Positionspapier der AG Kritik2 des
Bündnis gegen Rechts Leipzig zur Kritik der Antifa
Es gibt eine neue Mode auf dem Leipziger
Polit-Laufsteg: Mit guten, schlechten und oft gar keinen Argumenten wird die
Kritik, ja Ablehnung der Antifa betrieben. Nun ist auch noch die alte
Kaderleiche Antinationale Gruppe (ANG) aus der Versenkung aufgetaucht und hat
ihren Lieblingsfeind die Linke wiederentdeckt. Wie alle
Jubeljahre geht es ihr auch diesmal darum, den richtigen Maßstab für
wirklich radikales Linkssein festzulegen. Anstatt aus alten Fehlern zu lernen
und auf eine konstruktive Diskussion um die richtige Politik zu setzen,
scheitert man jedoch zum frühstmöglichen Zeitpunkt an der
Unfähigkeit, den eigenen Standpunkt verständlich zu vermitteln und
darüberhinaus noch an einigem mehr. Das BgR möchte dem vermeintlichen
Anliegen der ANG helfen, bevor sie wieder in den nächsten
Wahrnehmbarkeitsschatten tritt.
Die Zwielichtigkeit der Politik
Es ist ein großer Verdienst der Antifa, daß sie in den letzten zehn
Jahren die Wahrnehmbarkeit einer linksradikalen Position aufrechterhalten hat.
Dies gelang ihr durch eine kontinuierliche Praxis, d.h. Demonstrationen,
Kongresse, militante Aktionen, usw., die nicht nur für die jeweiligen
Ziele, sondern auch immer ganz allgemein für die Möglichkeit, links
zu werden, stand und steht. Im Unterschied zu Zeitschriftenprojekten und linken
Diskussionszirkeln gelang es der Antifa, wenn auch nur als
Jugendbewegung, vorher noch nicht oder anders festgelegten Menschen ein linkes
Bewußtsein nahe zu bringen. Auch innerhalb des Konzepts
Antifa gibt es seit Jahren eine Menge verschiedener Spielarten,
dies hat jüngst der Kongreß in Göttingen bestätigt.
Gemeinsam war und ist ihnen aber, daß sie von ihrem Anspruch her auf eine
fundamentale Gesellschaftskritik zielen. Allerdings blieb diese Perspektive oft
nur auf Verbalradikalismus beschränkt und die Praxis vieler Gruppen
richtete sich in erster Linie nur gegen Nazis. Daß trotz
einer solchen einseitigen Ausrichtung der linksradikale Anspruch nicht
völlig auf der Strecke bleiben muß, zeigte der Umgang mit
kämpferischen Aktionsformen, die das staatliche Gewalt- und Politikmonopol
negierten. Nazis auch ohne verfassungsmäßiger Legitimation mit
Gewalt entgegenzutreten, das markiert bis heute den formalen Aspekt eines
Politikverständnisses, welches weder vom Staat noch vom
zivilgesellschaftlichen Verbalaktivismus einfach so zu schlucken ist.
Allerdings läßt sich dieser Unterschied heute weit weniger klar
öffentlich darstellen, als daß vor einem Jahr noch der Fall war. Gab
es früher bei den Verhinderungsversuchen von Naziaufmärschen Rabauz,
nutzten dies Medien und Behörden eifrig zur Diskreditierung des
antifaschistischen Widerstandes, machten so aber die Polarisierung der
verschiedenen Politikformen mit. Die Antifa ließ sich so außerhalb
eines gesellschaftlichen Konsens als das Böse verorten, was
ihr neben Repression und Abwehr eben auch die Möglichkeit einbrachte, als
Ausgangspunkt für radikale Gesellschaftskritik bemerkbar zu sein. Derzeit
schützt selbst ein antifaschistischer Riot kaum vor demokratischen
Umarmungsversuchen. Dazu kommt die Einschränkung, daß auch eine
bürgerliche Gesellschaft durchaus mit militanten Politikformen von unten
umzugehen versteht. In Folge der 68er und der Neuen Sozialen Bewegungen
produzierten die auf dem Marsch befindlichen Intellektuellen massenweise
Legitimationsstudien, die den Bürgern ein Widerstandsrecht
einräumten, was eben auch mal handfest und gegen den Staat daherkommen
kann. Eine Idee, welche wiederum auf eine viel ältere liberale Tradition
zurückgreift. Militanz alleine, bzw. nur auf einen thematischen
Notwehraspekt beschränkte Gewalt (Bsp.: Das Atomkraftwerk
zerstört mein Gemüse, da kann ich gar nicht mehr ruhig leben, also
darf ich Polizisten hauen.), läßt sich also notfalls auch
demokratisieren. Nur durch den Aspekt der fundamentalen Kritik läßt
sich hier gegensteuern.
Zur Militanz und der grundsätzlichen Gesellschaftskritik gehört als
dritte Säule eines linksradikalen Politikbegriffs die unabhängige
Organisation. In bewußter Abgrenzung zu staatlichen Parteien und
quasi-staatlichen Vereinen, die auf die Vertretung, Vermittlung, Aushandlung
von Interessen und auf die Teilhabe an der Macht setzen, heißt linke
Organisierung, sei es in der Gruppe oder in bundesweiten
Zusammenschlüssen, der Gesellschaftskritik eine Basis, einen
wahrnehmbaren, also anschlußfähigen Ausgangspunkt zu geben.
Im Bewußtsein der Tradition der Autonomen, die sich sowohl von den
K-Gruppen und linken Parteien abgrenzten als auch die systemimmanente
Entwicklung der Neuen Sozialen Bewegungen, insbesonders der Grünen vor
Augen hatten, verinnerlichte die Antifa einen ausgesprochenen Skeptizismus
gegenüber bürgerlichen Politikformen. Dabei bezog sich die Ablehnung,
die nicht selten übertriebene Ausformungen annahm, besonders auf
parlamentarische und institutionelle Varianten demokratischer Politik.
Daß auch soziale Protestpotentiale das demokratische System stützen,
ja besonders legitimieren können, wurde erst später, allerdings nun
auch schon wieder vor Jahren bedacht. (Vgl. Texte der Autonomen LUPUS-Gruppe
von 1991, in: Schultze/Gross: Die Autonomen, Hamburg 1997, S. 90)
Die Fähigkeit kapitalistischer Gesellschaften, politische Strömungen,
die sich an einem gesellschaftlichem Widerspruch organisieren, für die
eigene Überlebensfähigkeit zu nutzen, ja aus den diesbezüglichen
Konflikten moderner hervorzugehen, führte schon vor 10 Jahren in
Antifa-Kreisen zu einer Diskussion um die richtige linksradikale Praxis. Gerade
daraus folgten dann aktive und symbolische Militanz und der Anspruch, die
generelle Kritik an der Gesellschaft immer mit zu benennen, sowie der Bezug auf
eine linksradikale Bewegung, die mehr will als nur einen gesellschaftlichen
Bereich zu reformieren. Selbst eine Gruppe wie das BgR, die Ost-traumatisiert
und deswegen leicht antikommunistisch von der damals üblichen
verkürzten Kapitalismuskritik vorerst wenig hören wollte, ging es in
der Praxis nicht um Partizipation und Reformismus. Und von Anfang an
beschäftigte man sich mit der Frage, inwiefern die eigenen Politik
für das Bild eines besseren Deutschland instrumentalisierbar ist. In der
kompromißlosen Negation von Rassismus und nationaler Vergesellschaftung
und in der Anstachelung zum Verbrechen sah man am Anfang einen praktizierbaren
Ausweg. Mittlerweile wird auch bei uns die Diskussion geführt, wie die
linksradikale Politik auf eine noch breitere inhaltliche Basis gestellt werden
und wie eine fundamentale Gesellschaftskritik ausgedrückt werden kann.
Symbolische Orte, praktische Kritik
Dieser kleine Abriß zeigt zumindest, daß seitens der Antifa ein
Problembewußtsein für die Kritik der Politik durchaus vorhanden ist.
Sicher bestehen Gruppen wie das BgR auch noch weiterhin darauf, konkrete Themen
aufzugreifen. Ja sie können sich gar über die kleinen Erfolge im
Konkreten freuen, weil die der Politik mehr als das autistische Wiederholen der
grundsätzlichen Kritik eine emotionale Note verleihen können. Als am
1. Mai 1998 das Anliegen der Nazis, sich der Mehrheitsbevölkerung als
ordentliche rassistische Avantgarde zu empfehlen, durch die linken Krawalle
verhindert wurde, hatten tausende Antifas einen schönen Tag. Die NPD
zoffte sich in Folge darüber, ob zentrale, bundesweit organisierte
Aufmärsche noch einen Sinn machen und verwarf schließlich dieses
Konzept. Das Ende der Nazibewegung bedeutete dies nicht. Daß nach linken
Protesten eine Überwachungskamera abgebaut wurde, war gut, weil auch dies
den Leuten ein Gefühl von Wirksamkeit vermittelte. Es war nicht der Sieg
über die Überwachungsgesellschaft. Wenn am 1. Mai in Berlin mal die
anderen rennen, ist das sehr amüsant, auch wenn damit noch lange nicht das
System erzittert.
Sicher, indem man sich auch konkrete Ziele auf die Fahnen schreibt, indem man
sich organisiert und auf politische Erfolge setzt, handeln auch Linksradikale
nach rationalen Gesichtspunkten. Ja selbst Leistungsdenken hält Einzug in
linke Politik, obwohl man doch eigentlich für den jederzeit möglichen
Müßiggang kämpft. Doch wie heißt es so schön bei
unserer Elterngeneration: Von nichts wird nichts! Und so ist auch die Linke auf
Tätigkeit angewiesen, die wegen ihres Zieles sich schon im hier und jetzt
von bürgerlicher Rationalität unterscheidet, weil sie auf ihre
Überwindung zielt. Nichtsdestotrotz muß auch die politische
Tätigkeit kritisch auf ihre Parallelität zum gesellschaftlich
vermittelten Leistungsdruck reflektiert werden. Wenn dieser Widerspruch
allerdings durch Nichtstun oder auschließliches mal drüber
reden aufgelöst wird, dann ist er wirklich systemimmanent
geglättet. Die von der ANG allenthalben betonte Zwanghaftigkeit
bürgerlicher Rationalität und Vernunft (siehe
Veranstaltungsankündigung) über den Unterschied zwischen
Vernunft und Vernunft müssen wir noch nachdenken hat zwar einen
richtigen Aspekt, führt aber trotzdem in die Irre. Wer sich ständig
die banale Einsicht vor Augen hält, daß der Mensch überall von
den Verhältnissen umzingelt ist, und daraus ableitet, daß nichts zu
machen ist, der gleicht einem Trotzkopf, der sich aus Unzufriedenheit mit der
Welt in seinen vier Wänden einschließt und aus
Sicherheitsgründen den Schlüssel verschluckt. Einen Ausweg findet man
so nicht. Es sei denn mit Meditation. Das BgR steht da nicht drauf und probiert
anderes.
Anhand des bundesdeutschen Abschottungs- und Abschiebesystems und der
gegenwärtigen Harmonisierung der europäischen Flüchtlings- und
Asylpolitik läßt sich eine Kritik an der rassistischen Weltordnung
und der Einteilung der Menschen nach ökonomischen Nützlichkeits- und
ideologischen Abgrenzungserwägungen entfalten. Ein sichtbarer
Aufhänger, ein konkreter Ort und /oder eine laufende Debatte
ermöglichen es dabei, daß eine linke Position, z.B. Grenzen
auf für alle überhaupt wahrnehmbar wird. Der symbolische Aspekt
linksradikaler Politik, der, um am Beispiel zu bleiben, in der sichtbaren und
medial interessanten Konfrontation mit einer Abschiebeinstitution und den sie
schützenden Beamten liegen kann, ist angesichts einer fehlenden
Gesellschaftsutopie, für die jeden Tag die Massen auf die Straße
gehen, derzeit unverzichtbar. Alternative dazu wäre zufriedene
Selbstbeweihräucherung oder zänkisches Pissnelkenverhalten innerhalb
linker Zusammenhänge oder aber sektenähnliche Agitationspolitik
á la Mormonen vor der Wohnungstür. Alle drei Varianten haben eine
linke Tradition und auch, wenn zumindest die zweite manchem Spinner als
sinnliche Erfahrung zu wünschen ist, im Sinne politischer
Erfolgserwägungen kann eigentlich vor beidem nur gewarnt werden.
Natürlich verbindet sich mit dem Ansatz, konkrete Verhältnisse in der
Gesellschaft auf- oder besser anzugreifen, ein Problem. Wer konzentriert auf
ein Themenfeld konkrete Forderungen stellt, muß mit ihrer eventuellen
Erfüllung umzugehen wissen. Für Linke in letzter Zeit ein eher
seltenes Vergnügen. Historisch sind Arbeiter- und Ökologiebewegung an
der positiven Aufnahme ihrer Forderungen gescheitert, weil es sie dazu
verführte, ihre grundsätzliche Gesellschaftskritik aufzugeben. Gerade
angesichts dieser Erfahrung darf eine Linke ihre grundsätzliche Kritik
nicht hinter ihre konkreten Forderungen zurückstellen und, sollten sich
die Kräfteverhältnisse irgendwann ändern, sich schon mit der
Verbesserungen gesellschaftlicher Teilbereiche zufriedengeben.
Die Politik der Kritikfraktion, die Antifa per Definition als pseudorebellisch
und zwangsläufig systemimmanent darzustellen, muß derzeit noch als
denunziatorisch abgetan werden. Sowohl die inhaltliche als auch die formale
Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen Politik wird nicht zur Kenntnis
genommen. Der linksradikale Anspruch der Antifa, Gesellschaftskritik am
Bestehenden und an konkreten Orten zu entfalten, wird im großen
Analysebrei bürgerliche Gesellschaft gleichgemacht. Und das,
obwohl doch der totalitäre Charakter der Analyse seitens der kritischen
KritikerInnen die Position des erkennenden Küchenmeisters gar nicht zu
läßt.
Völlig unklar ist bis zum jetzigen Zeitpunkt, wie das Anliegen, selber
radikale Gesellschaftskritik zu betreiben, in die Praxis umgesetzt werden soll.
Auch mit dem verbalradikalen Beharren, man selber mache keine Politik, sondern
betreibe grundsätzliche Kritik, kann eine kapitalistische Gesellschaft
prima umgehen. Früher wurde so etwas in jedem zweiten Proseminar an den
Universitäten geübt. Ach wie freuten sich die ProfessorInnen, wenn
mal wieder jemand eine so schön kontroverse Meinung hatte, über die
sich so trefflich streiten ließ. Das Konzept Laberrababer
wird dieser Gesellschaft nicht gefährlich werden. Es endet entweder an der
Uni oder wird zum Fall für die Religionssoziologie. Auch eine
grundsätzliche Kritik an der Gesellschaft muß praktisch werden, wenn
sie etwas bewirken will. Sie muß sich organisieren, um sichtbar zu sein
und anderen das Zustimmen zu ermöglichen. Sie muß die Gesellschaft,
so wie sie sich konkret darstellt, als Ausgangspunkt benutzen, um eine
grundsätzliche Kritik entfalten und anderen vermitteln zu können. Sie
muß darauf bauen, auf dem Grad zwischen Anbiederung und Polarisierung,
ein Mehrwerden zu erreichen, welches irgendwann, so die Utopie, diese
Gesellschaft umwälzen kann. Dieses Tun läßt sich dann benennen,
wie man es gerne hätte. Ob es nun Politik heißt oder Kritik, oder
vielleicht auch Rambazamba ist Schnurz wie Piepe. Wenn die Kritik nicht in
akademischen Diskursen verharren soll, sondern das Bestehende kaputt machen,
dann treffen sich die Politikansätze einer linksradikalen Bewegung und
ihrer besonders kritischen Strömung.
Läßt sich darüber also halbwegs Einigkeit herstellen, erweist
sich der Streit zu einem großen Teil als Wortklauberei, ist somit zu
beenden und die Suche nach gemeinsamen Praxisformen sollte in Zukunft im
Mittelpunkt stehen.
Der Geist in der Flasche
Der Eifer, mit denen die ANG derzeit versucht, die Antifa als
Modernisierungsfaktor zu beschreiben, der sich dem Kapital
anbiedert, versucht sich eine möglichst profund aussehende
theoretische Basis zu schaffen. Schon immer gab es bei dem Versuch, die Welt zu
begreifen, die Tendenz zu vereinfachen. Was derzeit aber in der Linken,
zunehmend bei frustrierten Ex-Antifas, an Attraktivität gewinnt, gleicht
intellektueller Selbstbeschränkung. Auf der Suche nach einer Theorie,
welche die Welt in ihrem ganzen Ausmaß erklärt, nach einem Prinzip,
welches alle gesellschaftlichen Erscheinungen produziert, fand die ANG den
Wert. Die Wert- und Warenförmigkeit der Gesellschaft, ein zweifelsohne
nicht zu leugnende Konstante kapitalistischer, ja sogar vorkapitalistischer
Gesellschaften, wird zur zentralen gesellschaftlichen Grundstruktur
erklärt, die alle Übel hervorbringt. Allerdings sind die dann
irgendwie nur scheinbar. Ob Faschismus, Sexismus, Antisemitismus oder
Rassismus, eigentlich teilt der Wert die Menschen alle gleich nach wert- oder
unwert für die kapitalistische Produktion ein. Die Ideologeme der
Ungleichheit haben dann nur noch sekundären und funktionalistischen
Charakter. Ihre als Erscheinungsweise erklärte Existenz läßt
nicht nur sie, sondern auch die Politik dagegen als lächerliches
Unterfangen dastehen. Mal abgesehen von der Frage, wie man ein globales
Abstraktum bekämpft, außer es im Konkreten nachzuweisen und die
Politik dagegen zu organisieren, fällt bei solcher Art theoretischem Dogma
auch eine Menge Erkenntnisfähigkeit unter den Tisch. Wenn die Wert- und
Warenförmigkeit das zentrale Gesellschaftsprinzip ist, leben wir also seit
tausenden Jahren in der selben Gesellschaft. Wahrscheinlich wird dann
geantwortet, daß die Totalität der Wert- und Warenverhältnisse
sich erst mit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft durchsetzte.
Wir leben also erst seit etwa 300 Jahren in den selben Verhältnissen. Wenn
diese Verhältnisse aber so gleich und total sind, warum führen sie
dann zu so unterschiedlichen Ausprägungen wie Nationalsozialismus und
Demokratie? Wie kommt es dann überhaupt, daß manche RassistInnen
sind, andere aber AntirassistInnen, vielleicht gar Linke? Wie ist eigentlich
kritisches Denken möglich, wenn uns der Wert alle im Würgegriff hat.
Das vereinfachende Weltbild, welches sich die ANG wohl mittlerweile zu eigen
macht, verführt zu kruden Schlüssen. Statt gesellschaftliche
Verhältnisse zu bedenken, verfällt man in instrumentelle
Interpretationen. Der auferlegte Zwang, auch noch den kleinsten Furz als
Ausdruck des Kapitals und seines Staates zu riechen, macht Gesellschaftsanalyse
zum Unterricht in der Baumschule: Wenn die Antifa in der Krise ist, dann kann
dies nur daran liegen, daß der Staat sie nicht mehr braucht, so die
ANG-Argumentation in ihrem Veranstaltungstext. Daß der Staat gerade jetzt
die Antifa benötigt, wo er die Zivilgesellschaft ausruft, um dann
beispielsweise in Sebnitz zu bemerken, daß es keine gibt, daß
gerade deshalb jetzt Antifa-Gruppen, die es mit sich machen lassen, hofiert
werden, ja vielleicht sogar mal das Fernsehen anklopft, passt da nicht ins
Raster.
Logisch, daß jemand, der sich selbst mit Blindheit schlägt, es nicht
ertragen kann, wenn andere sich um mehr Weitblick bemühen. So legt man der
Linken ein Entgiftungsprogramm nahe, will ihr postmodernes
Gesülze (Zitate siehe Ankündigungstext) austreiben, lehnt die
Triple Opression-Theorie mit dem Argument ab, daß man sie ablehnt und
bekommt Krampfadern, wenn jemand sich die Analyse von Diskursen nicht verbieten
läßt. Fragwürdig nur, warum man ein Theoriegebäude zum
Maßstab alles Linksseins erhebt, um dann andererseits in Texten und auf
Veranstaltungen zu betonen, daß ein Irrtum leider nicht ausgeschlossen
werden kann. Pessimisten könnten darin die Androhung des nächsten
Kreuzzuges unter anderen Vorzeichen vermuten. Für Optimisten ein Zeichen,
daß über die Gesellschaftsanalyse noch gestritten werden kann.
Bei der ANG erscheint sie derzeit als theoretisches Dogma, weshalb sie die Welt
nur noch als Marionettentheater sieht. Kritik läßt sie nur noch an
der halluzinierten apersonalen Strippenzieherin, der Selbstverwertung des
Werts bzw. dem automatischem Subjekt zu. Der Ansatz von uns,
Gesellschaft als Verhältnis zu begreifen, welches von handlungs- und
denkfähigen Menschen, von ideologischen und ökonomischen Strukturen
bestimmt ist, ohne, daß sich das eine immer einfach aus dem anderen
ableiten läßt, muß da bitter aufstoßen. Also hetzt man
die ganze Zeit gegen den Ansatz des BgR, linksradikale Politik an
gesellschaftlichen Widersprüchen zu entfalten, die man sich selber
verbietet zu sehen. Aber stehen nicht beispielsweise Nazis, RassistInnen,
SexistInnen im Gegensatz zu AntifaschistInnen, AntirassistInnen,
AntisexistInnen? Sicher ist dies ein Widerspruchsdenken auf einer sehr
offensichtlichen gesellschaftlichen Ebene, aber nimmt nicht
ausschließlich hier über anfängliche Empörung und
Betroffenheit die Bildung linken Bewußtseins ihren Lauf?
Doch auch im abstrakteren Sinne läßt sich der von der Kritikfraktion
geleugnete Konfliktstoff, für den Nazis in der kapitalistischen
Gesellschaft derzeit stehen, begreifen. Sie bzw. die von ihnen am radikalsten
vertretenen Ideologeme der Ungleichheit konterkarieren die
Gleichheitsversprechen der bürgerlichen Demokratie, weswegen sich an ihnen
auch immer wieder gesellschaftliche Auseinandersetzungen entzünden
können. Wenn das geschieht, wenn also Menschen über die Art ihres
Zusammenlebens nachdenken und diese sozusagen öffentlich verhandeln, dann
läßt sich daran eine linksradikale Position entfalten und
transparent machen. Diese darf nicht auf eine Verteidigung liberaler Freiheiten
hinauslaufen, sondern muß darauf zielen, diese
Ungleichheitsverhältnisse rigoros abzuschaffen. Da eine bürgerliche
Gesellschaft aber von Herrschaft und Ungleichheit durchzogen ist, da sich in
ihr Unterdrückungsverhältnisse gegenseitig bedingen, läuft
linksradikale Politik am konkreten Widerspruch auf eine grundsätzliche
Kritik der Gesellschaft hinaus.
Grundsätzliche Kritik heißt aber nicht, nur über ein zentrales
Prinzip oder in unserem Falle ein Netz von Strukturen aufzuklären, welches
man hinter der materiellen Welt vermutet. Der gegenwärtig propagierte
Nützlichkeitsrassismus, der Nicht-Deutsche nach ihrem Wert für die
hiesige Industrie beurteilt und hierarchisiert, zeigt, daß eine strikte
Trennung zwischen einer konkreten, erfahrbaren Wirklichkeit und abstrakten
nicht erfahrbaren Prinzipien wenig Sinn macht. Was jetzt nicht heißen
soll, daß Gesellschaftsanalyse auf Abstraktionen und theoretische Modelle
verzichten soll. So lange diese uns die Wirklichkeit erklären helfen, an
statt sie zu mystifizieren und so lange dadurch Ansatzpunkte aufgezeigt werden,
wie diese Wirklichkeit zu ändern ist, sind Modelle und Abstraktionen sehr
sinnvoll. Ein Erklärungsansatz, der in der banalen Nullaussage endet,
daß nicht nur hinter dem Faschismus, sondern auch hinter dem
Antifaschismus das Kapital steht, hilft dabei nicht sonderlich weiter.
Heißt dies nun, daß antifaschistische Praxis sich nicht lohnt, weil
sie doch nur die bürgerliche Gesellschaft reproduziert? Heißt dies
letztendlich nicht: Nationalsozialismus, normaler Kapitalismus alles
eine Soße? Wer die Welt wegen ihres Wesens als
unveränderliche abstrakte Größe begreifen will,
gerät in die Gefahr, bald nichts mehr zu begreifen. Ob Vernichtung der
Juden oder ihre staatsgewordene Rettung, ob Links oder Rechts, die Wege des
Werts sind unergründlich. Bei allem Verständnis an einer Kritik
linker Teilbereichspolitik, die das Ganze oft aus den Augen verlor,
die auch heute noch Probleme hat, den Zusammenhang sich reproduzierender
Verhältnisse im Kapitalismus zu benennen, muß hier für eine
differenziertere Analyse plädiert werden. Daß die sich nicht ganz so
einfach auswendig lernen läßt, liegt in der Natur der Sache.
Daß das BgR bisher nicht mit einer alternativen Analyse überzeugen
konnte, ist ein hausgemachtes Problem. Unsere Beschäftigung mit dem
Phänomen Kapitalismus ist noch jung. Die Entstehungsgeschichte
des BgR war vom Kampf um die Zurückdrängung der Nazidominanz
geprägt. Die Gruppe entwickelte aus dieser Perspektive eine
Verständnis vom rassistischen und nationalistischen Konsens in
Deutschland. Die damals, Mitte der 90er, auf dem Markt befindlichen
kapitalismuskritischen Ansätze, halfen nicht nur nicht bei der
Erklärung dieser Zustände, sie beschönigten diese teilweise
noch, da sie Rassismus als revoltenhaften Ausdruck sozial Deklassierter im
Kapitalismus interpretierten. Die daraus folgende Ignoranz gegenüber der
Weiterentwicklung kapitalismuskritischer Ansätze, merkt man uns bis heute
an. Daß ist kein befriedigender Zustand, ganz im Gegenteil. Es ist aber
auch kein Grund, auf dem Markt der linken Theorien dem jeweils lautesten
Handverkäufer fürderhin als Messias hinterherzulaufen. In diesem
Sinne heißt unser Motto: Diskussion ohne Eifer.
Auch wenn der weltweite Sieg des Kapitalismus einen totalitären Anspruch
transportiert, macht es doch keinen Sinn, sich vor diesem zu ergeben und die
Konflikte, die innerhalb der kapitalistischen Gesellschaften und zwischen ihnen
entstehen als Ansatzpunkte für Kritik und Politisierung zu ignorieren. So
wie die imperialistische Konkurrenz gegensätzliche Interessen,
militärische Strukturen, diplomatische und heiße Kriege
hervorbringt, so kann der selbe Kapitalismus auch den Gegensatz zwischen
völkischem Rassismus und Nützlichkeitsrassismus produzieren.
Widersprüche aufgreifen, heißt für uns also gesellschaftliche
Konfliktpotentiale suchen, an denen sich eine linksradikale Position entwickeln
und verdeutlichen läßt. Das heißt nicht, daß solch ein
Konflikt schon die Sprengkraft des Systemumsturzes bzw. vorbestimmte politische
Subjekte in sich trägt.
Der Ton macht die Musik
Es gäbe schon einigen Anlaß, mit harten Worten auf das zu reagieren,
was in den letzten Monaten in Leipzig mit dem euphemistischen Titel
Kritik der Antifa daherkommt.
Da erklärt beispielsweise die ANG das Konzept Antifa in der
Einladung zu einer Veranstaltung zum großen
Radikalinski-Schwindel (siehe Veranstaltungsankündigung), geht
also davon aus, die Antifa locke ihre Schäfchen
wider besseren Wissens in die System-Falle. Man möchte also nicht
über einen vermeintlichen konzeptionellen Irrtum aufklären, sondern
suggerieren, daß einige Antifa-Strategen das Handwerk des Staates
besorgen, indem sie den Leuten radikale Opposition zum Bestehenden versprechen,
eigentlich aber nur an einer beschaulichen Zivilgesellschaft interessiert sind.
Also ganz hinterhältige StrippenzieherInnen, diese Antifas. Schwer zu
glauben, daß die ANG, einst eifrigster Warner vor
Verschwörungstheorien, nun selbst an solche glaubt. Es deutet aber noch
mehr auf eine hoffentlich nicht ansteckende Regression des Bewußtseins
hin.
So finden wir im Veranstaltungsaufruf neben vielen anderen auch folgenden
verwirrenden Satz: Das Ende des autonomen Antifaschismus, dem nichts,
aber auch gar nichts zur Ehrenrettung gereichen kann, ist nur Ausdruck davon,
daß das Kapital und der Staat die autonome Antifa nicht mehr als
Modernisierungsfaktor benötigen. Schon die Verwendung des Begriffs
Ehre wirkt befremdlich. Schließen wir mal freundlich daraus,
daß sich die AutorInnen nicht duellieren, sondern uns schlicht und
einfach sagen wollen, daß die Antifa der letzten Jahre einfach nur
Scheiße war. Sie sagen so etwas im Nachfolgestaat des
Nationalsozialismus, im Land der Täter und ihrer Nachfolgegeneration. Sie
sagen dies auch im Wissen, daß der autonome Antifa-Ansatz die linke
Reaktion auf rassistische Pogromwellen, Angriffe gegen linke Projekte, Punks
etc. und angesichts eines völkischen Wiedervereinigungsprojektes, welches
eben auch deutlich auf mehr als nur einer historischen Kontinuität
aufbaute, war. Und sie sagen dies angesichts eines existenten rassistischen
Konsens, einer starken rechten Jugendbewegung und angesichts eines deutschen
Griffs nach der Weltmacht inklusive Angriffskriege und entsprechender
geschichtspolitischer Debatten. Würde man mit gleichen denunziatorischen
Mitteln zurückschlagen, so könnte man darin einen NPD-Aufnahmeantrag
vermuten. Wir tun es nicht. Wir wollen nur darauf hinweisen, daß es das
eine ist, die Antifa zu kritisieren. Zumal es ein leichtes ist, ihr
vorzuwerfen, daß sie ihr Ziel, die Gesellschaft nicht grundsätzlich
umzuwälzen und sie so einzurichten, daß Faschismus und
Nationalsozialismus jeglicher Grundlagen beraubt sind, bis heute nicht erreicht
hat. Hier läßt sich schnell auf ein profanes ja einigen.
Und schon ist man bei der Frage, wie es besser gemacht werden kann. Eine Frage,
die in der hiesigen Szene sowohl bei alten frustrierten Linken als auch bei
einigen leidenschaftslosen Junglinken als unschick gilt. Wer aber der
antifaschistischen Politik der letzten Jahre die Relevanz absprechen will, der
argumentiert historisch doppelt fahrlässig. Denn nicht nur die Bedeutung
der Antifa als organisatorischer Rettungsanker einer radikalen Linken, in der
die Idee der emanzipierten Gesellschaft aufgehoben und weitergetragen wird,
ignoriert man mit solchem Gequatsche, sondern man leugnet die besonderen
Anforderungen an eine Linke nach Auschwitz. Daß ausgerechnet diejenigen,
denen ansonsten kein Zitat des ausgewiesenen Zivilgesellschafters Adorno zu
schade ist, dem von ihm formulierten (und gelebten) antifaschistischen
Imperativ eine Abfuhr erteilen, ist schwer verständlich. Oder meinen sie
gar nicht, was sie schreiben? Aber warum schreiben sie dann nicht, was sie
meinen?
Apropo Adorno, apropo Verständlichkeit. Wie auch über den rüden
Ton und die maßlosen Unterstellungen, könnte man auch über die
peinliche Zitatenhuberei lachen. Das erste was die Artikelserie Kritik
der Antifa im NewsFlyer offenbart, ist ein riesiger
bildungsbürgerlicher Komplex. Die Ahnung, was mit diesem
Gestammel (Bahamas) inhaltlich gemeint sein könnte, kommt erst
später. Doch die Lacher bleiben einem im Halse stecken, bedenkt man,
daß die postmoderne Aufhebung des Autorenprinzips vielleicht bei anderen
Leuten ebensolche Gedankenlosigkeit auslösen wird, die sich nur noch
hinter großen und kleinen Namen zu verstecken weiß. Gab es
früher in Leipzig Linke, die den Leuten mit der Forderung nach
Action, Action, Action als maßgebliches Credo des Linksseins
auf die Nerven gingen, signalisieren heute schizophrenerweise die selben
Personen, daß nur eine ausgiebige Lektüre einer nach oben offenen
Standardwerkzahl die Legitimation für das politische Handeln bietet. Das
Streben nach einem linken Jugendzentrum zählt diesen Leuten, die
früher am liebsten auch noch einen Tag nach Demoende mit der roten Fahne
um die Häuser gezogen wären, als Ausdruck von dümmlicher
Praxisbezogenheit. Daß in einer linken Szene (-Zeitschrift) der
bürgerliche Zwang des Nachweises von Bildung und Wissenschaftlichkeit eine
linke Entsprechung erhält, ist das eine. Das andere wäre eine
Diskussion über den Umgang mit dem Theorie- und Wissensfundus der Linken
jenseits von Zwanghaftigkeit, Klugscheißertum und dem Aufbau von
Handlungsschranken.
Das stilistisches Bemühen der ANG und ihres Ralfs, sei es nun
mittels wirrer Texte oder dem Kasperletheater auf dem Antifa-Kongreß,
muß noch unter einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Denn es hat
ja als Ziel nicht nur die Provokation oder ist daneben bloß noch Ausdruck
von Distinktion. Es gilt weniger dem Adressaten der Kritik, sondern soll
vielmehr dem Absender etwas mehr Gewißheit geben. Die Autorität der
großen Namen und die große Schnauze übertünchen die
eigenen Zweifel, die man haben muß, wenn von heute auf morgen bei
einigen mit mittlerweile erstaunlicher Virtuosität die politische
Position gewendet wird. Das erzeugt dann zwangsläufig
Unglaubwürdigkeit und den Eindruck, man verfolge die Fahrten einer
Positions-Achterbahn, wenn die Kritik von der eigenen Person, der eigenen
politischen Antifa-Laufbahn abgespalten wird, um das eben noch voller Inbrunst
vorgetragene Glaubensbekenntnis nun als das Schwachsinnigste der Welt
erklären zu können. Problematisch ist dies besonders deshalb, weil
damit auf der kleinsten Ebene immer wieder linke Abgrenzungsmanie eingeübt
wird. Mit einer Streitkultur, die den linken Anspruch der anderen ernst nimmt,
hat das nichts zu tun, was aber Leuten, denen es außer ums Rechthaben, um
nichts mehr geht, eh egal sein dürfte.
Ohnehin mutet es eigentümlich an, warum eine Gruppe, wie die ANG, die so
ungefähr die letzten 5 Jahre das beschauliche Dasein eines
Café-Kränzchen geführt hat, jedenfalls mit ihrer
Gesellschaftskritik nicht besonders wahrnehmbar war, in schlafwandlerischer
Sicherheit die Rest-Bewegungslinke als ihren Hauptfeind entdeckt. Daß
auch einige Mitglieder der Roten Antifaschistischen Aktion Leipzig (RAAL) beim
Dissing mittun, erklärt sich dann nur noch über deren
unbefriedigendes Gefühl, was man wohl haben muß, wenn die am besten
vorbereitete Aktion die Selbstauflösung ist. Aber wie radikal ist jemand,
dessen Radikalität, die nun wirklich richtig linksradikale, ach nein,
kommunistische Gesellschaftskritik, nur bis zur örtlichen Antifa und
linken Szene reicht? So erweist sich der hehre Anspruch, die Gesellschaft als
Ganzes zu kritisieren, in der Realität als verkümmert, als einfach
schlechte Laune. Man möchte den Leipziger ProtagonistInnen der
Kritik-Fraktion ein ums andere mal zurufen, geht doch nach Schwedt und betreibt
dort frei von einer konkurrierenden Linken kommunistische
Gesellschaftskritik. In der Art wie die Kritik derzeit jedenfalls
vorgetragen wird, erscheint sie nur als billige Miesepeterei, die nicht die
Gesellschaft, sondern nur ihre Linke als Feindbild bearbeitet. Da man
wahrscheinlich im Unterbewußtsein mit dem Widerspruch zwischen eigenem
politischem Umfeld und Lebenspraxis sowie dem eigentlichen Interventionsziel
nicht zu recht kommt, erscheint diese Linke dann auch wahlweise als
wirkungsmächtiger und quicklebendiger Erfüllungsgehilfe von Staat und
Kapital, was sie nicht davor schützt, schon im selben Text als mausetot
erklärt zu werden.
Schon die formale Vorgehensweise der Leipziger Kritik-Fraktion erzeugt neben
schlechter Stimmung also eine ganze Menge Verwirrung. Der instrumentelle statt
selbstkritisch-analytische Umgang mit der Linken deutet daraufhin, daß
auch sonst einiges durcheinander geht. Oder anders gesagt: Unser linkes
Grundwissen von der dialektischen Einheit von Form und Inhalt, läßt
Böses erahnen.
Politik der Befreiung oder Befreiung als Schicksal
Was für einen Sinn macht die Betonung der Totalität der Gesellschaft,
wenn man doch selbst eine kritische Subjektposition einnehmen kann? Ist die
eigene politische Sozialisation nicht Hinweis darauf, wie eine linke
Perspektive aussehen kann? Der Ausweg der Kritikfraktion bleibt bis jetzt im
Dunkeln? Kein Wunder, da man sich ja, wenn der Wert die totale Systemimmanenz
produziert und alles Denken und Handeln nur sein kapitalismusfördernder
Ausdruck ist, das eigene Dasein nur als Gottes Wille erklären kann.
Wie aber soll dann eine gesellschaftliche Veränderung, wie der Umsturz der
Verhältnisse funktionieren, wenn es aus dieser Totalität kein
Entrinnen gibt? Müssen wir also, wie einst die deutsche Sozialdemokratie
auf den großen Kladderadatsch warten, der nicht kam? Wir wollen nicht
schicksalsergeben auf gesellschaftliche Veränderung hoffen, uns nebenbei
die lange Weile mit Theorie und gegenseitigem Angepisse vertreiben. Daß
bringt uns vielleicht dem eigenen aber nicht dem großen Zusammenbruch
näher. Wir wollen eine linksradikale Bewegung organisieren, die das
Potential der Umwälzung in sich trägt. Natürlich hegen wir
gegenwärtig keine revolutionären Blütenträume und wer sie
heute vor sich herträgt, wird nicht lange auf das Frustrationspotential
warten müssen. Auch jenseits von sprudelndem Optimismus, die Erfahrungen
in Leipzig in der in den letzten Jahren linke Projekte und Gruppen immer
gewachsen sind, steht dafür, daß eine Bewegung organisierbar ist.
Allerdings muß sie dazu in die Gesellschaft eingreifen, sich sichtbar
machen und am Konkreten die allgemeine Politisierung vorantreiben, so wie das
hier über Jahre vor allem über Anti-Nazi-Mobilisierungen gelaufen
ist. Und auch beim Blick über die Stadtgrenze muß uns nicht
völlig bange werden. Immerhin 600 Leute beim Antifa-Kongreß in
Göttingen, 25 Gruppen, die sich an einer bundesweiten Organisierung
interessiert zeigen.
Entgegen der Prognose der ANG-Skalpjäger, die die Antifa lieber als
letzten Mohikaner zur Strecke gebracht sähen, erscheint uns
dies als eine ausbaufähige Grundlage. Die Antifa ist tot, es lebe die
Antifa!
Aber eben nicht einfach weiter wie bisher. Das linksradikale Profil muß
stärker hervortreten und die Konzentration der Politik auf ein Themenfeld
ist aufzugeben. In dieser Beziehung trifft die Kritik der Kritikfraktion zu, ja
selbst ihrer Forderung den Begriff Antifa als einzigstes Synonym
einer linksradikalen Bewegung zur Disposition zu stellen, sollte zugestimmt
werden. Das ist aber nicht das Ende einer antifaschistischen Linken. Davor
sollte nicht nur die banale Einsicht schützen, daß Nazis nicht auf
Staatsbefehl verschwinden, sondern vor allem die Tatsache, daß in
Deutschland weiterhin völkische Elemente ein lebendiges Dasein
führen. Zudem trägt auch ein normalisierter Kapitalismus, der seiner
sozialdarwinistischen Hierarchisierung und Auslese von Menschen ein manchmal
zivileres Antlitz verleiht, die Tendenzen des Faschismus in sich.
Auf keinen Fall sieht sich das BgR bei aller Selbstkritik und notwendigen
Orientierung dazu gezwungen, sich der Alternative anzuschließen, die eine
Gruppe wie die ANG bis jetzt signalisiert: Statt der Gesellschaft in erster
Linie ihre Linke zu kritisieren. Auch dem Setzen auf eine geschlossene
theoretische Grundposition können wir nicht viel abgewinnen. Die
Ungerechtigkeiten dieser Welt anzugreifen, dazu bedarf es keines starren
Erklärungsmodells. Die intelletktuellenfeindliche Ablehnung von Theorie
liegt uns allerdings ebenso fern. Gerade wir als BgR stehen für den
Versuch die Diskussionen der akademischen Linken in die politische Praxis mit
einzubeziehen, ja generell für einen gegenseitigen Bezug zu
plädieren. Daß in der Vergangenheit so wenig zusammenging,
läßt sich nicht nur der Theoriefeindlichkeit der Bewegungslinken
anlasten. Gerade mit deren Niedergang nach dem Zusammenbruch des
Realsozialismus, sahen viele Linke nur noch in der theoretischen Diskussion die
Möglichkeit, sich ein kritisches Bewußtsein zu erhalten und
koppelten ihre Politik von öffentlichkeitswirksameren Formen der Antifa
ab. Der Antifa-Kongreß in Göttingen, die geplante bundesweite
Zeitschrift Phase 2 und eine zunehmende Seminar- und
Veranstaltungspraxis stehen für die ungebrochenen Versuche, hier ein
Aufeinanderzugehen zu gewährleisten.
Noch aus einem anderen Grund erscheint es uns perspektivlos, sich auf eine
ausschließliche theoretische Position zu beziehen. Die Zukunft, auf die
die ANG in ihrem Veranstaltungstext verweist, ist eine die balla balla macht.
Man müsse sich unbedingt Marx und Hegel, Psychoanalyse und Kritische
Theorie aneignen. Ein Bildungsprogramm, gegen das wir nichts einzuwenden
hätten. Doch schon poststrukturalistische Linke, die sich Marx, Hegel,
Psychoanalyse und Kritische Theorie angeeignet haben, was sie aber nicht
hindert, gesellschaftliche Diskurse zu analysieren, werden von der ANG als
Aussätzige betrachtet. Nicht alle verfahren bei der Suche nach Erkenntnis
so eingleisig. Es gibt verschiedene, sich voneinander eifrig abgrenzende
Positionen. Für die ANG ist wider die Lektüre von Marx, Hegel,
Psychoanalyse und Kritischer Theorie nur die Wertvergesellschaftung das
zentrale Gesellschaftsprinzip, für Robert Kurz und die KRISIS-Gruppe sind
es wenigstens schon Wert und Arbeit. Für Michael Heinrich sind es dann
bereits Arbeit, Wert und Eigentum, die das gesellschaftliche Dasein bestimmen.
Allen Analyseansätzen, auch poststrukturalistischen, welche die
Vermittlung von Herrschaft- und Machtverhältnissen in allen
gesellschaftlichen Sphären mit der Absicht der Kritik herausarbeiten,
läßt sich etwas abgewinnen. Wer sich aber auf eine
einläßt, soll in der heutigen linken Diskussionspraxis
zwangsläufig die andere meiden wie der Teufel das Weihwasser. Da streitet
sich die Krisis-Gruppe mit der ISF (Initiative Sozialistisches Forum). Die
Bahamas disst karoshi-Positionen und zänkt sich mit dem eigenen
Spaltprodukt jour fixe-Initative. Und das wars bei weitem noch nicht. Der
Streit der verschiedenen Schulen um die Weltformel und die jeweils nun wirklich
richtige Marx-Interpretation ist ein mühseliges Unterfangen ohne Aussicht
auf Erfolg. Wer Bock auf so was hat viel Spaß.
Da scheint es schon eher angebracht, danach zu schauen, welche Substrate der
Auseinandersetzung in unsere Politik aufzunehmen sind und welche Positionen und
Personen an einer wirklichen Weiterentwicklung linksradikaler Kritik Interesse
haben. Dafür spricht auch, daß die krudesten und plattesten
Auswüchse der Kritik-Strömung sich nach und nach abschwächen
werden. Es ist nicht die erste und wohl auch nicht die letzte Modeerscheinung
innerhalb einer linken Ansatz-Pluralität, deren Attraktivität mit der
folgenlosen Wiederholung des immergleichen nachläßt. Mit dieser
Hoffnung verbindet sich auch unser Wunsch, Ansatzpunkte einer gemeinsamen
Praxis zu suchen. Spätestens dann, wenn die ANG oder andere Teile der
Kritikfraktion wirklich auf die Kritik der Gesellschaft setzen, wenn sie ihren
Ansatz über den eigenen Tellerrand hinaus transparent machen wollen,
liegen Anknüpfungspunkte nahe.
Wir denken, daß auch eine grundsätzliche Gesellschaftskritik, soll
sie nicht autistisches Vergnügen oder im Wahnsinn endendes Geheimwissen
bleiben, ihren symbolischen Ausdruck und eine tragende Bewegung braucht. Nur so
kann sie ihr Ziel, das völlig Andere, die emanzipierte
Gesellschaft, erreichen.
Für eine radikale Gesellschaftskritik!
Für eine linksradikale Bewegung!
Für Phase 2! Gegen Nazis!
AG Kritik2 des
Bündnis gegen Rechts Leipzig
c/o VL PF 54 04251 Leipzig
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