Eine horizontale Betrachtung relevanter Musik-Sparten soll hier, getreu
der Intention des CEE IEH, eine Zustandsbeschreibung darbieten, wie sie aus dem
Spannungsfeld von Populär- und Subkultur ablesbar wird. Der schmale Pfad
zwischen Beliebigkeit und introvertiertem Purismus macht dabei nicht in jedem
Fall die goldene Mitte aus. (CEE IEH #24)
Oi!/PUNK
Beständig und gut! Ich weiß, wie frech das ist, beide
Richtungen in einen Topf zu schmeißen. Ich mache es trotzdem und
rühre zusätzlich noch kräftig um! Oi! hat sich verändert,
viele Bands, die sich noch vor Jahren Oi! groß auf ihre Banner
geschrieben haben, nennen ihre Musik jetzt Streetpunk. Vielleicht sind sie
jetzt massenkompatibler. Die Oi!-Bands mit politischen Texten haben sich
erhalten, auch wenn sich Oi! und Politik immer noch wie Oxymoron anhört
(nachschlagen!). Reine Punkermucke gibt es freilich immer noch und wird es auch
weiterhin geben. Größerer Beliebtheit erfreuen sich
Pönkröckerbands wie The Real McKenzies und Dropkick Murphys, welche
schon vor Jahren versucht haben, die Gitarre/Schlagzeug/Bass-Eintönigkeit
aufzusprengen.
HIP HOP/R&B/SOUL
Mehr als zehn Jahre nach den ersten nennenswerten Produktionen hierzulande geht
es mit Hip Hop immer mehr den Bach herunter. Langweilige Sprüche,
eingebettet in wenig neuen Samples, Scratches und Cuts von den nachkommenden
jüngeren Acts, die zum größten Teil mit Major-Anbindung
daherkommen, präsentieren die Szene. Warum sollen sie sich auch einen Kopf
machen? Ein Festival jagt das nächste und man übertrifft sich in
Besucherzahlen und Gagen. Dagegen habe ich ja auch nichts einzuwenden, so
läuft es halt im Kapitalismus. Eine Subkultur wird von der Industrie
aufgesogen, bestimmte Elemente werden übernommen, andere abgestoßen.
Von der anfänglich emanzipierten hiesigen Subkultur Hip Hop ist leider
nicht mehr viel zu erkennen. Das vor Jahren von einem der führenden
Mediensender für nationale Popmusik, VIVA 2, geförderte Konzept der
Popmusik-Nationalisierung ist auch im Hip Hop im weitesten Sinne umgesetzt. Und
schnell ist Hip Hop auch nicht mehr, oder besser: nur bedingt Sprachrohr der
sozial Deklassierten. So ist es auch nicht verwunderlich, daß die wenigen
Heads sich von den durch hiesige Medien erzeugten künstlichen Superstars
abwenden und sich wieder Tracks und Acts aus UK, Frankreich und USA zuwenden.
Aber es gab auch im letzten Jahr einige positive Lichtblicke, in erster Linie
von der alten Schule. Linguisten wie Torch, D-Flame, Jan Delay und Xavier
Naidoo beleuchten mit Themen wie Blauer Samt, Brothers
Keepers, Kanak Attak die Szene von einer opportunistischen
Seite. Gut, daß es sie noch gibt, die Frage ist nur, wie weit und wie die
Raps und Lyrics der Herren Zugang beim jüngeren Publikum finden. Die
Entwicklung ist momentan nicht umkehrbar, die Frage ist: Wie lange hält
man Stand als Fremder in der eigenen Szene?
Trotz aller Kritik gilt auch hier, wer kämpft, kann verlieren, wer nicht,
der hat schon. Und wen das alles nicht interessiert, dem sind im
geschichtlichen Zusammenhang mit Hip Hop die letzten R&B- und
Soul-Veröffentlichungen an das Herz gelegt. Was in den 70ern und 80ern
Veröffentlichungen von Aretha Franklin, Chaka Khan, Sister Sledge und den
vielen anderen Motowns und Atlantics war, sind heute die Tunes einer Erykah
Badu, Jill Scott, DAngelo und Angie Stone, achja: und Sade sollte mit
genannt werden.
HARDCORE
Wichtige Vertreter der Musikrichtung meinen, Hardcore sei tot. Dies ist nicht
so! Hardcore hat sich nur aufs Wesentliche verlagert. Zum einen gibt es
massenkompatible Bands wie Sick of it all, bei deren Konzerten Menschen kommen,
die von der politischen Seite des HC nie etwas gehört zu haben scheinen.
Zum anderen gibt es Bands, welche nur ein ausgewähltes Publikum ansprechen
(z.B. 59 Times the Pain). Das es Kampagnen wie Good night white
Pride geben muss, zeigt wie weit es schon gekommen ist.
DRUM&BASS/JUNGLE
Viel wurde geredet die letzten Jahre, über Sein oder Nicht-Sein von
Drum&Bass. Nicht nur geredet, sondern auch gehandelt wurde unter anderem
auch im Conne Island (siehe auch CEE IEH #78 Nicht nur aufm Zettel:
The Next Level). Heute funktionieren die Partys mit lokalen wie
weltweiten DJs bestens. In London City Drum&Bass Hit-Schmiede
wird ein neuer wicked Tune nach dem anderen gebastelt. Artists wie
Marcus Intalex, DJ Flight, Tee Bee, Kosheen, DJ Marky und alte Protagonisten
wie Storm, Doc Scott, Lemon D, usw. sprechen ihre eigene Sprache. Das gute
dabei ist, dass trotz des großen Hype in den USA so einige Artists mit
ihren Dubplates zu fairen Konditionen nach wir vor den exklusiven Weg in das
Conne Island nicht scheuen. Das liegt zum größten Teil daran, dass
Leipzig nicht nur nach Einschätzung der zahlreichen Gäste aus dem
Mutterland England zu den Breakbeat-Metropolen gehört. Schade ist, dass
der alte Oldschool Jungle/Breakbeat-Stuff nur selten den Weg auf die 1210
findet. Infolge dessen, finde ich es nach wie vor gut, wenn, ähnlich wie
bei den Friday-Club Veranstaltungen, verschiedene musikalische Genres (Hip
Hop/Dancehall) an den Start kommen somit können über die
Veranstaltungen unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Dabei geht
man einem Schubladendenken aus dem Weg; dieses hat eh noch nie funktioniert.
Fazit: Trotz diverser Konflikte in der lokalen Breakbeat-Szene die nie
ausbleiben werden bleibt zum Thema Drum&Bass nur zu sagen: Weiter
so! Wer weitere Infos zum Thema benötigt, der besuche folgende
Internet-Seiten: www.breaks.org und www.rollingsounds.de
ROCKNROLL
Die Entwicklung von Musik mit RnR-Attitude ging rasend schnell
vonstatten. Und da meine ich nicht nur Rockabilly, auch im Psycho ging einiges.
Im eigentlichen RnR-Geschehen tat sich soviel dagegen nicht. Die
Bands, die heute aufspielen, gab es vor Jahren schon, nur dass ihnen heute
wesentlich mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Das eigentlich schlimme ist nicht,
dass die Musik und der Stil der 50er Jahre neuerdings wieder nachgeahmt werden,
sondern dass der Stil beliebig wird. Hier ein Beispiel: Bei H&M kann mensch
Collegejacken und Hemden kaufen, die noch vor zwei Jahren die Geheimtips in
2nd-Hand Läden waren. Dieses Populärwerden ist aber nur bei
Äußerlichkeiten zu bemerken. Innerhalb der Musikszene kam zu der
konstanten RnR-Szene Publikum dazu, welches sich zum großen
Teil aus Oi!/Punkrock-Kreisen rekrutierte. Psychos haben Flats und das soll
auch so bleiben. Im übrigen: Wo kommen die ganzen Nietengürtel her?
CRUST/GRIND
Ich weiss gar nicht, ob es hier überhaupt noch so etwas wie eine Szene
gibt, die den Untergang der klassischen AJZs überlebt hätte?
Jedenfalls ist das Ganze ohne Relevanz und stört keinen mehr und wird im
friedlichen Kommunenleben auch nicht gestört. Einige
verschwörungstheoretische Ansätze sind zu erkennen, wenn sichs
in Richtung Kapitalismuskritik bewegt.
NOISEPOP/POP/HAMBURGER SCHULE
Wo ist Hamburg? Vielmehr ist in der Berliner Republik immer mehr von Berlin die
Rede und von Data Pop. Meint einstmals wohl im Norden geprägten Pop
aus hiesigem Lande in hiesiger Sprache, plus Hinzunahme diverser elektronischer
Klangerzeugnisse, die nun da vor sich hin frickeln. Und der Boom mit der
achtziger Revival-Maschine mag wohl erst jetzt wirklich zum Tragen kommen.
Außerdem ist eine alte Wiederentdeckung der längst bekannten
Indie-Ästhetik in großen Music Companies zu entdecken. Denn
mittlerweile ist dem Gelde nichts mehr zu schräg oder gar zu anstrengend,
und so kommt es hin und wieder vor, einstige Lieblinge und noch mehr deren
Immitatoren im TV bewundern zu dürfen. Beruhigendes findet sich dennoch
auf dem FELDe beim BLUMen pflücken ach ja, da lag ja Hamburg.
FASCHOROCK, NONKONFORME LIEDERMACHER
Mehr Marktsegment mit Millionenumsätzen denn Subkultur, an
Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen, da die hier vermittelten Werte
irgendwann in der Mitte der Gesellschaft ankommen werden, aus so gut wie jedem
Bonehead wird mal ein Familienvater. Desweiteren spielen Konzerte eine
erhebliche Rolle im Zusammenhalt der Szene. Das musikalische und textliche
Niveau bewegt sich bei den meisten Interpreten zum Glück auf niedrigstem
Niveau. Die Verbindungen in Richtung Neofolk und Metal wurden schon
desöfteren aufgezeigt sind aber für Uneingeweihte im einzelnen nicht
zu durchschauen.
NU JAZZ/NU SKOOL BREAKS/2 STEP
Zumeist am Housetempo angelehnte, gut tanzbare und teils vertrackte Sparte der
Clubmusik. Wer sich jener breakreichen Variante des Plattendrehens verschrieben
hat, wird es schwer haben, für die alljährlichen Umzüge und
Partys der elektronischen Musik gebucht zu werden. Gerade weil es dem
üblichen stumpfen Nightlife-Style Publikum eher schwer fällt dazu zu
schwitzen. Somit kann jenen Formen eine gewisse Eigenwilligkeit und Intelligenz
durchaus zugesprochen werden auch wenn sie ohne Zweifel nebst bekannter
anderer electronic listenings Einzug in so manch hippe
Werbeagenturen gehalten haben. 2 step als Solches erfüllte nie die
erhoffte Innovation des neuen Dings und bestätigt sich nur
noch aufgrund sehr weniger Ausnahme-Produzenten.
HEAVY/METAL/ROCK
Hier bedarf es, aufgrund der schauerlichen Beständigkeit jener allgemein
männlichen und dazu reichlich unurbanen Szene, nur der
Erwähnung des neuen Begriffes namens NU METAL, der in Gestalt junger
hüpfender Typen mit aufgesetzter und gut zu vermarktender Wut im Bauch
daherkommt. Limp Bizkit ist mittlerweile jedem Vorschulkind ein Begriff und
führt endgültig den wohl nie da gewesenen revolutionären Gestus
verzerrter Gitarren ad absurdum. Dies gilt für alle zumeist im Musik-TV
entstehenden Auswüchse an Bands, die mit schlecht inszeniertem
Zurück zur handgemachten Musik im Meer der Beliebigkeit
versinken. Gut gemeinte Versuche bleiben auf der Strecke wie Heavy Metal auf
dem Lande.
SKA/NORTHERN SOUL
Ska vermischt sich wieder mehr mit Reggae und Northern Soul wird auch bei sonst
tumben Leuten beliebter. Dr. Ring Ding hat ausgedient, nachdem er sich
erdreistete mit einer Band, bei der ich mich weigere, ihren Namen zu nennen,
Ring of Fire von J. Cash nachzusingen (auch hier weigere ich mich,
covern zu schreiben). Ich würde sagen, dass es eine Vielzahl
von Bands gibt, die jenseits des 2-tone versuchen, Dinge auszuprobieren.
DARKWAVE/NEOFOLK/INDUSTRIAL/EBM
Diese vier Musikspielarten haben erst einmal nicht viel miteinander zu tun und
das sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch aus der Art der Musik an
sich. Das Verbindende sind hier die Konsumenten, meist als Grufties bezeichnet,
sehr schön zu betrachten beim alljährlichen Grufttreffen
in Leipzig. Eine gewisse Weltabgewandheit geht hier mit einer nur esoterisch zu
nennenden Sehnsucht nach mittelalterlichen Zeiten,
Deutschtümelei (man lese dazu die Ankündigungen einschlägiger
Events), diversen Verschwörungstheorien und dem Drang zu provokativem
Auftreten eine merkwürdige Allianz ein. Stellenweise Verbindungen,
speziell im Neofolk, zu neurechten bis offen nazistischen Kreisen und Gedanken
lassen sich ebenso wenig verleugnen wie die Versuche eines Teils der Szene,
genau dagegen vorzugehen. Im allgemeinen überwiegt ein sehr unkritischer
Umgang mit diversem Runenkasperkram und Esoterika jeglicher Coleur.
REGGAE/DANCEHALL/RAGGA/DUB
Einer der boomenden Jugendkulturen, erfreulicherweise, in enger Verflechtung
mit Hip Hop nur noch nicht ganz so mainstreamig. In den letzten Jahren
entstanden sowohl lokal als auch überrregional eine grosse Anzahl von
Soundsystems und um diese herum eine eigene Szene, die in ihrer Verfasstheit an
die Anfänge der HC-Geschichte hierzulande erinnert mit dem
Unterschied, dass der Zugang zum Mainstream schon gegeben ist und eine als
politisch zu wertende Aussage meist fehlt, aber bei welcher Subkultur gibt es
die schon. Und falls die Aktivisten ihr Geschwätz über
Babylon etc. nicht allzu ernst nehmen, gerät wohl der Hip Hop
in ernste Gefahr, seine Marktführerschaft in Sachen positiv zu bewertender
Jugendkultur zu verlieren. Die Erfolge Gentlemans und Jan Delays, von Combos
wie SEEED sprechen da eine deutliche Sprache.
DIGITAL HARDCORE
Es gibt ihn noch! Nach wie vor finden auch in diesem Genre einige, jedoch wenig
gute Parties statt. Die wichtigsten Protagonisten sind wie so oft
nach größeren Erfolgen aus Germany verschwunden und leben in den USA
oder UK und konsumieren da ihre Form von Party. Ein Beispiel davon gab uns
Panacea im Rahmen seiner Position Chrome Tour 2000 im Conne Island. Trotz allem
bleibt es eine Nischenkultur mit musikalisch starken Tendenzen zum Jungle der
Jahre 1992-1996. Mein Tip: Es ist anzunehmen, dass Jungle nach dem
Rotationsprinzip Digital Hardcore ablösen wird.
|