Wenn sich eine Interessenbündelung von Mob und Elite
einstellt, wird immer all jenen das Fürchten gelehrt, die nicht in das eng
normierte Weltbild der gerade sich definierenden Toleranz passen. Als eine
Farce, über die nicht mehr spotten kann, wer den Ernst der Lage
tatsächlich erkennt, stellt sich in aller Regel das Problem dar, wenn
Provinzfürsten verschiedender politischer und behördlicher Coleur zur
Tat von Law and Order schreiten. Selbt die Tatsache, dass sich der perfekte
Staat des Ordnungswahns namens DDR erst vor gut zehn Jahren von der (u.a.
Überwachungs-)Bildfläche verbschiedet hat, lässt es nicht zu,
Marxens Annahme von der wiederholten Geschichte als Farce mit einem coolen
Lächeln zu folgen.
Für viele in der Connewitzer Szene völlig unvermittelt und aus
heiterem Himmel wird seit einigen Wochen im Stadtteil eine Tour abgezogen, die
darauf schliessen lässt, dass die Leipziger Ordnungs-Politik und ihre
Behörden Klein-New York a la dem Zero Tolerance-Modell spielen
wollen. Da wird gelogen, das sich die Balken biegen: Die Berber und Säufer
vor der Kaufhalle würden Leute anpöbeln, deren Bestien-ähnlichen
Hunde ständig arme Besucher der Kaufhalle am Connewitzer Kreuz anfallen
und überhaupt würden die das ganze Connewitzer Kreuz zumüllen,
dass dem guten deutschen Bürger die Luft zum Atmen wegbliebe.
Fragt man einmal den gewöhnlichen Bürger oder die Behörden, was
denn da wirklich dran sei, weiss niemand etwas konkretes, ausser, dass das
äussere Erscheinungsbild stört, die Leute am Kreuz wie alle guten
Deutschen Alk noch und noch saufen, sich Hunde halten und, wer hätte das
gedacht, die Hunde das eine oder andere Mal auf den Gehweg scheissen.
Man nenne mir eine Kaufhalle oder einen Supermarkt ausser den von
jeglichem Geschmeiss gereinigten im Leipziger Hauptbahnhof
vielleicht wo die Zustände andere sind.
Was passiert hier also? Warum ziehen Politik, Behörden, Bevölkerung
und Medien an einem Strang und schaukeln sich in immer irrationalere
Sphären, die sich schon längst von jeglicher ideeller demokratischer
Bodenhaftung verabschiedet haben? Niemand weiss es. Auch der Autor dieses
Textes nicht.
Eines der Zauberbegriffe, die eine Annäherung an das Phänomen des
totalen Sicherheitswahns zulassen, sind die vom sogenannten subjektiven
Sicherheitsbedürfnis, -empfinden oder -interesses des ordentlichen
deutschen Durchschnittsbürgers. Diese Begriffe schreien förmlich nach
Befriedigung durch alle genannten Seiten und rufen eine Eigendynamik hervor,
der man derzeit in Connewitz gewahr werden kann: 24 Stunden
Totalüberwachung mittels Kamera, schleichende Verdrängung aller
unliebsamen Randgruppen oder von Personenkreisen, die als solche gelten,
ständige Präsenz von uniformierten und bewaffneten Kräften,
permanente Personen- und Fahrzeugkontrollen, starke Stimmungsmache gegen
Randgruppen seitens der Behörden, der Politik und der Medien und, nicht
zuletzt, immer aggressiveres Geschrei der Normalbevölkerung nach noch mehr
Ausgrenzung, Repression und Intoleranz.
Was derzeit in Connewitz erlebt werden kann, ist eine zum Selbstläufer
gewordene Endlosspirale, deren Ende einfach nicht mehr rational absehen kann,
wer sich von der geschürten Inneren Sicherheitshysterie hat anstecken
lassen. Eine nüchterne und sachliche Betrachtung gilt inzwischen als
regelrecht verpönt.
Der Szene vergeht inzwischen immer mehr das Lachen. Und der Unmut schlägt
so langsam, peu a peu, um. Das bekommt man tagtäglich mit. Gerade auch an
einem Szene-stabilisierenden Laden wie dem Conne Island. Wer die Szene nur ein
bisschen kennt, weiss, dass es nicht übertrieben ist zu sagen, dass sich
Behörden und Politik kraft ihres profilierungssüchtigen und
populistischen Verhaltens auf Pulverfässer gesetzt haben, von denen eines
vor einigen Wochen am Connewitzer Kreuz bereits explodierte: Das Kreuz wurde
voller Hass und Wut verwüstet. Wo dies herrührte, lässt sich
eigentlich unschwer erraten.
Erinnert sei für alle, die es noch interessiert, an die Situation vor den
großen Krawallen in Connewitz im November 1992: Schon einmal entlud sich
Unmut, von dem dann im Nachhinein niemand im Vorfeld was gewusst haben
wollte.
Was soll denn bitteschön passieren, wenn der nächste Krawall gelaufen
ist? Ein Bulle vor jeder Wohnungstür derjenigen, wo der Bürger denkt,
die könnten auch nur im entferntesten potentielle Sraftäter sein? Wo
soll denn dieser eingeschlagene Weg enden? Wer erklärt den Politikern und
Behörden, dass der Bürger lieber Diktatur als Demokratie will und
dass, wer diesem Volk populistisch aufs Maul schaut, die demokratischen
Grundwerte in absehbarer Zeit über den Jordan schicken kann?
Es gibt zwei Quintessenzen dieses Textes: Die eine lässt sich auf die
Formel bringen, dass mehr Präsenz staatlicher Gewalt die Spannungen nur
verstärken wird. Die andere ist die, dass der Autor dieses Textes jeden
Tag erlebt, wo die sogenannte Normalbevölkerung hin will: Sie giert
förmlich danach, in der Orwellschen Welt des 1984 anzukommen. Das ist mehr
als traurig aber leider wahr. Ralf
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