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Erfolg ohne Ergebnisse. | |
Ihr fragt, was haben die Proteste gegen die Polizei rund ums Connewitzer Kreuz gebracht? Ihr fragt, hat es einen Sinn, weiter zu machen? Ihr fragt, wird sich jemals etwas ändern? Wir die Perspektivenkommision der AG öffentliche Räume beim Bündnis gegen Rechts sagen euch, warum es weiter gehen muß. |
Alle Abbildungen aus einem Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 16.3.2000
Seit Ende Januar 2000 fügen sich in Leipzig
verschiedene Aktionen und Veranstaltungen zur Kampagne zur Rückgewinnung
des öffentlichen Raumes. Über mangelnde Ressonanz kann sich die
Kampagne bisher nicht beklagen, weder was die Zahl derer betrifft, die an den
verschiedenen Aktionen teilnahmen oder sie unterstützten, noch was die
Präsenz der Kampagne in der lokalen Öffentlichkeit betrifft.
Inzwischen wissen alle, daß mehr als nur ein paar vereinzelte Verwirrte
der fortschreitenden Überwachung in Leipzig skeptisch gegenüber
stehen. Trotzdem droht der Kampagne gegenwärtig die Luft auszugehen. Nicht was die Ideen für neue Aktionen betrifft und das Engagement derer, die immer noch kontinuierlich und organisiert gegen die immer umfassendere Repression vorgehen wollen. Das Problem ist, bei all jenen, die schon gezeigt haben, daß auch sie zum Widerstand bereit sind, das Bewußtsein zu bewahren, daß unsere gemeinsame Praxis eine Perspektive hat. Seien wir ehrlich, so sehr die Resonanz auf die Aktionen um das Connewitzer Kreuz Erfolgsstimmung auslöste, so wenig geben die realen Ergebnisse Anlaß zum Jubeln. Die Stadtverwaltung Leipzigs versucht im Gleichschritt mit der Polizei, den Protest im Sande verlaufen zu lassen und das lähmende Gefühl, da ließe sich ohnehin nichts tun, zu verbreiten. Nicht nur, daß weder die lokalen Tageszeitungen noch irgendeine Vertretung der Kommune die inhaltliche Kritik am Repressionskurs aufgenommen hat, die Überwachung per Videokameras wird seit Beginn der Kampagne konsequent ausgebaut. Die Mentalität der Bürgermeister scheint zu sein, Augen zu und koste es, was es wolle, die eigene Position durchsetzen. Von den paar Autonomen will sich die Stadt ihre Sicherheitspolitik nicht kaputt machen lassen. Lieber wird der Polizei am vorgeblichen Kriminalitätsschwerpunkt Connewitzer Kreuz bis in alle Ewigkeit Roter Alarm vorgegeben. Die bisher entstandenen Kosten scheinen für einen Kurswechsel nicht hoch genug zu sein. Da wäre zum einen die außer Kontrolle geratene Repression. Wo der Widerstand unwirksam gemacht werden soll, sieht sich die Polizei inzwischen gezwungen, den Ausnahmezustand zu verhängen. Sei es bei Demonstrationen, die kaum oder gar nicht stattfinden können oder bei Besuchen einer Stadtratssitzung, bei der aus Furcht die Tagesordnung gerafft wird, der zuständige Bürgermeister nur in Begleitung von Bodyguards aufzutauchen wagt und der mißliebige Teil der Öffentlichkeit am besten ganz ausgeschlossen werden soll. Da wären aber auch die immer abstruser werdenden Begründungen für die Beibehaltung der Annektion Connewitz durch die Polizei. Diese Äußerungen von einer Kamera, die hauptsächlich gebraucht würde, weil die Proteste gegen sie eine Situation erzeugt hätten, in der die Polizei ihren Abbau nicht wage. Oder auch: am Connewitzer Kreuz, an dem nicht mehr und nicht andere Autos parken als in jeder beliebigen Seitenstraße im Viertel, sei bezüglich von Autoaufbrüchen ein eingrenzbares Schwerpunktgebiet. Solche Argumentationen führen alle beruhigenden Worte, die Einschränkungen durch die Polizei stünden unter strengen Auflagen und seien keinesfalls willkürlich, ad absurdum. Und schließlich gibt es noch die Folgen ganz anderer Art. Natürlich richtet sich die Repression auf eine bestimmte Gruppe jugendlicher Menschen, die ins Täterprofil alternativ/autonom passen. Und genauso natürlich erzeugt dies bei jenen, die mit dieser Gruppe noch nie etwas anfangen konnten, das Gefühl der Bestätigung ihrer Ablehnung. Die Konflikte in Connewitz spitzen sich also zu und werden sich weiter zuspitzen. Das gehört dazu, wenn die Menschen, die erkennbar anderen Strukturen angehören, massiv kriminalisiert werden. Das öffentlich bekundete Bedauern des Ordnungsbürgermeisters Holger Tschense über dieses Ergebnis kann nur als höhnisch bezeichnet werden. Schließlich hat Tschense in den vergangenen acht Jahren rund um Häuserräumungen und erpreßte Legalisierungen Erfahrungen im Säen und Ausnutzen von Mißtrauen gesammelt. Schaden ist also genug angerichtet worden, aber wir wissen leider auch nicht, welche Form von Protest Stadtverwaltung und Polizei erwarten, damit die Kosten ihrer Politik so hoch steigen, ihren Stolz zu brechen. Die Stadt kann nicht wirklich erwarten, daß AOK-Büros, Sparkassen und Marktfrischfilialen im gesamten Stadtgebiet Anschlägen zum Opfer fallen, damit bewiesen ist, daß Riots geographisch nicht ans Connewitzer Kreuz gebunden sind. Wir hoffen jedenfalls, die Strategen in Rathaus und Polizeileitstelle werden doch noch begreifen, daß auch der Protest legaler Kampagnen ernst zu nehmen ist. Die Anzeichen dafür sind jedoch nicht vorhanden. Wurden unsere Proteste in der Vergangenheit massiv behindert, droht das Ordnungsamt inzwischen mit Strafverfahren. In einem Schreiben an die AG öffentliche Räume beim Bündnis gegen Rechts heißt es: Die Stadt Leipzig und die Polizeidirektion Leipzig werden auch zukünftig alle rechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung von Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Zuammenhang mit derartigen Veranstaltungen ausschöpfen. Es handelt sich um dieselbe Behörde, die uns Hand in Hand mit der Einsatzpolizei zu der Einsicht gebracht hat, daß lokale Demonstrationen in Leipzig zu unserem Thema nicht durchführbar sind. Eine Behörde, für die Regeln und Gesetze nur dazu da sind, Widerstand gegen sie in Mißkredit zu bringen und zu kriminalisieren. Unser Vorgehen in den letzten Monaten hat gezeigt, daß die gesellschaftlichen Gruppen von Gewicht in Leipzig Burgfrieden geschlossen haben. Nicht eine kritische Stimme erhob sich vernehmlich aus ihren Reihen. Nichteinmal Interesse an der lauthals geäußerten kritischen Position war zu verspüren. Die sonst so um den Anschein der Szeneintegration bemühte Rathausspitze schwieg nicht weniger als die Partei des demokratischen Sozialismus mit ihrer im Programm verankerten Wertschätzung der außerparlamentarischen Opposition. Während andernorts die liberale Öffentlichkeit bis hin zur FDP Probleme ausmacht und in Sachsen-Anhalt die PDS-Fraktion im Landtag erbitterten Widerstand gegen Videoüberwachung angekündigt hat, ist in Leipzig bestenfalls zustimmendes Schweigen zum Niedergang von Öffentlichkeit und politischer Kultur zu vernehmen. Die Kampagne steht derzeit vor wichtigen Aufgaben, will sie etwas bewegen. Der Leipziger Burgfrieden darf nicht hingenommen werden. Zur neuen Unberechbarkeit unserer Aktionsformen muß auch gehören, daß die breite Koalition der Überwachungsbefürworter angegriffen wird. Wer heimlich zustimmt und ansonsten schweigt, trägt genauso viel Verantwortung für die gegenwärtige Situation, wie jene, die aufgrund ihrer Macht die Entwicklung vorantreiben. Aber auch überregional gewinnt an Bedeutung, was sich in Leipzig tut. Je mehr die Stadtverwaltung sich als Vorreiterin für die neue Repressionstechnik feiert, um so entscheidender wird, daß wir vernehmlich artikulieren, was wir dabei angreifen. Die Beispiele gegen die Videoüberwachung sind dabei ideal. Kaum ist das Instrument erfolgreich eingeführt, wird es in jene Bereiche übernommen, die anders als der Bahnhofsvorplatz zum Alltagsleben gehören. Und sie werden auch nicht einfach gegen Kriminalität eingesetzt, sondern da wo Menschen sich bewegen, deren Widerstand den Regierenden nicht in den Kram paßt. In Leipzig gibt es eine verhältnismäßig starke linksradikale Szene, die in ihren alltäglichen Verhältnissen geographisch an Connewitz gebunden ist. Das ist der wahre Grund, der die Kamera am Connewitzer Kreuz dort sinnvoll erscheinen läßt. Es hat sicher eine Rolle gespielt, daß das Antifakonzept am 1. Mai 1998 die Pseudoaktionen der Stadt gegen den Naziaufmarsch am Völkerschlachtdenkmal bloßgestellt hat. Es hat sicher eine Rolle gespielt, daß es wiederum antifaschistische Aktionen waren, die das Jugendamt zwangen, das Scheitern seiner Arbeit mit Nazis im Kirschberghaus und der ganzen Stadt einzugestehen. Es hat sicher eine Rolle gespielt, daß die perfekt geplante Show der Ersetzung des kommunistischen Widerstandes gegen die Nazis durch den bürgerlichen Widerstand mit samt seinem positiven Bezug aufs volksdeutsche Reich am Ende in einem Pfeifkonzert unterging. Und sicher war es auch die Angst vor der wachsenden Autonomie und dem politischen Erfolg eines Teils dieser Szene, die alles gerechtfertigt erscheinen ließ, was diese Unabhängigkeit brechen könnte. So gesehen sind wir noch nicht am Ende der Kriminalisierung angelangt. Die Erzeugung einer öffentlichen Stimmung gegen die Szene bereitet genauso kommende Repression vor, wie die Kamera helfen soll, ein Ausspionieren der Szenstrukturen zu erleichtern. Die nächste Stufe sind Razzien und Verhaftungen. Wir müssen diese Entwicklung nicht hinnehmen. Indem wir unseren Widerstand aufrecht erhalten, können sich beide Ziele gegeneinander kehren. Das Überwachungsmodell Leipzig wird zeigen, daß in der neuen Repressionstechnik deren Mißbrauch schon angelegt ist, während bis heute niemand auf der Welt überzeugende Argumente für ihren Nutzen vorlegen kann. Für uns bleibt die politische Analyse der Verhältnisse und aktiver Widerstand entscheidend. Machen wir es unseren Gegnern so schwer wie möglich, gegen uns vorzugehen. Dazu ist es notwendig, daß die Kampagne vielfältiger und unberechenbarer wird. Wir werden in größeren Demonstrationen, wie der am 6. Mai 2000, gemeinsam unsere Forderungen aufstellen. Daneben sollen aber weiter kleinere Aktionen laufen, die zeigen, daß Ruhe, Ordnung und Sicherheit durch staatliche Repression nicht größer werden. Wir fordern alle auf, sich weiter an der Kampagne zu beteiligen.
Weg mit den Kameras am Kreuz und anderen öffentlichen Orten! Perspektivenkommitee der AG öffentliche Räume beim bgr |
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