Protestpotentialen brauchen, weil ihr Legitimationsüberschuß überwältigend und Widerstand unsichtbar ist. Es gab eine Reihe von Anzeichen dafür, daß diese Horrorvision Wirklichkeit wird. Die fast totale Affirmation des Kapitalismus mitsamt seiner auch auf den ersten Blick erkennbaren Widrigkeiten ließ sich jedoch nicht nur an dem Ende einer linksradikalen Bewegung ablesen. Als Preis für den Sieg in der Systemauseinandersetzung wurden liberale und humanistische Kritikkapazitäten gleich mit geopfert.
Was daraus folgte, läßt sich an Begriffen wie „Spaßgesellschaft“ oder „Generation Golf“, die man ansonsten allerdings nur mit Vorbehalt bei der Beschreibung von Seinszuständen benutzen sollte, ablesen. Als Illustration selbstzufriedener Gesellschaftschichten in den Wohlstandsregionen, als Beschreibung der Masse von Konsum- und Arbeitsidioten, denen auch das offensichtlichste Elend dieser Welt nur noch einen zynischen Kommentar, einen schlechten Witz und die Aussage „selbst daran schuld“ wert ist, tragen diese Kategorien durchaus eine Wahrheit mit sich. Sie stehen für einen Paradigmenwechsel in der politischen Kultur, die bis 1989 auf die gröbsten Schweinereien, die der Kapitalismus hervorbrachte, mit halbwegs anständigem Moralismus und Sozialsfürsorge reagierte. Wer weder mit der Niedertracht der Weltordnung noch mit den Konzessionen des Kapitalismus an den Staatsozialismus zufrieden war, schloß sich in jener fernen Zeit – nicht im Allgemeinen, aber häufig – der politischen Linken an, um die Probleme grundsätzlicher anzupacken. Mit den 90ern kam dann der eiskalte Hauch einer Ruhe, die jegliches Aufbegehren zu ersticken schien. Schon dem zaghaften Protest begegnete die Gesellschaft mit tiefer Skepsis, von der Diskreditierung subversiver, am Ende gar marxistischer Gedanken ganz zu schweigen.

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Es war kein Automatismus, kein Hexenzauber, der die Utopie einer besseren Gesellschaft für ein Dezenium in die Mottenkiste verbannte. Der siegreiche Kapitalismus besteht nicht nur auf der Ebene automatischer Subjekte, die ferngesteuert irgendwelchen Strukturen gehorchen. Er basiert ebenso auf dem Bereich der bewußten Entscheidung, des Dafürseins, welches das Dagegensein repressiv verfolgt. Er braucht die bewußten Profiteure der bestehenden Ordnung, die ihren Erfolg nicht in jedem Fall hedonistisch auskosten, ihre materielle und politische Vormachtsstellung aber durchaus zu schätzen und zu verteidigen wissen. Mit dem weltpolitischen Wandel gaben sich die Systemgewinner nicht zufrieden. Vielmehr wurde mit Leidenschaft am ideologischen Rechtfertigungsmodell gefeilt, damit fürderhin nie mehr eine relevante Anzahl von Mensch auf die Idee käme, der Kommunismus würde sie glücklicher machen. Was zu diesem Zweck so alles in die Wege geleitet wurde, ist durchaus eindrucksvoll und wird gerne unterschätzt. Think Tanks und Lehrstühle verbreiteten Theorien und Ansätze, nach denen der Mensch ein Tier ist, weshalb es schon in Ordnung geht, wenn die Schwachen auf der Strecke bleiben und die Starken die Spezies voranbringen. Nicht immer wurde ganz platt biologisiert, wichtig war, daß unterm Strich rauskommt, daß es keine Alternative gibt. Und um den Propagandaeffekt zu verstärken, erklärte man alle praktischen Alternativversuche, und mit ihnen auch die Hoffnung auf eine wirklich herrschafts-, klassen- und staatenlose Gesellschaft zum eigentlichen Weltübel.
Ein riesiger ideologischer Apparat war dem Ziel verpflichtet, den Menschen beizubringen, daß die Linken die schlimmeren Faschisten seien. Daß nicht zuletzt deswegen ein Angriffskrieg gegen eine demokratische Republik geführt wurde, daß Abweichler nicht nur einfach gedisst, sondern wie jetzt Milosevic mit Pauken und Trompeten vor Tribunale und Gerichte gezerrt werden, zeigt wie sehr den Herrschenden an der Begründung der Ünüberwindbarkeit des gegenwärtigen Systems gelegen ist.
Doch der propagandistische Impfschutz verliert an Wirkung. Eine seiner Hauptsubstanzen, das Argument, der Sieg des Westens in der Blockkonfrontation spreche für die generelle Überlegenheit des Kapitalismus, verliert nach und nach seine betäubenden Folgen. Es gerät in Vergessenheit. Das Elend der Welt ist aber immer noch da. Und so wie die Bewußtseinschleier derzeit hier und da aufreisen, so richten sich auch wieder mehr Blicke auf die ungleichen und bedrückenden Verhältnisse.

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Die neue antikapitalistische Sehnsucht kündigte sich schon seit einiger Zeit an. Daß sie ihren Ursprung nicht in Deutschland hatte, muß nicht weiter erklärt werden. Aus Frankreich und vom amerikanischen Kontinent kamen und kommen die entscheidenden Impulse. Vielleicht begann es mit Viviane Forresters „Der Terror der Ökonomie“, einer Streitschrift gegen die Brutalitäten eines ökonomischen Fundamentalismus. Dort, wo es zuerst erschien, war es immerhin ein Bestseller. Vielleicht begann es auch mit Bourdieu’s sozialdemokratischer Erweckungsbewegung „raison d’agir“, die in Schriften und Vorträgen für die Installation einer europäischen Sozialrechtscharta eintrat und mit ihrer Kritik an den Verwerfungen des neoliberalen Kapitalismus immer stark zum Antiamerikanismus tendiert. Signale der Unzufriedenheit kamen ebenso aus Uruguay. In „Die Füße nach oben. Zustand und Zukunft einer verkehrten Welt“ wettert Eduardo Galeano gegen Profit- und Konsumgier und den menschenverachtenden Zynismus der Wirtschaftsordnung. Damit nicht genug. Hollywood-Produktionen wie „Fight Club“, „American Beauty“ oder „Matrix“ konnten gleichfalls als Ausdruck eines erwachenden Unbehagens interpretiert werden. Und gegenwärtig stehen Naomi Klein („No Logo“) und Frédéric Beigbeder („39.90“) mit ihren Anklagen gegen den Marken- und Werbetotalitarismus für eine Strömung antikapitalistischer Kritik, die sich meist nur den gröbsten Ungerechtigekeiten und den deutlichsten Phänomenen zuwendet.
Mit ihrem Moralismus, der über die Kritik eines Teilbereichs nicht zur radikalen Ablehnung der Zusammenhänge findet, sind sie der wohl stärksten Gruppierung der Globalisierungsprotestler sehr ähnlich. Auch jene greifen nur offensichtliche Armut und ungerechte Verteilung an und stoßen bei der Suche, sich auf ihre Unzufriedenheit einen Reim zu machen, nicht selten auf das internationale Finanzkapital und multinationale Konzerne. Die verkürzte Ursachenforschung verkennt nicht nur die kapitalistische Durchdringung aller Lebensbereiche, sondern kann durchaus zu regressiven Forderungen führen. Nicht wenige bringen den nationalen Sozialstaat gegen „vakabundierende“ Finanz-, Handels-, und Industrieinstitutionen in Stellung und reprodzieren so nationalistisches, ja gar strukturell antisemitisches Gedankengut.
Das alles ist zumindest in den hiesigen antinationalen Kreisen der Linken mehr als tausendmal gesagt. Es gibt wohl keinen radikalen Linken, der noch nicht davon gehört und dessen Hoffnung sich nicht trübte, weil die neu entstandene Protestbewegung nicht mit dem richtigen Programm an den Start ging. Mittlerweile ermüdet man schon ein bischen angesichts der Argumente zur Kritik der Global Action. Sicher, falsch wird sie auch durch Wiederholung nicht und als Beschäftigungstherapie für Besserwisser, die linke Bewegung an einen theoretischen Numerus clausus binden, zeitigt sie sogar mal ein akzeptables Ergebnis. Was aber nicht davon ablenken sollte, auch die Kritik der Kritik zu unterziehen. Nicht weil sie langweilt, sondern weil sie sich entweder keine oder die falschen Gedanken darüber macht, wie und wo man den moralischen Antikapitalismus in eine radikale Gesellschaftskritik überführt.

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Die Tendenz, das Elend der Welt wieder zu sehen und es kritisieren zu wollen, die zunehende Wahrnehmung bedrückender Lebensumstände, sei es die nackte soziale Gewalt oder eher subtilere verdinglichte Beziehungen zwischen den Menschen, ist gut und nicht schlecht. Sie kennzeichnet einen kleinen Riß im Legitimationspanzer des Kapitalismus, mit dem er sich in den letzten Jahren unangreifbar wähnte. Mußte man noch vor kurzem fürchten, die Regression des Bewußtseins mache die Linke zu Dinosauriern der Geschichte, ist heute auch dank der Globalisierungsproteste ein Hauch von Hoffnung angebracht. Zumindest dann, wenn man in ihnen auch die Möglichkeit sieht, ein Nichteinverstandensein, welches sich mehr oder weniger linken Grundwerten verpflichtet sieht, wahrnehmbar zum Ausdruck zu bringen. Hoffnung auch deshalb, weil mit dem Moralismus der Globalisierungsprotestler, der Schriftsteller und Filmemacher Denkprozesse ausgelöst werden, die einer linken Radikalisierung alles andere als entgegestehen. Hier entsteht ein Milieu, aus dem heraus eine politische Entwicklung, die sich nicht mit vorsichtiger und falsch adressierter Empörung sowie mit zaghaften Linderungsstrategien zufrieden gibt, überhaupt wieder möglich wird.
Im Gegensatz zur Vielzahl linker Skeptiker scheinen bürgerliche Politik und Presse eine Ahnung von dem Potential zu haben, welches in der anwachsenden Widerstandsbewegung steckt. Lauthals ruft man nach Sicherheitskonferenzen, aktiviert den Überwachungsstaat und droht mit sanktioniertem Mord- und Totschlag.
Und ohne es zu wollen, wird der radikalen Linken ein großer Gefallen getan. Der mediale Bannstrahl gegen linke Chaoten und Polit-Hooligans sorgt für selten gewordene Publicity. Was nicht deshalb gut ist, weil damit eine linke Mediengeilheit als Selbstzweck befriedigt wird, sondern weil die einfache Wahrheit, daß man vergißt, was sich nicht hin und wieder im Bewußtsein festkrallt, eine Wahrheit ist.
Viel besser ist es noch, daß in der ganzen Aufregung die Krawallmacher – wohl entgegen jeder persönlichen Einstellungslage – als die radikalsten Gegner des Kapitalismus stilisiert werden. Als diejenigen, die einfach gegen alles sind, ja zu allem Überdruß alles kaputt machen wollen.
Die so von der bürgerlichen Gesellschaft markierte Grenze der Integrationsfähigkeit zu nutzen, um sich als linksradikale Alternative zu präsentieren, dazu aber den oberflächlichen Schein, der auf Dauer keinen Bestand haben wird, auch noch mit einer grundsätzlichen Kritik zu füllen, daß ist die Aufgabe, die sich Linke angesichts der Globalisierungsproteste stellen sollten.
Das klingt nach Beteiligung und das soll es auch. Die richtigen Flugblätter und Transpis, ja selbst die Argumente der Protestkritik gehören an den Ort, wo sie etwas bewirken können. Selbstverständlich lassen sich auch weiterhin offene Türen einrennen und Zeitvertreib verspräche auch die Agitation der Massen, die davon derzeit noch nichts wissen wollen. ulle


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last modified: 28.3.2007