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Krise. Welche Krise?


Seit September geht das Gespenst der Weltwirtschaftskrise um. Und kaum war die Krise ausgerufen, wussten die politischen Verantwortlichen, was zu tun sei. Haushaltsdefizit und Privatisierung war gestern, jetzt soll es verstärkt staatliche Kontrolle sein. Der Neoliberalismus scheint innerhalb weniger Wochen verschwunden zu sein, stattdessen wird über milliardenschwere Subventionen für die Wirtschaft, sowie öffentliche Nachfrageankurbelung debattiert. Der Staat ist derzeit der zentrale Akteur, auf den alle Hoffnungen gerichtet sind.

Das müsste das globalisierungskritische Netzwerk Attac freuen, denn dieses wünscht sich schließlich von jeher mehr Staat. Und Attac dreht auf. Statt einer Steuer auf Aktientransaktionen wie bisher, wird gleich die Schließung der Börse gefordert. Falls es nichts wird mit der Börsenschließerei, könnten die Texterinnen und Texter von Attac auch locker Ghostwriting für die nächste „Die Kassierer“ Platte betreiben mit einem Titel wie: „Zocker, Zeitbomben und Casinos“. In der Welt von Attac gibt es einerseits Zocker, andererseits „hunderttausende normale Arbeitsplätze“, welche von den Zockern beim Zocken verzockt wurden. Wahrscheinlich wurden die Arbeitsplätze im 10.000er Pack am Roulettetisch in der Mittagspause gesetzt, oder was auch immer diese kreuzblöde Metapher suggerieren soll.

Und auch die fleischgewordene Inkarnation der Stimme der BILD-Zeitung im Bundespräsidialamt poltert los gegen maßlose Banker, gierige Manager und wie sie alle heißen. Denn wenn Einzelkapitalien dem nationalen
Moderne Hausfrau, 41.2k
Gesamtnutzen auf Dauer schaden, gibt es irgendwann ein paar auf den Deckel von Seiten des ideellen Gesamtkapitalisten. Das darf dann in den Medien der hemdsärmlige Quasselkasper Nummer Eins übernehmen. Schließlich wird somit „denen da unten“ vermittelt, dass „die da oben“ sich um Volkes Belange kümmern würden. Genau diese Art von Zurichtung der Subjekte aufs Nationale war in Deutschland schon immer besonders widerwärtig. Und der Pakt für das nationale Interesse scheint gerade wieder neu belebt worden zu sein. Schließlich behauptet der Staat, dass er in stürmischen Zeiten für Sicherheit sorgen könne.

Und es bleibt zu erwarten, dass auch dieses Mal wieder den Funktionsträgerinnen und -trägern in Wirtschaft und Politik der eine oder andere Kniff einfallen wird, um den Kapitalismus zu retten. Ideologisch sind die Schuldigen zumindest schon ausgemacht, die die deutsche Wirtschaft in die derzeitige missliche Lage gebracht haben: das US-amerikanische Bankensystem im Allgemeinen, Investmentbanken und Hedgefonds im Besonderen, dazu die Schweiz und andere als „Steueroasen“ geschmähte Staaten. Und natürlich US-Konzerne. In der Tagesschau wird in nüchternem Tonfall darüber räsoniert, ob man nicht Opel vom Mutterkonzern General Motors abtrennen könne. Schon im Fall von Daimler-Chrysler war in Deutschland klar, dass „die da drüben“ nur Miese produziert haben, während hier deutsche Wertarbeit gefertigt wurde. Immer wieder bestätigt man in Deutschland die eigene Gewissheit: die anderen sind Schuld, wenn es im Getriebe der Weltwirtschaft knirscht.

Leider gibt es für alle, die mit Kapitalismus nicht einverstanden sind, wenig Grund zu jubeln, denn dieser geht unter veränderten Bedingungen weiter. Denn es sind nicht „wir“ (John Holloway) die diese Krise verursacht und den Kapitalismus in die Enge getrieben haben, sondern ein anonymes Wüten, vor dem selbst die Ökonomen derzeit ratlos dastehen. Oder waren es doch wir? Schließlich haben einfache Hauskäuferinnen und -käufer die Krise maßgeblich mit verursacht. Ein widerständiges „wir“ bedeutet das aber keineswegs. Schließlich möchten von Zwangsversteigerung und Räumung Betroffene ihr Wohneigentum behalten. Kann man ja auch nachvollziehen, aber dummerweise schließt das den Wunsch zur Abschaffung der derzeitigen Wirtschaftsweise aus. Nicht, dass es anders sein sollte wird erhofft, sondern ein genügend großes Stück vom gesellschaftlichen Mehrwert wird gewünscht. Und der Staat möge diese milden Gaben doch bitteschön verteilen. Das gilt für die USA genauso wie für Deutschland.

Die Sache hat nur einen Haken: die 500 Euro-Einkaufsscheine pro Bürgerin und Bürger, über die in der Vorweihnachtszeit diskutiert wurde, gibt es nur dann, wenn die Staatskasse genügend voll ist – also bis hierher alles noch gut ging. Solange sich der Staat und seine Freundinnen und Freunde es sich noch leisten können, Diskussionen um Einkaufsgutscheine zu initiieren, kann die Lage so schlimm nicht sein. Erst wenn es nichts mehr umzuverteilen gibt, wird man sehen, was da so im deutschen Gegenstück zu „Joe the Plumber“ (Heizungsmonteur aus Brandenburg?) schlummert. Und das möchte ich ehrlich gesagt gar nicht so genau wissen.

Und die Talsohle ist noch nicht erreicht, die nächsten Monate könnten noch finsterer werden. Denn wesentlich schlimmer als Deutsche sind jammernde Deutsche. Und mit denen dürfte man ab demnächst rund um die Uhr medial belästigt werden. R-E-Z-E-S-S-I-O-N buchstabiert sich der Dauerbrenner, der die neue, deutsche Weinerlichkeit befeuert. Okay, keinen Job zu haben ist schlimm, aber zusätzlich dazu mit deutscher Ideologie in ihrer grauenhaftesten Form penetriert zu werden, ist der absolute Horror. Maybrit Illner-Specials jeden Tag auf allen Kanälen. Über nichts anderes als Krise und die Folgen für Deutschland wird das Medien- und Politikpersonal quasseln. Vermutlich schafft es Peter Sodann dadurch doch noch Bundespräsident zu werden. Eine grauenerregende Vorstellung. Am besten jetzt schon das Zeitungsabo abbestellen und den Fernseher prophylaktisch verkaufen, denn es kann einfach nur ganz furchtbar werden. Und den DSL-Vertrag abmelden, denn das Internet will Familienministerin Ursula von der Leyen in Teilen abschalten und gerichtlich verbieten lassen. Ist ja auch einiges an Zeug drin, auf das der deutsche Staat keinen Zugriff hat, das geht ja nun wirklich nicht.

Denn schon vor Beginn der Finanzkrise pöbelte sich Deutschland in Rage gegen Länder, die sich erdreisten, nicht der deutschen Gerichtsbarkeit zu unterstehen. Liechtenstein wurde zumindest verbal angegriffen. Dem Nachbarland drohte der SPD-Abgeordnete Niels Annen ziemlich unverhohlen an „dass wir gegen das Fürstentum vorgehen“. Welche Mittel er da auch immer im Sinn hatte.

Wenn der Banker auf nationaler Ebene derzeit die Witzfigur darstellt, um die man sich im Halbkreis aufstellt und die man dann ein bisschen rumschubst (so richtig wehren kann er sich ja nicht), dann erfüllt der Schweizer diese Rolle auf internationaler Ebene. Vor größeren Ländern hat Deutschland Angst, denn die könnten sich wehren und verfügen über ernstzunehmende Armeen. Also immer feste drauf auf kleinere, als feindlich ausgemachte Staaten, die „uns“ das Kapital leersaugen. Wie etwa die Schweiz. Kleinere diplomatische Eklats, die in der Einbestellung des deutschen Botschafters in Bern enden, kann man sich da schon erlauben.

Finanzminister Steinbrück erwägte, die Schweiz auf die schwarze Liste von „Steueroasen“ setzen zu lassen, denn schließlich ist es ja aus deutscher Sicht eine Ungeheuerlichkeit, dass der deutsche Staat bislang keine Zugriff- und Kontrollmöglichkeiten auf das Bankenwesen anderer Länder hat. Das muss sich natürlich ändern, woran die Freundinnen und Freunde des deutschen Imperialismus – sei es die Bundesregierung oder ihre ideologischen Helfershelfer von Attac – arbeiten.
In der Krise gibt es schließlich nur noch deutsche Opfer, die alle gleich viel zählen: egal ob das taumelnde deutsche Konzerne, die Steuereinahmen des Staates oder entlassene Arbeiterinnen oder Arbeiter sind. In der Krise kennt die Nation keine Einzelinteressen mehr, sondern nur noch Deutsche.

Von Krise kann also in dieser Hinsicht überhaupt keine Rede sein: Die Nation ist wieder angesagt und erfreut sich bester Gesundheit. Schade eigentlich, dass es an dieser Stelle nicht kriselt.

Unkultur
http://unkultur.olifani.de


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last modified: 18.12.2008