Erster Teil der Dokumentation des Referates der
Veranstaltung der Antinationalen Gruppe Leipzig zur Kritik der Antifa mitte Mai
dieses Jahres.
Die Veranstaltung steht unter dem nichts- und
vielsagenden Titel Der große Radikalinski-schwindel,
der die Affinität und Verbindung hinbekommen soll zu der Geschichte des
Punkrock, an dessen Anfang ja bekanntlich der Great RocknRoll
Swindle stand. Wo der Punkrock geendet hat, das wissen vermutlich nicht
nur die Insider...
Thesen zur Antifa
Die Haupthese ist eine ganz simple: die Antifa ist am Endpunkt angekommen
d.h., die Antifa im postautonomen Verständnis. Weil sie an diesem
Endpunkt angekommen ist, kann sie sich auch nur in Gänze zur Disposition
stellen.
Das, was man gemeinhin unter dem verordneten Antifaschismus der
Berliner Republik fassen kann, das also, was im sogenannten Antifa-Sommer
passiert ist, war der Lackmustest gewesen, der die Antifa ihrer fehlenden
Radikalität überführt und verdeutlicht hat, daß sie nicht
mehr ist als eine Art Reformbewegung. Daß sie dies ereilte, ist
ausschließlich ihr und ihrem eigenen Versagen zuzuschreiben und nicht
einem imaginären äußeren Feind.
Ein besonderes Glanzstück der Antifa ist ihr
Praxisverständnis. Denn Praxis bestätigt sich für
sie in einer Art Endlosschleife immer wieder selbst durch Praxis.
Die analytische Schärfe reicht demzufolge auch nur von einer Aktion bis
zur nächsten ganz im Sinne Sepp Herbergers, daß nach dem
Spiel gleich vor dem Spiel ist.
Dieser Aktionismus als Form des Praxisfetisch trägt zwanghaften Charakter.
Und dieser ist das entscheidende identitätsstiftende konstitutive Moment.
Als solches ist es einer Ideologie verhaftet, die starke Züge jenes
konstruktiven Mitmachens trägt, die gesellschaftlich angesagt sind
wo man anerkannt ist, wo man tatsächliche politische Erfolge
verbuchen kann.
Eine Fähigkeit zur Selbstreflexion ist unter diesen Bedingungen kaum
möglich, das hat nicht zuletzt der im April diesen Jahres stattgefundene
Antifakongress in Göttingen belegt.
Insofern hat sich der konzipierte Einstieg über das Konzept
Antifa nicht als Lösungsstrategie erwiesen, sondern als ein
wesentliches Problem bewegungslinker Sozialisation. Dabei spielt der Götze
Antifaschismus eine besondere Rolle als grundlegendes Selbstverständnis.
Die Fetischisierung des Begriffes Antifaschismus verstellt letztendlich genau
den Blick für die objektiven Konstitutionsbedingungen der
bürgerlichen Gesellschaft.
Die Floskel, die seit geraumer Zeit in Antifa-Kreisen die Runde macht, ist die
nach inhaltlicher Erweiterung des Kampfes ums
Ganze. Diese angestrebte Erweiterung allerdings ist kaum möglich,
weil die Vergötzung des Antifaschismus als historisch gewachsen
gleichzeitig darauf verpflichtet, ihn anzuhimmeln. So wird der Begriff mit
allem vollgestopft, was so in den Sinn kommt und in den Kram paßt.
Dadurch bläht sich der Begriff auf und die These ist, daß dadurch
diese Art Antifa-Blase geplatzt ist.
Das Problem der Antifa ist insbesondere, daß es ihr nicht etwa um das
Was von Herrschaft, sondern nur um das Wie von Herrschaft geht:
Was als der Zweck und Wie als die Mittel. Von vornherein geht es also nicht um
die Kritik des Zweckes bürgerlicher Herrschaft, sondern um die Kritik der
Mittel.
Diese Unterscheidung von Mittel und Zweck legt den Standpunkt der
Radikalität fest. Es stellt eben einen entscheidenden Unterschied dar, ob
man sich nur gegen die Mittel der Herrschaft oder gegen die Herrschaft als
Zweck wendet.
Die fehlende Radikalität in der Kritik führt dazu, daß mit der
Antifa Staat zu machen ist. Sie richtet sich darüberhinaus dafür zu,
Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen und macht sich so fit
für das gesellschaftliche Mitmachen.
Der Antifaschismus ist zu so etwas wie einem Ding an sich geworden. Von einem
solchen läßt sich nur sehr schwer loslassen. Als kleine Einheit
emsiger Staatsdiener buhlt und ringt die autonome Antifa um Einfluss auf den
Staat, auf das Gemeinwesen. Ausdruck findet dies zum Beispiel in Floskeln wie
gesellschaftliche Relevanz. Man müßte vielleicht mal
fragen, was das sein soll und woran sich diese Relevanz bemißt. Eine
andere Floskel: erfolgreiche Politik machen. Woran bestimmt sich
erfolgreiche Politik? Sie bestimmt sich daran, daß man in der
Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Im Sinne der bürgerlichen
Demokratie, der sogenannten repräsentativen Demokratie, ist die Antifa
damit nicht mehr als ein Interessenverband wie andere Interessenverbände
auch.
Warum die Bestimmung von Erfolg und Relevanz dergestalt
vorgenommen wird, hängt ganz eng damit zusammen, daß man sich auf
das Spiel der Politik eingelassen hat, das die Bereitschaft zur Voraussetzung
hat, seine jeweils eigenen Inhalte zwecks Vermittlung zu versachlichen. Die
Antifa hat einen gesellschaftlichen Expertenstatus über ihr
Politikverständnis des Teilbereichs erworben. Ein Hauptroblem,
wie schon benannt, besteht in dem politischen Vermittlungsanspruch bzw. gar
auftrag. Es soll eine Vermittlung in bzw. an die
Gesellschaft statt gegen sie stattfinden.
Die Identitätskrise der Antifa wird unter solchen Vorzeichen von
Selbstverständnis ohnehin falsch diagnostiziert. Sie wird nicht als
Problem der Vermittlung, sondern als Resultat von fehlender
Vermittlung betrachtet.
Die Antifa ist dem Staatsfetisch verfallen. Sie ist eine staatsfetischistische
Veranstaltung, denn sie ringt im oben beschriebenen Sinne um politischen
Einfluss auf den Staat. Und das macht den Reformcharakter aus, den sie
trägt.
Es fällt der Antifa mittlerweile auf die Füsse, daß sie sich
jahrelang eine Kontaktsperre zu den Kreisen der kritischen Linken auferlegt
hat. Dies hat sie zu den Konditionen der leidigen Bündnispolitik getan, zu
den Bedingungen der traditionell leidvollen linken Politikfähigkeit
für andere. Aus dieser Konstellation erwuchs zur linken Kritik statt eines
konfrontativen ein ausladendes Verhältnis, das sich damit legitimiert
wurde, daß die Schuldigkeit nicht etwa in der Selbstkritik, sondern
grundsätzlich bei den anderen den Kritikern der Antifa zu
finden wäre.
Zur Bestimmung des Begriffes Antifaschismus
Antifaschismus ist historisch entstanden als eine Strategie der Volksfront und
angetreten mit dem Anspruch, die bürgerliche Demokratie zu retten und zu
verteidigen. Somit hat man also eine charakterliche Bestimmung des Begriffes:
Antifaschismus ist vom Zweck her die Rettung der bürgerlichen
Demokratie vor der Diktatur des Faschismus.
In genau diese historische Bestimmung schlüpfte auch die autonome
Antifa als Ergebnis der Kritik an autonomer Politik.
Bei Antifaschismus allerdings kann es niemals um die Abschaffung des Staates
gehen, sondern immer nur um die Verteidigung eines besseren gegen einen
schlechteren.
Der Antifaschismus ist genau jene Brücke ins politische Gemeinwesen, zu
gesellschaftlicher Relevanz, gesellschaftlichem Erfolg
und öffentlicher Anerkennung. Dieses quasi Brückenkopfdenken teilt
die Antifa mit den Bewegungs- und Traditionslinken jeglicher Coleur: Im
Zweifelsfall für die vermeintliche Massenkompatibilität im linken
Rahmen.
Es stellt sich durchaus die Frage, was man verliert, wenn man den Begriff
Antifaschismus als Identität Nummer eins fallen läßt und was
man dabei gewinnt.
Immer wieder geht es beim Konzept Antifa ganz in der Tradition der
Linken darum, konkrete oder reale Widersprüche aufzugreifen.
In der Abarbeitung an diesen Widersprüchen tappt man aber
immer wieder in die Falle des politisierenden Vermittlungswahns, über den
Widerpruch anderes oder mehr vermitteln zu wollen.
Daraus entspringt aber immer purer Populismus.
Das Scheitern der Linken
Man muß sich vergegenwärtigen, daß die Bewegungshuberei der
Linken bisher immer das nicht-gefundene wirkliche revolutionäre Subjekt
ersetzt hat die Bewegung als Subjektsurrogat.
Was insbesondere die sogenannte Neue Linke von 68 betrifft, so muß
man sich verdeutlichen, daß diese von der Qualität der
Gesellschaftskritik her betrachtet letztendlich nichts weiter war als ein
einzigster stringenter Zerfallsprozeß mit dem Höhepunkt um 1968 und
dem bisher immer noch anhaltenden Tiefpunkt der sogenannten Politik der
kleinen Schritte, die ja Ergebnis davon ist, daß man gegen Adorno
behauptete, es gäbe zwar kein richtiges Leben im falschen aber zumindest
ein richtigeres (Peter Brückner).
Zusammenfassend läßt sich für die Linke seit 68
konstatieren, daß sie sich von der Gesellschaft in die Ecke des
Expertentums hat drängen lassen, welches sich bei genauerer Betrachtung
als getarntes Mitmachen entpuppt.
Das Scheitern der Linken bisher ist selbstredend eng mit dem
Klassenantagonismus von Lohnarbeit und Kapital also der Stellung zu den
Produktionsmitteln , mit dem Entfremdungsbegriff und dem Doppelcharakter
der Arbeit der Mehrwertappressung als Springpunkt (Marx)
verknüpft. Zu konstatieren ist bei dieser
Klassenkampfschematisierung die Zugrundelegung eines verkürzten
Kapitalbegriffs, der sich nicht als ein gesellschaftlich apersonales
Verhältnis verstehen lassen sollte.
Das benannte Schema als gesellschaftlicher Status quo entsprang letztlich nicht
unerheblich dem Wunsch nach einem zu revolutionierenden Subjekt.
Bei einer Kritik an diesem traditionellen Kapitalbegriff geht es nicht um die
Leugnung des objektiv gegeben Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital,
sondern um die Feststellung, daß dieses Verhältnis, dieser
Antagonismus, nicht systemüberwindend ist.
Ein anderes Dilemma der Linken ist außerdem der falsche oder gar nicht
vorhandene Staatsbegriff insbesondere die Charakterisierung als
bloßer Agent des Kapitals, als derer er gar keine
selbsttätige Handlungsfähigkeit besäße, sondern immer nur
nach Gutdünken des Kapitals, insbesondere des
Großkapitals, funktionieren würde. So glaubte man auch,
daß durch die Änderung der Produktionsverhältnisse und
weise der Staat peu a peu absterben würde (Friedrich Engels).
Bekanntlich hat die Neue Linke diesen falschen bzw. verengten Kapitalbegriff
ungebrochen übernommen und genau daraus abgeleitet, daß sich das
Subjekt Arbeiterklasse erledigt hat und von neuen revolutionären
Subjektivitäten wie postkolonialen Befreiungsbewegungen, Frauen, Studenten
oder Arbeitslosen geschwärmt.
bürgerliche Kritik versus Kritik des Bürgerlichen
Woran bemißt sich Radikalität, die ja letztlich zum Ziel hat, die
objektiven bürgerlichen Verhältnisse abzuschaffen? Bei der Antwort
darauf geht es, wie Moishe Postone gesagt hat, darum, was eine bürgerliche
Gesellschaftskritik von der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft
unterscheidet. Das ist genau die Trennschärfe, woran sich Radikalität
bestimmen läßt. Klar ist, daß es ohne grundlegende Begriffe
von Gesellschaft demnach nicht gehen kann.
Bei der Antifa ist es so, daß dieser eine fundamentale
Gesellschaftskritik völlig abgeht. Es gibt sie in jenen Kreisen einfach
nicht bzw. maximal als Farbtupfer durch einige ganz wenige, die in keinster
Weise für die autonome Antifa repräsentativ sind. Stattdessen
herrscht ein völlig falsches Verständnis von Gesellschaft vor, das
sich an die Triple Oppression-Theorie von der relativen Autonomie dreier
Herrschaftsverhältnisse klammert Rassismus, Patriarchat und der
M/L-Klassenbegriff.
Radikalität mit der Option, daß es eine Perspektive von Freiheit
gibt, muß sich klarmachen, was die Unfreiheit der bürgerlichen
Gesellschaft ausmacht.
Es geht der Antifa, wie weiter oben ausgeführt, nicht um das Was von
Herrschaft, sondern immer nur um die Mittel, um das Wie: was wird wahrgenommen,
was ist augenscheinlich bzw. empirisch belegbar oder wie wird was mit welchen
Machtmitteln durchgesetzt. Im Kampf gegen das Wie bestimmt sich bei der Antifa
Radikalität. Die Machtmittel, die man wahrnimmt, muß man ganz
konkret bekämpfen: gucken, Widersprüche erkennen,
aufgreifen, angreifen, machen. Widersprüche können so nur als
personalisierte und personifizierte Mächte von Menschen über
Menschen, nicht aber als apersonale abstrakte Verhältnisse begriffen
werden.
Diese Sicht auf Gesellschaft läßt sich als ein strukturelles
Grundproblem der Antifa, der gesamten Bewegungs- wie M/L-Linken
kennzeichnen. Wie von selbst enthebt sich bei dieser Ausgangslage radikale
Gesellschaftskritik eines tragfähigen Fundaments und ist nicht mehr als
bürgerliche Kritik.
Um die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft aber zu leisten, bedarf es
dem, was Adorno im Rückgriff auf Hegel und unter Bezugnahme auf Marx
Standpunkt der menschlichen Gesellschaft bzw. der
vergesellschafteten Menschheit als unwahres Ganzes bezeichnet hat.
Das impliziert gleichzeitig, daß die befreite Gesellschaft der unfreien
im positiven Sinne nicht immanent ist und ein systemimmanentes
Versprechen für Erlösung nicht existent. Der absolute
Geist (Hegel), die invisible Hand (Adam Smith) der
bürgerlichen Gesellschaft ist das sich selbstverwertende Kapital als zum
automatischen Subjekt (Marx) gewordener gesellschaftlicher Geist.
Radikalität bestimmt sich an den Objektivitäten der bürgerlichen
Gesellschaft, an den unveränderlichen objektiven Konsitutionsbedingungen,
die, trotzdem der Organismus (Marx) ständig im Wandel und
ständig im Fluß ist, am Organismus selbst nichts ändern. Daran
bemessen muß radikale Gesellschaftskritik als Gegenstand jenen objektiven
Zustand ins Visier nehmen, der die wesentliche Grundlage und nicht die
Erscheinungsform der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht.
In der Tradition der Kritischen Theorie ist der radikale Optimismus zu betonen.
Der Optimismus nämlich, daß es ein richtiges Leben geben kann und
daß die befreite Gesellschaft möglich ist. Daß die Menschen
Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse oder
Personifikationen ökonomischer Verhältnisse (Marx) sind
und insoweit das Sein das Bewußtsein bestimmt, liegt dabei als
grundsätzliches Menschenbild zugrunde. Das scheinbare Paradoxon der
bürgerlichen Gesellschaft besteht darin, daß jegliches Streben nach
Freiheit gleichzeitig ein neues Stück an Unfreiheit erzeugt. Es ist
der Doppelcharakter des Fortschritts, der stets zugleich das Potential der
Freiheit und die Wirklichkeit der Unterdrückung entwickelt
(Adorno).
Dieses dialektische Gesellschaftsprinzip muß man sich bewußt
machen.
Erkenntnisfähigkeit
Eine Existenzberechtigung in der bürgerlichen Gesellschaft gibt es nur,
wenn man sich als variabler Warenkörper anpreist. Dazu muß man sich
selbst gezwungenermaßen zurichten, ohne aus diesem Zwang aussteigen zu
können. Nur so zählt man etwas als bürgerliches Subjekt, ist
überhaupt etwas wert.
Diesen Zustand als objektiv zu bezeichnen, darüber muß man sich
hoffentlich unter Linken nicht streiten.
Erkenntnis innerhalb einer Gesellschaft, die objektiv alles in die
tauschwertige Warenform preßt, unterliegt nur der Möglichkeit, von
den realen Gegebenheiten zu abstrahieren. Deshalb ist Erkenntnis eine
Realabstraktion (Sohn-Rethel) egal dabei, ob als simple
Empirie oder dialektischer Zugang zum Gegenstand. Das menschliche Denken als
grundsätzlicher Ausdruck des gesellschaftlichen Seins (der Existenzweise)
kann das Auseinanderfallen von Begriff und Sache der Abstraktion von der
Sache als eigentliche nicht aufheben.
Die Denkform innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft kann sich nicht
einfach von den Verhältnissen emanzipieren. Die abstrakte Vermitteltheit
als Verdinglichung bürgerlicher Totalität (Lukacs) gibt dafür
eine Art Zwangskorsett ab, dem man sich weder durch menschliche
Willensstärke noch durch Handarbeit entledigen kann. Das notwendig
falsche Bewußtsein (Marx) als die bürgerliche Ideologie ist
nicht die negative Bestimmung von der Eigentlichkeit des Menschen und seiner
Entfremdung, sondern muß als ausschließliches Produkt der
Wirklichkeit (Marx) der realen Verhältnisse begriffen
werden.
Staat und Politik
Der Staat ist, wie weiter oben schon erwähnt, nicht einfach Agent
des Kapitals und damit völlig willfährig vom Kapital
abhängig. Er ist tatsächlich autonom handelndes Subjekt im Sinne
des Kapitals. Als solches dient er dem Kapital als souveränes Subjekt
und der Begriff des Souveräns ist in diesem Sinne treffend. Als ein
solcher Souverän sichert der Staat die allgemeinen Produktionsbedingungen
und ist gleichzeitig auch das Subjekt des Allgemeinwohls.
Die Gewaltenteilung in der bürgerlichen Demokratie ist genau jener
Interessenausgleich, der die Staatsbürger mittels Gewalt auf den Staat
verpflichtet. Insofern sichert der Staat die allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Kapitalakkumulation und in genau jenem Sinn ist
er der ideelle Gesamtkapitalist.
Der Staat ist also idealiterweise derjenige, der mittels Politik selbst
bestimmen kann, was für das Kapital gut ist. Er muß dafür
von Einzelkapitalien und Interessen von einzelnen abstrahieren, um
allgemeingültige Bedingungen herzustellen.
Besonders deutlich wir dies, wenn man sich vergegenwärtigt, wie es im
sogenannten Antifa-Sommer 2000 gelaufen ist: Es gab den Druck von den einzelnen
Wirtschafts- und Lobbyverbänden, die nach ausländischer Ware
Arbeitskraft schrien und die Politik sah sich diesem schwerwiegenden Geschrei
ausgesetzt und mußte handeln, in dem sie einen staatlichen
Perspektivwechsel für Einwanderung und im Zuge dessen im durchaus
instrumentellem Sinne auch gegen Nazis vornahm.
Das Politik-Prinzip in der repräsentativen Demokratie funktioniert nach
der Ausrichtung hin zu Verbänden und des Lobbyismus. Das heißt,
Politik ist nicht einfach ein Geschäft von Parteien oder ähnlichen,
sondern viel mehr wird sie über Verbände und Lobbies praktiziert.
Wenn die Antifa als ein Verband charakterisiert wird, dann bedeutet dies die
Kritik an ihrem Staatfetischismus und deren Politikbeteiligung.
Die Staatskritik der Antifa wie auch der Bewegungslinken ist keine allgemeine,
sondern eine konkrete an den Erscheinungsformen: der Staat ist z.B. rassistisch
oder patriarchal, er ist kinderfreundlich oder feindlich,
homosexuellenfeindlich oder -freundlich. Der Zweck des bürgerlichen
Staates für das Kapital allerdings ist faktisch kein Gegenstand der
Kritik.
Insofern ist man tief in das Spiel der Politik involviert. Denn Politik dient
dazu, sich über die Erscheinungsformen und Mittel des Staates zu streiten.
Genau auf diesem Politikfeld bewegt sich die Antifa, tummelt sich die
Bewegungslinke. Unverständlich muß sein, warum man sich unter dem
Selbstverständnis von Radikalität darüber mit-streiten
möchte, wie der Staat nun am besten auszugestalten sei. Auch in der
Staatskritik findet man also wieder die mögliche Trennschärfe
zwischen Radikalität und Reform und man muß konstatieren, daß
die Antifa eben nicht staatskritisch ist.
Politik ist, gelinde gesagt, die Kunst des Möglichen. Wer sie macht,
läßt sich auf das ein, was man unter den Vorzeichen einer radikalen
Gesellschaftskritik als Unmöglichkeit bezeichnen muß. Die Antifa wie
auch die Bewegungslinke lassen sich auf das Geschäft der Politik ein,
betreiben also genau jene Kunst des Möglichen. Dieses Mögliche
wird sich unter dem Maßstab gesellschaftlicher
Relevanz als Erfolg halluziniert, wobei man strikt darauf
achtet, auch weiterhin vom bürgerlichen Gemeinwesen anerkannt zu werden.
Bei Politik geht es immer um die Verpflichtung auf ein Rechtsverständnis,
sich an bestimmte vorgegebene Spielregeln und -arten zu halten. Sie ist pures
Machtstreben im Gemeinwesen. Das Wesenhafte der Politik ist,
daß es sich dabei um ein System der Machteroberung, Machterhaltung und
Machtausübung handelt, das immer wieder ökonomische und
gesellschaftliche Herrschaft übersetzt und reproduziert. (Johannes
Agnoli)
Konstruktive Kritik in der Form der Vermittlung ist im besseren Fall schon
immer Politik, im schlechteren Propaganda. Dem Lockvogel der politischen
Verantwortung (Agnoli) rennt die Antifa permanent hinterher. Sie will
zuständig sein für eine Sache, ein Sachthema, um dadurch
Erfolg verbuchen zu können, um sozial anerkannt zu werden.
Wenn man sich aber darauf einläßt, verflüchtigt sich jegliche
Radikalität.
Schaut man sich Staatspolitik als Parteienpolitik an, so läßt sich
nur die absolute Beliebigkeit konstatieren. Wer aber ist dann noch
gesellschaftliche Triebkraft, wer sorgt überhaupt für den Schub, den
Fortschritt? Die Impulse geben ganz klar die Verbände und
außerparlamentarischen Gruppen wie NGOs. Wenn man sich dem bewußt
wird, so muß man auch ein Verständnis seiner eigenen
Oppositionsrolle, die man eben als Antifa spielt, entwickeln und sein
Verhältnis zur Politik dergestalt klären, ob man in der Bestimmung
von Radikalität bereit ist, auf Politik für die Kritik derselben zu
verzichten.
Kritik
Das negative Denken der Kritischen Theorie unterwirft sich einem Bilderverbot,
das davor hütet, die befreite Gesellschaft auszumalen, weil sie davon
ausgeht, daß es diesen transzendentalen Moment im Denken, der erlauben
würde, sich die befreite Gesellschaft konkret vorzustellen, nicht geben
kann.
Kritisches Denken hat außerdem Dialektik zur Voraussetzung, die im Sinne
der Kritischen Theorie keinen sicheren Standpunkt kennt und eine
unabgeschlossene (Horkheimer) ist. Materialistisch-dialektisches
Denken kennt keine historischen Gesetzmäßigkeiten der
Menschheitsentwicklung. Gesellschaftskritik ist im Zugang über Dialektik
verpflichtet, immer wieder genau empirisch zu schauen, welches Verhältnis
zwichen Wesen und Erscheinung besteht.
Das Falsche, einmal bestimmt und erkannt und präzisiert, (ist)
bereits Index des Richtigen, Besseren. (Adorno) Damit ist in einer
negativen Bestimmung benennbar, was einer befreiten Gesellschaft im Wege steht
und es beschreibt recht gut das Gundmuster negativen Denkens, wie es der
Kritischen Theorie zu Grunde liegt.
Die Linke hat gegen den bürgerlichen Zwang der Trennung von Hand- und
Kopfarbeit die Einheit von Theorie und Praxis in Stellung gebracht.
In dieser Konstellation kommt der Theorie die Funktion zu, die die Kritische
Theorie als sicheren Standort kritisiert, denn sie wird unter dem Diktat der
Einheit von Theorie und Praxis zum festen Standpunkt innerhalb der
Gesellschaft. So glaubt man, man könnte nichts mehr falsch machen, weil
man ja über die richtige Analyse verfüge so wird Kritik
identisch und harmonisch ohne Ecken und Kanten.
Theorie ist immer auch eine Form von Ideologie. Denn es geht ihr nicht in
erster Linie um Kritik, sondern um das Verstehen des Gegenstandes der Kritik.
Verständnis ist keine Vorleistung von Kritik, sondern ihr Endpunkt. Allein
in der dialektischen Betrachtung, im Zugang zum Gegenstand der Kritik, ist
Kritik kritisch, das heißt unversöhnlich mit ihrem Gegenstand.
Die Einheit von Theorie und Praxis ist immer der Sieg des Aktionismus. Die
Kronzeugin dieser Behauptung ist die linke Geschichte. Das plötzliche
Bedürfnis nach Theorie in der Antifa mahnt als solches an, daß es
nur um die Fortführung des Aktionismus mit veränderten Etiketten
geht: denn nach dem Spiel ist bekannlich vor dem Spiel.
Praxis allgemein ist sinnlich menschliche Tätigkeit. Wenn es aber um
politische Praxis geht, so läßt sich feststellen: Falsche
Praxis ist keine. (Adorno) Das Falsche, die bürgerliche
Gesellschaft, wird durch Praxis, die die Abschaffung des Falschen zum Ziel hat,
nicht abgeschafft und ist deshalb keine radikale Praxis, sondern ebenso
falsche.
Die Abschaffung dieser Gesellschaft ist und bleibt eine rein praktische Frage
und nichts weiter. Das aber legitimiert erst recht keine falsche Praxis, die
dieser Abschaffung objektiv entgegensteht.
Eine der Hautptkritiken der Kritischen Theorie an Praxis besteht darin,
daß sich richtiges Handeln nicht einfach daran bemessen lassen kann, was
nun mal augenscheinlich exisitiert, weil es nun mal da sei. Gemeint ist damit
die Verteidigung dialektischer Kritik vor dem reinen Gemurre über die
Erscheinung.
Kritik ist die gleichzeitige Aufhebung von Theorie und politischer Praxis.
Was sich als Grundlage für Kritik bestimmen ließe, wäre,
tatsächlich einen Begriff davon zu haben, was diese bürgerliche
Gesellschaft ist. Die Bewußtwerdung dessen erzeugt jenes Leiden an den
Verhältnissen, denen man letztendlich ohnmächtig ausgeliefert ist.
Das Leiden an dieser Ohnmacht als Produkt der Bewußtwerdung der
ganzen Scheiße (Marx) ist die Vorbedingung für Kritik.
Sich dieser Ohnmacht und dem Leiden bewußt zu stellen, versetzt in die
Lage von Leidenschaftlichkeit, bei der die Kritik der Kopf der
Leidenschaft (Marx) wird.
Das einzigste Mittel der Kritik ist die Agitation. Sie entledigt sich der
Propaganda als Ausdruck von Vermittlungswahn, als welcher sie immer
manipulatives Element ist.
An die Stelle der unsäglichen klassisch-linken Agit-Prop ist die
agitatorische Konfrontation der Menschen mit der Unfreiheit der
bürgerlichen Verhältnisse zu setzen. Daß man sich zum Leisten von Kritik oder zum Agitieren
zusammenschließt und organisiert ist begrüßenswert.
Voraussetzung aber dafür ist die Bewußtwerdung der eigenen Ohnmacht
und nicht etwa die Ablenkung von dieser Erkenntnis. Denn die fast
unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen noch von
der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen. (Adorno)
(Teil zwei erscheint in der nächsten Ausgabe des Cee Ieh)
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