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Maßnahmen wie die Zerschlagung von offenen
Drogenszenen, die Aussetzung von Obdachlosen an den Stadtrand oder die
Schikanierung von Migrantlnnen-Jugendlichen deuten darauf hin, daß
zentrale Bereiche der Stadt marginalisierten Gruppen streitig gemacht werden.
Im Wechselspiel zwischen medialer Aufbereitung und ordnungspolitischer
Intervention werden bestimmte Submillieus zum Feind der Gesellschaft
erklärt. Sicherheit scheint sich zum neuen Konsens zu
entwickeln. Aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft formieren sich Obdachlose,
Alks, Dealerlnnen, Drogenkonsumentlnnen oder junge Migrantlnnen zu
unerwünschten oder sogar zu gefährlichen
Gruppen. Solche Wahrnehmungsweisen und Ausgrenzungsmechanismen vollziehen
sich im Zusammenhang der Erosion des nationalsozialen
Wohlfahrtsstaates. Das Ende des wohlfahrtsstaatlichen Kompromisses
verstärkt Bestrebungen, die Krise mit ordnungspolitischen Mitteln und
Normalisierungskonzepten zu bearbeiten. Einerseits fallen im Zuge
kapitalistischer Modernisierung zunehmend mehr Menschen und soziale Gruppen aus
dem Produktionsprozeß heraus, andererseits wächst die Bereitschaft,
Gruppen und soziale Praktiken zu disziplinieren, zu stigmatisieren und
auszuschließen.
Städtischer Raum
Die wirtschaftliche und soziale Realität in den Metropolen verändert
sich gegenwärtig grundlegend. Die Städte stellen nicht mehr die
Zentren des Arbeitsplatzwachstums dar. Vielmehr kommt es mit der
ökonomischen Krise zu einer sozialräumlichen Polarisierung. Zugleich
verschärft sich die Rivalität zwischen den Metropolen, die
miteinander um Wachstumspotentiale konkurrieren. Urbane
Lebensqualität wird dabei zu einer wichtigen Kapitalanlage der
Städte. Die Expansion der Metropolenökonomie
verstärkt die Hierarchisierung des städtischen Raums. Banken,
Versicherungsfonds und transnationale Konzerne legen einen Teil ihres
überschüssigen Kapitals in global gestreutem Immobilienbesitz an und
nutzen die Grundstücksmärkte als reine Finanzanlage. Zugleich geraten
bestimmte Bereiche der Städte unter privatwirtschaftliche Kontrolle und
damit auch unter die Aufsicht privater Sicherheitsdienste. Die klassischen Orte
der Öffentlichkeit Straße, Platz und Park werden
zunehmend durch Malls, Einkaufszentren und Themenparks etc. ersetzt. Diese
auszuschließen.
Einrichtungen sind mit aufwendigen Sicherheitssystemen versehen: durch
Raumplanung, Architektur und Techno-Prävention werden unerwünschte
Personen und unerwünschte Ereignisse ferngehalten. Räumliche
Kontrolle und privates Management lassen die Malls als Idealtypen eines neuen
öffentlichen Raumes erscheinen, der der Mittelklasse-Norm einer
cleanen Erlebniswelt entspricht. Dieses Urbanisierungsmodell zielt
nicht nur auf Ausschluß, sondern die gesicherten Archipele des Konsums
fungieren auch zunehmend als Vorbild für die gesamte Stadtentwicklung. Die
Betreiber der Kaufhäuser und Ladenketten in der City sind bestrebt, die
Innenstadt dem suburbanen Mall-Modell anzupassen, dessen Erfolg auch auf der
Garantie des gesicherten Konsums basiert. Eine profitable Immobilienverwertung
und die Steigerung des Warenumsatzes werden nun in direkte Beziehung zu
Sicherheit und Ordnung gesetzt. Bezeichnenderweise haben sich in allen
deutschen Großstädten Allianzen aus Geschäftsleuten und
städtischen Behörden gebildet, um Verbotszonen für bestimmte
Gruppen und normative Vorstellungen zur sozialen Reglementierung
städtischer Räume durchzusetzen: Herumlungern, Trinken, Kiffen,
Dealen oder Betteln gelten nun als abweichendes Verhalten, das die
öffentliche Sicherheit gefährdet. Mit Begriffen wie
Ausländerkriminalität oder asoziale
Randgruppen werden Bedrohungsszenarien entworfen.
Sicherheitsdiskurse und Moralpanik
Die Rede von dem gestörten Sicherheitsempfinden der
Bevölkerung signalisiert zugleich, daß nicht mehr konkrete Gefahren
und Straftaten, sondern subjektive Sicherheitsgefühle zum Gegenstand
politischer Interventionen werden. Mit der Betonung des subjektiven
Sicherheitsgefühls rücken Themenbereiche und Aktionsfelder in den
Vordergrund, die von keiner strafrechtlichen Relevanz sind: Wie etwa die
Unsauberkeit auf Straßen und Plätzen, Vandalismus oder
Betteln. In diesem präventiven Konzept von öffentlicher Sicherheit
findet eine Vermischung von sozialpolitischen, ordnungspolitischen und
polizeilich/strafrechtlichen Arbeitsansätzen statt, die vor allem auf eine
Intensivierung der sozialen Kontrolle abzielen. In der Neuformierung der
Innenstädte wird die Kontrolldichte enorm erhöht. Das gesamte
Gefüge, wer sich wo bewegt, aufhalten darf und überhaupt noch
hintraut, wird neu geordnet. Die jeweiligen städtischen Parteien haben
eigene Interessen, am Sicherheitsdiskurs mitzustricken und die
Vertreibungspraktiken umzusetzen oder zu ermöglichen. Gleichzeitig rnit
dem Abbau der städtischen (Sozial)Leistungen, haben sie das Terrain der
Sicherheitspolitik auserkoren, sich zu profilieren und
Handlungsfähigkeit nachzuweisen. Kostengünstig und
populistisch verwertbar läßt sich hier symbolische Politik
betreiben. Mit den Ausweisungen aus innerstädtischen Räumen sollen
Phänomene einer zunehmenden Deklassierung unsichtbar gemacht werden:
Ordnungspolitik ersetzt Sozialpolitik. Die Sicherheitsdiskurse und Moralpaniken
fungieren als Teil einer Integrationsstrategie, die die Herstellung und
Ausschließung bestimmter Randgruppen voraussetzt, da ohne diese
Grenzziehungen keine Norrnalitätsstandards gebildet und durchgesetzt
werden könnten. In der Regel operieren die Sicherheitsdiskurse rnit der
Unterstellung, daß ein großer Teil der Kriminalität von
außen eingeschleppt werde. Wenn davon in den Medien die Rede
ist, dann meist in Verbindung mit ausländischen Drogendealern
in den Innenstädten oder jungen MigrantInnen, die sich an sozialen
Brennpunkten zu gangs zusammenschließen. Bezogen auf
den lokalen Raum findet hier jener Diskurs seine Umsetzung, der in den
nationalen Kampagnen zur inneren Sicherheit als Massen- und
Ausländerkriminalität artikuliert ist, wobei diese Kampagnen
ihre suggestive Kraft vor allem aus den Diskursen und Bildern der Stadt
beziehen, in denen die gängigen Bedrohungsszenarien entworfen werden.
Insbesondere der ausländische Drogendealer wird als tödliche
Gefahr für die städtische Gesellschaft dargestellt. Er gilt als
übles Subjekt und der Antisoziale schlechthin. Wesentlicher Bestandteil
des Sicherheitsdiskurses sind somit Strategien, mittels derer Individuen
ethnisiert und dann als Fremde ausgegrenzt werden können. Das
Pendant zur Konstruktion des Anderen ist die komplementär
stattfindende Konstitution des nationalen Opferkollektivs in Gestalt des
bedrohten Landes (BRD) oder Volkes (uns Deutsche). Das strategische Moment des
Sicherheitsdiskurses besteht darin, Zugehörigkeit und
Nicht-Zugehörigkeit, Fremdes und Eigenes zu definieren, mögliche
Einschränkungen des bürgerlichen Gleichheitspostulats zu
legitimieren, die Grenzen des Anspruchs auf Anerkennung von sozialen Rechten zu
bestimmen und den Zugang zu materiellen Ressourcen auch vom moralischen Status
des Betroffenen abhängig zu machen.
:Zur Kampagne
Es ist beabsichtigt, im Frühjahr 97 gegen all dies in einer
überregional koordinierten, jedoch lokal organisierten und
durchgeführten Kampa gne in Form von Aktionen, Veranstaltungen und
Veröffentlichungen zu intervenieren. Durch die überregionale
Zusammenarbeit verschiedener Initiativen werden die Gemeinsamkeiten der
Konflikte öffentlich miteinander in Beziehung gesetzt, um so das Thema
stark zu machen und den Widerstand zu bündeln. Im Oktober 96 hat zu diesem
Zweck im Rahmen der Veranstaltung minus 96 ein erstes
Vorbereitungstreffen in Berlin stattgefunden, auf dem Projekte und Initiativen
aus verschiedenen Städten die lokal spezifischen Erscheinungsformen von
Vertreibung und die eigenen Versuche, diesen entgegenzuwirken, dargestellt
haben. Dabei wurde deutlich, daß trotz (strukturell) ähnlichen
Konflikten die jeweiligen lokalen Konstellationen und die möglichen
Thematisierungsweisen sehr unterschiedlich sind. Wir halten es für
wichtig, die spezifischen Repressionsstrategien als Kristallisationspunkte
anzusehen, in denen sich so heterogene Phänomene wie städtische
Restrukturierung, kommunale Standort- und Sicherheitspolitik, Rassismus,
Drogenhysterie, u.ä. verdichten. Unseres Erachtens beinhaltet die
Thematisierung und Bekämpfung solcher Politik die Notwendigkeit (und
Chance), diese Ebenen aufeinander bezogen zu diskutieren: Noch jede
Vertreibungspolitik legitimiert sich über den aus dem Innere
Sicherheits-Diskurs bekannten Bezug auf subjektive
Bedrohungsgefühle, die permanenten Kontrollen ausländischer
Jugendlicher sind immer auch rassistische Praxis, die ideologische
Mobilisierung gegen bestimmte Drogen und Dealerlnnen gelingt bis weit in linke
Szenen hinein.
Die geplante Kampagne konzentriert sich auf den begrenzten Innenstadtbereich da
wir dies als Vorteil für Interventionsmöglichkeiten sehen: Die
genannten allgerneinen Phänomene haben auf der lokalen Ebene die Form
benenn- und erfahrbarer Maßnahmen. Sie erscheinen damit auch konkret
bekämpfbar. Wir gehen davon aus, daß die aktuellen Entwicklungen in
den Innenstädten auch das eigene Leben in der Stadt beeinflussen, bzw.
beeinträchtigen. Was heißt es, wenn Bewegungsmöglichkeiten
gesteuert, Zugänglichkeiten eingeschränkt, Nischen und Orte
zerstört werden, wenn Kontrollierbarkeit abverlangt wird und die
Lebensweisen verschärften Normierungen ausgesetzt sind? Ohne in
romantische Anwandlungen über Stadt oder utopische Gegenentwürfe
verfallen zu wollen, erscheint uns eine Auseinandersetzung über die
eigenen Vorstellungen und Ansprüche an Stadt /darüber, was man selbst
von Stadt will wichtig. Darüber hinaus ist vorgesehen, in Frankfurt/M. die
Diskussion noch einmal aufzugreifen, welche politischen Aktionsformen
möglich, bzw. zu favorisieren sind? Was heißt es z.B. für die
eigene lokale Praxis, von der Einschätzung auszugehen, daß die
Ideologie der Inneren Sicherheit längst hegemonial geworden
ist und die Ausgrenzungen dementsprechend nicht gegen die
Bevölkerung durchgesetzt, sondern von dieser weitgehend mitgetragen,
unterstützt und propagiert werden? Welche Möglichkeiten eröffnen
sich, wenn von vornherein von der Dissidenz der eigenen Positionen auszugehen
ist? Wie lassen sich konkrete Maßnahmen verhindern oder stören? Wie
läßt sich artikulieren, daß man von alledem schon längst
genug hat und man eine andere Stadt will? Nicht unerheblich scheint uns dabei
der Bezug auf Orte, an denen es noch Ansätze von widerständiger
Praxis gibt. Um eine auf die Kampagne zielende Praxis-Debatte zu initiieren,
werden einige Projekte noch einmal exemplarisch von ihren Aktionen
und den gemachten Erfahrungen berichten. Neben den lokal möglichen
Aktivitäten geht es auch darum, wie die überregionale
Koordination/Zusammenarbeit der Kampagne aussehen kann. Weitere Initiativen und
Gruppen sind aufgerufen und eingeladen, sich zu beteiligen.
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