home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[71][<<][>>]

Versuchte Wert-Konservierung.

Eine Entgegnung auf die Entgegnung „Ralf als Vordenker totaler Vergesellschaftung“ in CEE IEH Nr. 70 der Gruppe ohne Namen
von Ralf

      „Schon prinzipiell muß von einer Dialektik zwischen Individuen und Gesellschaft ausgegangen werden.“ (Roswitha Scholz)
„Und trotzdem könnte es eine Freude sein, Räume zu schaffen, die zumindest schon einen winzigen Moment davon erahnen lassen, was als befreite Gesellschaft zu erhoffen wäre.“ So endet der Beitrag der Gruppe ohne Namen (GoN) unter dem Titel „Ralf als Vordenker totaler Vergesellschaftung“ als Erwiderung auf den ersten Teil meiner Abhandlung „Die Pat.-Situation“ (s. CEE IEH Nr. 69).
Es fällt mir ehrlich gesagt nicht leicht, nach diesem Schlußsatz der Entgegnung das Vorhergesagte mit angebrachter und notwendiger Ernsthaftigkeit zu rezipieren. Zumindest gehört dieser Schlußsatz zu den mitterweile über die Jahrzehnte schier unzähligen Beiträgen zum scheinbar unendlichen Kapitel der Linken und ihrem Verhältnis zum Kitsch.
„Daß (...) das, was unter einer emanzipatorischen Linken zu verstehen sein könnte“, schreibt GoN ein Stück weiter oben, „vielleicht auch ein Raum wäre, in dem versucht wird, bestimmten gesellschaftlichen Zwängen entgegenzuwirken“, komme mir „nicht in den Sinn“.
Liebe Freunde von GoN, und ob es das tat! Mehr als genug sogar. Nur kann kann es nicht funktionieren. Das können euch mittlerweile hunderttausende bestätigen, die an diesem aufgesessenen Lebenscredo als linke Persönlichkeiten zerbrachen. Bezeichnenderweise hat GoN mit keiner Silbe auf die Gundlage meines Verständnisses von Linksradikalismus Bezug genommen. Nämlich darauf, daß Linkradikalismus die „Gleichzeitigkeit von Möglichem und Unmöglichem“ ist. Das wiederum heißt, daß meinem Verständnis die Trennung von konkret und abstrakt zu Grunde liegt, die nur über das dialektische Denken verbunden werden kann.
In der Tat gibt es in der Lesart von GoN folgerichtig „genügend Gründe“, mir den Vorwurf zu machen, ich würde nur „jene als politische Subjekte“ anerkennen, „die ihre Identität an“ (meinem) Begriff vom „Politischen und Öffentlichen entwickeln“. Nur warum tue ich das? Aus langer Weile? Weil ich Frauen als politische Subjekte den Mund verbieten möchte?
Man kann es sich so leicht machen wie GoN und behaupten, ich hätte Frauen gar nicht erst mit berücksichtigt, weil die in meinem Theoriegebäude ja erst gar kein freies Zimmerchen zugewiesen bekommen hätten. Meines Erachtens ist das so ähnlich paradox, wie eine Behauptung, in patriarchalen bzw. hierarchischen Geschlechterverhältnissen kämen Frauen als Subjekte gar nicht vor.
Das linke (und feministische) Diktum vom Privaten als Politischen ist mitnichten eines, das einem „identischen zweckgerichteten männlichen Charakter“ quasi positiv entgegenstünde, wie GoN im Bezugnahme auf die „Dialektik der Auklärung“ zu verstehen geben will. Vielmehr ist die von Adorno/Horkheimer eingeforderte radikale Selbstaufklärung der Aufklärung als Ausweg eine Form einzig und allein geistiger Emanzipation, die dennoch oder gerade knebelartig an den Vergesellschaftungszwang gebunden ist, dem kein gesellschaftliches Subjekt enfliehen kann. Die entwickelte bürgerliche Gesellschaft von heute, das konnten Adorno/Horkheimer tatsächlich nur pessimistisch erahnen, ist keine, die einen totalen Ausschluß qua Geschlecht nicht längst zumindest aufhebbar genug gemacht hat, um dem Vorwurf zu entgehen, gesellschaftliche Subjekte nicht als bürgerliche akzeptieren zu können. Daß GoN diesen Vorwurf dennoch erhebt, hat vermutlich viel mit der Weigerung zu tun, einen gesellschaftlichen Formwandel sehen zu wollen. „Grundlage meiner Gesellschaftskritik“ sei, so GoN, „daß jeder, der politisch werden will, bürgerliches Subjekt werden muß. Und wenn es ‘das Gefühl’ ist oder ‘der Bauch’, der genau dagegen widerspricht, so sind diese Personen noch keine Subjekte, sondern diejenigen, die es noch nicht geschafft haben, sich völlig zur Verwertung zu richten“. Denn „genau das“ verlange mein Politikbegriff.
Daß er genau das nicht tut, sondern vielmehr fokusartig – und damit durchaus vernachlässigend – die ins Visier nimmt, die nicht gedenken, wie ich in Teil 2 von „Die Pat.-Situation“ schrieb (CEE IEH Nr. 70), „zum Wesen der Befreiungsperspektive durch(zu)dringen“, erklärt sich m. E. aus der Weigerung, wie es bei mir weiter heißt, „sich von dem Blick auf die Erscheinung, die ‘Utopie’ im Hier und Jetzt, im ‘Kleinen’, (also) in der kapitalistischen Wirklichkeit leben zu können, endgültig zu verabschieden“. Daß GoN damit die Erkenntnistheorie der „Dialektik der Aufklärung“ mehr vernachlässigt, als sie bereit sind, sich überhaupt einzugestehen, drückt sich folgerichtig in ihrer Entgegnung auf mich so aus: „(...) Es ist ganz klar, daß es nur ‘das Gefühl’ oder ‘der Bauch’ sein kann, der (meinem) Politikbegriff widerspricht, denn wie soll das eigene Unbehagen artikuliert werden, wenn dies nur in der Logik möglich ist, die die Geschlechterdifferenz doch aus sich selbst hervorbringt“.
Dieser hier legitimierte quasi Denkersatz offenbart im weiteren eine Fahrlässigkeit, die sich hier in vermutlich ungewolltem und unangebrachtem Zynismus bündelt, der da jenen, die da angeblich auf Grund der „Geschlechterdiffererenz“ ausgeschlossen seien, nichts weiter ans Herz legt, als daß ihr gesellschaftliches Scheitern eben in der bürgerlichen Gesellschaft nun mal vorprogrammiert sei.
„Linke Frauen jedenfalls“, so GoN, „die auf Grund der gegebenen Realitäten in der Linken, in der Organisation in Frauengruppen ein zeitgebundenes politisches Mittel sehen, werden auf alle Fälle in dieser Logik wahnhaft als Gefährdungen dieser Linken wahrgenommen, wird in ihnen doch unbewußt noch der Bereich vermutet, der noch nicht zur Verwertung bereit (sei)“. Ich denke, mit Fug und Recht sagen zu können, daß nicht diejenigen wahnhaft sind, die die linke Geschlechterseparierung kritisch würdigen, sondern diejenigen, die tatsächlich denken, sie könnten sich ernstlich der Verwertung entziehen. Dergestalt fortfahrend, behaupte ich, daß der an mich gehende Vorwurf, ich würde meinen „eigenen Begriff von linker Politik und Gesellschaftskritik dem einer Gesellschaftsanalyse von feministischen Frauen“ gegenüberstellen, nicht etwa ins Leere geht, sondern erst umgedreht Sinn macht.
GoN schreibt in Bezugnahme auf Roswitha Scholz und deren Wertabspaltungsthese (siehe dazu die Erläuterung in dieser Ausgabe des CEE IEH), daß die kapitalistische Gesellschaft „keinen Geschlechterunterschied (schaffe), sondern sie (...) selbst“ sei dieser. Wenn sie aber, so gilt es anzumerken, tatsächlich dieser selbst ist, dann ist ja wohl das Ziel seine Aufhebung und nicht die zementierte Aussperrung des „anderen“ – nichtmännlichen. Die Reproduktionssphäre, so folgt GoN der Scholzschen Annahme, sei „mit dem Aufkommen der Vergesellschaftung durch den Wert (...) zugleich (...) deren Ergebnis und Voraussetzung“. Auffällig ist hier, daß Scholz wie GoN nicht in den Sinn zu kommen scheint, daß sich die Reproduktionssphäre charakterlich verändern und gar aufheben könnte. Würden beide dies auch nur theoretisch ernsthaft in Betracht ziehen, so bräche u.U. zusammen, daß diese Sphäre unabdingbar als „Ergebnis und Voraussetzung“ des Werts begriffen wird. Doch GoN z.B. beharrt da lieber felsenfest auf dem Grundsatz, daß dies unumstößlich „ein grundlegender Dualismus der Gesellschaft (wäre), der diese aus ihrer Logik heraus, in bürgerliche Subjekte auf der einen und Frauen auf der anderen Seite“ spalte.
Das Problem, das sich hier offenbart, liegt tatsächlich in nicht geringem Maße darin, daß eine mögliche Beschneidung oder gar gänzliche Aufhebung der Reproduktionssphäre die Vervollkommnung der Totalisierung im Zuge der Wertvergesellschaftung zur Folge hat. Insofern verfährt GoN ganz richtig, mich zum potentiellen „Voreiter totaler Vergesellschaftung“ zu stempeln, auch wenn ich bürgerliche Subjektivität nicht „total“ verlange, wie mir unterstellt wird, sondern bloß kein Drama daraus mache. Es geht am Thema vorbei, mir deshalb blindlings einen positiven Bezug auf das bürgerliche Subjekt zu unterstellen, nur weil ich der scheinbar unaufhaltsamen kapitalistischen Entwicklung tatsächlich keine ernsthafte Alternative außer der dialektischen Denkform von These und Antithese entgegegenzusetzen weiß, mit der ich mich darüberhinaus näher an der Tradition der Kritischen Theorie sehe, als es der GoN wohl recht sein wird.
GoN kritisiert mich dafür, „als weiterzuentwickelnde Grundlage jeder Erkenntnistheorie (...) den Widerspruch von Kapital und Arbeit“ benannt zu haben. Diese Lesart jedoch anerkennt gerade die Theoriegeschichte der Linken und weiter nichts. Insofern ist die Kritik durch eine Art Überinterpretation am Ziel vorbeigeschossen. Zumal ich ganz bewußt in Teil 1 der „Pat.-Situation“ mit einem Zitat des Wertkritikers Norbert Trenkle darauf Bezug nehme, „daß es nicht um die Renaissance alter M/L-Lehre (geht), sondern um den Erkenntnisgewinn, daß die ‘Marxsche Kritik der politischen Ökonomie wesentlich als eine Kritik von Wert und Ware und, damit notwendig verbunden, von Arbeit als dem strukturierenden und basalen Moment kapitalisticher Vergesellschaftung’ zu begreifen (sei)“.
Daß sich linke Gesellschafts-Paradigmen ändern, ja ändern müssen, läßt sich gut am Ende des Glaubens an die Subjektkonstitution der Arbeiterklasse ablesen. Auch die neue Linke ist mit ihren unterschiedlichen zu revolutionierenden Subjekten längst an ihre Grenze gestoßen. Insofern ist der linke Klassiker, sich um sich selber auch nur selber kümmern zu können, realistischer denn je. Getrübt nur durch die offene Frage, was dieses Selbst denn nun sei. Gerade deshalb aber fragt sich doch außerdem, was man verlöre, wenn in einer Ein-Geschlecht-Gesellschaft „Frauen (...) Männer – nur anders“ würden (Kornelia Hauser). Daß die Revolution nicht mehr gedacht werden kann, wußten damals Adorno/Horkheimer, wußte später, nachdem die neue Linke augerufen wurde, beispielsweise Herbert Marcuse. Die Gruppe ohne Namen dagegen hängt an dem Traditionsdiktum von der Einheit von Theorie und Praxis, ohne sich das selbst eingestehen zu wollen. Und weil das unbewußter Weise so ist, so steht zu vermuten, soll die Befreiung deshalb eher aus traumatischen Gründen erst gar nicht gedacht werden, bevor auch nur ansatzweise etwas falscheres im Falschen entspringt.
Dabei könnte die Wertabspaltungsthese von Roswitha Scholz GoN womöglich eine Perspektive offerieren, die ihnen letztlich unangenehmer werden kann, als sie jemals vermutet hätten. Die Frage nämlich, ob der Wert unabdingbar die Wertabspaltung benötigt, könnte zur Gretchenfrage werden, weil darauf durchaus der Schluß folgen könnte, daß der Wertabspaltung eine Befreiungsperspektive immanent wäre. Wenn der Wert nämlich ausschließlich „der Mann“ ist, so wäre es nur folgerichtig, daß Frauen automatisch als Antipoden des Werts zu betrachten seien, bei denen es dann nur noch ein kleiner Schritt hin zur wertkritischen Subversion wäre. Durch die Hintertür könnte Roswitha Scholz so mit ihrer Wertabspaltungsthese – wahrscheinlich ungewollt – jene Voraussetzungen schaffen, die ein Subjektdenken neuer Qualität zuläßt, das Scholz dann zur Vordenkerin eines neuen gesellschaftlichen Antagonismus macht. Wenn Frauen nach Scholz auf Grund ihrer gesellschaftlichen Bestimmtheit zur gelebten Antithese verkommen, so leitet sich daraus eine neue unheilvolle Objektivität ab, die die Konservierung des Wertes, zu dem Frauen ja nach Scholzscher und GoNscher Ansicht objektiv keinen Zugang hätten, zur Folge haben könnte. In diesem Sinne steht gar zu befürchten, daß Roswitha Scholz und ihre Supporter traditionsmarxistischer sind, als sie wahrhaben wollen.
GoNs Vorwurf, ich würde feministische Kritik auf die „Strömung“ von Identitätsvernebelung „reduzieren und sie somit gleichzeitig als unkritisch und für linke Politik unnützlich diffamieren“, geht für meine Begriffe eher als schlechter Scherz durch, als daß diesem ernsthaft entgegnet werden müßte. Daß ich die feministische „Kritik an einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur“ in meinem Beitrag „unbeachtet“ gelassen hätte, stimmt insofern nicht, als daß ich diese grunsätzlich vorausgesetzt habe. Darüberhinaus denke ich aber, daß davon auszugehen ist, daß ähnlich dem Rassismus ohne Rassen, dem Antisemitismus ohne Juden, ein hierarchisches Geschlechterverhältnis Veränderungen unterliegt, und somit schon längst auch (!) ohne Frauen und Männer existieren kann. Und weil dies so ist und vermutlich perpektivisch in noch viel stärkerem Maße den gesellschaftlichen Charakter bestimmen wird, ist die Konservierung eines Wertbegriffes, wie es Scholz verbockt hat und GoN predigt, eine Simplifizierung.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[71][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007