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Innen Stadt AG

Haben wir in unserer Ausgabe vom November ‘96 noch über die rassistische und von sozialen Ressentiments geprägte Unipolitik bezüglich der Mensa geschrieben, geht die „Innen Stadt AG“ weiter. Ihr Anliegen ist es, entgegen den Bestrebungen örtlicher Behörden und innenstädtischer Geschäftsleute, den (inner-)städtischen Raum als öffentlichen Raum zu erhalten, bzw. wieder nutzbar zu machen. Die AG versteht sich als überregional koordinierte, lokal organisierte Kampagne.
Als Anregung zur Konstituierung einer lokalen Gruppe in Leipzig dokumentieren wir hier ihren Aufruf zu einem Treffen, das Mitte Januar in Frankfurt/M. stattfand. Als Koordinierungsstelle für Leipzig kann der Infoladen dienen, an den sich Interessierte ab sofort wenden können.

innen stadt ag, 2.7k

dokument:

Maßnahmen wie die Zerschlagung von offenen Drogenszenen, die Aussetzung von Obdachlosen an den Stadtrand oder die Schikanierung von Migrantlnnen-Jugendlichen deuten darauf hin, daß zentrale Bereiche der Stadt marginalisierten Gruppen streitig gemacht werden. Im Wechselspiel zwischen medialer Aufbereitung und ordnungspolitischer Intervention werden bestimmte Submillieus zum Feind der Gesellschaft erklärt. „Sicherheit“ scheint sich zum neuen Konsens zu entwickeln. Aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft formieren sich Obdachlose, Alks, Dealerlnnen, Drogenkonsumentlnnen oder junge Migrantlnnen zu „unerwünschten“ oder sogar zu „gefährlichen Gruppen“. Solche Wahrnehmungsweisen und Ausgrenzungsmechanismen vollziehen sich im Zusammenhang der Erosion des „nationalsozialen“ Wohlfahrtsstaates. Das Ende des wohlfahrtsstaatlichen Kompromisses verstärkt Bestrebungen, die Krise mit ordnungspolitischen Mitteln und Normalisierungskonzepten zu bearbeiten. Einerseits fallen im Zuge kapitalistischer Modernisierung zunehmend mehr Menschen und soziale Gruppen aus dem Produktionsprozeß heraus, andererseits wächst die Bereitschaft, Gruppen und soziale Praktiken zu disziplinieren, zu stigmatisieren und auszuschließen.kreis, 1.0k

Städtischer Raum

Die wirtschaftliche und soziale Realität in den Metropolen verändert sich gegenwärtig grundlegend. Die Städte stellen nicht mehr die Zentren des Arbeitsplatzwachstums dar. Vielmehr kommt es mit der ökonomischen Krise zu einer sozialräumlichen Polarisierung. Zugleich verschärft sich die Rivalität zwischen den Metropolen, die miteinander um Wachstumspotentiale konkurrieren. „Urbane Lebensqualität“ wird dabei zu einer wichtigen Kapitalanlage der Städte. Die Expansion der „Metropolenökonomie“ verstärkt die Hierarchisierung des städtischen Raums. Banken, Versicherungsfonds und transnationale Konzerne legen einen Teil ihres überschüssigen Kapitals in global gestreutem Immobilienbesitz an und nutzen die Grundstücksmärkte als reine Finanzanlage. Zugleich geraten bestimmte Bereiche der Städte unter privatwirtschaftliche Kontrolle und damit auch unter die Aufsicht privater Sicherheitsdienste. Die klassischen Orte der Öffentlichkeit – Straße, Platz und Park – werden zunehmend durch Malls, Einkaufszentren und Themenparks etc. ersetzt. Diese auszuschließen.kreis, 1.0k Einrichtungen sind mit aufwendigen Sicherheitssystemen versehen: durch Raumplanung, Architektur und Techno-Prävention werden unerwünschte Personen und unerwünschte Ereignisse ferngehalten. Räumliche Kontrolle und privates Management lassen die Malls als Idealtypen eines neuen öffentlichen Raumes erscheinen, der der Mittelklasse-Norm einer „cleanen Erlebniswelt“ entspricht. Dieses Urbanisierungsmodell zielt nicht nur auf Ausschluß, sondern die gesicherten Archipele des Konsums fungieren auch zunehmend als Vorbild für die gesamte Stadtentwicklung. Die Betreiber der Kaufhäuser und Ladenketten in der City sind bestrebt, die Innenstadt dem suburbanen Mall-Modell anzupassen, dessen Erfolg auch auf der Garantie des gesicherten Konsums basiert. Eine profitable Immobilienverwertung und die Steigerung des Warenumsatzes werden nun in direkte Beziehung zu Sicherheit und Ordnung gesetzt. Bezeichnenderweise haben sich in allen deutschen Großstädten Allianzen aus Geschäftsleuten und städtischen Behörden gebildet, um Verbotszonen für bestimmte Gruppen und normative Vorstellungen zur sozialen Reglementierung städtischer Räume durchzusetzen: Herumlungern, Trinken, Kiffen, Dealen oder Betteln gelten nun als abweichendes Verhalten, das die öffentliche Sicherheit gefährdet. Mit Begriffen wie „Ausländerkriminalität“ oder „asoziale Randgruppen“ werden Bedrohungsszenarien entworfen.

Sicherheitsdiskurse und Moralpanik

Die Rede von dem gestörten Sicherheitsempfinden der Bevölkerung signalisiert zugleich, daß nicht mehr konkrete Gefahren und Straftaten, sondern subjektive Sicherheitsgefühle zum Gegenstand politischer Interventionen werden. Mit der Betonung des subjektiven Sicherheitsgefühls rücken Themenbereiche und Aktionsfelder in den Vordergrund, die von keiner strafrechtlichen Relevanz sind: Wie etwa die Unsauberkeit auf Straßen und Plätzen, „Vandalismus“ oder Betteln. In diesem präventiven Konzept von öffentlicher Sicherheit findet eine Vermischung von sozialpolitischen, ordnungspolitischen und polizeilich/strafrechtlichen Arbeitsansätzen statt, die vor allem auf eine Intensivierung der sozialen Kontrolle abzielen. In der Neuformierung der Innenstädte wird die Kontrolldichte enorm erhöht. Das gesamte Gefüge, wer sich wo bewegt, aufhalten darf und überhaupt noch hintraut, wird neu geordnet. Die jeweiligen städtischen Parteien haben eigene Interessen, am Sicherheitsdiskurs mitzustricken und die Vertreibungspraktiken umzusetzen oder zu ermöglichen. Gleichzeitig rnit dem Abbau der städtischen (Sozial)Leistungen, haben sie das Terrain der Sicherheitspolitik auserkoren, sich zu profilieren und „Handlungsfähigkeit“ nachzuweisen. Kostengünstig und populistisch verwertbar läßt sich hier symbolische Politik betreiben. Mit den Ausweisungen aus innerstädtischen Räumen sollen Phänomene einer zunehmenden Deklassierung unsichtbar gemacht werden: Ordnungspolitik ersetzt Sozialpolitik. Die Sicherheitsdiskurse und Moralpaniken fungieren als Teil einer Integrationsstrategie, die die Herstellung und Ausschließung bestimmter Randgruppen voraussetzt, da ohne diese Grenzziehungen keine Norrnalitätsstandards gebildet und durchgesetzt werden könnten. In der Regel operieren die Sicherheitsdiskurse rnit der Unterstellung, daß ein großer Teil der Kriminalität von „außen“ eingeschleppt werde. Wenn davon in den Medien die Rede ist, dann meist in Verbindung mit „ausländischen Drogendealern“ in den Innenstädten oder jungen MigrantInnen, die sich an „sozialen Brennpunkten“ zu „gangs“ zusammenschließen. Bezogen auf den lokalen Raum findet hier jener Diskurs seine Umsetzung, der in den nationalen Kampagnen zur „inneren Sicherheit“ als „Massen- und Ausländerkriminalität“ artikuliert ist, wobei diese Kampagnen ihre suggestive Kraft vor allem aus den Diskursen und Bildern der Stadt beziehen, in denen die gängigen Bedrohungsszenarien entworfen werden. Insbesondere der ausländische Drogendealer wird als „tödliche Gefahr“ für die städtische Gesellschaft dargestellt. Er gilt als übles Subjekt und der Antisoziale schlechthin. Wesentlicher Bestandteil des Sicherheitsdiskurses sind somit Strategien, mittels derer Individuen „ethnisiert“ und dann als Fremde ausgegrenzt werden können. Das Pendant zur Konstruktion des „Anderen“ ist die komplementär stattfindende Konstitution des nationalen Opferkollektivs in Gestalt des bedrohten Landes (BRD) oder Volkes (uns Deutsche). Das strategische Moment des Sicherheitsdiskurses besteht darin, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, Fremdes und Eigenes zu definieren, mögliche Einschränkungen des bürgerlichen Gleichheitspostulats zu legitimieren, die Grenzen des Anspruchs auf Anerkennung von sozialen Rechten zu bestimmen und den Zugang zu materiellen Ressourcen auch vom moralischen Status des Betroffenen abhängig zu machen. kreis, 1.0k

:Zur Kampagne

Es ist beabsichtigt, im Frühjahr 97 gegen all dies in einer überregional koordinierten, jedoch lokal organisierten und durchgeführten Kampa gne in Form von Aktionen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen zu intervenieren. Durch die überregionale Zusammenarbeit verschiedener Initiativen werden die Gemeinsamkeiten der Konflikte öffentlich miteinander in Beziehung gesetzt, um so das Thema stark zu machen und den Widerstand zu bündeln. Im Oktober 96 hat zu diesem Zweck im Rahmen der Veranstaltung „minus 96“ ein erstes Vorbereitungstreffen in Berlin stattgefunden, auf dem Projekte und Initiativen aus verschiedenen Städten die lokal spezifischen Erscheinungsformen von Vertreibung und die eigenen Versuche, diesen entgegenzuwirken, dargestellt haben. Dabei wurde deutlich, daß trotz (strukturell) ähnlichen Konflikten die jeweiligen lokalen Konstellationen und die möglichen Thematisierungsweisen sehr unterschiedlich sind. Wir halten es für wichtig, die spezifischen Repressionsstrategien als Kristallisationspunkte anzusehen, in denen sich so heterogene Phänomene wie städtische Restrukturierung, kommunale Standort- und Sicherheitspolitik, Rassismus, Drogenhysterie, u.ä. verdichten. Unseres Erachtens beinhaltet die Thematisierung und Bekämpfung solcher Politik die Notwendigkeit (und Chance), diese Ebenen aufeinander bezogen zu diskutieren: Noch jede Vertreibungspolitik legitimiert sich über den aus dem „Innere Sicherheits“-Diskurs bekannten Bezug auf „subjektive Bedrohungsgefühle“, die permanenten Kontrollen ausländischer Jugendlicher sind immer auch rassistische Praxis, die ideologische Mobilisierung gegen bestimmte Drogen und Dealerlnnen gelingt bis weit in linke Szenen hinein.
Die geplante Kampagne konzentriert sich auf den begrenzten Innenstadtbereich da wir dies als Vorteil für Interventionsmöglichkeiten sehen: Die genannten allgerneinen Phänomene haben auf der lokalen Ebene die Form benenn- und erfahrbarer Maßnahmen. Sie erscheinen damit auch konkret bekämpfbar. Wir gehen davon aus, daß die aktuellen Entwicklungen in den Innenstädten auch das eigene Leben in der Stadt beeinflussen, bzw. beeinträchtigen. Was heißt es, wenn Bewegungsmöglichkeiten gesteuert, Zugänglichkeiten eingeschränkt, Nischen und Orte zerstört werden, wenn Kontrollierbarkeit abverlangt wird und die Lebensweisen verschärften Normierungen ausgesetzt sind? Ohne in romantische Anwandlungen über Stadt oder utopische Gegenentwürfe verfallen zu wollen, erscheint uns eine Auseinandersetzung über die eigenen Vorstellungen und Ansprüche an Stadt /darüber, was man selbst von Stadt will wichtig. Darüber hinaus ist vorgesehen, in Frankfurt/M. die Diskussion noch einmal aufzugreifen, welche politischen Aktionsformen möglich, bzw. zu favorisieren sind? Was heißt es z.B. für die eigene lokale Praxis, von der Einschätzung auszugehen, daß die Ideologie der „Inneren Sicherheit“ längst hegemonial geworden ist und die Ausgrenzungen dementsprechend nicht gegen „die Bevölkerung“ durchgesetzt, sondern von dieser weitgehend mitgetragen, unterstützt und propagiert werden? Welche Möglichkeiten eröffnen sich, wenn von vornherein von der Dissidenz der eigenen Positionen auszugehen ist? Wie lassen sich konkrete Maßnahmen verhindern oder stören? Wie läßt sich artikulieren, daß man von alledem schon längst genug hat und man eine andere Stadt will? Nicht unerheblich scheint uns dabei der Bezug auf Orte, an denen es noch Ansätze von widerständiger Praxis gibt. Um eine auf die Kampagne zielende Praxis-Debatte zu initiieren, werden einige Projekte noch einmal „exemplarisch“ von ihren Aktionen und den gemachten Erfahrungen berichten. Neben den lokal möglichen Aktivitäten geht es auch darum, wie die überregionale Koordination/Zusammenarbeit der Kampagne aussehen kann. Weitere Initiativen und Gruppen sind aufgerufen und eingeladen, sich zu beteiligen.

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last modified: 28.3.2007