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Auf immer und ewig...

... nein, nein, kein „Halleluja“. Schließlich ist der eloquente und belesene Marxkenner Michael Heinrich von der Zeitschrift PROKLA ein Linker. Und der hasst den Kapitalismus, dem er in theoretischen Abhandlungen und in Veranstaltungen (bspw. am 10. April in der NaTo) ein endloses Leben voraussagt. – Im folgenden in aller Freundlichkeit keine „Widerlegung“, sondern ein paar schüchterne Einwände gegen die Gesundbeterei.


Friseur, 25.4k
Wirtschaftssubjekte bei der Verwertung?
Wir waren alle schwer beeindruckt von dem sympathisch jungenhaft wirkenden Referenten, der sich Punkt für Punkt die Argumente der von ihm angegriffenen Gruppe KRISIS vornimmt und sie ganz unaufgeregt auseinandernimmt. Er ist so ganz anders als die notorisch zeternde Schaum-vorm-Mund-Fraktion von Bahamas und ISF, deren Vertreter nur dann ein Lächeln auf ihre Münder zaubern, wenn die Rede auf die Entspannungshäkelei von Theodor W. Adorno kommt. Beide aber sind sich in der Ablehnung der Zusammenbruchstheorie von KRISIS einig.
Heinrichs zentrale Argumente: Es könne keinen automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus geben, denn Antrieb der kapitalistischen Produktionsweise sei Verwertung, nicht Wert(masse), also die Aneignung von Mehrarbeit bzw. die Aufrechterhaltung eines Verhältnisses von Mehr- zu notwendiger Arbeit. Da das Maß der Verwertung die Mehrwertrate bzw. Profitrate ist, ist klar, dass solange diese größer 0 ist, es auch Kapitalismus gebe. Die absolute Höhe von Wert- und Profitmasse spiele keine Rolle. (Davon abgesehen könne auch niemand angeben, wie jene zu ermitteln wäre: Die Wertsubstanz „abstrakte Arbeit“ sei keine empirisch messbare Größe, sondern ein gesellschaftlich erzwungenes Abstraktionsverhältnis.)
Die wenigen Bemerkungen von Marx, die einen Zusammenbruch aus kapitaleigener Logik nahelegen, seien entweder gar nicht so gemeint oder von Engels. Im Übrigen sei die Kriteriensammlung der KRISIS bezüglich angeblicher Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals (Stichwort: Zunahme der unproduktiven Arbeit) allzu weit ausgedehnt und rechtfertige zwar die Diagnose der verschärften Ausbeutung durchs Kapital, nicht aber die seines Zusammenbruchs.

Was wird in zyklischen Krisen vernichtet?

Wie will Heinrich die gigantische Kapitalvernichtung in zyklischen Krisen beschreiben? Was geht da unter? „Wert“ sei eben keine empirische Durchschnittsgröße, sondern ein erzwungenes Abstraktionsverhältnis. Soweit OK. Nur: Die Ablehnung des Empirischen lässt sich auch bis zur Esoterik treiben, wie die Freiburger ISF beweist. Wohl ist der Wert als Wert nicht messbar, sondern nur – als Erscheinung – hinnehmbar, im Geld (so verrückt muß man sich nun mal eine nichtempirische Größe denken). Dieses Geld ist aber klar bestimmt als Erscheinung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und eben nicht – sorry für diesen Dogmatismus – ein „Name für die Selbstvermittlung des an sich Vermittlungslosen“ (J. Bruhn, compiling Marx und Hegel?). Das nichtempirische Wesen erscheint, ganz platt, empirisch im Geld, das bei Vorhandensein Reproduktion ermöglicht und bei Fehlen – tötet. Empirischer geht’s nicht. In der Krise verfatzt sich der zweite Teil der Verwertung, die Realisierung des Werts im Geld. Er ist zuviel da und kann sich deswegen nicht zeigen und nicht wirken. Woher käme in Krisen überhaupt ein Problem, wenn der Wert nicht durch die Einsaugung abstrakter Arbeit entstünde? Wenn er weder in der Produktions-, noch in der Zirkulationssphäre, noch in beiden zugleich entsteht, sondern die Frage nach seinem Entstehungsort schon eine falsche sei(1) (Heinrich), was wird dann in den Waren überhaupt vernichtet? Ein Teil eines Verhältnisses? Ein Teil einer Selbstvermittlung?

Profitmasse, Profitrate – Woher kommt der Zusammenbruch?

Henryk Grossmann hat gezeigt(2), dass es in der Logik der Kapitalverwertung liegt, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzt – den Profit. Immer höhere Stufen der organischen Zusammensetzung stehen immer geringeren Mehrwertmassen gegenüber, aus denen aber doch die gewaltigen Erweiterungsinvestitionen bezahlt werden müssen. Es kommt, was kommen muß, der point-of-no-return: „Der Mehrwert reicht nicht aus, um die Akkumulation im erforderlichen Umfang fortzusetzen.“(3) Natürlich ist nicht einzusehen, bei welcher Profitrate der Kapitalismus zusammenbricht – bei 10.4%, bei 6.3 % oder erst bei 2.9%? Das Sinken der Profitrate (Profit geteilt durch eingesetztes Gesamtkapital) hat also lediglich als Index für das Absinken der Profitmasse eine zusammenbruchstheoretische Bedeutung. Und unmittelbar klar ist auch, dass der Kapitalismus keinen Bestand haben kann, wenn sein Hauptantrieb, der Profit, permanent sinkt, die Wertmasse schrumpft. (Übrigens sieht auch Alfred Sohn-Rethel bei Marx und Engels die Voraussage ausgesprochen, daß „die steigende ‘organische Zusammensetzung des Kapitals’ an einem gewissen Punkt der Entwicklung in unvereinbaren [! – MB] Widerspruch mit der Warenökonomie der privaten Appropriation geraten würde“(4).)
Gesellschaftliche Destruktionsprozesse ungeahnten Ausmaßes werden die Folge sein, wenn die Agenten dieser Produktionsweise merken, daß ihr die Puste ausgeht, Prozesse, die auch Michael Heinrich nicht mehr von der Endkrise des Kapitals unterscheiden wollen wird.
Wir stellen uns vor: Ein Mensch besetzt den Pol „Kapital“, da er die Mittel in der Hand hat, eines anderen Menschen Arbeitskraft zu kaufen, der seinerseits keine Mittel außer seiner Arbeitskraft besitzt und also den Pol „Arbeit“ besetzen muß. Diese beiden Menschen simulieren nicht Kapitalismus, sie sind Kapitalismus! Die wesentlichen Größen des 3. Bandes des Marxschen „Kapital“ sind (sieht man von der fehlenden Konkurrenz ab) vorhanden. Der eine bekommt nur soviel wie zur Reproduktion seiner Arbeitskraft nötig, der Andere streicht den Mehrwert ein. Und selbstverständlich ist auch das Verwertungsmaß, die Profitrate, wieder mit von der Partie. Keine Krise, nirgends. Der Gag: Es gibt keine weiteren Menschen. Die Erde ist längst verwüstet von der blind um sich schlagenden unsichtbaren Hand. Aus irgendwelchen Gründen sind diese beiden übriggeblieben. Trampert/Ebermann hätten also Recht: Nach dem ultimativen Ende des Kapitalismus’ folgt immer wieder nur – Kapitalismus.
Der Aberwitz dieser Vorstellung liegt auf der Hand: Doch leider lachen Heinrich und der Saal aus falschen Gründen. Heinrich gibt lächelnd zu, daß bei nur 2 übrigbleibenden Menschen wohl auch er von finaler Krise sprechen würde. Doch weshalb? Es existiert eine Verwertung, die von der Profit- (hier wohl eher: Mehrwertrate) gemessen wird! Wo bleibt hier seine Einsicht, daß das Abschmelzen der Wertbasis lediglich krisenhafte Folgen für die Menschen, aber nicht fürs Kapital hat?
Ich frage mich: Woran will Heinrich ablesen können, dass die Finalität nicht längst Realität ist, dass das Kapital nicht längst sein letztes Gefecht gegen sich selbst führt? Was erwartet er für ultimative Krisenerscheinungen in einer Welt des Amoklaufs, des blinden Terrors denn noch? Ist es wirklich so weit hergeholt – im Angesicht von WTC-Anschlag, palästinensischen Selbstmordattentaten und Lehrerkillern in den Metropolen – eine durchs Kapital von Menschen befreite Welt anzunehmen? Heinrich findet so was abwegig, irreal. Die Realität schert sich darum allerdings nicht.

Keine Grenze ist für immer?

Heinrich ist Mathematiker. Weshalb ist ihm unplausibel, dass der Verwertungsprozess, von dem er (bei der etwas zurückliegenden Veranstaltung über die Antiglobalisierungsbewegung im Conne Island) ausdrücklich zugibt, dass er in der Zukunft immer häufiger von immer heftigeren Krisen heimgesucht werden wird, an sein natürliches Ende kommt? Dieser Prozeß braucht u. A. natürliche Ressourcen, die aber nur begrenzt vorhanden sind. Wie soll ein – nur durch Menschen, nicht durch sich selbst zu stoppender – Prozess aussehen, der immer öfter und heftiger crasht, dabei die natürlichen Ressourcen aufzehrt und dennoch immer weiter geht? Diese Funktion hätte mitnichten den Grenzwert „plus unendlich“, sondern einen wohl definierten unterhalb. Heinrich kann nicht erklären, woher der Kapitalprozess im Angesicht exzessiver Umweltzerstörung und Verwüstung der Seelen sein Material dafür nehmen soll. Mehr als ein hilfloses „Never say never!“ ist hier nämlich gar nicht möglich. Statt dessen sollte man sich Sohn-Rethels Einsicht aus der Zeit des Faschismus zu eigen machen: „Die Krisen korrigieren nicht mehr, sondern erweitern die Fehler.“(5)
Ich habe den Verdacht, daß Heinrichs Ablehnung der Zusammenbruchsdiagnose durch die Missdeutung des Begriffs „Zusammenbruch“ hervorgerufen wird (das gilt nicht von Trampert/Ebermann, die wissen im Gegensatz zu Heinrich leider nicht, wovon sie überhaupt reden). Es gibt natürlich kein immanentes werttheoretisches Kriterium, nach dem „Wirtschaftssubjekte“ (also alle, die durch den Wert vergesellschaftet werden – also alle!) „einsehen“ müssten, dass es vorbei ist. Kein Bruttosozialprodukt, kein Börsenindex, keine Inflationsrate zeigt irgendwann einmal: finale Krise!
Dass aber der Kapitalismus nicht weit davon entfernt ist, selbst noch die bewußtlose Subjektivität der den Wert Vollstreckenden aufzuheben, sollte spätestens seit dem 11. September klar sein. Und was nach einem zukünftigen finalen „Weltordnungskrieg“ bzw. nach diversen faschistischen Diktaturen noch von einer menschlichen Gesellschaft übrig bleiben würde, lässt die Heinrichsche Differenz „krisenhaft für die Menschen/nicht krisenhaft fürs Kapital“ sicher vergessen.
Vermutlich aber wird Heinrich im anstehenden vollständigen Rückzug des Kapitals aus Ostdeutschland und anderen abgeschriebenen Krisenzonen nur wieder eine neue Sanierungsaktion für die „endgültige Durchsetzung des Kapitalverhältnisses“ entdecken können. Denn das Kapital hat ja kein Problem, solange es besteht. Wenn Verwertung und mißlingende Verwertung (= Krise) immer wieder identisch mit dem Kapitalverhältnis sind, wird der Begriff selbst sinnlos, denn er hätte sich selbst mit seinem Widerspruch als sich selbst gesetzt. So etwas passt zwar Freiburger Dialektikern gut ins Konzept, ist nur eben auf Dauer nicht lebensfähig.
Wem es um eine verständliche Einführung ins werttheoretische Denken der Politischen Ökonomie geht, findet diese in Heinrichs fetzig geschriebenem Buch „Die Wissenschaft vom Wert“.
Wer allerdings etwas übers Kapital wissen will, schaut besser beim Meister selbst nach: „Die Universalität, nach der es [das Kapital – MB] unaufhaltsam hintreibt, findet Schranken an seiner eignen Natur, die auf einer gewissen Stufe seiner Entwicklung es selbst als die größte Schranke dieser Tendenz werden erkennen lassen und daher zu seiner Aufhebung durch es selbst [! – MB] hintreiben.“(6)
Mausebär

Fußnoten:
(1) Dazu auch: Heinrich, Michael: Die Wissenschaft vom Wert: Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster, 1999; S. 215, 240
(2) in seinem Buch: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Verlag neue kritik, Frankfurt, 1967, Archiv sozialistischer Literatur 8
(3) a. a. O, S. 168
(4) a. a. O., Anmerkung 11, S. 169
(5) Sohn-Rethel, Alfred: Der Charakter der faschistischen Konjunktur, in: Industrie und Nationalsozialismus, Berlin, 1992; S. 141
(6) Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf 1857-1858), Europäische Verlagsanstalt Frankfurt Europa Verlag Wien, fotomechan. Nachdruck der Moskauer Ausgabe von 1939 und 1941; S. 313 f.


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last modified: 28.3.2007