Oder: Die Geschichte der KPdSU – "Kurzer Lehrgang"
Des Gen. W. I. Lenins (Wladimir Iljitsch Uljanow)
polemisches Meisterwerk aus dem Jahr 1904 (in Auswertung des 2. Parteitages der
damals illegalen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands SDAPR
verfasst) belehrte einst alle KommunistInnen darüber, wie sich eine
positiv auf strukturelle Zentralisation beziehende revolutionäre
Partei als behauptete Mehrheit (Bolschewiki) gegen eine als
opportunistisch stigmatisierte, undogmatische und immer wieder
kritische Minderheit (Menschwiki) durchsetzen kann. Wer Gen. W. I.
Lenin einst gelesen hat, weil er/sie wollte oder musste, hat vielleicht
wenigstens eines in Erinnerung behalten: seine Akribie bei der Darstellung der
Positionen gegen die er nunmehr zu polemisieren gedachte. Auch heute noch ist
seine Polemik als publizistische Form (!) geeignet zur argumentativen
Auseinandersetzung mit politischen GegnerInnen. Mindestens dies sollte dem
Bruder eines Anarchisten (versuchten Zarenattentäters) verdienstvoll
angerechnet werden.
Ansonsten aber nichts.
Ausser dass Genosse W. I. Lenin sich in einem Aufwall von damals noch
weitestgehend unbekannter political correctness dazu entschloss,
wenigstens die Ausgangsforderung der damalig anerkannten Parteizeitung
ISKRA (Funke) mitzuteilen, die bereits 1900 in einer
Vorabveröffentlichung der ersten Ausgabe noch formulierte: ... bevor
man sich vereinige, müsse man sich abgrenzen.... Ob Genosse W. I.
Lenin, der jene ISKRA mitgründete vielleicht ist einigen
älteren LeserInnen noch das Pflichtpilgern zur zeitweiligen Druckerei der
Zeitung in Leipzig-Probstheida während DDR-Zeiten erinnerlich , sich
in der Redaktion jener Zeitung bolschwistisch oder menschewistisch definieren
konnte/musste, ist letztlich egal. Bekannt ist, nicht zuletzt aus Gen. W. I.
Lenins Kampfschrift für den Zentralismus, dass sein Einfluss auf den
Inhalt der Zeitung geringer geworden sein muss, denn neben der Klage, aus
welchen Elementen sich die Minderheit des Spaltungsparteitages der
russischen Sozialdemokratie zusammensetze, monierte Gen. W. I. Lenin auch die
Tatsache, dass sich eine mittlerweile personell veränderte Redaktion,
gegen Zentralisation, für Fraktionen und insgesamt mehr Pluralismus in
einer an gemeinsamen, ideellen Positionen orientierten Partei des russischen
Proletariats einsetzte.
Für den Klassiker (vgl. auch die Terminologie vom
MARXISMUS-LENINISMUS) bestand das Organisationsprinzip der Partei zum einen
darin, dass sich ...die zersplitterte(n) und selbständige(n)
Gruppen, bei denen mit einer Nichtanerkennung des Parteitages zu rechnen
war..., vorab einer Entschliessung beugten, die es ihnen unter
keinem Vorwand gestatten sollte, Parteitagsbeschlüsse irgendwo
anders als auf dem Partei-Event selber in Frage zu stellen. Bezeichnend
für die leninsche Polemik allerdings dabei, dass er sich auf eine
seinerzeit stillschweigend als etwas Selbstverständliches
angenommene Entschliessung beruft und den späteren KritikerInnen aus den
Reihen der eigenen Partei nunmehr ihr damaliges Stillschweigen vorwirft, ihnen
explizit Erkenntnisfähigkeit abspricht. Zum anderen beharrte Gen. W. I.
Lenin als Repräsentant der Mehrheit darauf, dass alle in einer
einheitlichen Partei vertretenen Gruppierungen, wenn sie sich schon nicht
selber auflösen würden, ihren VertreterInnen (Parteitagsdelegierten)
keinen Zwang bei der Artikulation einer von der Gruppenposition abweichenden
Meinungsbildung auferlegen dürften. Eine an lutherischer Moral angelehnte
kapitalistisch-bürgerliche Gewissensfreiheit wurde durch
revolutionäres Bewusstsein, demokratischen Zentralismus und
Parteidisziplin ersetzt.
Natürlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die
Organisationsprinzipien der nach der Logik Masse, Klasse, Partei
sich konstituierenden neuen russischen Sozialdemokratie auf einer vorherigen
Analyse der gesellschaftlichen Situation in Russland bzw. der eigenen Partei
(Was tun? die entsprechende Leninsche Schrift) basierten,
die, obwohl natürlich wieder von Gen. W. I. Lenin getroffen, aber auch den
historisch determinierten Erkenntnisstand der damaligen Sozialdemokratie
auch weltweit mit einbezog.
Aber während Gen. W. I. Lenin, der selbst in seinen ökonomischen
Analysen den Imperialismus als höchstes Stadium des
Kapitalismus historisierte, daraus die Objektivität ...
den Sozialismus wissenschaftlich zu begründen und vom Standpunkt der
materialistischen Geschichtsauffassung seine Notwendigkeit und
Unvermeidlichkeit zu beweisen... (Was tun?) seines
Untergangs ableitete, geht er mit seinen GegnerInnen wenig glimpflich um.
Tendenzen in den sozialdemokratischen Parteien, vorallem ihren Führungen
(Bernstein in Deutschland und Millerand in Frankreich), sich im Kapitalismus
als dessen KritikerInnen zu etablieren, Tendenzen, die späterhin zur
Spaltung der internationalen Sozialdemokratie an der Frage des bevorstehenden
imperialistischen Umverteilungskrieges führten, weil der Bezug auf das
Proletariat als immanenter Bestandteil der Nation über den
internationalistisch-solidarischen Gedanken von den vaterlandslosen
ProletarierInnen gestellt wurde, unterstellt Gen. W. I. Lenin indifferent allen
anderen KritikerInnen seines zentralistischen Parteimodells mindestens als
Dummheit. Genossin Luxemburg nimmt somit an, daß ich ein bestimmtes
Organisationsmodell gegen irgendein anderes verteidige. (W. I. Lenin
Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück [Eine Antwort an
Rosa Luxemburg]), formuliert er, um ihr und anderen KritikerInnen
mehrfach sein Verständnis von richtig und falsch zu
oktroyieren. Rosa Luxemburg, die gegen das zentralistische Prinzip in der
russischen Sozialdemokratie argumentierte, weil es die Position der
Minderheiten prinzipiell unterbutterte, unterstellt Gen. W. I. Lenin gar, sie
vertrete eine Position, derzufolge Minderheiten inhaltlich und strukturell eine
Partei dominieren dürften. Sein Vorwurf letztlich ist die einfache
Verkehrung des eigenen avantgardistischen Minderheitenmodells als Absicht
seiner Gegnerin. Mit welchen Minderheitenpositionen sich die russische
Sozialdemokratie auf ihrem Parteitag 1904 auseinandersetzte, interessiert ihn
letztlich nicht mehr. Seine Attacke ist rein formal, während Rosa
Luxemburg in ihrer Kritik die Geeignetheit des Leninschen Organisationsmodells
zum Zentralismus optional sah.
Dass sich die russische Sozialdemokratie (Bolschewiki) auch unter
Gen. W. I. Lenin und vorallem unter Josef Wissarionowitsch Stalin
Dsugashwili (Wenn das Ziel klar ist, ist alles andere nur eine Frage der
Organisation) genau zu jenem Apparat entwickelte, der aus den einst vom
Gen. W. I. Lenin stigmatisierten Elementen in der Partei die
volksfeindlichen Elemente oder gleich Volksfeinde
machte, welchen nicht einmal ihre Treue zum Gen. W. I. Lenin half, von den
Dreierkomitees (zumindest als Terminologie und auch
Organisationsform der Illegalität schon beim Gen. W. I. Lenin zu finden)
zur Hinrichtung freigegeben zu werden, ist faktisch historisiert. Kamenew,
Sinowjew und Bucharin, die nach Trotzkis Ausscheiden letzten
alten Bolschwiki in Stalins Politbüro, konnten 1936 während der
Moskauer Schauprozesse erleben, was jenen GenossInnen passiert, welche sich
auch nur erinnern konnten, was für Diskussionen um Organisierung russische
SozialdemokratInnen einst führten. Trotzki wurde selbst im mexikanischen
Asyl noch Opfer eines vom KGB gesponserten Eispickels in der Hand eines
fanatisierten Stalinisten.
Es soll an dieser Stelle nicht dem aktuellen Antitotalitarismus-Mainstream das
Wort geredet werden. W. I. Lenin und Stalin sind lange tot. Die die
patriarchal-kapitalistische Gesellschaft heute qualitativ verändern
wollen, haben aber die Erfahrung/Erkenntnis, dass die unkritische
Übernahme von Organisationsmodellen optional die gleichen Folgen zeitigen
kann, die das sozialistische Modell einst (1989/90) mit scheitern liessen.
Nachdem die politische Linie festgelegt worden ist, werden die Kader zum
entscheidenden Faktor. Deshalb ist die planmässige Heranbildung
zahlreicher neuer Kader unsere Kampfaufgabe. (Der Platz der
Kommunistischen Partei Chinas im nationalen Krieg Oktober 1938;
Ausgewählte Werke Mao Tsetung, Bd. 2) Oder???
andrew
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