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»Die Woche« Nr. 29 vom 11. Juli 1997 lieferte uns die eingestreuten Aussrisse.

Patchwork in Progress.
Die Seiten der Wichtigsten.

Hier mal wieder einige kurze Bemerkungen zu dem, was es so an wichtigen Pop- und jugendkulturellen Musiken gibt. Erschreckend ist dabei eines: Immer wieder wird behauptet, alles ginge so wahnsinnig schnell heutzutage. Diese Zeilen, abgeglichen mit denen aus der vorjährigen Sommerausgabe des CEE IEH, offenbaren da durchaus gegenteiliges. Deshalb auch vorweg der Hinweis: Die mit einem * gekennzeichneten Beiträge stammen im vollen Wortlaut aus dem Vorjahr.
Von Ralf.

„Sowas sieht man nicht alle Tage. Niemand hat etwas zu sagen, und wenn jemand was sagt, dann hat es nichts zu bedeuten. NO JOURNALISM! Endlich. Man sollte überhaupt nur noch Listen veröffentlichen. Das ist der Weg aus der Misere.“
(Harald Peters in: jungle World, Juli 1997)


Abstract · Headz · New Electronica · Dub Hop · Electronic Listening · Electro
(abgestiegen: Ambient, Trip Hop, Jazz Not Jazz)

Was war wohl zuerst da? Der Kopf oder der Bauch? Seit endgültig klar ist, daß diese Spielarten nicht den Post-Post-Punk voraussetzen, ist diese Frage leider zugunsten der Technokratie (Bauch- und Kopf-Fusion) in ein Patt gesetzt. Garniert wird das alles mit postmodernen Philosophien. Aus denen strickt man dann gar Esoterik-Kram.
Der Club ist wieder endgültig zur Arena geworden – mit Masse als heterogenem Pflicht-Beiwerk.
Der Gebrauchswert der Produkte ist jedoch immer noch sekundär. Unterm Strich leider die einzige Stärke, die bleibt (-aber nicht mehr lange).
Die Grenze zwischen Konsumenten und Produzenten ist fließend geblieben. Obwohl letztere einem stereotyperem Habitus frönen, als erstere. So war das, wenn ich mich recht erinnere, nicht geplant.
Der subjektivistische, kontextlose Fundus, aus dem geschöpft wird, um schöpferisch zu sein, ist beliebig! Wer das bestreitet, lügt!
ulrich wickert, 10.5k
wolf jobst siedler, 10.2k
wolf von lojewski, 12.9k

Brit Pop · „weiße britische“ Gitarrenmusik

Das lustigste ist, daß man es geschafft hat, die Auferstehung dieser Musik nach C 86 und Madchester in das Spannungsfeld von Thatcher- und Blairismus zu pressen, als wäre die Ära Thatcher eine Shortstory und die paar Tage Macht der Labour Party der Nach-Empire-Zeit gleichberechtigt. So grübelt man und wundert sich über die jahrelange Unsichtbarkeit von Suede, die Wahrhaftigkeit von Supergrass und was deren Zeitgenossen so für eine Rolle spielen.
Ich gebe gerne zu, daß mir britische Bauarbeiter mit Oasis-T-Shirts immer noch tausend Mal lieber sind als deutsche Prolls mit Pur-Shirts. Auch wenn es jetzt sicher ist, daß der nationalistische Mief dieser Popper den Rasssimus befördert und den Männerwahn neu beflügelte.
Wahrscheinlich kommt es so: Erst wenn klar wird, daß Blair schlimmer ist als Thatcher, wird man feststellen, daß man die Spice Girls und deren Affinität zu Margeret Thatcher nicht essen kann.

C&W (Country & Western)

Erstaunlicherweise ist diese Musik für nicht wenige Ex-Punks Zufluchtsstätte geworden. Was sie so interessant macht, ist ihr Stigma in der Öffentlichkeit, Außenseiter Asyl gewähren zu können. Gemeint ist hier natürlich nicht die folkloristische Variante, sondern die, die diese Musik als Folie der jeweiligen Sozialisation nutzt.

* · Darkwave · Gothic · EBM

Was einmal als modifiziertes Punk-Ding begann und als Übersteigerung des konstruierten No Future-Grundtenors von Punk als Nachkomme durchging, schlägt seit anfang der Neunziger als explizite Modernitätsfeindlichkeit immer abstrusere Blüten. Die Harmonisierung von Alltagsleben und exaltierten Äußerlichkeiten existiert nur als scheinbarer Widerspruch. Deshalb sollte der Einzug heidnisch-altgermanischer Versatzstücke nicht zu Pauschalisierungen führen, sondern als Beleg der Unfähigkeit der Einbindung in die wechselseitige mediale Abhängigkeit von Populärkultur herhalten. Derzeit läßt sich tendenziell feststellen, daß Darkwave/Gothic ein Auslaufmodell ist.
Ebenso wie EBM, deren Protagonisten von mitte der Achtziger entweder das Zeitliche gesegnet haben oder ihrer Vergangenheit abschworen. Was uns heute als EBM verkauft werden soll, stellt sich nur noch als Allianz von Dumpfheit, Scheitern und Männlichkeitswahn dar.

Drum&Bass-Liga mit verschiedenen Unterbegriffen
(abgestiegen: Jungle)

Ich hoffe, es gereicht mir eines Tages zur Ehre, mich niemals intensivst auf diese Musik eingelassen zu haben. Wenn dem nämlich nicht so ist, wäre ich erstmalig einem Generationsproblem unterlegen. Die Bauchschmerzen, die mir diese Musik bereitet, sind nämlich sprichwörtlich: Der Bass durchfährt unangenehm meine Magengrube und es sperrt sich in mir so einiges, sich auf den Sound einzulassen.
Die Geschwindigkeit der Outputs interpretiert sich in meiner Lesart als Unwille, mehr zur Kenntnis nehmen zu wollen, als diese Musik. Wer hier nämlich dranbleiben möchte, muß anderes in einem unvertretbarem Maße vernachlässigen.
Das allerschlimmste allerdings ist, daß Musik-“Experten“, die so um die dreißig sind, diese Musik über die Jahre als revolutionäres Subjekt kolportiert haben, obwohl sie es mit Sicherheit besser wußten. Die Marktförmigkeit des D&B ist nicht zuletzt denen zu verdanken. Damit haben sie eine ganze Generation junger weißer Männer(!), die gerade dem Teenageralter entwachsen sind, der Musikindustrie zur Verwertung zugeführt, anstatt sie davor zu warnen.
Tatsächlich denken jetzt etliche erstmalig darüber nach, ob diese Musik hinsichtlich eines weiteren Popularitätsschubs überhaupt überleben kann. Prognose: Sie wird es. Und zwar zwei, drei oder gar vier Jahre – bis die Sonderzüge der Deutschen Bahn-AG die Raver(!) zum Ort des D&B-Events bringen. Wirklich toll.

Dub

Ist Dub die technisierte Variante von Funk? Bisher hat sich diese Frage niemand gestellt, doch sind inzwischen alle so dubbig wie funkig. Die eigentlichen Protagonisten bleiben schon seit geraumer Zeit immer mehr auf der Strecke, weil D. als Allgemeinplatz zum guten Ton gehört, wie der Sponsor zur „Underround“-Party.

Funk
(abgestiegen: Fonk und Phonk)

Er ist nicht mehr überall. Beim Abstrahieren der Sounds bleibt er das eine um das andere Mal auf der Strecke. Wichtig ist das momentan nicht, weil das in einem Jahr schon wieder anders aussehen wird.

Gitarrenuntergrund · Powerpop · Gitarrenpop
(abgestiegen: Alternative)

Wieder mal Pavement können als Schlüsselereignis herhalten. Das vermeintlich Stagnative ihrer letzten Platte spricht Bände. Außer der doch tendenziell zu verzeichnenden ästhetischen Hinwendung zum Post Punk/New Wave (siehe gleichnamige Rubrik) schrammelt das Genre so vor sich hin. Obschon völliger Nonsens, nennen es immer noch einige Untergrund. Dabei wäre gerade in diesen Zeiten der Begriff Alternative durchaus vitalisiert anzuwenden: Als tatsächlich gleichberechtigtes – auch industrielles – Marktsegment gegenüber dem angeblichen Mainstream-Rock. Interessanterweise sind Bands, die schon vor einigen Jahren aus dem Alternative-Sumpf zu enfliehen gedachten, auf dem Weg zu einem souligen Bombast-Rock (Paradebeispiel: Faith No More).

Hamburger Schule-Modell

Es ist soweit. Das Modell ist in Einzelteile zerlegt worden und dadurch in einem Maße gesellschaftsfähig, daß selbst der rechteste Arsch diese Musik mögen kann. Mit Ausnahme der Zitronen haben die anderen beiden Zugpferde (Sterne und Tocos) sich als authentische Schräglinge etabliert. Da hilft es auch nicht, einen VIVA-Preis abzulehnen. Die Kontrolle ist weg, dem Selbstlauf Tür und Tor geöffnet.
Man sehnt sich nach den Zeiten, wo Verweigerung noch Ausschluß bedeutete und nicht beonderer Chic. Das schlimmste daran ist, daß die betreffenden Leute und ihr Umfeld sich selbst belügen und meinen, alles im Griff zu haben.
Ehemalige Nonkonformisten machen Musik für Konformisten verhaßtester Güte. So wird heutzutage das System gefickt.
Bleibt zu hoffen, daß uns Blumfeld und Kpt. Kirk & neue Produkte ersparen und deren tatsächlich durch o.G. hervorgerufene Sinnkrise nicht in der Produktivität auf dem herkömmlichen Feld des Hamburger Schule-Dings endet.
hubert markl, 8.5k
hans-olaf henkel, 11.4k
ulrich beck, 14.1k

Hardcore

Achtung, ganz böse: Das ist Musik für Milchbubis in der Sinnkrise (geworden). Inzwischen schwenkt keiner aus Metal-Gefilden mehr herüber. Eine eigene Spezies entdeckt mit HC die Tummelwiese außerhalb des Elternhauses, das ist das einzige, was an damals erinnert. Es handelt sich dabei tatsächlich um übelsten Kitsch, das ist nicht mehr zu leugnen. Die einstigen Protagonisten sind fett im Business, wenn sie sich als Apologeten des Jetzt verdingen.
Gegen die Rolling Stones von einst sind die meisten HC-Bands Musterknaben an Konformität. Das ist aber nicht vollends ihre Schuld. Das bringt die Zeit so mit sich.
P.S: Die meisten HC-Shirts sah man übrigens zum Kirchentag im Juni in Leipzig. Und das war wirklich eine Offenbarung vor dem Herrn.

Hip Hop

Diese Musik in der Großraum-Diskothek hören zu können, war tatsächlich mal ein kleiner Traum. Er hat sich erfüllt. Nur, daß in Deutschland Nazi-Kids genauso drauf abfahren können, ohne sich ändern zu müssen.
Im Gegenzug nimmt die Segregation ethnisch ausgegrenzter jugendlicher Minoritäten seinen Lauf. Die damit einhergehende Selbstbezüglichkeit verhindert jedoch den Charteinstieg. Das heißt also auch in Deutschland: Einrichten in den rassistischen Verhältnissen, ohne aus dem Ghetto raus zu wollen.
Ansonsten ist Hip Hop mit deutschen Texten das täglich Brot zum Radiobrei. Für Außenstehende Konsumenten kaum von Fake und Hype zu unterscheiden.
US-Sachen kommen dann besonders gut an, wenn sie auf Sounds zurückgreifen, die die mitdreißiger Radio-DJs damals in ihrer Jugend hörten (Tina Turner, Prince, Chaka Khan, Police, Grandmaster Flash etc). Für die Kids klingt das alles verdammt frisch und neu.
Der Tod von zwei Rappern in den Staaten (Tupac und Notorious B.I.G) veränderte tatsächlich nicht viel in der US-Szene, auch wenn West versus East (und umgekehrt) dadurch etwas an Intensität verloren hat. In Europa jedoch wurde damit Hip Hop einmal mehr zur Disneyworld für weiße Mittelständler erhoben.
Umso erfreulicher ist die Rückkehr von KRS-One zu sehen. Leider hat er seinen Teacher-Status von einst abgeschüttelt. Trotzdem ist der Mann ein Phänomen und Glücksfall. Im Gegensatz zum Wu Tang Clan. Was von denen hier ankommt, kann nur verklärte Folklore sein, denn das Besondere an denen ist, daß sie für uns tatsächlich ein Buch mit sieben Siegeln sind. Wer etwas anderes behauptet, lügt.
Im weiteren hat sich die Tendenz zum ungehemmten Bedienen in den Musik-Archiven aller Coleur verstärkt. (Der Begriff ‘Patchwork-Hip Hop’ hat sich noch nicht durchgesetzt.) Trotzdem ist unverkennbar eine Hinwendung zu der Zeit, als Old School von New School abgelöst wurde, zu verzeichnen. Erstaunlich ist, daß die Ästhetik im gesamten Rahmen dabei schneller ist, als die davon lösgelöst zu betrachtende Musik. Ein Novum?

Industrial · Crust · Noise
(abgestiegen: Grind)

I. ist inzwischen einzig und allein in Post-Metal-Kreisen relevant. Zwar nicht übermäßig, aber durchaus partikular.
Im Crust-Bereich hat sich nichts geändert. Tagein tagaus dieselbe Sause für Tierschutz und selbstbestimmtes Ausklinken. Früher hieß das mal anarchistisch – heute Nischendasein.
Vom Noise ist nicht mehr viel zu hören. Erstaunlicherweise haben sich Prognosen des letzten Jahres nicht bestätigt. Es scheint fast so, als wenn er sich selbstlaufend auf ein Mindestmaß reduziert hat.

Jazz

Sein inflationärer Gebrauch im verbalen Bereich als irgendwie Überding hat merklich nachgelassen. Die Partikel und Einsprengsel, die sich gerade in der Dance-Musik trotzdem finden, verdeutlichen, daß er selbst aus dem pulsierendsten Segment der Pop-Musik nicht verschwunden ist. Als Altherrenspielwiese konnte er auch keine übermäßigen Zuwächse verzeichnen.

Low Fi · Homerecording · Garage

Harmonisierung in dem Bereich, der einstmals die Trennung von Club und Wohnzimmer zugunsten des privaten Raumes manifestierte. Verbunden damit ist die Rückkehr in den öffentlichen Raum. Nichts scheint derzeit kompatibler mit der auf großen Sohlen nahenden New Wave of New Wave (NWoNW – siehe gleichlautende Rubrik) wie diese Genres. Reduzierte Sinnfälligkeit ist dem Trash ohnehin immanent und rotzlöffeliges Einzelheinztum beste Voraussetzung für eine umfassende Ästhetik des guten schlechten Geschmacks. Welche Rolle die Japaner dabei spielen, ist aus bisher unverschmolzenen austarken Gründen abzuwarten.

(Abgestiegen: Metal und Crossover)

Beide gibt’s einfach nicht mehr. Selbstauflösende Entwicklungen waren selten so positiv zu bewerten wie in diesem Fall. Was der Geschichte anheimgefallen ist, läßt sich im Falle des Metal in jedem aktualisierten Rocklexikon nachlesen. (Eins davon erscheint übrigens monatlich und nennt sich RockHard).
Im Falle des Crossover bin ich persönlich hin- und hergerissen. Ein Treppenwitz oder mehr? Beim Durchblättern des Magazins Visions neige ich tatsächlich zu ersterem.

Nazi-Rock

Diesen Hauptfeind hier aufgenommen zu haben, enspricht leider seiner Bedeutung in der Jugendkultur. Wer es noch nicht bemerkt haben sollte, dem sei es hier unter die Nase gehalten. Nazi-Rock boomt in einem Maße, daß einem die Haßkappe nicht mehr vom Gesicht will.
Besonders die Nazi-Connection nach Schweden befördert die Verbreitung der CDs und des Merchandising. Dementsprechend wird Nazi-Rock konsumiert.
Unter diesem Gesichtspunkt werden VIVA, MTV und meinetwegen die Love Parade wieder zu subversiven Instrumenten. Jedoch nicht etwa, um Nazi-Rock einzustampfen, sondern um ihn abzuschwächen. Siehe die Bands Böhse Onkelz und Rammstein.
Dringendst anzumahnen ist allerdings zumindest eine wiederauflebende Diskussion um diesen Bullshit.

New Wave (of New Wave)

Die ästhetische Hinwendung zum frühachtziger Zeug – angefangen bei den elektronischen Sounds über die Kunstaffinitäten bis zu den Klamotten – ist die schleichende Invasion, die bereits ein Schlüsselwerk hervorgebracht hat, bevor es überhaupt begreifbar wird. Die Rede ist von Jimi Tenors „Take Me Baby“. Die peu-a-peu-Umkrempelung der Ästhetik-Maßstäbe in der Weltsicht der weißen Mittelstandskinder eröffnet einen profitablen Markt, der Second Hand-Ware zu Luxusgütern macht. Zumindest solange, bis die Industrie vollends umschwenkt, um die Sache totzukriegen.
roland berger, 10.7k
rainer eppelmann, 3.6k
claus leggewie, 9.8k

Populisten-Dancefloor-Rock

Ich bleibe bei dieser Begriffskonstruktion. Gemeint sind bekanntlich Bands wie Chemical Brothers, Underworld, Orbital oder Prodigy. Zumindest diskutierte man vor einigen Monaten mal kurz, ob diese Bands nicht doch die Ehrenrettung des Rock‘n’Roll bedeuten. Das wurde in einer seltenen Einheitsfront verneint. Ich halte trotzdem gegen.

Postrock · Krautrock

Da ja nun klargezogen wurde, das Rock doch nicht tot ist – ein Irrtum, dem auch ich kurzzeitig aufsaß – stellt sich die Frage, was Postrock anderes sein soll, als die geschichtsambivalente Vorstufe zur Kunstkacke des Bombast-Rock. Ich empfehle deshalb, schleunigst Krautrock unter funktionalistischen Gesichtspunkten der damaligen Zeit zu betrachten. Wer tatsächlich diese Musik analysieren will, merkt ohnehin, welches Mosaik unterschiedlichster Stilistiken da unter der Prämisse von Reduktion zusammengesetzt wurde.

* · Punk · Oi! · Ska

Trotz zeitbedingter Überschneidungen auf dem Rücken von HC hat zumindest Punk alles erreicht, was wir nie wollten: Stumpfsinn ohne Destruktivität, stadionfüllendes Ereignis, Fun-Sport-Untermalung, Oktoberfest-Kompatibilität.
Mit blutendem Herzen geben wir ihn zum Abschuß frei. Wo früher die Ratte als Symbol diente, kriechen alte Männer nun selbst als solche aus ihren Löchern. Dabei ist Punk als Rock-Beruf okay (Bad Religion, Sex Pistols). Nicht aber als Berufung (Exploited). Und was die Nachkommen machen, ist mir im Grunde scheißegal. Das finde ich im Einzelfall zwar selbst erschreckend, läßt sich aber leider dank miesestem Epigonentum nicht anders verhandeln.
Zu Oi! und Ska läßt sich dagegen unbefangener ein zeitloser Draht herstellen. Wäre nicht im Fascho-Oi! der zukünftige Mißbrauch von HC verborgen, bräuchten wir uns keine Sorgen machen. Leider aber wird es spätestens in fünf Jahren genauso viele rassistische wie anti- oder nicht-rassistische Hardcorebands geben. Und das schmerzt dann wirklich sehr.
Oi! und Ska sind, bis auf wenige Ausnahmen, der Linken weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht zuletzt davon lebt die Oi!- wie die Ska-Szene. Erst vor einigen Jahren hat sie die S.H.A.R.P.-Umarmung abgewendet. Wäre da nicht dieser unbedingt zu bekämpfende, wieder im Auftrieb befindliche Fascho-Scheiß, es könnte so viele nette Abende bei Umtrunk und Musik geben.

Queercore

Die entscheidende Frage ist tatsächlich, ob sich Separierung unter den Vorzeichen des gekillten Genders als antiquiert herausstellt oder nicht. Von einer Emanzipation im Rock‘n’Roll kann „natürlich“ keine Rede sein, weil diese Musik ein Teil der Gesellschaft ist. Umso erschreckender ist es, wenn einer Band wie Sleater-Kinney in vorgetäuschter Unbedarftheit quasi ein zweites Nirvana-Schicksal an den Hals gewünscht wird, diese Band eine Coverstory erhält, als wäre Kurt Kobain nicht genauso von den mutmaßlichen Pop-Theoretikern in den Tod getrieben worden. Es ist immer wieder erstaunlich, wie es doch einige Fachorgane hinbekommen, einen Abstand zwischen sich und dem Rest der Musik-Mörder-Maschinerie zu konstruieren, woran dann tausende junger Männer glauben und Nick Hornby als ihren Gott anhimmeln.

Reggae · Dancehall

Außer dem Klau des Dub ist alles wie vormals: Jamaica rult Jamaica, die wenigen Communities in den Metropolen sind bei sich und Jah, On-U Sound im Nirgendwo, Hip Hop – eher dank denn trotz Fugees-Overkill – in afroamerikanischen Gefilden traditioneller Referenz.
So verliert man etwas aus den Augen, was vor wenigen Jahren noch als Lebenselixier galt und eine große Zukunft prophezeit wurde. Im Endeffekt denken wir, es stagniere, doch Tatsache ist vielmehr, daß die Rezeptionskanäle nach anfänglicher Öffnung hermetisch geschlossen sind. Wären da nicht Bounty Killer und Buju Banton, das Vermächtnis von Garnet Silk und meine Platten im Schrank – mir käme es so vor, als wäre nichts gewesen.

Rückkehrer

Herausragend sind da sicherlich David Bowie und Depeche Mode. Aber auch ein bißchen die Charlatans. Was alle drei eint, ist der von Erfolg gekrönte Wille, aus der Kartei der Leichen gezogen zu werden, ohne unnachvollziehbare Metamorphose für die alten Fans.

Soul · R&B
(abgestiegen: Swingbeat)

Soviel Seele war lange nicht und so ein weites R&B-Feld noch nie. Das mit dem Fickmusik-Vorwurf habe ich als Hip Hop-interessierter Mensch eh nie verstanden. Schön, daß es jetzt endgültig ausgeräumt ist. Die absolut wechselseitige Kompatibilität von Hip Hop, Soul und R&B mußte einfach kommen. Wer die Entwicklungen der letzten Jahre mit ein wenig Aufmerksamkeit verfolgt hat, wird mir da Recht geben.
Erstaunlich blieb nur, daß dies auch mit deutschen Lyrics funktionierte (Sabrina Sedlur, Tic Tac Toe).

Strange · Obscur
(abgestiegen: Easy Listening)

Was strange ist, bestimme ich – genau wie Du. Im Grunde geht es um den Fundus-Background, um Referenzen, eigene Sozialisation, Ideologie, Lebendscredo und die richtige Attitüde. Da es aber hierbei kein richtig und falsch gibt, ist strange so beliebig wie die Größe des Plattenlabels und Obskuritäten sind so sinnlos wie sinnvoll. Wenn ich mich nicht recht täusche, ergeben sich aber neuerdings daraus gewisse ästhetische Rahmenbedingungen für die individuelle Projetkionsfläche.

Techno · House · Disko
(abgestiegen: Acid)

Für House und Disko ist derzeit das Zeitalter der pumpenden Bässe, wie wir sie aus den Siebzigern kennen, immer noch nicht abgeschlossen. Und das nach immerhin knappen zwei Jahren. Sie geben damit auch anderen Musiksparten mittlerweile beachtenswerte Inspiration.

Ich hoffe ja inständig, daß sich das Verlangen nach House und Disko nach fallender Tendenz in den Clubs, schnell wieder steigert. Und zwar in Ermangelung von einschlägigen Alternativen.

Der Wertkonservatismus der Detroiter und Chicagoer Techno-Väter und der originalen Epigonen von der Insel und vom Festland nötigt mir positiven Respekt ab. Immer mehr neige ich dazu, alles, was davon abweicht, in der Rubrik Abstract/Headz (siehe ebenda) abzuhandeln. Das war aber auch schon voriges Jahr so.




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last modified: 28.3.2007