Der große Radikalinski-Schwindel namens Antifa gleicht verblüffend
dem großen RocknRoll-Schwindel der Sexpistols. Was einstmals
rebellisch auf der Showbühne Gesellschaft rumturnte, ist ein paar Jahre
später lahmarschiger und unattraktiver als Omas Motorrad-Fahrt im
Hühnerstall.
Ein Verzicht auf Politik als Austreibung eines Staatsfetischismus ist also
keine Frage mehr danach, ob dieser der Antifa gut zu Gesicht stünde. Er
ist keine kosmetische Schmierenkomödie, sondern eine Frage nach einem
radikalen Bruch auf der Höhe der Zeit. Die Frage, vor der die Antifa
steht, ist dennoch so alt wie die Linke selbst. Es ist die als Endlosschleife
immer wiederkehrende von Reform und Revolution, von Weg und Ziel, die sich
unter jeweils veränderten Vorzeichen konkreter Niederlagen und Siege,
bestimmten Scheiterns und Erfolgreichseins stellt. Was tun, so formuliert sich
seit Lenin die Suche nach der Handlungs-Maxime in einer Situation des
aufgeschobenen Umbruchs.
Seit der Pariser Kommune bestimmt das Überwerfen durch Kritik des Weges
als einer des Organisierens die Existenz der Linken. An ihm entzündet sich
seitdem nicht nur die Leidenschaftlichkeit der flammenden revolutionären
Herzen, sondern führt auch gleichfalls zu ihrem Erlöschen. Wenn diese
hier niedergeschriebene Kritik also eine Grundlage hat, dann das
Grundverständnis, daß die Antifa historisch an ihrem Endpunkt
angekommen ist und sie deshalb nur zur Disposition stehen kann, um daraus das
Motiv für neues überhaupt zu formulieren. Daß dies nicht ohne
Streit abgehen kann, ist eine Binsenweisheit, deren scheinbar notwendige
explizite Erwähnung Trauerspiel genug ist. Banal gesagt, setzt Kritik nun
mal Interesse am Gegenstand voraus. Wer das nicht unter einen Hut zu bringen
vermag, dem sei hiermit auch nichts mitgeteilt als folgerichtige
Interesselosigkeit an dieser vorgeführten Dummheit. Das Bewußtwerden
des eigenen Scheiterns wird nur dann zur Erkenntnis, wenn es die Fähigkeit
aufweist, sich ins Verhältnis zur Umwelt zu setzen. Daß dies selbst
Autisten vermögen, die das ihrer Umwelt nur nicht mitteilen können,
macht die Sache im Hinblick auf nicht gerade wenige Antifa-Freundinnen und
-Freunde kaum besser.
Materialistische Selbstreflexion unterscheidet sich von Selbstverliebtheit
dadurch, daß sie sich nicht zu sich selbst ins Verhältnis setzt,
sondern dialektisch zu ihrer Umwelt. Dadurch gelangt man mitunter zu
Erkentnissen, die einen vom Pfad der gelebten Harmoniesucht mit seinen
Mitmenschen abbringen. Reflexion darf also kein Spiegeln von sich selbst sein,
weil sie sonst nur ein narzistisches Verhältnis zum eigenen Spiegelbild
zur Folge hat.
Daß ganze Heerscharen sich durch individuellen Konformismus in diesem
Spiegelspiel verloren haben, ist nicht zuletzt eine traurige Geschichte der
antiautoritären und libertären Bewegungssucht, mit der
aufzuräumen bei der Antifa als letztes Relikt dieser ohnehin aussterbenden
bewegungslinken Spezies sich entweder auf die Tagesordnung gesetzt wird oder
die Tragödie als Folge der Farce muß wohl oder übel ihren Lauf
nehmen. Kurz gesagt, es gibt weder hier noch sonstwo den Teufel Zufall, der
sich nicht als logisch-rationalisierte Konstellation verifizieren ließe.
Und zum Glück für die Spontaneität läßt er sich auch
nicht vorherbestimmen. Demzufolge stand selbiger Zufall auch beim Verfassen
dieser Kritik nicht Pate, wobei selbige auch nicht Resultat eines
Kassandrakomplexes ist, der durch Nichterhörung der Botschaft
hervorgerufen wurde.
Die materialistische Praxis
Grundsätzlich läßt sich festhalten, daß sich der Begriff
von Praxis an den Gebrauch von Vernunft klammert, der im idealistischen Sinne
als solcher den Willen zum Zwecke des Zusammenlebens prägt. Daß
diese Vernunft nicht von außen eingeflogen wurde oder über uns kam,
sondern zuallererst Resultat des Verhältnisses des Menschen zur Natur ist,
bestimmt den Stoffwechsel mit ihr als Tätigkeit, die sich rationalisiert.
Die Fähigkeit zur Sinnerfahrung, zur Sinnlichkeit, führt zur
Erkenntnis, deren Grundlage wiederum die Praxis ist. Das heißt,
menschliche Tätigkeit, nicht aber Erkenntnis gilt als Praxis. Der
Hautpmangel alles bisherigen Materialismus (...) ist, daß der Gegenstand,
die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der
Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche
Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv.(1) In dem die Trennung
von Praxis und Erkenntnis bei Marx und Engels Grundlage bleibt, erklärt
sich Praxis zur durchweg materiellen Tätigkeit, zu deren Basis die Arbeit
als gesellschaftliche Tätigkeit wird. In der Praxis muß der
Mensch die Wahrheit, das heißt die Wirklichkeit und Macht, die
Diesseitigkeit des Denkens beweisen. (...) Aber das menschliche Wesen ist kein
dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist
es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.(2) Aus
der arbeitsteiligen Gesellschaft ergibt sich deren Praxis im sozialen,
privaten wie politischen. Aus dieser Abhängigkeit gibt es kein Entrinnen.
Autonome Praxis, die sich der gesellschaftlichen äußerlich macht,
ist demnach unmöglich.
Aus dem gesellschaflichen Sein leitet sich demzufolge jegliche Erkenntnis ab,
aus der sich wiederum das Handeln als erkannte Möglich- oder
Unmöglichkeit ergibt. Die Konkretion der bürgerlichen Wirklichkeit
als zweite Natur gesellschaftlich abstrakter Vermitteltheit bedingt die
Unterscheidung von Kopf- und Handarbeit, die darauf basiert, daß nicht
etwa das Bewußtsein der Warenbesitzer als Tauschende abstrakt ist,
sondern vielmehr ihre Handlung, der Tausch selbst mit verdinglichten
Tauschwerten. Die Tauschhandlung ist also ein physischer Vorgang
und als solche ist diese Abstraktion im wahrsten Sinne Realabstraktion.
Sie ist also in der Tat die Ursprungsform der spezifischen nicht-empirischen
Abstraktion, die den auf Warenproduktion beruhenden Gesellschafstformationen in
allen ihren Verdinglichungsmechanismen eigentümlich
ist.(3)
Was sich damit verdeutlicht, ist schlichtweg das Fehlen einer kritischen
Erkenntnistheorie bei Marx, die eine überfällige materialistische
Wissenschaftskritik zum Inhalt hätte haben müssen. Daß seine
Kritik der politischen Ökonomie keine Philosophie ist, mag zwar auf den
ersten Blick einer Erwähnung kaum wert zu sein. Notwendig scheint es aber
wohl gerade deshalb. Denn spätestens seit Engels und Lenins
Marxinterpretation ist sie wenn auch nicht in Gänze auf eine
Ontologie reduziert worden, die zur erkenntnisunkritischen Handlungsanleitung
gesellschaftlicher Praxis als monopolisierte Wahrheit verkam. Wenn Marx davon
sprach, daß der Standpunkt des alten Materialismus die
bürgerliche Gesellschaft sei, der Standpunkt des neuen aber
die menschliche Gesellschaft, oder die vergesellschaftete
Menschheit, so sind diese Worte zwar erkenntnisunkritisch zu Papier
gebracht und nahezu positivistisch prädestiniert, enthalten aber genau
jene Trennschärfe eines Bruchs mit bürgerlichem Denken, welches sich
der dialektischen Denkabstraktion zwanghaft verweigert.(4) Marx
Erkenntniskritik endet da, wo er den Grenzen seiner kritischen Formanalyse des
Wertes gewahr wird. Diese zu durchbrechen, so meinte er im Stande seiner
Erkenntnis, bedürfte es letztlich einer Wissenschaft vor der
Wissenschaft.(5)
Daß die bürgerliche Gesellschaft ein umwandlungsfähiger
und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus
ist, ergibt sich letztlich aus den entpersonalisierten objektiven
Verhältnissen, deren Geschöpf, so Marx, der Mensch sozial
bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.
Radikale Kritik genau dieser Verhältnisse verlangt demzufolge eine Praxis,
die diese Objektivitäten abzuschaffen vermag.
Das Unbehagen der Praxis als Schwindel
Wenn in der Folge von Praxis die Rede ist, dann nicht im Sinne der
grundlegenden gesellschaftlich konstitutiven, sondern im engeren Sinne
politischer Praxis als verstaateter Arbeitsbegriff, der die bürgerliche
Wertform den Tauschwert ebenso reproduziert.
Traditionell hat die Linke der bürgerlichen Trennung von geistiger und
körperlicher Arbeit die versuchte Einheit von Theorie und Praxis
entgegensetzen wollen. Daß ihr das bisher immer mißlang, hat viel
mit dem bürgerlichen Zwang zur Trennung von beidem zu tun, der die
Bedürfnisse der Menschen immer in die Zange von konkreter
Bedürfnisbefriedigung und abstrakter Notwendigkeit nimmt. Aus dieser
Konstellation ergibt sich praktisch (!) als Zwang die Aufhebung des Anspruches
einer Einheit von Theorie und Praxis, die sich der Wirklichkeit des
gesellschaftlichen Bedürfnisses nach Handarbeit unterwirft, um sich nicht
unvertretbar von den sozialen politischen Verhältnissen zu isolieren,
deren Ensemble man ja eben selber ist. (Auf diese Endlosschleife als Falle
politischer Verantwortungsübernahme für andere ist weiter oben
siehe Teil zwei der Kritik in Cee Ieh Nr.75 ausführlich
eingegangen worden.) Für das daraus resultierende Verhältnis zu
Theorie und Praxis ergibt sich, daß die bürgerliche Wirklichkeit des
Scheins als bare Münze genommen und zur Realität an sich
verklärt wird, womit jedoch zugleich und das wiegt sehr schwer
die Wahrhaftigkeit des Traums von Befreiung (J. Agnoli)
geleugnet wird. Aus dieser Ignoranz einer Option auf eine befreite Gesellschaft
entspringt die Affirmation des Ganzen ohne es zu wollen und das Reich der
Notwendigkeit (Marx) ist so nichts weiter als die Reproduktion des
bestehenden Falschen.
Das fehlende Zentrum einer Kritik der bürgerlichen Gesellschaft erzeugt
ein Unbehagen in der Praxis, die sich als jene der Kultur offenbart, die Freud
als Ergebnis des Verzichts auf den aggressiven Trieb analysierte, in dessen
Folge unbewußte Schuldgefühle gegenüber dem Über-Ich
aufkämen, die sich als Angst vor dem Verlust der sozialen Anerkennung
äußerten. Genau hier wird radikale Kritik zur politischen
Sublimierung zur Ablenkung vom eigentlichen Ziel. Das Es erzwingt somit
gegenüber dem Ich Handlungsbedarf.
Was früher den Sozialdemokaten oblag, übernehmen heute die
Postmodernen resp. Poststrukturalisten. Ihr Budenzauber der kritischen
Affirmation(6) ist der Schwindel über die befreite Gesellschaft.
Er entpuppt sich als die neue Kinderkrankheit radikaler Kritik, die die
bürgerliche Demokratie verschont und sich deshalb mit ihr infiziert. Hier
spiegelt sich jener Zwang des Mitmachens wider, der, vom Pragmatismus
unaufhörlich getrieben und von persönlicher Leidenschaft angefeuert,
die Theorie zum Salz in der eigenen Praxis-Suppe verklärt: zuviel davon
und es schmeckt nicht mehr.(7)
Die Trennung einer Praxis von ihrer Theorie legt die
Radikalität auf die Vernunft des Rationalen, auf das gesellschaftlich
immanent Mögliche fest. Genau das auferlegt die bürgerliche Ideologie
ihrem Subjekt: die Trennung von Grundsatz und gelebtem Leben als eine einzigste
große Konzession an die Realität und Wirklichkeit, die dem Menschen
die Hirngespinste schon wie von selbst auszutreiben vermag. Gerade aber, weil
jede gesellschaftsimmanente Veränderung als ein Stückchen mehr an
bürgerlicher Freiheit gleichzeitig die Totalität der
Vergesellschaftung noch verfeinert und noch undurchsichtiger macht, ist das
Verharren in der Kritik am objektiven Konstitutionszwang der bürgerlichen
Gesellschaft, dem Tausch als männliches Wertprinzip, als einzigste
radikale Option auf eine befreite Gesellschaft zwingend. Das scheinbare
Paradoxon von besserem immanenten Leben und gleichzeitiger Verdichtung der
Totalität ist dialektisch nicht aufhebbar und es steht eben deshalb
nicht zur Disposition, daß es nur gewaltsam abzuschaffen
wäre. Die ganze bürgerliche Scheiße aber nur deshalb
scheiße zu finden, weil sie angeblich voller realer Widersprüche
sei, reitet nur immer tiefer in den Widerspruch zur freien Gesellschaft. Das
Bedürfnis nach dem unendlichen Aufspüren gesellschaftlicher
Widersprüche über/auf/unter die bzw. denen gedacht werden soll,
vorprogrammiert immer wieder aufs neue das Scheitern jedes noch so radikalen
Abschaffungsversuches. Es geht aber gerade darum, das Ganze als das Unwahre
abzulehnen und sich nicht vom immanenten Widerspruch und dessen Aufhebung
einlullen zu lassen, wie es die linke Geschichte noch und noch vorzuweisen hat.
Sich als Katalysator von angeblichen Widersprüchen anzubiedern, endet
letztlich in der Affirmation des Ganzen. Die Glückseligkeit des
Theoretikers, seine größte Erfüllung, bemißt sich daran,
von einer sicheren Position aus zu meinen, die Dinge verstanden zu haben. Das
ist ihm Quell von gleichzeitiger Genugtuung und Harmoniebedürfnis. Der
Theoretiker nämlich möchte mit der Welt in Harmonie leben, indem er
sich ihrer Dissonanzen versichert und diese gar möglichst in der Praxis
behebt. Ihm ist das Bedürfnis des Verstehens seiner Theorie eigen. Wer
aber den Kapitalismus verstehen will, und sei es nur deskriptiv, statt ihn zu
kritisieren, schafft damit die Voraussetzung für die Folge eines
Verständnisses für den Kapitalismus. Verstehen und
Verständnis liegen dabei ganz dicht beieinander. Analyse hat demzufolge
Mittel der Kritik zu sein und nicht Mittel des Verstehens. Denn wer einen
Wahnsinn verstehen will, psychologisiert ihn im Verhältnis des gesunden
Arztes zum Patienten und fällt damit hinter die wichtigen Erkenntnisse der
Psychoanalyse zurück. Daß dabei nur pure Ideologie einer Seins-Lehre
herauskommen kann, macht die Sache zu einem klaren Fall für die
Erkenntniskritik: Kritik hat die falsche Einheit einer in unzählige
Teilbereiche auseinander dividierten Welt zu reflektieren und
fertig!(8) Die Theoretiker erheben dagegen den Anspruch, mit sich
selbst identisch zu sein und operieren daher als Ideologen. Wer aber, sei
es mit oder gegen Marx, Verstehbarkeit des Unverstehbaren verlangt, sitzt den
Verkehrungen auf, die das notwendig falsche Bewußtsein
ausmachen.(9) Es kann daher Moishe Postone nur zugestimmt
werden, wenn er grundsätzlich feststellt: Zur Debatte steht also das
Niveau, auf dem die Kritik sich auf den Kapitalismus einläßt,
um genau dadurch zwischen einer bürgerlichen
Gesellschaftskritik auf der einen und einer Kritik der bürgerlichen
Gesellschaft auf der anderen Seite unterscheiden zu
können.(10)
'68 und die Folgen
Um diese Niveaus steht es jedoch so schlecht, daß einem Speiübel
werden kann. Und das liegt nicht so sehr an der geistigen Verblödung durch
postmodern blubbernde Zumutungen, sondern vielmehr am fortschreitenden Verfall
radikaler Kritik der Verhältnisse, deren folgerichtiger Ausdruck letztlich
die Poststrukturalisten nur sind und deren emsigste Vertreter sich längst
daran gemacht haben, sich das Terrain der zerfallenden dumpfbackigen Antifa als
Rumpf einer verstorbenen Bewegungslinken unter den Nagel zu reißen und
somit die vulgäre M/L-Huberei zu beerben. Den meisten verbliebenen Kadern
der Antifa fällt dieser schleichende Verfall natürlich nicht auf.
Sind sie doch frohgemuts, weiter ihres links-bewegenden Lebens fristen zu
können, zumal ihnen ihre eigene individuelle Leidenschaft im Zweifelsfall
ohnehin näher ist als der Verstand. Die persönliche
Glaubwürdigkeit des Antifa-Genossen von nebenan bemißt sich an der
vereinbarten Verkehrsform bürgerlichen Szene-Rechts, von der nur unter
Strafe abgewichen werden darf. Wird dies eingehalten, so ist noch der
größte Blödsinn unter der Knute bürgerlicher
Meinungsfreiheit zulässig. Nachgewiesene rahmenvolle Leidenschaft allein
reicht so als Beleg und Argument angeblicher Radikalität. Bemessen wird
das Ganze normativ am Gegenüber. Auch dieses instrumentelle
Verhältnis ist verpuppte Vernunft des Unbewußten, die sich
zugerichtet hat für die fällige Vermittlungsarbeit des Politisierens.
Denn hinter der Allmacht des selbsterteilten Vermittlungsauftrags, die
gegen theoretischen Purismus nach praktischen
Anknüpfungspunkten fahndet, sitzt schon die Angst vor
Unwirksamkeit und Sterilität, lauert die
Ohnmacht.(11)
Daß sich das Ende der Antifa, und zwar nicht nur das, wie wir sie bisher
kannten, sondern tatsächlich ihr endgültiges, als eine Tragödie
der zerfallenden Linken darstellt, verwundert nur dann nicht, wenn man sich
bewußt macht, daß die Linke seit 1968 letztlich ein einziger
Prozeß des Verfalls war vom Ende des SDS über die K-Gruppen,
Spontis, bewaffneten Kampf zu den kleinen Tunix-Schritten der 80er bis zur
übriggebliebenen Antifa, die, einst als Teilbereich der
autonomen Kämpfer entstanden, unfreiwillig die gesamte organisierte Linke
als reine Farce beerben mußte. Sich dem bewußt zu werden, macht
insofern viel her, weil sich darüber die letztlich einzigste stichhaltige
historische Bestimmung der Antifa vornehmen läßt: Sie war dazu
verdammt, die letzten organisierten Zuckungen und Strukturen kontinuierlich
über die 90er zu retten.
Auf welchem erbärmlichen Niveau sich das Ende der Antifa bewegt,
verdeutlicht sich, wenn man sich einmal die Mühe macht, die Debatten
zwischen 68er Bewegung und Kritischer Theorie zu vergegenwärtigen. Weil
diese Retrospektive vieles von dem preis gibt, was sich als anmaßende
Lächerlichkeit in der Debatte um die Antifa wiederholt, soll es hier kurz
skizziert werden.(12)
Grundlegend muß festgehalten werden, daß sich tatsächlich ohne
Kritische Theorie niemals die 68er Linke hätte konstituieren können.
Dieser Widerspruch ist schon deshalb augenscheinlich, weil paradoxerweise einer
der Hautpvorwürfe der 68er Bewegung an die Kritische Theorie der war,
daß sie praxisfeindlich sei. Hans-Jürgen Krahl,
Adorno-Schüler und einer der eifrigsten Verfechter der SDS-Organisierung
(...) ohne gemeinsame Organisation wird sicherlich nicht die
Totalität des Klassenbewußtseins wiederzugewinnen
sein(13) bezichtigte insbesondere Adorno, Horkheimer und
Habermas gar einer regressiven Angst vor den Formen des
Widerstandes(14).
Für die damals omnipräsente Debatte um Theorie und Praxis bestand
Krahl trotz des anerkannten Utopieverbots als falschen Vorgriff auf Befreiung
darauf, daß man aus dem Vermittlungsverhältnis von Theorie und
Praxis in der revolutionären Praxis die Erfahrung machen
würde, wieweit Herrschaft abschaffbar ist. Man könnte
das, so Krahl weiter, ruhig dem konkreten Prozess überlassen, sofern
er eben durch entsprechende theoretische Reflexionen vermittelt
ist.(15) (...) Das bedeutet, die neue Qualität
festzustellen, die diese System hat, das auf der Bewußtlosigkeit aller
Beteiligten (...) beruht, was dann wiederum die Anerkennung der
Erkenntnis von zweiter Natur, Verdinglichung und Fetischisierung (als)
unmittelbar mit der Kritik an der Ontologie und am Positivismus verbunden
notwendig mache.(16)
Eine der Hauptkritiken der Kritischen Theorie besteht darin, daß sich
richtiges Handeln nicht einfach nur daran bemessen lassen kann, was
augenscheinlich existiert, nur weil es nunmal da sei. (...) Praxis, die
sich um so wichtiger nimmt und um so emsiger gegen Theorie und Erkenntnis
abdichtet, je mehr sie den Kontakt mit dem Objekt und den Sinn für
Proportionen verliert, ist Produkt der objektiven gesellschaftlichen
Bedingungen, schreibt Adorno in seinen Marginalien zu Theorie und
Praxis(17). Man sehe es dem Autor dieser Zeilen nach, daß
er, getrieben von der Hoffnung, man würde aus Gründen der
verzweifelten Aktualität und im Bewußtsein des Scheiterns der 68er
sich besinnen, Adorno länger als nun ja gewöhnlich
zitiert. Adorno schreibt also in seinen Marginialien resümierend über
die 68er wie folgt: Falsche Praxis ist keine.(...) Das Ziel richtiger
Praxis wäre ihre eigene Abschaffung. (...) Daß dieser die Theorie
sich beugen soll, löst deren Wahrheitsgehalt auf und verurteilt Praxis zum
Wahnhaften; das auszusprechen ist praktisch an der Zeit. (...) Hat die
autarkische Praxis seit je manische und zwangshafte Züge, so heißt
diesen gegenüber Selbstbesinnung: die Unterbrechung der blind nach
außen zielenden Aktion. (...) Fällige Praxis wäre allein die
Anstrengung, aus der Barbarei sich herauszuarbeiten. Diese ist, mit der
Beschleunigung der Geschichte zur Überschallgeschwindigkeit, so weit
gediehen, daß sie alles ansteckt, was ihr widerstrebt. (...) Das Falsche
des heute geübten Primats von Praxis wir deutlich an dem Vorrang von
Taktik über alles andere. (...) Mit all dem fügt der Aktionismus in
den Trend sich ein, dem sich entgegenzustemmen er meint oder vorgibt: dem
bürgerlichen Instrumentalismus, welcher die Mittel fetischisiert, weil
seiner Art Praxis die Reflexion auf die Zwecke unerträglich ist. (...) Im
Verhältis zur realen Macht, die sich kaum gekitzelt fühlt, ist der
Aktionismus irrational. Klügere sind seiner Aussichtslosigkeit sich
bewußt, andere verhehlen sie sich mühsam. (...) Die am heftigsten
protestieren, gleichen den autoritätsgebundenen Charakteren in der Abwehr
von Introspektion; wo sie sich mit sich beschäftigen, geschieht es
kritiklos, richtet sich ungebrochen, aggressiv nach außen. Die eigene
Relevanz überschätzen sie narzistisch, ohne zureichenden Sinn
für Proportionen. (...) Aktionismus ist regressiv. Im Bann jener
Positivität, die längst zur Armatur der Ichschwäche rechnet,
weigert er sich, die eigene Ohnmacht zu reflektieren. Die unablässig
zu abstrakt schreien, befleißigen sich des Konkretismus,
einer Unmittelbarkeit, der die vorhandenen theoretischen Mittel überlegen
sind. (...) Von den Argumenten, über die der Aktionismus vefügt, ist
eines zwar weitab von der politischen Strategie, deren man sich rühmt,
doch dafür von desto größerer Suggestivkaft: man müsse
für die Protestbewegung optieren, gerade weil man ihre objektive
Hoffnungslosigkeit erkenne. (...) Wie jene Verhaltensweisen von Verzweiflung
ausgelöst worden seien, so müßten die an der Möglichkeit
Verzweifelnden aussichtsloses Tun unterstützen. Die unabwendbare
Niederlage gebiete als moralische Instanz Solidarität auch denen, welche
die Katastrophe vorausgehen und dem Diktat einseitiger Solidarität nicht
sich gebeugt hätten. (...) Solidarität mit einer Sache, deren
unvermeidliches Scheitern man durchschaut, mag erlesenen narzißtischen
Gewinn abwerfen; an sich ist sie so wahnhaft wie die Praxis. (...) Vernebelt
aber Praxis durchs Opiat der Kollektivität die eigene aktuelle
Unmöglichkeit, so wird sie Ideologie ihrerseits. Dafür gibt es ein
untrügliches Zeichen: das automatische Einschnappen der Frage nach dem Was
tun, die auf jeglichen kritischen Gedanken antwortet ehe er nur recht
ausgesprochen, geschweige denn mitvollzogen ist. (...) Richtete Praxis sich
einfach nach den Anweisungen der Theorie, so verhärtete sie sich
doktrinär und fälschte die Theorie obendrein. (...) Das Dogma von der
Einheit von Theorie und Praxis ist entgegen der Lehre, auf die es sich beruft,
undialektisch: es erschleicht sich dort simple Identität, wo allein der
Widerspruch die Chance hat, fruchtbar zu werden. (...) Praxis ist Kraftquell
von Theorie, wird nicht von ihr empfohlen.
Nach der Lektüre dieser Zeilen stünde gegebenfalls ihre
Widerlegung an. Es wäre demnach zu beweisen, daß die Zeiten heute
andere sind. Die Frage (aber), die wir uns zu stellen haben (lautet): Was
hat sich in der allgemeinen Verschiebung (im Sein und Bewußtsein) (...)
gar nicht verschoben, nicht verschieben lassen; was hat sich nicht
verändert. Und zwar derart, daß aus der Revolte das Gegenteil dessen
enstehen konnte, was sie sich erhofft hatte: eine autonome, befreite
Gesellschaft, Sturz der Herrschaft, als Mindestprogamm der Abbau (nicht der
staatlichen Sozialzuwendungen, sondern) der staatlichen
Macht.(18)
Organisierung
Der Streit um Praxis und Theorie kulminierte bei den 68ern im besonderen in der
berühmt-berüchtigten linken Gretchenfrage nach der richtigen
Organisierung. Krahl überwarf sich an diesem Punkt selbst mit Herbert
Marcuse, der, trotz seines Pessimismus (Nichts deutet darauf hin,
daß es ein gutes Ende sein wird.(19)), bekanntlich der
einzige Vertreter der Kritischen Theorie war, der für die
Studentenbewegung aktiv Partei ergriff. Für Krahl war das Elend der
Kritischen Theorie (...) auf einer bestimmten Ebene einfach auch das Fehlen der
Organisationsfrage.(20)
Nach Krahls Vorstellungen sollte die Organisation Theorie und Praxis
vermitteln, um dadurch Theorie zu einer materiellen Gewalt zu machen, die
emanzipatorische Praxis entwickeln könnte. Wohl aber, und das sind
jetzt die Fragen, die anstehen, müssen sich in den Formen der Praxis, der
revolutionären Praxis, positive Elemente der künftigen Gesellschaft
vorwegnehmen lassen.(21) Die Selbstzweifel daran konnte Krahl
jedoch nicht ausräumen. Sie fanden nicht zuletzt in dem Insistieren von
Horkheimer und Adorno Nahrung, daß selbst revolutionäre
Organsationen sich ihrer inneren Verfaßtheit und Politik gemäß
dem angepaßt hätten, was sie eigentlich bekämpfen wollten.
Krahl hielt zwar dagegen, daß sich die Ausrichtung des SDS als
antitautoritär genau dagegen sperrte, bekannte sich aber dennoch auf Grund
des niedrigen Organisationsgrades zu Autoritäten, deren Charisma den SDS
zusammenhielten. Sein Problem brachte er auf den Punkt: Wie kann das
Reich der Freiheit in einer kommunistischen und durchaus autoritären
Organisationsform antizipiert werden?(22) Adorno, der auf diese
Frage ebenfalls einging, betonte, daß die Organisierung praktisch nicht
lösbar sei, sondern nur theoretisch. Paradoxerweise bat Krahl gar Adorno,
Horkheimer und Habermas, sie solllten sich kraft ihrer Autorität der
antiautoritären Bewegung zur Verfügung stellen, um
gewisssermaßen mit der Waffe der Autorität selber das
Autoritätsprinzip in der Gesellschaft mit abbauen zu
helfen.(23)
Im Gegensatz zu heute, wo der anstehende Organisierungsversuch als Jahr,
in dem wir Kontakt aufnehmen (Motto des Antifa-Kongresses im April 2001)
nicht offener preisgeben könnte, was man über die Jahre unter dem
Etikett Antifa für ein Spiel spielte nämlich die
selbstauferlegte Kontakt-Sperre zur kritischen Linken zu den verlogenenen
Konditionen der unsäglichen Bündnispolitik , zeigt sich
deutlich, daß die 68er Bewegung im Gegensatz zur Antifa vom Niveau her
zumindest keine flatternde Karteileiche darstellte. Einer der Gründe
dafür ist wohl der, daß man damals zur Kritik kein ausladendes,
sondern ein konfrontatives Verhältnis pflegte, zu dem die Antifa heute gar
nicht mehr in der Lage ist: die Angst vor dem Schicksal des Neuen
läßt das Beharren auf wahnhafter Identität sich verfestigen und
in reinste Krisenverwaltung flüchten. Das drückt sich nicht zuletzt
darin aus, alles dafür zu tun, die schärfstens Kritiker des
kollketiven Ichs, der Wir-Identität Antifa, sich vom Halse zu halten. Man
gibt dafür vor, mit sich zu tun zu haben und betreibt das Lügen-Spiel
des Baron Münchhausen, der bekanntlich damit hausieren ging, sich
angeblich selbst aus dem Morast gezogen und damit gerettet zu haben. Eine
Ich-Schwäche als Trauma geht dem voraus: Die Stärke der
mobilisierten und symphatisierenden Massen macht sie zu Siegern über
die eigene Ohnmächtigkeit.(24) Wer die Bewegung somit nach
ihren eigenen ausformulierten Ansprüchen beurteilt, unterliegt einem
Mißverständnis. (...) Diese Schwierigkeiten beginnen damit,
daß solche Bewegungen sich unvermeidlich unter einen
Selbstbegründungszwang setzen, und sie pflanzen sich fort, weil die
Begründung ständig aufgeschoben wird. Die Studentenbewegung fiel
daher immer wieder auf ihre Mobilisierungsanlässe zurück. Das macht
ihr Pathos und ihre Verlegenheit aus. (...) Die auf generelle Manifestation
angewiesene Bewegung blieb auf die empörenden Anlässe angewiesen. Sie
sammelte und erprobte sich im Äther der Öffentlichkeit (...) und
damit in der Sphäre der Selbstgerechtigkeit von Demokratie und
Rechtsstaat. Durch ritualisierte Bewegungsabläufe, persiflierende Gestik
und Geschrei und symbolisch agierte man aus, daß es einem
tödlich ernst und gar nicht ernst zugleich war.(25)
Um des Verständnis wegen Verwechslungen vorzubeuen: das obige Zitat
bezieht sich auf die 68er und nicht auf die Antifa. Die erschreckenden
Parellelen jedoch zeugen von einem jämmerlichen Dasein, dem ein Ende zu
bereiten nur so oder so erfolgen kann: der endgültige Untergang als
Endpunkt oder die Transformation als Bruch mit dem alten. Zwischen diesen
beiden Polen gibt es nichts zu vermitteln und jedes Lamentieren schlägt
sich demnach auf die Seite des fröhlichen Untergangs. Es offenbart
sich hier die Vollendung einer Perversion, die allerdings den Einbau der
Opposition in die Herrschaft zur Voraussetzung hat: Die Öffentlichkeit
(...) dient heute dazu, Aktionen gegen die Machthaber rechtzeitig zu erkennen
und einzudämmen. (...) Damit ist die Grenze angegeben, an der die
nicht-parlamentarische Opposition Halt zu machen hat. Die Grenze wird weder von
der Schärfe noch von der Richtigkeit der Kritik bestimmt, sondern von der
politischen Zielsetzung und von dem Ausmaß der öffentlichen
Wirksamkeit.(26)
Es geht bei der unabwendbaren Zuspitzung in Hopp oder Topp letztlich nicht
darum, ob irgendetwas weiter unter dem altruistischen Etikett Antifa
dahindümpelt schließlich braucht dieser Staat auch eine
innenpolitische NGO zum Schutze der Menschenrechte, und dieser Platz ist noch
zu haben, da ist die sachkompetente dynamische Antifa Top-Favorit ,
sondern schlicht und ergreifend um die Rückbesinnung auf das Ziel einer
befreiten Gesellschaft, deren Implikationen sich durch Neuaneignung von
materialistischer Dialektik, Kritik der Politischen Ökonomie,
Psychoanalyse und Kritischer Theorie einer erkenntnis- und ideologiekritischen
Herausforderung neuen Typs stellen will. Die Antifa hat nicht etwa ein falsches
Verhältnis zur radikalen Praxis, sie kennt letztlich gar keine, denn sie
verkörpert nichts weiter als die bürgerliche Praxis des Scheins, der
zweiten Natur. Übertüncht durch Feindschaft als Absage an radikale
Praxis erweist sich die jetzige Bewegungs-Praxis als
Pseudo-Aktivität (Adorno) und damit als jene
Praxisfeindschaft: wer vor einer Praxis der Abschaffung zurückschreckt, in
dem er Befriedigung im opponierenden Mitmachen und Mitgestalten sich sucht,
handelt entweder bewußtlos oder wider besseren Wissens. Ersteres ist
bürgerliches Schicksal(27), zweiteres
Überzeugungstäterschaft. Der Standort dieser wie aller Erkenntnis ist
kein gesicherter der Theorie. Eine Sicherheit gibt es nicht.
Dialektisches Denken muß sich demzufolge vor der Axiomatiserung
hüten, davor also, daß sie zum Grundsatz oder zur Methode verkommt
und so zum sicheren Stand für Kritik wird. Letztlich kann
erkenntniskritisch nur vermutet werden, inwieweit das Denken als eigenes Urteil
sich der Wertförmigkeit desselben entziehen, diese überwinden kann.
Das ist der entscheidende Punkt dafür, wie weit die Immanenz der
Totalität reicht und wann ihr das Denken transzendental sich
entgegenstellt. Wenn sich die wahren von den falschen Theorien durch
viele Zeichen unterscheiden, so ist doch die theoretische Sicherheit so wenig
wie die praktische vorausgesetzt, sondern einem historischen Prozeß
anheimgegeben, zu dem sowohl Schärfe des Verstandes wie unter
Umständen der Einsatz des Lebens gehört.(28) Dialektik
ist unabgeschlossen (Horkheimer) und daher einer ständigen
Prüfung zu unterziehen. Das Mittel dafür aber ist die Dialektik
selbst und nicht ihre Entledigung, wie es die postmodern blökenden
Lämmer uns kund tun wollen. Das Verharren in der Negativität ist die
Konsequenz der Totalität. Nur in der Negation des existierenden
Falschen erweist die Theorie ihre Wahrheit als Praxis.(29)
Kritik und Agitation
Die Antifa als kollektive Ideologin und Propagandistin imitiert die
Gebährden von Managern und hat sich längst mit diesen in der Praxis
versöhnt. Sie ist dabei Teil der Modernisierung des Kapitalismus, Teil der
New Economy. Ihre Corporate Identity ist ausgefeilter als das Angebot so
mancher Werbeagentur, sie ist distinktiv und chic. So werden in der Antifa
tagein-tagaus kritische Saatsbürger herangezüchtet, die sich ihr
konstruktives Mitmachen als destruktive Verweigerung halluzinieren. Der
destruktive Charakter aber, so wußte Walter Benjamin, kennt nur eines:
Die Einsicht, wie ungeheuer sich die Welt vereinfacht, wenn sie auf ihre
Zerstörungswürdigkeit geprüft wird. Und dazu ist er
gar nicht daran interessiert, verstanden zu werden.(30)
Verständnis ist also ambivalent zu deuten, als Verständnis davon,
daß die bürgerliche Scheiße nicht verstanden werden soll und
linke Expertisen egal über was sich verbieten.
Destruktivität verharrt deshalb selbstredend in der Kritik. Sie soll nicht
eingelullt werden und vermeidet deshalb jede öffentliche Bittstellerei als
Experte für dies oder das. Ihr geht es nicht um Vernunft als
rationalisierte Vermittlung, auch Praxis genannt, weil sie nicht in Widerspruch
zur Unvernunft der Kritik geraten möchte. Vernünftige Kritik ist
Ideologie, wird mit Identität belohnt. Identität aber neigt immer
dazu, die Fähigkeit zur Kritik überhaupt zu verlieren: sie fährt
sich selbst in der bürgerlichen Scheiße fest.
Es geht hier nicht darum, in Abrede zu stellen, daß sich konkrete
Erscheinungen wie Sexismus, Rassismus, Nazis oder Antisemitismus auch anders
bekämpfen ließen. Es geht hier um das Rekurrieren auf radikale
Kritik als Unterschied zum bürgerlichen Denken, deren Kritik eine Kritik
der Verhältnisse, dem es entspringt, sein muß. Nur so lassen sich
deren wahre objektive Ursachen in der Erkenntnis hintergehen. Nur so lassen
sich die bürgerlichen Verhältnisse demaskieren, welche die objektiven
Ursachen für alle Erscheinungen darstellen. Das mephistophelessche Gesetz,
daß, wer das Gute will, stets das Böse schafft es
reproduziert , ist ein bürgerlicher Automatismus, dem verfällt,
wer sich einer dialektischen Kritik entledigt oder verweigert. Grau ist alle
Theorie, so heißt es ebenfalls im Faust. Und fürwahr, sie muß
es sein. Denn ob die Gesellschaft anders als kapitalistisch organisiert
werden kann, das war immer eine praktische Frage.(31)
Das konstitutive der Antifa ist die Abwesenheit einer Fundamentalkritik der
Gesellschaft. Man bastelt sich zwar so allerhand zusammen, was wie wohl mit was
zusammengehören könnte. Für ein radikale Kritik der
Verhältnisse aber reicht das Rüstzeug nicht hin und nicht her. Einer
der Gründe dafür ist der Begriff des Antifaschismus als Brücke
in die politische Landschaft des Gemeinwesens. Es ist eine der unverfrorenen
Lebenslügen zu behaupten, man könnte diesen bequemen Übergang
von der pseudorebellischen Jugendlichkeit zur politischen
Verantwortungsübernahme jederzeit sprengen. Daß man es bisher nicht
getan hat, ist nach dem eigenen Selbstverständnis nie eine Frage der
fehlenden Notwendigkeit gewesen, sondern für die Antifa eine rein
konstitutive Voraussetzung für die gesamte Existenz. Ihre
Überheblichkeit rührt daher, daß, in den Formen der
Konkurrenzgesellschaft, in denen alles Sein bloß eines für anderes
ist, auch der Kritiker selbst nur nach seinem marktmäßigen Erfolg
gemessen wird, also daran, daß er es ist.(32)Daraus
läßt sich schlußfolgern, daß die Vorbedingung einer
radikalen Kritik von deren Seite die Loslösung vom Begriff des
Antifaschismus überhaupt ist. Ihn beizubehalten verlängert das Elend
des zwanghaften Mitmachens für sich und andere. Die von der
theoretischen Einsicht in mißachtete historische Chancen getragene
Systemkritik bedarf zu ihrer Selbstvergewisserung einer zusätzlichen
Evidenz. Sie schafft sich diese in Form einer sich selbst erfüllenden
Prophezeiung: in der auf empörende Anlässe hin einsetzenden Bewegung.
Hier wird der jeweilige Anlaß ein Widerspruch im System von
zunächst ungeklärter Tragweite und Stringenz mit dem
Gegensatz, den die konkrete Utopie aufreißt, identifiziert. Erst wenn das
System entgleist, kann es als das Gesamtübel, das es ist, diskreditiert
werden: als System, das gar nicht engleist ist, sondern seinem Wesen
entsprechend gehandelt hat. Die Folgen eines solchen Fundamentalopportunismus
liegen auf der Hand. Solange das System nicht entgleist bzw. die auftretenden
Mißstände nicht ideologiekritisch nach vertrautem Muster zu deuten
sind, erscheint es als hinnehmbar.(33)
Adorno war das Primat der Praxis suspekt. Gegen deren gesellschafstkritische
Aufhebung als Einheit von Theorie und Praxis, dieser klappernden und
mechanischen Weise, wandte er unter dem Eindruck der 68er ein, daß
diese Einheit keine sei, sondern eine Vorherrschaft des Aktionismus. Dagegen
verteidigte er gar die bürgerliche Trennung von Theorie und Praxis als
Humanität, deren versuchte Vereinheitlichung ja dieselbe
Trennung als Arbeits- und Denkleistung voraussetzt.
Ein Bedürfnis nach Aufhebung von Theorie und Praxis in der Kritik als
einer der Scheidung von Aktivität und Inaktivität, von anerkannt und
nichtanerkannt, garantiert derselben die Beweglichkeit, die sie braucht, um
nicht zur Ideologie zu verkommen. Eine vollendete Aufhebung der bürgerlich
erzeugten Dichotomie von Theorie und Praxis ist das Ergebnis einer freien
Gesellschaft und so alleinig dieser vorbehalten. Die Bestrebung als Negation
ist aber nicht nur ein erlaubter Vorgriff, sondern gar eine Vorleistung:
Kritik ist so die Denunziation all dessen, was in Gestalt von Ideologie,
die Selbstbesinnung des Einzelnen oder der Gattung torpediert, ist die
vermittlungslose Feindschaft.(34)
Ihr Mittel ist die Agitation. Die leicht angeschauerte
Verabschiedung der Antifa von dieser verweist darauf, daß man
nichts mehr will(35), außer öffentlich
Schwätzchen zu halten über dies und das, was einen so kollektiv
bekümmert oder denkt, bekümmern zu müssen: gestern Nazis, heute
Rassismus und übermorgen der Königin ihr Kind (frei nach
Rumpelstilzchen). Agitation ist verharrende Konfrontation statt
Vermittlungsarbeit. Sie hat sich der Propaganda entledigt, weil diese die
Menschen manipuliert. Wo sie Freiheit schreit, widerspricht sie sich
selbst. Verlogenheit ist unabtrennbar von ihr. (...) Noch die Wahrheit wird ihr
ein bloßes Mittel zum Zweck, Anhänger zu gewinnen, sie fälscht
sie schon, indem sie sie in den Mund nimmt. Deshalb kennt wahre Resistenz keine
Propaganda.(36)
Agitation ist auch Erklären, aber kein Dummenfang. Sie kann sich wiederum
unzähliger Mittel bedienen, denn auf den Inhalt kommt es an: das
Flugblattverfassen und -verteilen, die Veranstaltung, der Kongress, die
Demonstration, die Zeitschrift, das Organisieren der Phantasie sind
keine Grenzen gesetzt, außer die des bürgerlichen Staates und der
objektiven Zwangsbedingungen des Kapitals. Konstruktive Agtiation aber ist
keine: Stets findet man dem Wort Kritik, wenn es denn durchaus toleriert
werden soll, oder wenn man gar selber kritisch agiert, das Wort konstruktiv
beigestellt. (...) Durch die Auflage des Positiven wird Kritik von vornherein
gezähmt und um ihre Vehemenz gebracht.(37)
Wer Reklame macht für seine Sache ohne agitatorisch zu konfrontieren, ist
Propagandist und als solcher Träger von Ideologie. Er verkommt mit dem
Rüstzeug der Theorie zum Dresseur der Wirklichkeit, um sich die Menschen
zu erobern, derer er sich bedient anstatt sie mit ihrem Stande der Unfreiheit
zu konfrontieren. Bei der Antifa nennt sich dies Bündnispolitik und deren
Vorleistung ist seit Generationen von Linken immer schon die Selbstaustreibung
agitatorischer Züge gewesen.
Schluß (mit Antifa)
Die Antifa pflegt ein unauflösbares ambivalentes Verhältnis zu ihren
Nazis und deren Faschimus bzw. Nationalsozialismus ob sie nun real
exisitieren oder nicht, ob sie nun gesellschaftliche Relevanz besitzen oder
nicht, ist dabei zweitrangig. Das strukturelle Gefüge nötigt die
Gedanken in jene Form einer Art Zwangskorsett des historischen Antifaschismus,
in der die Identität sicher und geborgen sich vor radikalen
Einflüssen abgeschottet hat und einrichten konnte. Aus dieser
Konstellation erwächst jene hartnäckige Faktenresistenz, die
über permanente Augenwischerei der letzten Jahre alles Handeln zur
aktionistischen Blindheit führte. Das verleugnete Fehlen von
Radikalität gerät so zur Selbstvergewisserung der eigenen
Handlungsfähigkeit. Der Popanz aktionistischer Sinnlosigkeit ist im
Unbewußten allgegenwärtig. Nach dem Prinzip des Waldes, den man vor
lauter Bäumen nicht gewahr wird, will man die Krise therapeutisch
aussitzen. Man will Kontakt aufnehmen, wo der Saft längst abgedreht ist,
weil der Stromgigant namens Staat entgegen der Prinzipien des Postfordismus das
Monopol an sich gerissen hat. Der verordnete staatliche Antifaschismus der
Berliner Republik war der Lackmustest, der die Antifa ihres Pseudonyms des
Linksradikalismus überführte. Ihres eigenen Anspruchs entkleidet,
klammert man sich um so fester an das Gewohnte: der Antifaschismus als
Rettungsanker eines erlittenen Schiffbruchs welch Irrsinn!
Wenn der Begriff des Antifaschismus als Konzept beibehalten wird,
so soll noch einmal betont werden, dann gibt es kein Entrinnen aus der
gesellschaftlich zugewiesenen Ecke des Expertentums, das sich bei näherer
Betrachtung eben als getarntes Mitmachen enpuppt.
Die Bestimmung als Bewegungs-Melder faschistischer und rassistischer Tendenzen
in der bürgerlichen Gesellschaft ist folgerichtig und seitens des
bürgerlichen Staates konsequent. Der kollektive Zwang zu einer
Positivität, welche unmittelbare Umsetzung in Praxis erlaubt, hat
mittlerweile gerade die erfaßt, die sich in schroffstem Gegensatz zur
Gesellschaft meinen. Nicht zuletzt dadurch ordnet ihr Aktionismus dem
herrschenden gesellschaftlichen Trend so sehr sich ein. Dem entgegenzusetzen
wäre (...), daß das Falsche, einmal bestimmt erkannt, und
präzisiert, bereits Index des Richtigen, Besseren
ist.(38)
Das schrieb nicht etwa ein profunder Kenner der Antifa von heute, sondern
Adorno 1969. Dessen anzumahnende verzweifelte Aktualität gerade
angesichts des Scheiterns der 68er und deren Folgen, denen seine Zeilen in
erster Linie galten legt in Gänze das Desaster Antifa offen.
(Teil EINS und ZWEI
erschienen in den Februar- und März-Ausgaben des
Cee Ieh, Teil drei ist die letzte Folge.)
Fussnoten:
(1) Karl Marx, Thesen über Feuerbach, in: Marx/Engels, Ausgewählte
Schriften II, Berlin 1966, S.370
(2) ebenda S.371
(3) vgl. Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit: Zur
Epistemologie der abendländischen Geschichte, Weinheim 1989, S.14-19 und
derselbe, Das Geld, die bare Münze des Apriori, Berlin 1990, S.30
(4) vgl. Karl Marx a.a.O., S.372
(5) vgl. Marx Brief an Ludwig Kugelmann a.a.O. S.431
(6) Die schlaueren unter den Vertretern dieser Philosophie wissen, daß man
dies nicht leugnen sollte, weil man sich sonst gleich der Lächerlichkeit
preisgäbe. So heißt es dann auch anmaßend: Mit dem
traditionellen Marxismus teilt der Poststrukturalismus den Umschlag von Kritik
in Affirmation. (vgl. Kornelia Hafner, Liquidation der Ökonomie oder
ihre Kritik?, in: jour-fixe-initiative berlin (Hg.), Kritische Theorie und
Poststrukturalismus, Hamburg, 1999 S.121
(7) So erklärte ein offizieller Vertreter des Leipziger Bündnis gegen
Rechts auf einer Veranstaltung mit dem Titel Politik oder Kritik?
allen Ernstes, daß eine Theorie, die nicht praktisch werden
könne, wertlos sei. Damit sind dem Denken verheerende Grenzen
gesetzt.
(8) Initiative Sozialistisches Forum, Der Theoretiker ist der Wert, Freiburg
2000, S.47
(9) ebenda S.95
(10) in: Jungle World Nr.29 vom 12. Juli 2000
(11)
Initiative Sozialistisches Forum a.a.O. S.17
(12) Wer sich tatsächlich der lohnenden Mühe unterziehen möchte,
einen umfassenden Einblick zu erhalten, dem seien die drei von Wolfgang
Kraushaar herausgegebenen Bände Frankfurter Schule und
Studentenbewegung, Hamburg 1998, wärmstens empfohlen.
(13) ebenda, Bd.2, Hans-Jürgen Krahl, Kritische Theorie und Praxis, S.695
(14) ebenda S.696
(15) ebenda, Bd.3., Alex Demirovic, Bodenlose Politik Dialoge
über Theorie und Praxis, S.82
(16) ebenda, Bd.2, Hans-Jürgen Krahl, S.693
(17) in: Stichworte, Kritische Modelle 2, Frankfurt am Main 1969, S.181
(18) Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, Freiburg 1990, S.183
(19) Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, München, 1994, S.267
(20) Hans-Jürgen Krahl a.a.O. S.694
(21) zitiert nach Alex Demirovic a.a.O. S.83
(22) ebenda
(23) ebenda S.84
(24) Frank Böckelmann, Bewegung, in: Wolfgang Kraushaar (Hg), a.a.O., Bd 3,
S.204
(25) ebenda S.216, 219, 220, 225
(26) Johannes Agnoli, die Transformation der Demokratie, Feiburg 1990, S.93
(27) Sie wissen das nicht, aber sie tun es. (Karl Marx, Das Kapital,
Band I, Berlin 1955, S.79
(28) Max Horkheimer, Gesammelte Schriften Bd.4, S.292; hier zitiert aus: Rolf
Wiggershaus, Max Horkheimer, Hamburg 1998 S.66
(29) Manfed Dahlmann, Kritische Theorie am Ende?, www.isf-freiburg.org
(30) Walter Benjamin, Der destruktive Charakter, in: ak kassiber, Aneignung 2,
Berlin 1996, S.07 und 08
(31) Manfred Dahlmann a.a.O.
(32) Theodor W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, in: ders.
Gesellschaftstheorie und Kulturkritik, Frankfurt am Main 1975 S.47
(33) Frank Böckelmann a.a.O. S.222
(34) Initiative Sozialistisches Forum a.a.O. S.112
(35) vgl. Bahamas Nr.26, 1998, Editorial S.04
(36) Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt
am Main 1969 S.272
(37) Theodor W. Adorno, Kritik, in: Wolfgang Kraushaar Bd.2 a.a.O. S.635
(38) ebenda S.639
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