Teil 2: Die kapitalistische Gesellschaft als prozessierender
Widerspruch
skizzenartige Zusammenfassung eines Referats bei Tomorrow
von Martin Dornis
1) Marxsche Kritik als Verelendungs- und Krisen-Theorie
sowie Fetisch- und Ideologiekritik
Dieser Text ist Teil meiner Referatsreihe zur Einführung in die
kritische Gesellschaftstheorie. Im Mittelpunkt steht die Marxsche
Ökonomie-Kritik, die Darstellung der Entfaltung des Kapitals als
prozessierendem Widerspruch (Marx: Grundrisse, S. 593), bei dem
sich das immanent widersprüchliche Wertgesetz (Engels)
vermittelt über den Weltmarkt durchsetzt und dabei eine Gesellschaft
entstehen lässt, die immer mehr Menschen ins nackte Elend, in Kriege und
in völlige Abhängigkeit von der blinden Wucht des Kapitals treibt -
Marxsche Kritik ist also erstens: eine Verelendungstheorie. Aufgrund
ihrer Entwicklungslogik, die auf innerer Widersprüchlichkeit basiert,
gestaltet sich die Durchsetzung des Kapitalismus in Form eines Wechsels
zyklischer Krisen die sich in einem steten Auf und Ab wirtschaftlicher
Entwicklung äußern Marxsche Kritik daher zweitens: eine
Krisentheorie. Schließlich beschreibt sie die kapitalistische
Gesellschaft als eine, die sich selbst systematisch ihr eigenes Wasser
abgräbt - Marxsche Kritik daher drittens: eine
Zusammenbruchstheorie.
Der Kapitalismus ist dabei als selbstregulatives System
(allerdings mit Zusammenbruchstendenz und unter großem Elend der
Menschen, die zu diesem System gehören) mit immanenten Gesetzen zu
bestimmen. Das heißt: diese Gesellschaft vollzieht sich, ohne dass sie
denn jemand beherrschen kann, bzw. alle Versuche der Beherrschung sind nur Teil
ihrer an sich blinden Eigenlogik. Diese Gesetze werden zwar von handelnden
Menschen aktiv hervorgebracht, allerdings unbewusst. Marxsche Kritik daher
viertens: Fetischkritik. Marx kritisiert primär die politische
Ökonomie als den ideologischen Ausdruck des kapitalistischen
Fetischsystems. Marxens Konzept ist die Darstellung der verkehrten
Wirklichkeit anhand des aus ihr resultierenden falschen Denkens in einem -
Marxsche Kritik daher fünftens: Ideologiekritik.
2) Fetischistische Vermittlung über Wert, Geld und Kapital
Marxens Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass in einer Gesellschaft, die immer
mehr Reichtum produziert, immer weniger Menschen ausreichend Güter zum
Leben haben und sie immer abhängiger von der gelingenden Verwertung
werden. Um die Gründe dafür zu benennen, geht er von der Form aus, in
welcher kapitalistischer Reichtum erscheint, von der Warenform.
Auf den ersten Blick erscheint der bürgerliche Reichtum als eine
ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als sein elementarisches Dasein.
Jede Ware aber stellt sich dar unter dem doppelten Gesichtspunkt von
Gebrauchswert und Tauschwert (Zur Kritik der politischen
Ökonomie, MEW 13, S.15).
Die Ware offenbart sich ihm als ein in sich widersprüchliches,
zerrissenes und durchaus mystisches Etwas. Er spricht daher vom
Doppelcharakter der Ware (K1, S. 49). Einerseits brauchbarer
Gegenstand, den man verwenden/benutzen kann (Gebrauchswert), ist sie
andererseits ein Ding, welches als Ware Ausdruck eines gesellschaftlichen
Verhältnisses, des kapitalistischen Produktions- und
Reproduktionsprozesses ist (Tauschwert).
Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft erfolgt die Vermittlung der
Menschen via Austausch von Waren auf dem Weltmarkt und der durch
Kapitalkonkurrenz bewirkten Angleichung der Profitrate (es muss auf einem
bestimmten Niveau produziert werden, um überhaupt konkurrenzfähig zu
sein). Diese indirekte Vermittlung geschieht vermittelt über das
Wertgesetz:
In der Form Geld verselbständigt sich der Wert (Darstellung
vernutzter Arbeitskraft). Der Wert gewinnt im Geld Eigengesetzlichkeit.
Die erste Eigentümlichkeit [in der Warengesellschaft] (
) ist
diese: Gebrauchswert wird zur Erscheinung seines Gegenteils, des Werts (K1,
S.70) (
) eine zweite Eigentümlichkeit, daß konkrete Arbeit zur
Erscheinung ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit wird (
) eine
dritte Eigentümlichkeit (
) dass Privatarbeit zur Form ihres
Gegenteils wird, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form (K1,
S.72).
Diese drei Eigentümlichkeiten drücken die prinzipielle
Verkehrtheit und Verrücktheit der kapitalistischen Gesellschaft aus.
Verkehrt und verrückt ist dabei streng
wörtlich zu nehmen: also verstanden als von der Stelle
verrückt bzw. verkehrt herum, gedreht,
auf dem Kopf stehend. Indem das Geld als allgemeine Ware aus dem
Warenmeer herausgelöst wird, sich der Wert der Ware im Geld von ihr
verselbständigt, nimmt die auf diesem Prinzip beruhende Gesellschaft eine
völlig verkehrte und verrückte Form an. Bereits im einfachen Tausch
zweier Waren gegeneinander treten jene drei Eigentümlichkeiten
hervor. Die eine Ware spiegelt im Gebrauchswert der anderen ihren
gesellschaftlichen Charakter. Sie drückt ihren eigenen inneren Gegensatz,
den sie als Ware in sich trägt, dass sie gleichermaßen materielles
Ding wie Erscheinung eines bestimmten gesellschaftlichen Zustandes ist, an der
anderen Ware aus. Dazu benutzt sie deren Naturstoff zum
Ausdrücken ihrer abstrakten, gesellschaftlichen Seite. In der entfalteten
kapitalistischen Gesellschaft spiegelt sich nicht eine Ware in der anderen,
sondern vielmehr alle in einer: dem Geld. Dieses wird daher zum generellen
Ausdruck der Gesellschaftlichkeit des Menschen, die aber aufgrund ihrer
Verkehrung eine unbegriffene und unbewusste Gesellschaftlichkeit
ist.
Und schließlich: Sobald [ein Produkt] als Ware auftritt,
verwandelt [es] sich in ein sinnlich-übersinnliches Ding. [Es] steht nicht
nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern [es] stellt sich allen
anderen Waren gegenüber auf den Kopf (
) Das Geheimnisvolle der
Warenform besteht (
) darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen
Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften
dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche
Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen
existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen
(K1, S.85f). Und weiter: Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte
einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen
Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht aber sie
tun es (K1, S.88).
Daher ist von einer fetischistischen Gesellschaft zu sprechen: sie vollzieht
sich unbewusst hinter dem Rücken der Akteure: Die Bewegung der Waren
bestimmt die Bewegung der Menschen. Diese werden in der fetischistischen
Gesellschaft zu Anhänseln jener. Die Widersprüchlichkeit der Ware
selbst, der ihr wesenhaft inne wohnende Widerspruch, bringt dieses
verrückte und verkehrte Verhältnis hervor.
Indem Marx dieses Verhältnis aufdeckt, erweist er sich als Kritiker der
fetischistischen Gesellschaft.
Die grundlegenden Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft - Wert, Ware,
Tausch, Geld, Arbeit, Lohn, Kapital, Mehrwert, Profit, Zins, Grundrente
(Einkommen, das aus dem Besitz von Grund und Boden bezogen wird), Markt,
Handel, Staat, Nation - müssen sowohl gedacht werden, als auch liegt ihnen
eine materielle gesellschaftliche Realität unabhängig vom
menschlichen Bewusstsein zugrunde. Sie sind real gesellschaftlich
wirkungsmächtig. Scharf davon zu sondern sind Ideologien (Philosophien,
Religionen, Alltagsreligionen wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus), in
denen sich Menschen das Wirken gesellschaftlicher Zusammenhänge
verschleiert widerspiegeln. Die Aussage Menschen haben schon immer
gearbeitet ist eine Ideologie, die Arbeit selbst ist sowohl Denkform als
auch ökonomische Grundkategorie. Ideologien sind niemals
äußerliche Propaganda sondern immer immanent notwendiger Schein
notwendig falsches Bewusstsein. Auch Ideologien sind eindeutig real
wirkungsmächtig. Allerdings nicht gesellschaftskonstituierend wie die
ökonomisch-gesellschaftlichen Kategorien, sondern da sie ihrerseits
menschlichen Handeln beeinflussen.
Das Geld hat in der Warenproduktion drei Funktionen: 1) als Wertmaß
drückt es vernutzte Arbeitskraft aus, 2) als Zirkulationsmittel sorgt es
für den Austausch der Waren durch Vernetzung nationaler Märkte
wird es 3) zum Weltgeld: hier wirkt es als allgemeine Vergegenständlichung
des Reichtums. Erst auf dem Weltmarkt als Weltgeld wird das Geld vollends die
Ware deren Naturalform zugleich unmittelbar gesellschaftliche
Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in abstracto ist (K1, 156).
Das Kapital ist sich verwertendes Geld daher ein automatisches
Subjekt mit prozessierendem Charakter.
Er [der Wert] geht beständig aus der einen in die andere Form
über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in
ein automatisches Subjekt. Fixiert man die besonderen Erscheinungsformen,
welche der sich verwertende Wert im Kreislauf seines Lebens abwechselnd
annimmt, so erhält man die Erklärungen: Kapital ist Geld, Kapital ist
Ware. In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er
unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine
Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als
ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die
Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigene Bewegung, seine
Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten,
Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens
goldene Eier. (K1, S. 168f)
Die Kapitalisten und zunehmend Aktiengesellschaften, GmbHs etc. treten als
Agenten dieses Verwertungsprozesses auf. Sie sind bewusste Agenten eines
unbewussten Prozesses. Als bewusster Träger dieser Bewegung wird der
Geldbesitzer Kapitalist. Seine Person, bzw. seine Tasche, ist der Ausgangspunkt
und der Rückkehrpunkt des Geldes (K1 S. 167).
Der Wert kann nur durch Kauf und Vernutzung der Ware Arbeitskraft entspringen.
Geld verwandelt sich in Kapital unter ständiger Vernutzung von Ware
Arbeitskraft. Daraus bestimmt sich bei Marx der Begriff der produktiven
Arbeit. Produktive Arbeit ist solche, die tatsächlich zu einer
Vermehrung des Kapitals beiträgt. Produktiv ist nicht jede Tätigkeit,
die gegen Lohn verrichtet wird und schon gar nicht jede, die für
irgendjemand nützlich ist (letzteres zu behaupten wäre nur
dösbaddlich, weil dem Kapital bekanntlich scheißegal ist, ob der
Schruz, der getan wird, zu irgendetwas nütze ist es geht dem
Kapital um Gewinn und Wachstum und sonst um nix). Die Lehre von der
produktiven und unproduktiven Arbeit kann als wesentlicher Grundpfeiler der
Marxschen Ökonomiekritik betrachtet werden. Schließlich bestimmt
sich aus ihr, ob eine bestimmte Arbeit tatsächlich produktiv im Sinne des
Kapitals ist. Ist sie dies nicht (Überwucherung von produktiver durch
unproduktive Arbeit, vgl. Verweis auf entsprechende KRISIS-Texte im Anhang), so
wird die Reproduktion des Kapitals untergraben.
Produktive Arbeit im Sinn der kapitalistischen Produktion ist die
Lohnarbeit, die im Austausch gegen den variablen Teil des Kapitals (
)
nicht nur diesen Teil des Kapitals reproduziert (
) sondern außerdem
Mehrwert für den Kapitalisten produziert. Nur dadurch wird Ware oder Geld
in Kapital verwandelt, als Kapital produziert. Nur die Lohnarbeit ist
produktiv, die Kapital produziert (
) (TüM 1, S. 124).
Die produktive Arbeit wird hier bestimmt [bei Adam Smith] vom Standpunkt der
kapitalistischen Produktion aus (
). (Es bleibt (
) die Grundlage der
ganzen bürgerlichen Ökonomie, diese kritische Unterscheidung zwischen
produktiver und unproduktiver Arbeit). [Smith hat] die produktive Arbeit als
Arbeit bestimmt, die sich unmittelbar mit dem Kapital austauscht (
).
Damit ist auch festgesetzt, was unproduktive Arbeit ist. Es ist Arbeit, die
sich nicht gegen Kapital, sondern unmittelbar gegen Revenue [Einkommen]
austauscht, also gegen Salair [Lohn] oder Profit (
). Ein Schauspieler
(
) ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines
Kapitalisten arbeitet (
), dem er mehr Arbeit zurückgibt, als er in
der Form des Salairs von ihm erhält, während ein Flickschneider, der
zu dem Kapitalisten ins Haus kommt und ihm seine Hosen flickt, ihm einen
bloßen Gebrauchswert schafft, ein unproduktiver Arbeiter ist. Die Arbeit
des ersteren tauscht sich gegen Kapital aus, die des zweiten gegen Revenue. Die
erstere schafft einen Mehrwert; in der zweiten verzehrt sich eine Revenue
(TüM 1, S. 127)
Die Kapitalverwertung im Kapitalismus ist daher der von vielen vergeblich
gesuchte Lebenssinn, der einzigen Lebenssinn, der Menschen in einer
kapitalistischen Gesellschaft zugestanden wird. Dies kommt auch noch in der
Freizeit zum Ausdruck. Sie ist ein Teil des Verwertungsprozesses. Sie wird den
Menschen nur zugestanden insofern sie konsumieren und Waren kaufen (Bolte).
Daher wird sie manchmal zynisch treffend, wenngleich analytisch falsch als
verlängerte Werkbank bezeichnet. Treffend: weil die
Freizeitgestaltung sich tatsächlich in vielen Fällen entweder als
Zeitvertreib oder sinnlose Schufterei gestaltet.
Das Kapital selbst ist ein gesellschaftliches Verhältnis: Traditioneller
Marxismus bestimmte es als ein Verhältnis zwischen zwei Subjekten (Kapital
und Lohnarbeit). Treffender ist es m.E. diese Subjekte als Resultat
jener gesellschaftlicher Verhältnisse zu bestimmen, die über den Wert
vermittelt sind (Wertvergesellschaftung) und aus denen heraus erst die Existenz
von Klassen resultiert.
Von verschiedenen Seiten warf man uns vor, dass wir nicht die
ökonomischen Verhältnisse dargestellt haben, welche die materielle
Grundlage des jetzigen Klassenkampfs (
) bilden (
). Jetzt (
)
ist es an der Zeit, näher einzugehen auf die ökonomischen
Verhältnisse selbst, worauf die Existenz der Bourgeoisie und ihrer
Klassenherrschaft ebenso sich gründet wie die Sklaverei der
Arbeiter. (MEW 6, S. 397f, Lohnarbeit und Kapital)
Ein zentrales Moment des Kapitalverhältnisses ist die Ausbeutung.
Das Kapital ist ein Ausbeutungsverhältnis. Dies aber nicht als
moralische Kategorie, sondern als permanente Vernutzung menschlicher
Arbeitskraft zum Zwecke des Profits, der aber wiederum nur Selbstzweck ist. Er
wird großteils nicht zu Genusszwecken verprasst, sondern selbst wieder
investiert. Damit ist es auch ein Herrschaftsverhältnis:
Die Herrschaft der aufgehäuften, vergangenen,
vergegenständlichten Arbeit über die unmittelbare, lebendige Arbeit
macht die aufgehäufte Arbeit erst zum Kapital (Lohnarbeit und
Kapital, MEW 6, S. 409).
Die Mehrwertrate ist Gradmesser für die kapitalistische Ausbeutungskraft:
Sie gibt an, wie intensiv menschliche Arbeitskraft vom Kapital angeeignet wird,
wie viel Mehrwert aus einer eine bestimmte Zeit vernutzter Arbeit herausgezogen
und dem Kapital angeeignet wird. Das Kapital ist somit drittens ein
Aneignungsverhältnis. Ein Verhältnis der Aneignung lebendiger
Arbeit durch tote.
Der kapitalistische Gewinn der aus der Verwertung der menschlichen Arbeit
gezogen wird, heißt: der Mehrwert. Die Rate des
Mehrwerts gibt das Verhältnis zwischen der angewandten menschlichen
Arbeitskraft, also dem investierten variablen Kapital v und dem daraus
gezogenen Mehrwert m an: v/m. Als Profit wird der dem
Kapitalisten erscheinende Mehrwert bezeichnet. Beide scheinen daher
zunächst gleich. Allerdings setzt der Kapitalist seinen Gewinn nicht ins
Verhältnis zum von ihm investierten variablen Kapital, sondern zum
Gesamtkapital K. Die Profitrate unterscheidet sich daher von der
Mehrwertrate. Sie drückt das Verhältnis zwischen angewandten
Gesamtkapital und dem daraus gewonnen Profit/ Mehrwert an.
Wenn der von einem Kapitalisten realisierte Gesamtprofit gleich 1oo Pfd.
St. ist, so nennen wir diese Summe, als absolute Größe betrachtet,
die Menge des Profits. Betrachten wir aber das Verhältnis, worin diese 100
Pfd. St. zu dem vorgeschossenen Kapital stehn, so nennen wir diese relative
Größe die Rate des Profits (
). Die erste Ausdrucksform der
Profitrate ist die einzige, die (
) das wirkliche Verhältnis zwischen
bezahlter und unbezahlter Arbeit anzeigt, den wirklichen Grad der Exploitation
(
) der Arbeit. Die andere Ausdrucksform ist die allgemein übliche
(
). Jedenfalls ist sie sehr nützlich zur Verschleierung des Grads,
worin der Kapitalist Gratisarbeit aus dem Arbeiter herauspresst (Marx:
MEW 16, S. 138f; Lohn, Preis, Profit).
Lohnarbeit und Kapital sind als entgegengesetzte Moment EINER
gesellschaftlichen Totalität zu begreifen (vgl. Marx: Lohnarbeit und
Kapital: Die Interessen des Kapitals und der Lohnarbeit sind
dieselben, heißt nur: Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und
desselben Verhältnisses , MEW 6, S. 411). Die kapitalistische
Reproduktion erfolgt unter permanentem Druck der Konkurrenz, daher kommt es zu
ständiger Akkumulation (Anhäufung) des Kapitals. Dieses Gesetz
ersetzt den alten Gott, alle müssen sich ihm unterordnen. Im Unterschied
zu diesem besitzt jener tatsächlich jederzeit die Macht, dass
jüngste Gericht abzuhalten und die Menschen in den Abgrund zu
stoßen. Ziel des kapitalistischen Krisenmanagements besteht
darin, diesen Tag möglichst weit hinaus zu schieben (Bolte).
Mit der Steigerung der kapitalistischen Produktivität wächst der
Ausbeutungsgrad des Kapitals. Es verlangt aber höhere Auslagen an
Maschinen, um eine gleiche Zahl von Arbeitern auszubeuten. Um die
Produktivkraft der Arbeit zu steigern, wird die Produktion unter Einsatz von
Maschinen immer weiter automatisiert. Marx bestimmt den Begriff der Maschine
nicht nur technisch, sondern versteht sie auch als Erscheinungsform des
Kapitals, als Verkörperung eines gesellschaftlichen Verhältnisses.
Nicht der Arbeiter wendet die Maschine an, sondern sie den Arbeiter.
Die Maschine (
) ersetzt den Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug
handhabt, durch einen Mechanismus, der mit einer Masse derselben oder
gleichartiger Werkzeuge auf einmal operiert und von einer einzigen Triebkraft,
welches immer ihre Form, bewegt wird. (K1, S. 396) In Manufaktur und
Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der
Maschine. Dort geht von ihm die Bewegung des Arbeitsmittels aus, dessen
Bewegung er hier zu folgen hat. In der Manufaktur bilden die Arbeiter Glieder
eines lebendigen Mechanismus. In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus
unabhängig von ihnen, und sie werden ihm als lebendige Anhängsel
einverleibt. (K1, S. 445). Die Arbeiter sind nur als bewusstlose
Organe seines [des Automaten] Bewegung beigeordnet (K1, 442). Die
Maschinerie wird missbraucht, um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen an in den
Teil einer Teilmaschine zu verwandeln (K1, 445) Oder: [Es]
verselbständigt sich in der Maschinerie die Bewegung und
Werktätigkeit des Arbeitsmittels: es wird an und für sich ein
industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen fortproduzieren würde,
stieße es nicht auf gewisse Naturschranken in seinen menschlichen
Gehilfen (
) (K1, S. 425).
Darin unterscheidet sich die Maschine vom Werkzeug. In dieser Bestimmung wird
die Charakterisierung des Kapitalismus als verkehrte und
verrückte Gesellschaft ein weiteres Mal offenkundig.
Könnte Automatisierung, würde sie von Menschen angewendet, viel Gutes
für sie tun, ihnen unerfreuliche Tätigkeit abnehmen, so richtet sie
sich im Kapitalismus gegen sie und macht sie zu ihren Anhängseln. Das
Fetischsystem schaltet sich quasi via Maschine direkt in die Psyche und das
Muskelsystem der Menschen hinein und kommt darin erst zu seiner vollen
Entfaltung. Die Tatsache, dass die Arbeiter als Arbeiter nicht das
Gegenstück, sondern vielmehr ein Teil des Kapitals sind, wird jetzt
handgreiflich. Das geht an ihre Substanz:
Während die Maschinenarbeit das Nervensystem aufs
äußerste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der
Muskeln und konfisziert alle körperliche und geistige Tätigkeit.
Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die
Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom
Inhalt (K1, 445f). Alle Arbeit an der Maschine erfordert
frühzeitige Anlernung des Arbeiters, damit er seine Bewegung der
gleichförmigen kontinuierlichen Bewegung eines Automaten anpassen
lerne (K1, 443).
3) Kapitalistische Akkumulation: subjektiver und objektiver Widerspruch des
Kapitals, Krisen- und Zusammenbruchstheorie
Unter kapitalistischen Bedingungen kommt es zur Bildung einer
Reservearmee, Marx spricht von relativer
Übervölkerung: immer mehr Menschen werden durch kapitalistische
Rationalisierung außer Kurs gesetzt, d.h. sie verlieren mit ihren
Arbeitsplätzen die Existenzbedingung. In der Waren produzierenden
Gesellschaft wächst daher die Armut derart an, dass diese Masse dem
Kapital u. U. direkt zur Last fällt. Unter diesen Umständen tritt oft
der völkische Mob auf den Plan.
Zentral in Warenproduktion ist das absolute, allgemeine Gesetz der
kapitalistischen Akkumulation. Dies meint die permanente Polarisierung von
Reichtum und Armut.
Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende
Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums (
) desto größer
die industrielle Reservearmee (
) Die verhältnismäßige
Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den
Potenzen des Reichtums. (
) Je größer endlich die
Lazarusschichte der Arbeiterklasse [die Armen] und die industrielle
Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus [die
Verarmung]. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen
Akkumulation. (
) aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind
zugleich Methoden der Akkumulation (
) Es folgt daher, dass im Maße
wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters
sich verschlechtern
muß. [Dieses] Gesetz endlich
schmiedet den Arbeiter immer fester
ans Kapital (
). Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also
zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit,
Brutalisierung (
) auf dem Gegenpol (
) . Dies macht den
antagonistische[n] Charakter der kapitalistischen Akkumulation aus
(K1, S. 673 - 675).
Die Arbeiter werden immer fester ans Kapital gebunden. Sie verarmen, obwohl -
bzw. unter den verkehrten und verrückten
Verhältnissen des Kapitalismus: gerade weil die Versorgung der
Menschen mit Lebensmitteln rein stofflich kein Problem mehr wäre. Daher
könnte der Stoffwechselprozess jetzt anders organisiert,
sinnlich-vernünftig geregelt, statt von blinder Macht beherrscht werden.
Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der
vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren
Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche
Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu
werden (K3, S. 828).
Auch wenn das Problem der direkten Verarmung in Nord und Süd, West und Ost
immer offenkundiger wird, benennt das Gesetz der kapitalistischen Akkumulation
noch eine weitere Tendenz: der kapitalistische Reichtum lässt die Menschen
nicht nur materiell verarmen und letztendlich krepieren, er macht sie auch
sukzessive immer weiter abhängig von der gelingenden Kapitalverwertung und
der Verfügung über Geldsummen sowie von gesellschaftlichen Prozessen,
auf die sie selbst keinen Einfluss nehmen können. Das absolute und
allgemeine Gesetz erschöpft sich also nicht darin, zu konstatieren,
dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, wie es
traditionsmarxistisch missverstanden, bzw. einseitig verstanden werden
könnte. Es benennt vielmehr des weiteren die immer weiter zunehmende
Abhängigkeit aller Menschen von einer nicht in ihrem Einflussbereich
liegenden gesellschaftlichen Bewegung, die sie alle immer mehr mit einem Schlag
in die völlige Armut zu stoßen droht. Hier drückt sich der
subjektive Widerspruch des Kapitals (Bolte) aus: Dieser meint die
Möglichkeit einer umfassenden Versorgung, der im schreienden Gegensatz zur
elenden Realität steht.
Die Marxsche Theorie kann treffend als eine Verelendungstheorie
gekennzeichnet werden. Dies meine ich durchaus nicht im negativen Sinne.
Leider wird der Begriff oft falsch verstanden und abwertend benutzt.
Grundsätzliche Aussage der Marxschen Ökonomiekritik ist, dass es den
Menschen unter Bedingungen der Warenproduktion tendenziell nur schlechter
gehen kann und dass die Warenproduktion aufgehoben werden muss, wenn
dies mal anders werden soll. Dies kann als zentrale Position der von Marx
im Kapital heraus gearbeiteten Position betrachtet werden.
Damit entwickelt er jenen Ansatz weiter, der bereits im Manifest
zentral war. Die Verelendung ist in der verkehrten und
verrückten kapitalistischen Gesellschaft eine paradoxe: nicht
weil zuwenig, sondern weil zuviel produziert wird, leben viele Menschen im
Elend. Die Gesellschaft gerät nicht in die Krise, weil sie zu schlecht,
sondern gerade weil sie zu gut funktioniert. Dieser Grundgedanke zieht sich wie
ein roter Faden durch das Werk von Marx und Engels.
Die moderne bürgerliche Gesellschaft gleicht dem Hexenmeister, der
die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er
heraufbeschwor (
). Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche
(
) immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft
in Frage stellen (
). In den Krisen bricht eine gesellschaftliche
Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen
wäre die Epidemie der Überproduktion (
). Und warum?
Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel
Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen,
dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen
Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil: sie sind zu gewaltig für diese
Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie das
Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in
Unordnung (
). Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng
geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. Wodurch
überwindet die Bourgeoisie die Krisen? (
) Dadurch, dass sie
allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen
vorzubeugen, vermindert (Marx/ Engels, MEW 467f; Manifest der
Kommunistischen Partei)
Hier deutet sich außer dem subjektiven auch ein objektiver
Widerspruch (Bolte) des Kapitals an. Es drückt sich aus
in der Krisentendenz des Kapitals. Auf grundsätzlicher Ebene tritt
dieser zutage in der Tatsache, dass der Verkauf der Ware niemals garantiert
ist. Sporadisch kommt es im Kapitalismus zu Überproduktionskrisen. Dies
ist ein feststehendes Ritual des kapitalistischen Krisenzyklus: die
zyklischen Krisen.
Hintergrund dessen ist die stets sinkende Profitrate: sie verhält
sich umgekehrt proportional zur steigenden Mehrwertrate. Infolge der durch
Modernisierung steigenden Produktivkraft der Arbeit, sich ausdrückend in
steigender Mehrwertrate, wird immer mehr Arbeit eingespart, es verringert sich
der Anteil der lebendigen Arbeit, aus der der Mehrwert entspringt. Die
kapitalistische Produktion muss daher als Ganzes beständig wachsen, damit
sich dieser Rückgang perspektivisch ausgleicht.
Die progressive Tendenz der allgemeinen Profitrate zum Sinken ist also
nur ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlicher Ausdruck
für die fortschreitende Entwicklung der gesellschaftlichen
Produktivkraft der Arbeit (K3, S. 223).
Die kapitalistische Akkumulation vollzieht sich unter dem Gesetz des
tendenziellen Falls der Profitrate. Dies müsste gäbe es
keine gegenläufigen Momente (Erhöhung der Mehrwertrate, Verbilligung
des konstanten Kapitals, Handel, Produktionsverlagerung, Ausweitung des
Dienstleistungssektors) binnen kurzer Zeit zum Zusammenbruch der
kapitalistischen Ökonomie führen.
Es müssen gegenwirkende Einflüsse im Spiel sein, welche die
Wirkung des allgemeinen Gesetzes (des tendenziellen Falls der Profitrate)
durchkreuzen und aufheben, und ihm nur den Charakter einer Tendenz geben,
weshalb wir auch den Fall der allgemeinen Profitrate als einen tendenziellen
Fall bezeichnet haben. Die allgemeinen Ursachen sind folgende: Erhöhung
des Exploitationsgrads der Arbeit (
) (K3, 242), Herunterdrücken des
Arbeitslohns unter seinen Wert (
), Verwohlfeilerung der Elemente des
konstantes Kapitals (
) (245), relative Überbevölkerung (
)
(246), der auswärtige Handel (
) (247), die Zunahme des
Aktienkapitals (250).
Die gegenwirkenden Kräfte können aber nur entgegenwirken
nicht aufhalten. Zwecks Hinausschiebung der Krise muss das Kapital
permanent ohne Rücksicht auf die Schranken des Markts die Produktion
ausweiten. Je mehr sich aber die Produktion ausweitet, desto mehr gerät
sie in Widerspruch mit den Grenzen des Marktes. Die Produktion ist nur
abhängig vom Stand der Produktivkräfte, die Konsumtion hingegen ist
künstlich eingeengt durch antagonistische
Distributionsverhältnisse.
Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation [Ausbeutung] und die
ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort,
sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch
die Produktivkraft der Gesellschaft, die anderen durch die
Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige und durch die
Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztere ist aber bestimmt weder durch
die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern
durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer
Distributionsverhältnisse [gegensätzlicher Verteilung], welche die
Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein nur innerhalb mehr
oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reduziert. Sie ist ferner
beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach
Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf
erweiterter Stufenleiter. Dies ist Gesetz für die kapitalistische
Akkumulation, gegeben durch die beständigen Revolutionen in den
Produktionsmethoden selbst, die damit beständig verknüpfte Entwertung
von vorhandenem Kapital, den allgemeinen Konkurrenzkampf und die Notwendigkeit,
die Produktion zu verbessern und ihre Stufenleiter auszudehnen, bloß als
Erhaltungsmittel und bei Strafe ihres Untergangs. Der Markt muß daher
beständig ausgedehnt werden, so dass seine Zusammenhänge und die sie
regelnden Bedingungen immer mehr die Gestalt eines von den Produzenten
unabhängigen Naturgesetzes annehmen, immer unkontrollierbarer werden. Der
innere Widerspruch sucht sich auszugleichen durch Ausdehnung des
äußeren Feldes der Produktion. Je mehr sich aber die Produktivkraft
entwickelt, um so mehr gerät sie in Widerspruch mit der engen Basis,
worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen. Es ist auf dieser
widerspruchsvollen Basis durchaus kein Widerspruch, dass Übermaß von
Kapital verbunden ist mit wachsendem Übermaß von Bevölkerung;
denn obgleich, beide zusammengebracht, die Masse des produzierten Mehrwerts
sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch zwischen den
Bedingungen, worin dieser Mehrwert produziert, und den Bedingungen, worin er
realisiert wird (K 3, S. 254f).
Daraus resultiert die Unvermeidlichkeit der Krisen: Zerstörung eines
Teils des um den Mehrwert konkurrierenden Kapitals und gewaltsame Anpassung
des Produktionsvolumens an die Marktverhältnisse. Hier tritt der Krieg
als Fortsetzung nicht nur der Politik sondern auch der Ökonomie auf den
Plan. Der Krieg ist die Fortsetzung der Krise mit anderen Mitteln. Er findet
seinen objektiven Sinn (also innerhalb der falschen kapitalistischen
Objektivität) in der Zerstörung von Produktivkräften (also auch
Arbeitskräften, sprich: Menschen) und verlängert somit die
Galgenfrist des Kapitals.
Aus jeder Krise geht das Kapital zwar mit erhöhter Produktivität
hervor, weil gerade die weniger produktiven Kapitalien ausgeschaltet wurden
(Krisentheorie). Damit aber ist die Krise selbst Krisen antreibend. Aus der
Marxschen Krisentheorie (der Beschreibung zyklischer Krisen) resultiert also
unmittelbar das Aufzeigen der Zusammenbruchstendenz des kapitalistischen
Systems (Zusammenbruchstheorie).
Das Kapital wird aufgrund seiner immanenten Bewegung in einen
prozessierenden Widerspruch (Grundrisse, S. 593) getrieben. Es
verzehrt die Basis, auf der es produziert. Das ist der objektive Widerspruch
des Kapitals. Dieser drückt sich nicht nur in der weltweiten Expansion und
der zyklischer Krisen aus, sondern muss auf bestimmter Entwicklungsstufe in
eine unüberwindliche Dauerkrise stürzen. Nämlich sobald
der Fall der Profitrate in einen Fall der Profitmasse
mündet. Der verrückte und verkehrte
Charakter dieser Gesellschaft zeigt sich letztendlich darin, dass gerade
aufgrund des Wachsens und prächtigen Gedeihens dieser Gesellschaft, diese
letztendlich in unüberwindliche Widersprüche rutscht und ausbrennt.
Indem Marx dies konzipiert, erweist sich seine Fetisch- und Ideologiekritik
gleichzeitig als Krisen-, Verelendungs- und Zusammenbruchstheorie.
Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die
große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören
die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß]
des Gebrauchswertes. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört die
Bedingung des allgemeinen Reichtums zu sein und daher der Tauschwert [das
Maß] des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört,
Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso
wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen
Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert
ruhnde Produktion zusammen, (
) (Grundrisse, S. 593)
(Hervorhebung: MD).
Marx ging noch davon aus, dass der Fall der Profitrate stets von einem Anstieg
der Profitmasse flankiert wird. Wenn dies nicht mehr so ist (die Gruppe KRISIS
aus Nürnberg geht angesichts der mikroelektronischen Revolution davon aus)
wird die Selbstverwertung des Kapitals aufgehoben, anstatt sie zu setzen. Es
verringert sich nunmehr nicht nur die Profitrate, also das Verhältnis
zwischen angewandten Gesamtkapital und daraus gewonnenem Profit, sondern
vielmehr nimmt die Gesamtmasse der verwerteten Arbeit ab. Damit wird die
Substanz des Kapitalismus unterminiert. Die selbstreferenzielle
Struktur des Kapitalismus wird unterbunden. Damit wird das
Kapitalverhältnis selbst zur Schranke für weitere
Produktivkraftentwicklung.
Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital
selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als
Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; dass
die Produktion nur Produktion fürs Kapital ist und nicht umgekehrt die
Produktionsmittel bloße Mittel für eine sich stets erweiternde
Gestaltung des Lebensprozesses für die Gestaltung der Produzenten sind.
Diese Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwertes,
die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten
beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in
Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck
anwenden muß, und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion,
auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der
gesellschaftlichen Produktivkräfte lossteuern. Das Mittel
unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte
gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränken Zweck, der
Verwertung des vorhandenen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische
Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft
zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie
zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen
Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen
Produktionsverhältnissen (K3, S.260). Der Zeitpunkt des
Zusammenbruchs lässt sich nicht berechnen - im Gegensatz zu Grossmanns
Annahmen (vgl. dazu: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des
kapitalistischen Systems). Nahe liegend ist m. E. die These der KRISIS: man
kann diesen Zeitpunkt nicht berechnen, sondern man kann lediglich sagen, dass
es keinen neuen Aufschwung geben wird. Es lässt sich klar sagen, dass
innerhalb des kapitalistischen System keine weitere gesellschaftliche
Entwicklung mehr denkbar ist. Da der Kapitalismus aber auf ständigem
Wachstum beruht, muss dies über kurz oder lang zum Zusammenbruch dieser
Gesellschaft führen.
Ob sich die sich die ausbreitende Krise wiederum durch staatliche
Eingriffe aufhalten lässt, um den sich ausbreitenden Schwierigkeiten auf
Kosten der Lebenslänge des Kapitals zu begegnen, lässt sich
theoretisch nicht ermitteln. Ohne Zweifel wird es versucht werden, aber das
Resultat mag sehr wohl nicht zu mehr führen als der temporären
Konsolidierung der gegebenen misslichen Zustände und damit zu einem
sich hinstreckenden Verfall des kapitalistischen Systems. Was uns über
kurz oder lang täglich vor Augen geführt werden wird, ist die
empirische Bestätigung der Marxschen Akkumulationstheorie, die
Krisengesetzlichkeit des Kapitals (Paul Mattick: Krisen und
Krisentheorien, S.156)
Die Marxschen Überlegungen bezüglich der Krise des Kapitals spielten
in der Zeit der Weltwirtschaftskrise eine zentrale Rolle. Rosa Luxemburg ging
davon, dass die Menschheit vor der Alternative von Sozialismus und
Barbarei stünde. Die Autoren des Instituts für Sozialforschung
meinten ab Anfang der 40er Jahre, dass die Chance für eine
Überwindung verpasst sei und wollten herausfinden, warum die Menschheit in
einen Zustand der Barbarei versinkt. Dazu später im Teil 3.
Basislektüre
Gerhard Bolte: Von Marx bis Horkheimer. Aspekte kritischer Theorie im
19. und 20. Jhd., Darmstadt 1995
Henryk Grossmann: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des
kapitalistischen Systems, zugleich eine Krisentheorie; Leipzig 1929
Ders.: Die Wert-Preis-Transformationsdebatte und das Krisenproblem, in: ders.:
Ders.: Aufsätze zur Krisentheorie, Frankfurt/ Main 1971
Robert Kurz: Die Krise des Tauschwerts (in: Marxistische Kritik 1,
Erlangen 1986)
Ders.: Die Himmelfahrt des Geldes (in: Krisis 16/17, Bad Honnef 1997)
Ernst Lohoff: Staatskonsum und Staatsbankrott (in: Marxistische Kritik
6)
Karl Marx: Das Kapital. Erster Band Der Produktionsprozeß
des Kapitals (MEW 23) (hier kurz K1)
Ders.: Das Kapital. Dritter Band Der Gesamtprozeß der
kapitalistischen Produktion (MEW 25) (K3)
Ders.: Lohnarbeit und Kapital (in MEW 6)
Ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Pößneck
1953
Ders.: Zur Kritik der politischen Ökonomie (MEW 13)
Ders.: Lohn, Preis, Profit (MEW 16)
Ders.: Theorien über den Mehrwert, Erster Teil (MEW 26.1)
Karl Marx/ Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei (in MEW
4)
Paul Mattick: Krisen und Krisentheorien, Frankfurt 1974
Franz Schandl: Die Krise bei Marx
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