Schon prinzipiell muß von einer Dialektik zwischen Individuen
und Gesellschaft ausgegangen werden. (Roswitha Scholz)
Und trotzdem könnte es eine Freude sein, Räume zu schaffen, die
zumindest schon einen winzigen Moment davon erahnen lassen, was als befreite
Gesellschaft zu erhoffen wäre. So endet der Beitrag der Gruppe ohne
Namen (GoN) unter dem Titel Ralf als Vordenker totaler
Vergesellschaftung als Erwiderung auf den ersten Teil meiner Abhandlung
Die Pat.-Situation (s. CEE IEH Nr. 69).
Es fällt mir ehrlich gesagt nicht leicht, nach diesem Schlußsatz der
Entgegnung das Vorhergesagte mit angebrachter und notwendiger Ernsthaftigkeit
zu rezipieren. Zumindest gehört dieser Schlußsatz zu den mitterweile
über die Jahrzehnte schier unzähligen Beiträgen zum scheinbar
unendlichen Kapitel der Linken und ihrem Verhältnis zum Kitsch.
Daß (...) das, was unter einer emanzipatorischen Linken zu
verstehen sein könnte, schreibt GoN ein Stück weiter oben,
vielleicht auch ein Raum wäre, in dem versucht wird, bestimmten
gesellschaftlichen Zwängen entgegenzuwirken, komme mir nicht
in den Sinn.
Liebe Freunde von GoN, und ob es das tat! Mehr als genug sogar. Nur kann kann
es nicht funktionieren. Das können euch mittlerweile hunderttausende
bestätigen, die an diesem aufgesessenen Lebenscredo als linke
Persönlichkeiten zerbrachen. Bezeichnenderweise hat GoN mit keiner Silbe
auf die Gundlage meines Verständnisses von Linksradikalismus Bezug
genommen. Nämlich darauf, daß Linkradikalismus die
Gleichzeitigkeit von Möglichem und Unmöglichem ist. Das
wiederum heißt, daß meinem Verständnis die Trennung von
konkret und abstrakt zu Grunde liegt, die nur über das dialektische Denken
verbunden werden kann.
In der Tat gibt es in der Lesart von GoN folgerichtig genügend
Gründe, mir den Vorwurf zu machen, ich würde nur jene als
politische Subjekte anerkennen, die ihre Identität an
(meinem) Begriff vom Politischen und Öffentlichen entwickeln.
Nur warum tue ich das? Aus langer Weile? Weil ich Frauen als politische
Subjekte den Mund verbieten möchte?
Man kann es sich so leicht machen wie GoN und behaupten, ich hätte Frauen
gar nicht erst mit berücksichtigt, weil die in meinem Theoriegebäude
ja erst gar kein freies Zimmerchen zugewiesen bekommen hätten. Meines
Erachtens ist das so ähnlich paradox, wie eine Behauptung, in
patriarchalen bzw. hierarchischen Geschlechterverhältnissen kämen
Frauen als Subjekte gar nicht vor.
Das linke (und feministische) Diktum vom Privaten als Politischen ist
mitnichten eines, das einem identischen zweckgerichteten männlichen
Charakter quasi positiv entgegenstünde, wie GoN im Bezugnahme auf
die Dialektik der Auklärung zu verstehen geben will. Vielmehr
ist die von Adorno/Horkheimer eingeforderte radikale Selbstaufklärung der
Aufklärung als Ausweg eine Form einzig und allein geistiger Emanzipation,
die dennoch oder gerade knebelartig an den Vergesellschaftungszwang gebunden
ist, dem kein gesellschaftliches Subjekt enfliehen kann. Die entwickelte
bürgerliche Gesellschaft von heute, das konnten Adorno/Horkheimer
tatsächlich nur pessimistisch erahnen, ist keine, die einen totalen
Ausschluß qua Geschlecht nicht längst zumindest aufhebbar genug
gemacht hat, um dem Vorwurf zu entgehen, gesellschaftliche Subjekte nicht als
bürgerliche akzeptieren zu können. Daß GoN diesen Vorwurf
dennoch erhebt, hat vermutlich viel mit der Weigerung zu tun, einen
gesellschaftlichen Formwandel sehen zu wollen. Grundlage meiner
Gesellschaftskritik sei, so GoN, daß jeder, der politisch
werden will, bürgerliches Subjekt werden muß. Und wenn es das
Gefühl ist oder der Bauch, der genau dagegen
widerspricht, so sind diese Personen noch keine Subjekte, sondern diejenigen,
die es noch nicht geschafft haben, sich völlig zur Verwertung zu
richten. Denn genau das verlange mein Politikbegriff.
Daß er genau das nicht tut, sondern vielmehr fokusartig und damit
durchaus vernachlässigend die ins Visier nimmt, die nicht gedenken,
wie ich in Teil 2 von Die Pat.-Situation schrieb (CEE IEH
Nr. 70), zum Wesen der Befreiungsperspektive durch(zu)dringen,
erklärt sich m. E. aus der Weigerung, wie es bei mir weiter heißt,
sich von dem Blick auf die Erscheinung, die Utopie im Hier
und Jetzt, im Kleinen, (also) in der kapitalistischen Wirklichkeit
leben zu können, endgültig zu verabschieden. Daß GoN
damit die Erkenntnistheorie der Dialektik der Aufklärung mehr
vernachlässigt, als sie bereit sind, sich überhaupt einzugestehen,
drückt sich folgerichtig in ihrer Entgegnung auf mich so aus: (...)
Es ist ganz klar, daß es nur das Gefühl oder der
Bauch sein kann, der (meinem) Politikbegriff widerspricht, denn wie soll
das eigene Unbehagen artikuliert werden, wenn dies nur in der Logik
möglich ist, die die Geschlechterdifferenz doch aus sich selbst
hervorbringt.
Dieser hier legitimierte quasi Denkersatz offenbart im weiteren eine
Fahrlässigkeit, die sich hier in vermutlich ungewolltem und unangebrachtem
Zynismus bündelt, der da jenen, die da angeblich auf Grund der
Geschlechterdiffererenz ausgeschlossen seien, nichts weiter ans
Herz legt, als daß ihr gesellschaftliches Scheitern eben in der
bürgerlichen Gesellschaft nun mal vorprogrammiert sei.
Linke Frauen jedenfalls, so GoN, die auf Grund der gegebenen
Realitäten in der Linken, in der Organisation in Frauengruppen ein
zeitgebundenes politisches Mittel sehen, werden auf alle Fälle in dieser
Logik wahnhaft als Gefährdungen dieser Linken wahrgenommen, wird in ihnen
doch unbewußt noch der Bereich vermutet, der noch nicht zur Verwertung
bereit (sei). Ich denke, mit Fug und Recht sagen zu können,
daß nicht diejenigen wahnhaft sind, die die linke Geschlechterseparierung
kritisch würdigen, sondern diejenigen, die tatsächlich denken, sie
könnten sich ernstlich der Verwertung entziehen. Dergestalt fortfahrend,
behaupte ich, daß der an mich gehende Vorwurf, ich würde meinen
eigenen Begriff von linker Politik und Gesellschaftskritik dem einer
Gesellschaftsanalyse von feministischen Frauen gegenüberstellen,
nicht etwa ins Leere geht, sondern erst umgedreht Sinn macht.
GoN schreibt in Bezugnahme auf Roswitha Scholz und deren Wertabspaltungsthese
(siehe dazu die Erläuterung in dieser Ausgabe des CEE IEH),
daß die kapitalistische Gesellschaft keinen
Geschlechterunterschied (schaffe), sondern sie (...) selbst sei
dieser. Wenn sie aber, so gilt es anzumerken, tatsächlich dieser selbst
ist, dann ist ja wohl das Ziel seine Aufhebung und nicht die zementierte
Aussperrung des anderen nichtmännlichen. Die
Reproduktionssphäre, so folgt GoN der Scholzschen Annahme, sei mit
dem Aufkommen der Vergesellschaftung durch den Wert (...) zugleich (...) deren
Ergebnis und Voraussetzung. Auffällig ist hier, daß Scholz wie
GoN nicht in den Sinn zu kommen scheint, daß sich die
Reproduktionssphäre charakterlich verändern und gar aufheben
könnte. Würden beide dies auch nur theoretisch ernsthaft in Betracht
ziehen, so bräche u.U. zusammen, daß diese Sphäre unabdingbar
als Ergebnis und Voraussetzung des Werts begriffen wird. Doch GoN
z.B. beharrt da lieber felsenfest auf dem Grundsatz, daß dies
unumstößlich ein grundlegender Dualismus der Gesellschaft
(wäre), der diese aus ihrer Logik heraus, in bürgerliche Subjekte auf
der einen und Frauen auf der anderen Seite spalte.
Das Problem, das sich hier offenbart, liegt tatsächlich in nicht geringem
Maße darin, daß eine mögliche Beschneidung oder gar
gänzliche Aufhebung der Reproduktionssphäre die Vervollkommnung der
Totalisierung im Zuge der Wertvergesellschaftung zur Folge hat. Insofern
verfährt GoN ganz richtig, mich zum potentiellen Voreiter totaler
Vergesellschaftung zu stempeln, auch wenn ich bürgerliche
Subjektivität nicht total verlange, wie mir unterstellt wird,
sondern bloß kein Drama daraus mache. Es geht am Thema vorbei, mir
deshalb blindlings einen positiven Bezug auf das bürgerliche Subjekt zu
unterstellen, nur weil ich der scheinbar unaufhaltsamen kapitalistischen
Entwicklung tatsächlich keine ernsthafte Alternative außer der
dialektischen Denkform von These und Antithese entgegegenzusetzen weiß,
mit der ich mich darüberhinaus näher an der Tradition der Kritischen
Theorie sehe, als es der GoN wohl recht sein wird.
GoN kritisiert mich dafür, als weiterzuentwickelnde Grundlage jeder
Erkenntnistheorie (...) den Widerspruch von Kapital und Arbeit benannt zu
haben. Diese Lesart jedoch anerkennt gerade die Theoriegeschichte der Linken
und weiter nichts. Insofern ist die Kritik durch eine Art
Überinterpretation am Ziel vorbeigeschossen. Zumal ich ganz bewußt
in Teil 1 der Pat.-Situation mit einem Zitat des Wertkritikers
Norbert Trenkle darauf Bezug nehme, daß es nicht um die
Renaissance alter M/L-Lehre (geht), sondern um den Erkenntnisgewinn, daß
die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie wesentlich als eine
Kritik von Wert und Ware und, damit notwendig verbunden, von Arbeit als dem
strukturierenden und basalen Moment kapitalisticher Vergesellschaftung
zu begreifen (sei).
Daß sich linke Gesellschafts-Paradigmen ändern, ja ändern
müssen, läßt sich gut am Ende des Glaubens an die
Subjektkonstitution der Arbeiterklasse ablesen. Auch die neue Linke ist mit
ihren unterschiedlichen zu revolutionierenden Subjekten längst an ihre
Grenze gestoßen. Insofern ist der linke Klassiker, sich um sich selber
auch nur selber kümmern zu können, realistischer denn je.
Getrübt nur durch die offene Frage, was dieses Selbst denn nun sei. Gerade
deshalb aber fragt sich doch außerdem, was man verlöre, wenn in
einer Ein-Geschlecht-Gesellschaft Frauen (...) Männer nur
anders würden (Kornelia Hauser). Daß die Revolution nicht mehr
gedacht werden kann, wußten damals Adorno/Horkheimer, wußte
später, nachdem die neue Linke augerufen wurde, beispielsweise Herbert
Marcuse. Die Gruppe ohne Namen dagegen hängt an dem Traditionsdiktum von
der Einheit von Theorie und Praxis, ohne sich das selbst eingestehen zu wollen.
Und weil das unbewußter Weise so ist, so steht zu vermuten, soll die
Befreiung deshalb eher aus traumatischen Gründen erst gar nicht gedacht
werden, bevor auch nur ansatzweise etwas falscheres im Falschen entspringt.
Dabei könnte die Wertabspaltungsthese von Roswitha Scholz GoN
womöglich eine Perspektive offerieren, die ihnen letztlich unangenehmer
werden kann, als sie jemals vermutet hätten. Die Frage nämlich, ob
der Wert unabdingbar die Wertabspaltung benötigt, könnte zur
Gretchenfrage werden, weil darauf durchaus der Schluß folgen könnte,
daß der Wertabspaltung eine Befreiungsperspektive immanent wäre.
Wenn der Wert nämlich ausschließlich der Mann ist, so
wäre es nur folgerichtig, daß Frauen automatisch als Antipoden des
Werts zu betrachten seien, bei denen es dann nur noch ein kleiner Schritt hin
zur wertkritischen Subversion wäre. Durch die Hintertür könnte
Roswitha Scholz so mit ihrer Wertabspaltungsthese wahrscheinlich
ungewollt jene Voraussetzungen schaffen, die ein Subjektdenken neuer
Qualität zuläßt, das Scholz dann zur Vordenkerin eines neuen
gesellschaftlichen Antagonismus macht. Wenn Frauen nach Scholz auf Grund ihrer
gesellschaftlichen Bestimmtheit zur gelebten Antithese verkommen, so leitet
sich daraus eine neue unheilvolle Objektivität ab, die die Konservierung
des Wertes, zu dem Frauen ja nach Scholzscher und GoNscher Ansicht objektiv
keinen Zugang hätten, zur Folge haben könnte. In diesem Sinne steht
gar zu befürchten, daß Roswitha Scholz und ihre Supporter
traditionsmarxistischer sind, als sie wahrhaben wollen.
GoNs Vorwurf, ich würde feministische Kritik auf die
Strömung von Identitätsvernebelung reduzieren und
sie somit gleichzeitig als unkritisch und für linke Politik
unnützlich diffamieren, geht für meine Begriffe eher als
schlechter Scherz durch, als daß diesem ernsthaft entgegnet werden
müßte. Daß ich die feministische Kritik an einer
patriarchalen Gesellschaftsstruktur in meinem Beitrag
unbeachtet gelassen hätte, stimmt insofern nicht, als
daß ich diese grunsätzlich vorausgesetzt habe. Darüberhinaus
denke ich aber, daß davon auszugehen ist, daß ähnlich dem
Rassismus ohne Rassen, dem Antisemitismus ohne Juden, ein hierarchisches
Geschlechterverhältnis Veränderungen unterliegt, und somit schon
längst auch (!) ohne Frauen und Männer existieren kann. Und weil dies
so ist und vermutlich perpektivisch in noch viel stärkerem Maße den
gesellschaftlichen Charakter bestimmen wird, ist die Konservierung eines
Wertbegriffes, wie es Scholz verbockt hat und GoN predigt, eine Simplifizierung.
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