In der Linken geht die Angst um, die wieder einen Namen hat: M.A.I. Multilaterales Abkommen über Investitionen Von Ralf
Noch vor Jahren galt es in der westlichen radikalen
Linken als äußerst umstritten, überhaupt nur an den Staat zu
appellieren. Inzwischen jedoch hat sich das Blatt zusehends gewendet. Über
partielle Forderungen in fast allen gesellschaftsrelevanten Bereichen hat sich
als Tugend etabliert, was sich nur aus zunehmender Ohnmacht und Kapitulation
vor dem vermeintlichen Ende der Geschichte erklären
läßt. So wird auch die weltweite Kapitalzirkulation nur deshalb als
so schrecklich empfunden, weil das ehemals vorhandene realsozialistische
Pendant nicht mehr als auszumachendes Korrektiv zur Verfügung steht.
Seitdem also kaum noch territoriale Beschränkungen für das Kapital
auf dem Globus existieren und damit auch der Erzfeind Kommunismus von der
Bildfläche verschwunden ist, bricht sich ein ungehemmtes
Selbstverständnis aller Nationalökonomien Bahn, in der der Staat
durch Verschuldung und nicht zuletzt durch die dritte industrielle
Staatsbeamte im nationalen Interesse |
Revolution der Mikroelektronik als keyneseanistische Pump-Station
ausgedient hat und seine Rolle als ordnungs- und geopolitischer Sachwalter neu überdenken muß.
Trotzdem bleibt der Staat jener ideelle Gesamtkapitalist (Marx),
der den Boden dafür zu bereiten hat, zu welchen Bedingungen die Ausbeutung
jeweils passiert. Logischerweise sind dabei diejenigen in der Vorhand, die
über die finanzstärksten Nationalökonomien verfügen. Jene
haben somit auch die besten Karten im weltweiten Machtpoker. Das Gerangel um
die attraktivsten Investitionsstandorte ist demnach keine Folge der angeblichen
Globalisierung und des damit mutmaßlich obsolet gewordenen
Nationalstaates, sondern einzig und allein der Tatsache geschuldet, daß
Kapital per se tatsächlich kein Vaterland kennt und deshalb auch nur aus
höheren (Nationalisierung) oder niederen
(verschärfte Ausbeutungsbedingungen) Beweggründen gebunden werden
kann. Und das in doppelter Hinsicht: In beiden Fällen ist der Staat eben
auch immer auf die Willfährigkeit seiner Bürger bedacht wie auch auf
günstige Bedingungen für das Kapital. Dabei hängt es
entscheidend vom bestehenden Geschichtsbild eines Staates und der jeweiligen
Gesellschaftskonstitution ab, für welche der beiden Varianten sich eher
entschieden wird, ohne gleichzeitig die jeweils andere explizit
auszuschließen, weil selbstredend keine reine Ausschließlichkeit
praktizierbar ist. In diesem Sinne ist es grundsätzlich wichtig, die
nationale Spezifik mit zu betrachten. Das heißt im Falle Deutschland
beispielsweise, daß bei der traditionell ungeheueren Aggressivität
des deutschen Nationalismus was den bekennenden deutschen
Staatsbürger unbedingt mit einschließt, wenn nicht gar voranstellt
der höhere Beweggrund also die Nationalisierung
mit Sicherheit das größere Übel ist.
Aus dem ideell zu betrachtenden Antagonismus von vaterlandslosem Kapital und
Staatsprotektionismus, der bei Anwendung automatisch in Konkurrenz zu anderen
Gemeinwesen gerät, und aus dem sich grundlegend ergibt, welche sozialen
Standards ein Staat für seine(!) Bürger setzt und gewährt,
leitet sich die Kapitalismus-immanente Schizophrenie her, daß die eigenen
nationalen Interessen multilateral so in Einklang gebracht werden müssen,
daß die Kollidierung unterschiedlicher Machtinteressen insoweit
auszuschließen ist, wie es der eigene, jeweilige Staat für seine
ureigensten wirtschaftlichen Prosperitätsinteressen braucht. Einzig und
allein aus diesen Interessensüberschneidungen ist es im Sinne gerade der
mächtigsten Staatsregierungen, Vereinheitlichungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen herbeizuführen.
So dachtens sich auch die Regierungsvertreter der 29 OECD-Mitgliedsländer,
den führenden Industriestaaten, und stricken deshalb seit 1995 im
diskreten und familiären Rahmen (FAZ) an der, wie es der Chef
der Welthandelsorganisation WTO, Renato Ruggiero, nennt, neuen Verfassung
der vereinigten Weltwirtschaft. (in: SPIEGEL Nr.19, 1998) Sie nennen es Multilateral
Agreement on Investment, Multilaterales Abkommen über Investionen, kurz: M.A.I.
Im April diesen Jahres sollte es bereits unterzeichnet werden. Doch
insbesondere an EU und USA und deren protektionistisch begründeten
Vorbehalten ist dies gescheitert und ersteinmal auf Herbst vertagt worden.
Am 8. März 1995 gab der Europäische Arbeitgeberverband UNICE
Einleitende Kommentare zu Handel und Investitionen ab, in denen die
Aushandlung ebenjenes M.A.I. bei der OECD vorgeschlagen wurde, das folgende
Eckpunkte umfaßt: breite Definition von Investitionen, breites
Niederlassungsrecht, Recht auf unbeschränkte Gewinnrückführung,
freie Managerwahl, Einführung eines Streitschlichtungsverfahrens zwischen
Investor und Land, Verbot von Enteignung oder Entschädigungspflicht, Meistbegünstigungsklausel u.a.m.
Das neue internationale kapitalistische Manifest, wie es Le
Monde diplomatique nennt, schreibt ein absolutes Niederlassungsrecht
für ausländische Investoren in fast allen Bereichen nationaler
Wirtschaften vor, wobei die jeweiligen Regierungen verpflichtet sind,
ausländische Investitionen ohne größere Auflagen zu
ermöglichen. Laut M.A.I. umfaßt der Begriff Investionen auch alle
Formen ausländischer Kapitalanlage. Investoren sollen unter Umständen
von den jeweiligen Staaten auch für den Verlust künftiger Profite
entschädigt werden, wobei Umweltsteuern, Arbeits- oder
Konsumentenschutzbestimmungen als profitmindernd gelten können. Die
Gleichbehandlung von nationalen und ausländischen Investoren wird nach dem
M.A.I. zwingend. Ausschließliche Vorschriften oder Bedingungen für
ausländische Investoren dürfen somit nicht aufgestellt werden.
Jeweiligen National-Regierungen ist es untersagt, im Nachhinein, also nach
Beitritt zum M.A.I., etwaige Bestimmungen zu erlassen, die dem Abkommen
widersprechen. Die bindende Geltungsdauer nach Beitritt beträgt zwanzig
Jahre und ein Ausstieg ist generell erst nach fünf Jahren mit 15 Jahren
Übergangszeit möglich. Ein weiterer Punkt ist die juristische
Gleichstellung der Unternehmen gegenüber den jeweiligen Staaten. Dabei
können die Investoren die Staaten auf entgangenen Profit verklagen. Die
ursprünglich vorgesehene Einseitigkeit, daß eine Klage nur von den
Unternehmen statthaft ist, ist inzwischen vom Tisch.
Eines der Hauptgründe für das M.A.I. besteht in der von allen
OECD-Mitgliedsländern gewollten Vereinheitlichung der
Investitionskriterien, die die vielen bestehenden bilateralen Abkommen
überflüssig machen würde. Seitdem der Inhalt des Abkommens
öffentlich bekannt wurde es wurde lange nicht an die große
Glocke gehangen und hinter verschlossenen Türen ausgehandelt , wird
es von den linken und rechten Kritikern als Bankrotterklärung der
Politik (Freitag) und demzufolge Kapitulation der nationalen
Regierungen vor dem Kapital interpretiert. Dies kann allein schon deshalb
nicht sein, so schreibt Peter Decker erstaunlicherweise in der jungen
Welt, deren Leserklientel solcherlei Töne gar nicht recht sein
dürften, weil (beim M.A.I.) nicht Konzernmanager über die
Abschaffung der Staaten verhandeln, sondern ausschließlich Staatsbeamte
im nationalen Interesse unterwegs sind. (in: junge Welt vom 29. April 1998)
Tatsächlich bedarf es nicht unbedingt weiterer Ausführungen, um
vorzuführen, wie sich fast alle Gegner des M.A.I. in der Apellation auf
den Staat verrennen. Es wirkt schon fast beruhigend, wie bedächtig die
Gewerkschaften, die im übrigen seit 1996 in die OECD involviert sind, mit
dem M.A.I. umgehen. Tatsächlich sind von ihnen noch die angenehmsten
kritischen Töne zu vernehmen. So sagt beispielsweise Jürgen Eckl von
der Internationalen Abteilung des DGB: (...) Mit dem M.A.I. hätten
wir nun das erste Mal einen Sanktionsmechanismus mit einer Sozialklausel
verknüpfen können. Wir hätten also ein internationales
Vertragswerk gehabt, wo wir sanktionsfähig geworden wären (...). Das
war die Chance, die wir jetzt schwinden sehen, wenn das Vertragswerk aus
protektionistischen Gründen (der EU und USA) nicht zu Ende verhandelt
werden kann. (in: Freitag Nr.18, 1998)
Anstatt jedoch genau an dieser Stelle zu intervenieren und alles daran zu
setzen, daß übergreifende Sozialstandards gerade unter Nutzung eines
solchen Abkommens erzwungen werden, jammern die Protagonisten der M.A.I.-Gegner
herum. So Tony Clarke, Direktor des kanadischen Polaris Instituts in Ottawa:
Wir haben unseren gewählten Regierungen Souveränität
übertragen. Doch jetzt wollen die Staaten die ihnen von uns
übertragene Souveränität an die transnationalen Konzerne
abgeben, betonte er anläßlich eines internationalen
Kongreßes gegen das M.A.I. am 25. April diesen Jahres in Bonn und erntete
dafür langanhaltenden Applaus. (in: taz vom 27. April 1998) Dort bestand auch
unter den 550 Teilnehmern scheinbar trauernde Einigkeit darüber, daß
das M.A.I. eine Zwangsjacke für die Nationalstaaten sei. Eine
weitere Initiatorin der Anti-M.A.I.-Kampagne, die Soziologie-Professorin Maria
Mies, bringt es noch etwas deutlicher auf den Punkt. Gegenüber der
Wochenzeitung Jungle World sagt sie: Statt Globalisierung setzen
wir auf Regionalisierung. Was sie damit etwa hinsichtlich bestimmter
Identitäts- und Ethnizitätskonzepte meint, verdeutlich sie weiter
unten in demselben Blatt: In Frankreich regt sich niemand darüber
auf, daß für die nationale Kultur gekämpft wird. Wenn wir das
in Deutschland zum Thema machen würden, wären wir sofort als
Faschisten verschrien. Bei uns wirkt das wie ein Denkverbot und dagegen wehre ich mich. (in: Jungle World Nr. 16, 1998)
Nach dem gescheiterten Versuch, ende April das Abkommen zu verabschieden,
beschwört die taz ein Investitionsabkommen light:
Der Schutz der Investoren wird weiter an erster Stelle stehen, aber am
Rande werden auch Sozial- und Umweltstandards erwähnt, ebenso wie der
Schutz einheimischer Kultur vor den Ursurpatoren aus Hollywood.
Wieder einmal zeigt sich deutlich, wie unfähig eine Linke ist, das soziale
Verständnis als nationalen Wahn über Bord zu werfen. Anstatt einer
zumindestens Transnationalisierung genügend positive Seiten
abzugewinnen, die gerade die Chance bieten würde, nichtnationale Standards
zu wirklich internationalen zu machen, gar noch mit der Aussicht auf globale
Verbindlichkeit, betätigt man sich als Steigbügelhalter eines alten
neuen Nationalismus und Regionalismus, der im Sinne uralter kapitalistischer
Dynamik gar keine anderen polarisierten Optionen kennt als die von Krieg
und Frieden (Helmut Kohl). Wahrlich bleibt keine andere Wahl als die
Verkehrung dessen, was das Mitglied des Komitees Widerstand gegen das M.A.I.,
Saral Sarkar, flehend anmahnt: Mit dogmatischen Anti-Staat-Sprüchen
kann man die Anti-M.A.I.-Bewegung und die Sache der Linken nur
schwächen (in: taz vom 12. Mai 1998).
Und deshalb, ein dreifaches: Kein Gott Kein Staat Kein Vaterland!!!
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