Als die marxsche Kategorie der Arbeiterklasse noch unumwunden von allen Linken
dieser Welt anerkannt war und aus ihrer Unterdrückung die objektive
Befreiung gefolgert wurde, war die dichotome Welt der Ausbeuter und
Unterdrücker noch in Ordnung. Erst die Neue Linke kam auf den Trichter,
dass es so einfach ja nicht sein könne. Die neuen revolutionären
Subjekte wie antikolonialistische Bewegungen oder Frauen durchbrachen zwar den
marxistisch-leninistischen Tradionalismus, aber ohne tatsächlichen Bezug
auf die ersten dekonstruktivistischen Theorien der Nach-68er
Ära(1). So geriet Simone de Beauvoirs Buch Das andere
Geschlecht von 1949 zum Standardwerk einer Neuen Frauenbewegung, die z.B.
in Deutschland nicht gerade überraschend 1968 ihren Anfang
nahm.(2) Die Hauptkritik der Neuen Frauenbewegung formulierte z.B.
Helke Sander im Herbst 1968 auf der Delegiertenkonfenz des Sozialistischen
Deutschen Studentenbundes (SDS), in dem sie darauf Bezug nahm, dass man
einen bestimmten Bereich des Lebens vom gesellschaftlichen abtrennt, ihn
tabuisiert, in dem man ihm den Namen Privatsphäre gibt. Mit dieser
Kritik war das Diktum der Neuen Frauenbewegung klar genug formuliert. Es ging
um die Durchbrechung der gesellschaftlich geteilten Sphären von privat und
öffentlich, die sich marxistisch terminiert als Produktions- und
Reproduktionssphäre unterteilen lassen und von der aus die
gesellschaftliche Rolle der Frau in der sogenannten Frauenfrage
kulminierte.(3) Befördert durch die Abwehr und Ablehnung der
absolut männerdominierten politischen Gruppen und
Organisationen(4) verfestigte sich die in der ausschließlich
abgrenzerischen Identitätsbildung hin zur Frau angelegte
Eigendynamisierung.
Der in diesem Prozess innerhalb der Neuen Frauenbewegung
angelegte Essentialismus der Frau-an-sich als das andere bessere menschliche
Wesen sowie die immer wieder aufs neue praktizierte Wiederholung und
Reproduktion der Geschlechtsidentität Frau führte in der Neuen
Frauenbewegung zu einem Weg, sich radikal von den Männern zu
trennen, auch ihre Theorien und Forschung als männlich und gegen Frauen
gerichtet zurückzuweisen und auf dem Boden des Nichts neu
anzufangen die autonome Neue Frauenbewegung ward
geboren.(5) Seitdem ranken sich um das Projekt der
Frauenbewegung (...) unaufgedeckt und hartnäckig Illusionen, die
kollektiv geteilt werden und die das Subjekt Frau bzw. den Kampf um Befreiung
in den Rang einer historisch überlegenen Wahrheit erheben. So wie der
Sozialismus von der Vorstellung lebte, der Mensch sei im Prinzip gut, wäre
er nur von der Knechtschaft des Kapitals befreit, so ist im westlichen
Feminismus die Frau immer noch das bessere Geschlecht, dessen Befreiung die
Gesellschaft im ganzen zu zivilisieren verspricht. (...) Hier wird deutlich,
wie über Jahrzehnte hinweg eine Verabsolutierung des Subjekts der
Befreiung stattgefunden hat, die der Figur des Proletariers im Sozialismus
vergleichbar ist.(6) Gerade die Zeitschrift beiträge
zur feministischen theorie und Praxis und deren Autorinnen sind
trotz ihrer fast 20jährigen Geschichte nicht müde geworden,
insbesondere in den 90ern die (alte) autonome Neue Frauenbewegung hart aber
gerecht zu kritisieren, weil sie größtenteils eine Stagnation
verkörpere, die nicht nur eine Reflexionsunwilligkeit gesellschaftlicher
Enwicklungen zur Folge hat, sondern auch kein wirkliches gesellschaftliches
Interesse zu haben scheint. So schreibt z. B. Claudia Koppert in
beiträge Nr. 42/1996: Das Wir reklamierte die Gemeinschaft
aller Frauen als Schwestern, repräsentierte aber faktisch vor allem Frauen
der weißen Mitelschichten; propagierte die Befreiung aller
und produzierte nach innen Ausschluß, neue Konformitäts- und
Identitätszwänge (was allerdings, und das fällt manchmal unter
den Tisch, nicht das einzige Ergebnis feministischer Politik war und ist).
(...) Die kollektiven Wirs und ihre Grundlage die Kategorie
Frau, die Kategorie Lesbe sind in Verruf gekommen, in der Praxis wie in
der Theorie. (...) Bei vielen politischen/sozialen Bewegungen haben sich die
Gewichte verlagert; Identität eine ethnische, geschlechtliche,
sexuelle oder nationale wird vom provisorischen und zeitweiligen
Hilfsmittel zum Erstrebten, wird vom Lot zum Notanker. Politisches
Identitätsbewußtsein mutiert zur Identitätspolitik, einr
Politik mit einer Identität und für eine Identität. Die Politik
mit Identitäten erweist sich als problematisch. Einerseits ist sie
für den kollektiven und individuellen Befreiungsprozeß
unverzichtbar, andererseits birgt sie die Tendenz, Identität zum Ziel und
Wert an sich zu setzen und damit den ursprünglichen Zusammenhang mit der
Befreiung aller aufzugebn. Die Frage ist: Wann passiert dieser
Umschlag, und warum?
Das Patriarchat, von dem Feministinnen oft
ausgegngn sind das wurde deutlich - , ist stark von kulturellen,
wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, etwa Rassismus überformt.
Frauen sind keine Klasse und auch nicht einfach eine diskriminierte
Minderheit. Sie nehmen im Gefüge von Dominanz und und Diskriminierung
unterscheidliche Orte ein und agieren daher von unerschiedlichen Orten aus. Die
jeweiligen Ziele und Ansatzpunkte ihrer sozialen Bewegungen entsprechen ihrer
jeweiligen Situation und Interessenlage. (...) Ein stabiles kollektives
Wir hat daher keine Gundlage. (...) Identitätspolitische
Ambitionen schlagen immer auch bei Zusammenhängen durch, bei
denen das nicht zu erwarten ist, weil sie sich ganz bewußt an
übergeordneten Zielen orientieren, zum Beispiel Antirassismus-Initiativen.
So verfolgen weiße Frauen hier immer wieder neben dem Kampf geen
Antisemitismus und Rassismus unbewußt und dafür um so
drängender ein persönliches Identitätsziel: die Selbstbefreiung
von Schuldgefühlen, Scham, Privilegien, um den Beweis zu bringen,
wenigstens auf der richtigen Seite, der Seite der Unschuldigen und der
Gerechten, zu stehen.
(...) Eine Identität will anerkannt und gewürdigt werden. Jede
Nichtanerkennung wird heute als persönliche Verletzung empfunden. So wird
persönliche Identität für sehr viele zum wunden Punkt. (...)
Identitätspolitik verstellt in selbstorganisierten politischen Gruppen die
Perspektive einer allgemeinen Befreiung.
Die schon zitierte Dörthe Jung stellt z.B. in Heft Nr. 35, 1993 in Bezug
auf das Ende des realen Sozialismus fest: (...) Von feministischer Seite
gab es keine vergleichbaren Debatten, wie sie im linksorientierten Spektrum
durch den Zusammenbruch des Sozialismus ausgelöst worden sind. Es
äußerte sich (maximal R.) eine nachträgliche Genugtuung,
mit der feministischen Kritik am Marxismus sich schon in den siebziger Jahren
von dieser Ideologie losgesagt zu haben. (...) Während all diese
Turbulenzen sich weitreichend auf die innere Struktur dieser Gesellschaft,
ihrer sozialen Systeme, Normen und Moral, ihrer politischen Kultur und der sie
tragenden Ideologien auswirken, erscheint schweigend ein System wie ein Fels in
der Brandung unberührt geblieben zu sein: der westliche Feminismus. (...)
Backlash-Argumente(7) als dominante Reaktion von Frauen auf die
Weltlage sind vertraut:
So entwerfen sie sich immer wieder nur als Opfer von
gesellschaftlicher Entwicklung. (...) Und dass die Erfolge auch von
Frauenpolitik in eine historische Entwicklungsdynamik eingebunden sind, die
Mißerfolg und Scheitern möglich macht, lehrt uns schon ein ganz
unprofessioneller Blick auf die Geschichte jeder Befreiungsbewegung, nicht nur
auf die der alten Frauenbewegung. Ausserdem, so Jung weiter, sei es
für den westeuropäischen Feminismus typisch, dass das Patriarchat
die Qualität eines alleinigen Erklärungmusters erhalte,
als Basis für alle anderen Formen ökonomischer und politischer
Herrschaft und es überspanne als solche alle
gesellschaftlichen Systeme gleichermaßen. Die differenten
gesellschaftlichen Bedingungen erscheinen so in der Tendenz nur als
unterschiedliche Spielarten ein und desselben Grundübels.
Daraus hat sich zumindest im westlichen Feminismus eine seltsame Abstinenz
sowohl nach der Seite der Kritik wie nach der von
Perspektivenentwicklung gegenüber den existierenden
Gesellschaftssystemen ergeben, und es haben sich Formen von politischem
Desinteresse und Ignoranz gegenüber realen gesellschaftlichen
Entwicklungsprozessen herausgebildet, die bewirkt haben, daß bei fast
allen gesellschaftlichen Umbrüchen der letzten (...) Jahre von seiten der
Frauenpolitik wenig politisches Einmischen stattgefunden hat. (...) Die sich an
unterschiedlichen Orten der Frauenpolitik breitmachende Ohnmacht und
Lähmung verdanken sich (...) nicht zuletzt einem Beharren darauf, in der
bedrohlichen aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung unsere Analysen über
patriarchale Strukturen intellektuell bestätigt zu sehen und in einer Art
politisch passivem Erleiden immerhin noch die an das Subjekt Frau
geknüpften Hoffnungsvisionen unbeschädigt zu belassen. (...) Ein
großer Teil der Ermüdungserscheinungen und
Resignationsanfälligkeit waren als Krisensymptome des Feminismus schon vor
der Vereinigung, dem Wegfall des eisernen Vorhangs, dem Manifestwerden eines
totgeglaubten Rechtsradikalismus und nationalistischer Tendenzen vorhanden. In
den achtziger Jahren konzentrierte sich die politische Kraft der Frauenbewegung
in der alten Bundesrepublik auf Institutionalisierungsprozesse: die autonomen
Frauenprojekte machten so etwas wie einen internen Kosolidierungsprozess durch
(...).
Veränderungen von politischen Praxisforen scheinen auch im Hinblick
auf die Strukturen der feministischen Praxis angesagt Die aktuelle
gesellschaftliche Dynamik zwingt uns nahezu zu einer Neukonzeption, einem
Umdenken in unseren bisher praktizierten Politikmodellen. (...) Nach einer
zwanzigjährigen frauenpolitischen Praxis haben wir Frauen allemal unsere
politische Unschuld verloren wenn wir jemals eine solche besessen haben.
Die gesellschaftlichen Umbrüche im eigenen Land und in globaler Dimension
sollten wir für eine Erweiterung der frauenpolitischen Praxis
nutzen.
Mehr und mehr so konstatiert beiträge,(8)
wurde in Teilen der autonomen Frauenbewegung das feministische
Politikverständnis vom Privaten abgeleitet in kurzschlüssigem
Verständnis, daß das Private mit dem Politischen zusammenfalle, was
u.a. zur feministischen Abstinenz gegenüber jeglichen etablierten
Politstrukturen und -institutionen führte. Nicht zuletzt aus diesem
Grunde habe sich die westliche feministische Theoriebildung (...) in die
dünne Luft des universitären philosophierenden Diskurses
verflüchtigt. (...) Und diese Praxisabstinenz auf der einen Seite
führt zur Theorieabstinenz auf der anderen Seite. (...) Der westliche
Feminisms (aber) wird scheitern, wenn er in seiner Selbstbezogenheit verharrt
und seinen Universalismusanspruch mit der Setzung der archetypischen
Frau aufrechterhält, wenn ihm also Kategorien zur
Realitätswahrnehmug fehlen.(9) Die Entkoppelung von Theorie
und Praxis geht insbesondere auf die schon erwähnte Unbeweglichkeit der
ehemaligen, längst nicht mehr existenten neuen Frauenbewgung und auf die
Ende der 80er und besonders in den 90ern aufkommenden dekonstuktivistischen
feministischenTheorien zurück. Um diesen Gegensatz
aufzulösen, so schlußfolgert die beiträge-Redaktion,
wäre einzig und allein eine lebendige Frauenbewegung
nötig. Aus dieser reflektierten Notwendigkeit als Ausweg aus dem
Dilemma der autonomen Neuen Frauenbewegung, so konstatiert die Redaktion
weiter, entspringt eine Solidarität und Erwartungshaltungen, die auf
Identifikationsansprüchen basieren, und die Gefahr in sich bergen,
daß sich die politische und persönliche Ebene in den
Auseinandersetzungen vermischen (auch in der Form), statt produktiv miteinander
verbunden zu werden.(10) Viele Frauen sind von dem
aussichtslosen Unterfangen getrieben, eine Frauenbewegung ohne mögliche
Frauenbewegung aufleben zu lassen. Sie verkennen vielmehr oder wollen gar nicht
erkennen, dass ihrer sozialen Bewegung kein anderes Schicksal erspart bleiben
konnte wie allen anderen sozialen Bewegungen der 70er und 80er auch.
Die Hinwendung der feministischen Theorien zu dekonstruktivistischen
Ansätzen und zum akademischen Elfenbeinturm beschleunigten die
endgültige Abkehr von einer Linken, deren Kapitalismuskritik nicht von der
Ökonomie abzulassen gewillt ist und auch auf den von Marx analysierten
Widerspruch von Kapital und Arbeit als weiterzuentwickelnde Grundlage jeder
Erkenntnistheorie beharrt.(11) Gerade in der Analyse der
gegenwärtigen sozio-ökonomischen Prozesse innerhalb des Kapitalismus,
ob nun Neoliberalismus, Postfordismus, Deregulierung, Globalisierung oder
sonstwie genannt, stehen die meisten feministischen Theorien und Ansätze
vor dem Dilemma, im jahrelangen Abwehrkampf gegen den tatsächlichen und
vermeintlichen Ökonomismus der alten wie Neuen Linken die
gesellschaftliche Relevanz der Ökonomie völlig aus dem Blick verloren
zu haben. Dadurch offenbart sich eine fast durchgehende Unfähigkeit, z.B.
die tatsächliche Auflösung urpatriarchaler Milieus wie z.B.
Kleinfamilien durch einen kräftigen individuellen Mobilitätsschub
unvoreingenommen zur Kenntnis nehmen zu können. Erst mit dem Ende der 90er
lassen sich relevante Diskussionen im Zusammnhang mit der sogenannten
Globalisierung konstatieren.
Einen sehr lesenswerten Überblick
veröffenlichten erst jüngst Regina Stötzel und Sabine Reiner in
der Zeitschrift Forum Wissenschaft(12): In feministischen
Diskursen werden der Globalisierungsprozess bzw. die neoliberalen
Umstrukturierungen als ambivalent beurteilt. Die Veränderungen auf den
Arbeitsmärkten stellen ein Chance für die Auflösung der
traditonellen und eindeutig hierarchischen Arbeitsteilung zwischen den
Geschlechtern dar. (...) Feminisierung der Arbeit lautet folglich
die häufig verwendete Beschreibung der Entwicklung in beiden Teilen des
Globus. (...) Gemeint ist die Annäherung der männlichen (Erwerbs-)
Biografien an weibliche Standards, Unterbezahlung und/oder
Überqualifizierung, die Zunahme von prekären
Arbeitsverhältnissen, das Verschwimmen der Domänenaufteilung und der
klaren Grenzen zwischen dem öffentlichen männlichen
Produktions- und dem privaten weiblichen Reproduktionsbereich sowie
das Anwachsen des informellen Sektors. (Faktisch wird) lebenslange
Vollzeiterwerbstätigkeit in wenigen Jahren ein absolutes Auslaufmodell
sein für Frauen wie Männer. (...) Auch unter weißen
Frauen bspw. in Deutschland muß unterschieden werden zwischen
Geldvermögensbesitzerinnen, Mitgliedern der Arbeitsgesellschaft und
Anderen. Kurz: Die Rolle der Frau als Opfer
patriarchaler Strukturen gibt es nicht mehr. Ungleichheit zwischen Frauen nimmt
drastisch zu. Eine annähernde Gleichstellung der Geschlechter, und sei es
auf Kosten neuer hierarchischer Arbeitsteilungen zwischen Menschen
unterschiedlicher Herkunft, würden wir dennoch nicht vorschnell
prognostizieren.(13) Und dennoch konstatieren die beiden
Autorinnen: Angesichts dieser Entwicklungen ist doch zu fragen, ob
Geschlechterverhältnisse nicht endgültig zum so beliebten
Nebenwiderspruch degenerierten, der mit einer Auflistung all dessen, was ja
schon erreicht worden ist, hinten angestellt oder gänzlich vom Tisch
gewischt werden kann, wenn wichtige Fragen und Probleme anstehen.
(Es) müssen neue Strategien für eine emanzipatorische, linke Politik
die Bedürfnisse von Frauen und Männern in den Blick nehmen, um an der
alten Utopie jeder und jede nach seinen und ihren Fähigkeiten und
jedem und jeder nach seinen und ihren Bedürfnissen festzuhalten.
(...) Und Frauen müssen sich vor allem beim scheinbaren Hauptwiderspruch
einmischen.(14)
Dieser Text ist gerade auch mit der Motivation verfaßt, einen Beirag dazu
zu leisten, mit den Mythen der Autonomen aufzuräumen, zu verdeutlichen,
dass die gesellschaftliche Realität auch die letzten Zuckungen einer
Praxis gerade der verstorbenen autonomen Bewegung inklusive die der
Frauen - zur Disposition stellen muß.
Es ist kein Wunder, dass gegenwärtig eine exemplarische Abwehrschlacht
seitens der Autonomen tobt, die noch ihre letzten Pfründe könnte zu
Fall bringen. Das Scheitern der Linken zwar begreifend, doch unfähig
zuzulassen, dass gerade deshalb über alles neu diskutiert und verhandelt
werden müßte, werden die autonomen Restmilieus besonders dort zu
Angstbeißern, wo sie sich zum einen noch stark genug fühlen und zum
anderen andere Organsierungsmodelle ihnen genügend Abgrenzungsfläche
bieten.(15) Der exemplarische Streit um das sogenannte
unhintergehbare alleinige Definitionsrecht der betroffenen Person bei einer
Vergewaltigung fördert zum Glück auch zu Tage, worüber dringend
diskutiert werden müßte. Nicht zuletzt deshalb ist es notwendig, an
dieser Stelle darauf einzugehen.
Die Debatten der letzten Jahre um die Bedeutung, Dimension und den Charakter
der Shoa haben für den Autor deutlich werden lassen, dass für Linke
die Moral tatsächlich in Auschwitz vernichtet worden ist. Moral als linkes
Kriterium kann somit letztlich nur im Bezug auf die Opfer und deren Täter
sowie deren Nachfahren Anwendung finden. Dieser geschichtlichen
Herausforderung, die eine materialistisch-fundierte Gesellschaftskritik von
einer Linken abverlangt, muß sich stellen, wer an einer
Kapitalismuskritik ohne antisemitisches Ressentiment Interesse hat. Und das
sollten gerade jene Linken, die aus den Fehlern der Autonomen lernen wollen.
Moralische Kategorien sind also insbesondere in der Gegenwart, wo sich der
notwendige Neubeginn einer emanzipatorischen Linken immer mehr aufstaut,
untauglich geworden. Links-Sein basiert ausschließlich auf einem
gesellschaftskritisch-materialistischen Weltbild, das theoretischen definierten
Kriterien unterliegt, die niemals von der Subjektivität einer apolitischen
Handlungsweise ausgehebelt werden können. Oder anders: wenn das
Gefühl oder der Bauch als Willkür das politische
Argument ersetzt, stellt sich die Frage, was daran links sein
soll.(16) Der Kernstreit, um den es sich in der Auseinandersetzung mit
den Autonomen und dort insbsondere mit den Resten der
FrauenLesbenbewegung bei denen drehen muß, die sich mittel- oder
unmittelbar in der Tradition der Autonomen sehen, muß sich
zwangsläufig im Zuge des Endes der (Neuen) Sozialen Bewegungen um die
Neubestimmung von öffentlich und privat drehen. Genau dies macht auch den
Hauptgegenstand der sogenannten o.e. Vergewaltigungsdebatte aus. Das
heißt, wie politisch kann das Private sein, wenn erst das
Öffentliche im Gegensatz z.B. zur alten Hausbesetzerszene
das Politikum erzeugt. Der private (symbolische) Ausbruch aus den vorgefundenen
privaten Verhältnissen wie etwa bei den mutmaßlichen subversiven
Jugendkulturen von einst, gehört wahrscheinlich endgültig der
Vergangenheit an zumindest aber steht so etwas auf längere Sicht
nicht zur Debatte. Das heißt wiederum, alle führen im privaten ein
normales Leben, das inzwischen aber so individualisiert und
flexibilisiert ist, daß es z.B. nicht unabdingbar das Soziale patriarchal
reproduziert, sondern das Patriarchale wird im Rahmen des überhaupt
möglichen (!) gar ausgehebelt, aufgehoben. Dagegen wird man heute
erst dann politisch, wenn man sich in der Öffentlichkeit präsentiert.
Deshalb muß sich auch bei der Vergewaltigungsdebatte die
Diskussion um die Grenzen für politische Interventionen im Privaten
drehen, wenn Regelungen für noch öffentlich existente linke bzw.
linksradikale Milieus, Gruppen oder Organisationen getroffen werden sollen. So
z.B.: Wie weit reicht das Interventions- und Sanktionsrecht bei einer
Vergewaltigung durch einen organisierten (!) Linken?
Man darf sich letztlich nichts vormachen: Die Deutungsmacht über das
Private wurde endgültig verloren, das Sanktionsrecht auf die Subkultur,
die jugendkulturellen Szenen auf nimmer Wiedersehen eingebüßt. Es
können in diesen Bereichen höchstens Handlungsmaximen als
Empfehlungen gegeben werden.
Wird diese veränderte Situation ignoriert, ist der Preis dafür die
Realitätsverzerrung, die aber dazu führt, dass genau jene den Preis
zahlen sollen, die den Blick für die Entwicklung nicht verloren haben. Sie
werden mit aller Schärfe attackiert und sollen isoliert werden.
Festzustellen bleibt nachdrücklich, dass angesichts der Agonie bzw. des
schon längst eingetretenen Endes der autonomen Bewegung folgender
Pradigmenwechsel gerade vonstatten geht: schon längst nicht mehr bestimmt
das Soziale das Politische, sondern maximal das Politische das Soziale (als
individuelle freiwillige Entscheidung).
Innerhalb der Linken muß alles auf den Prüfstand so also auch
berechtigterweise die Grundlage und die Anwendung des Definitionsrechtes
selbst, ebenso wie die Sanktionierung und Repressionen gegen Vergewaltiger in
linken Gruppen. Diese eigentlich einleuchtende Logik wird aber von vielen
Autonomen in einer Weise attackiert, die scheinbar, zumindest auf den ersten
Blick, nicht nachzuvollziehen ist. Einiges über die diesbezüglichen
Hintergründe ist bereits weiter oben festgestellt worden.
Vieles Einfordern autonomer Lebensweise ist von Beginn an davon getrieben
gewesen, dass die Utopie im hier und Jetzt der Gegenwart
schon im kleinen gelebt werden könnte, ja
müßte. Die Unverfrorenheit, mit der dabei jahrelang geglaubt worden
ist, man könne sich aller Sachzwanglogik entziehen und sich
gesellschaftlich abnabeln, ist von der kapitalistischen Wirklichkeit
längst überholt worden.
Die Sanktionsmaßnahmen bei einer Vergewaltigung sind von ihrem
historischen Zustandekommen her unabdingbar mit einer diffusen aber
großen linken und pseudolinken Bewegung verknüpft, wo das Soziale,
das Private und das Politische überhaupt nicht voneinander getrennt werden
mußte und sollte. Diese Zeiten, wie schon mehrfach betont, sind
endgültig vorbei. Praktisch überlebt aber haben z.B. die
antisexistischen Repressionsmittel, obwohl der Bezugsrahmen für deren
Anwendung sich kategorisch geändert hat. Als eine Form von
frauenspezifischem Massenansatz (ohne Marxismus) entpuppt sich so mittlerweile
der Anspruch, Freiräume innerhalb linker Strukturen auch
für unpolitische Frauen zu schaffen, denen dann automatisch das Recht
zufällt, eine Vergewaltigung in linken Strukturen
öffentlich zu machen und Sanktionen einfordern zu können.
Insbesondere fliegt an dieser Praxis auf, daß niemand das Recht hat, nach
der Intention der mutmaßlich vergewaltigten Frau zu fragen. Oft
wird gleich zum Vorwurf übergegangen, dass Frauen dieses Recht durch
Falschaussagen missbrauchen würden, um Männern eins auszuwischen.
Hinter diesem Vorwurf steht wieder die sexistische Ideologie, dass Frauen
lügen oder die ihnen zugestandene Macht missbrauchen
würden.(17) So moralisch abgecancelt und quasi heilig
gesprochen wegen perfekter christlicher Tugendhaftigkeit (Du sollst nicht
lügen und nicht missbrauchen.), trifft all jene, die nun immer noch
nachhaken, die harte Frage: Nun sag mir mal, was es einer Frau für
einen Nutzen bringt, wenn sie eine Vergewaltigung öffentlich macht!?
Abgesehen davon, dass dem Autor so viele nützliche und unnütze Dinge
einfallen würden, wie es individuelle Interessen von Menschen gibt,
offenbart gerade diese Fragestelltung, daß hier per se eine apolitische
Gutwilligkeit der mutmasslich vergewaltigten Frau (scheinbar qua Geschlecht)
vorausgesetzt wird. Diese Gutwilligkeit aber vorausszusetzen, ist genauso
falsch, wie grundsätzlich zu unterstellen, Frauen würden ein
Definitionsrecht immer nur missbrauchen. Tatsächlich aber gibt
es wie gesagt tausend Gründe, warum eine Frau eine
Vergewaltigung öffentlich macht.(18) Und, wenn, ja wenn
hinter diesem Vorwurf (...) die sexistische Ideologie lauert, dann
kann es der Autor auch nicht ändern, denn was richtig ist, muß
richtig bleiben.
Ein Mensch kann immer nur bedingt für seine Sozialisation. Das enthebt
niemanden der Schuldfähigkeit, der Kritik oder macht ihn gar unangreifbar.
Aber gekoppelt an den Gegenstand, den Zweck und den Adressaten muß es
zwingend Differenzierungen geben. Dass ein Begriff von Objektivität
nirgendwo mehr Bestand haben kann, heißt noch lange nicht, dass dadurch
individuelle Subjektivität innerhalb der Linken einen Siegeszug feiert. So
muß es beim Definitionsrecht um die Einigung auf allgemeine Kategorien
gehen. Um es klar zu sagen, letztlich ist nicht das Definitionsrecht der
betroffenen Frau (bzw. anderer) das Problem, sondern nach welchen Kriterien
dieses Defintionsrecht Anwendung finden kann. Das heißt, diese Kriterien
müssen linke zeitgemäße Begriffe von Gesellschaftskritik als
Grundlage enthalten und als Voraussetzung kennen, um einen Begriff von
Vergewaltigung entwickeln zu können. Und einen verallgemeinenderen Begriff
braucht es. Der Autor behauptet gar, daß die willkürlich dehnbare
Begrifflichkeit von Vergewaltigung in der Endkonsequenz eine Ungenauigkeit
erzeugt, die verharmlost, weil sie die Besonderheit einer Vergewaltigung als
immer noch Ausnahme im täglichen Sexualleben einer Frau so
häufig sie dennoch auch vorkommen mag statt zum Sonderfall zum
alltäglichen Standard verklärt. Das macht tatsächliche
Traumatisierungen dadurch zu einer tendenziellen Farce und schürt
darüberhinaus zusätzliche Ängste und befördert ein falsches
Arrangement mit der Opferrolle. Geschichte und Erlebtes von den Opfern her zu
schreiben, kann nur dann gelingen, wenn der Gegenstand, um den es sich dreht,
ausreichend definiert ist.(19)
Das subjektiv-willkürliche Defintionsrecht gilt als Errungenschaft und
wird gerade deshalb so verbissen in seiner jetzigen Form verteidigt, weil sonst
gerade für die autonome Frauenbewegung nichts mehr zu holen ist. Sie ist
durch die gesellschaftliche Entwicklung in ihrer Form als Bewegung zum
Anachronismus geworden.
Tatsächlich gibt es eine zu erbringende Vorleistung für eine
unbelastete Diskussion aller Interessenten. Diese Vorleitung ist die Kritik der
Autonomen und ein gemeinsames Interesse an einer organisierten Linken
gerade auch seitens sogenannter FrauenLesbenzusammenhänge. Der Autor ist
sich inzwischen sicher, daß man innerhalb der Linken in etwa fünf
Jahren berechtigt verwundert fragen wird, was das für Zeiten waren, in
denen ohne politische Kategorie das ausschließlich individuelle Befinden
Vergewaltigung definieren konnte. (Man erinnere sich beispielsweise nur daran,
wie schwer viele in der Linken von der Konstruiertheit der Nationen zu
überzeugen waren heute ist es längst usus und Grundstandard.)
(Der Autor widmet diesen Text all jenen Genossinen und Genossen, die sich
für eine notwendige neue emanzipatorische Organisierung der
antifaschistischen radikalen Linken entschieden haben.)
(In der nächsten Ausgabe des CEE IEH erscheint ein weiterer Beitrag
des Autors zu Lust und Sexualität.)
|
Fußnoten:
(1) Martha Zapata Galindo, z.Z. wissenschaftliche Assistentin am
Lateinamerika-Institut der FU Berlin dazu im Arranca!-Interview (Nr.19,
Spätwinter/Frühling 2000): Die ersten AutorInnen, die auf dem
wissenschaftlich-theoretischen Feld mit einem neuen Ansatz intervenierten,
waren die jungen fanzösischen Strukturalisten, die nach 1968 in den
Universitäten in Frankreich oder ausserhalb der akademischen Institutionen
begannen, andere Wege der Human- bzw. Sozialwissenschaften und der Philosophie
zu beschreiten. Autoren wie Derrida, Foucault, Deleuze, Guattari, Lyotard und
Althusser sowie die feministischen Theoretikerinnen Kristeva und Irigara
bezeichneten sich selbst damals natürlich nicht als DekonstruktivistInnen.
Der Begriff wurde Ende de 80er Jahre in die feministischen Debatten, die in den
USA geführt wurden, eingebracht. (...) Im Mittelpunkt der politischen
Auseinandersetzungen standen die Dezentrierung des Subjektbegriffes und die
Formulierung eines neuen Machtbegriffes, was zur Infragestellung des
traditionellen Basis-Überbau-Denkens der hegelianisierenden marxistischen
Tradition führte, auf Grund des Ökonomismus und Reduktionismus
dieses Modells. (...) Die dekonstruktivistischen Ansätze brechen radikal
mit der Auffassung eines entfremdeten Subjekts, die sich seit den dreissiger
Jahren in Westeuropa breit gemacht hatte. (...) Während (z.B.) Althusser
das Ökonomische als ein Art Bestimmung des Überbaus in letzter
Instanz begreift und die Autonomie der Praxen und Instanzen des
Überbaus betont, verabschiedet sich Focault von jeglichem
ökonomischen Determinismus.
(2) Simone de Beauvoirs Buch Das andere Gechlecht
(Rowohlt-Verlag Reinbek 1983) versucht aus sozialistischer Perspektive
innerhalb einer Klassengesellschaft die Rolle der Frauen zu verorten.
Insbesondere stellt Beauvoirs heraus, daß sich Frauen gesellschaftlich
immer als das Andere des Mannes empfinden und ihnen so der
Subjektstatus vorenthalten würde, da einzig die Männer über die
gesellschaftlichen und diskursiven Ressourcen wie Besitz und Definitionsmacht
verfügten.
Bezugnehmend auf die andere im Text erwähnte Subjektkonstitution
antikolonialistischer Bewegungen sei auf das Standardwerk Die Verdammten
dieser Erde von Franz Fanon aus dem Jahre 1966 verwiesen.
Eine interessante vergleichende Kurzstudie beider Werke hinsichtlich ihrer
Bedeutung für die Identitätspolitik der zwei erwähnten
Bewegungen findet sich in der Zeitschrift Arranca! Nummer 19/2000.
(3) Dazu heißt es z.B. bei Brunhilde Sauer-Burghard in ihrem Artikel
Frauenewegung und feministische Forschung, in: beiträge zur
feministischen theorie und praxis Heft 53, 1999: Auch in linken
Theorien, die zum Ziel hatten, die Gesellschaft zu revolutionieren, kamen
seltsamerweise Frauen als Subjekte nicht vor. Hausarbeit wurde sogar explizit
in den Marx-Engelsschen Ansätzen nicht als Arbeit gedeutet. Nur als
Erwerbsarbeiterinnen wurden Frauen zu revolutionären Subjekten
erklärt und waren insofern mitgemeint. Das patriarchale
Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen aber galt auch bei
Linken nur als privat und als auf der politischen Ebene nicht thematisierbar.
Darüber hinaus sollten Frauen auch nach der Revolution weiter exklusiv
für die Kindererziehung und Haushalt zuständig bleiben, weil sie
angeblich von Natur besser geeignet seien als Männer. So wurde
übrigens die in der DDR praktizierte Doppelrolle der Frau
legitimiert.
Friedrich Engels schrieb z.B. zum Ursprung der Familie (in MEW 21,
S. 158): Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf
großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich selbst
beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem
Maße in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die
moderne große Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer
Stufenleiter zuläßt, sondern förmlich nach ihr
verlangt.
Weiterhin soll die Darstellung der Kritik der neuen Fauenbewegung an der
traditionsmarxistischen Sichtweise hier exemplarisch mit dem Zitieren einiger
Passagen aus dem Text Zur Rolle der Frau in der kapitalistischen
Welt einer Autorin namens Eva Braun erfolgen. Der Text wurde 1973 in Heft
2-3 der damals für die Neue Linke sehr wichtigen Fankfurter
Studentenzeitschrift diskus veröffentlicht. Er nimmt wiederum positiven
Bezug und zitiert das Frauenpapier der damaligen Frankfurter Gruppe
Revolutionärer Kampf nachfolgend mit RK gekennzeichnet: (...)
Mit keinem Wort erwähnt Engels, daß keine Kausalität zwischen
großer Beteiligung an der Produktion und Verringerung der häuslichen
Arbeit besteht. Mit keiner Silbe werden die gesellschaftlichen Werte und
Normen, mit denen Frauen zu Frauen erzogen werden, angesprochen. (...) Frauen
haben grundsätzlich Objektstatus. Sie haben gelernt, sich über den
Mann zu definieren, sich nach seinen Bedürfnissen auszurichten, um
überhaupt eine günstige Lebenschance zu erreichen und um Anerkennng
zu finden. (...) Nur durch den Mann und nur durch die Familie ist für die
Frau die Kommunikation mit anderen erreichbar. (Die) Hauptaufgabe der (Frau)
heißt: ständig neue Möglichkeiten zur Reproduktion der
Arbeitskraft anzubieten. Der Bezug auf die Männer hat aber auch bei
den Frauen zur Herausbildung einer spezifischen sozialen Sensibilität
geführt. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen und Situationen
einfühlen zu können, kann in dem Sinne auch positiv bewertet werden,
als sie mit der Fähigkeit zu emotionalen Kontakten überhaupt
einhergeht. (RK) Er (der Mann) ist auf Grund seiner Sozialisation gar
nicht mehr in der Lage, die Schwierigkeiten im emotionalen Bereich zu erkennen.
(...) Die Tatsache, die Fähigkeit, in sachlichen Diskussionen von sich
selbst zu abstrahieren, nicht zu besitzen, läßt die Frau zum
Gebrauchsgegenstand des Mannes werden. (...) Sie (die Frauen)
identifizieren sich mit den männlichen Autoritäten, mit ihren Normen
und Werten. (...) Die Unterdrückung der Frau äußert sich in der
Trennung von öffentlichem und privatem Leben und
der damit verbundenen totalen Isolierung im Privatbereich. (...) Die
Veränderung der tradierten Frauenrolle können nur wir Frauen leisten.
Dazu ist notwendig, die an männliche Normen gebundene politische
Identität selbst umzuorientieren. Der Bezugsrahmen für diese Arbeit
kann nur eine Frauengruppe sein. Hier sollten gegenseitige Identifikationen
aufgebaut werden, um schrittweise die eigene negative Einstellung zum eigenen
Geschlecht abzubauen. (...) Gleichzeitig ist das, was diesem Anspruch als
verinnerlichter Zwang immer wider entgegensteht (unbedingte Sachlichkeit,
vollkommene Abstraktion von der eigenen Person) mitzureflektieren und
bewußt zu machen. Denn nur durch das ständige Miteinbeziehen von uns
selbst, durch die Diskussion unseres Verhaltens zueinander, wird es
überhaupt möglich sein, kollektives d.h. herrschaftsfreies
Arbeiten zu erlernen. Wir müssen den Versuch unternehmen, Intellekt
und Emotionalität miteinander zu verbinden. (...) Wir müssen
versuchen, unsere Phantasie gegenseitig weiterzuentwickeln, in dem wir die noch
unstrukturierten Gedanken anderer aufgreifen, sie damit zu unseren eigenen
machen, um uns ein Stück weiter zu bringen. (...) Unter diesen Bedingungen
ist eine sinnvolle Kooperation mit den Männern erstrebenswert.
(4) So konnte beispielsweise Helke Sander in der erwähnten Rede im
Herbst 1968 bei der Deligiertenkonferenz des SDS, an die anwesenden Männer
adressiert, nur erzürnt feststellen: Wir sehen, welche Bretter ihr
vor dem Kopf habt, weil ihr nicht seht, daß sich ohne euer Dazutun
plötzlich Leute organisieren, an die ihr überhaupt nicht gedacht
habt, und zwar in einer Zahl, die ihr für den Anbruch der Morgenröte
halten würdet, wenn es sich um Arbeiter handeln würde.
(5) in: beiträge zur feministischen theorie und praxis Heft Nr.
53/1999
(6) Dörthe Jung Abschied zu neuen Ufern Frauenpolitik in
der Krise, in: beiträge Heft Nr. 35/1993
(7) à la das Patriarchat oder die Männer würden
zurückschlagen. Unverkennbar ist in dem Begriff ausserdem eine
symptomatisch konnotierte Verschwörungstendenz angelegt (Männer
untereinander im Bündnis mit böswilligen Frauen, die sich gerade mit
solchen Männern einlassen würden, deren einziges Ziel die
Übernahme des feministischen Diskurses durch den Mann sei. Insbesondere
ruft diese Paranoia auch das vom Autor schon desöfteren erlebte
Konformitätsressentiment hervor, nach welchem Frauen als
vermännlicht oder aus Sicht der Männer
denkend beschimpft werden. Diese Beleidigungen gegen Genossinnen machen nur
allzu deutlich, wie sehr Identität das Denken verdrängt. Denn gegen
diese tendenziell irrationale Gefühlswelt hat das sachliche Argument schon
im Vorhinein verloren). In Teilen heutiger FrauenLesebenmilieus wird,
angesichts eines entworfenen Untergangsszenarios, das alle als Erfolge
begriffenen Entwickungen angeblich hinwegzuspülen droht, umso verhementer
an dem traditionellen Separationsdiktum festgehalten, das in den beiträgen
1986 so beschrieben wurde: Einen Schutz gegen die Vereinnahmung
feministischen Denkens, feministischer Begriffe, feministischen Engagements,
gibt es offensichtlich nur durch Basisanbindung, durch Verankerung in
Frauenzusammenhängen (in: Nr. 18). Es läßt sich in diesem
Sinne konstatieren, daß, umso mehr die letzten Partikel der nicht mehr
existenten autonomen Frauenbewegung von der gesellschaftlichen Entwicklung zur
Neubestimmung ihrer Positionen gedrängt wären, ein umso vehementerer
Abwehrkampf und Stellvertreterkrieg vom Zaun gebrochen wird, dessen Ergebnis
aber unwiderruflich die endgültige Reflexionsunfähigkeit
bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen zur Folge haben wird.
(8) Heft Nr. 35,1993
(9) ebenda
(10) Heft Nr. 46/1997
Letztgenannte Konstellation beschreibt nach Meinung des Autors auch recht gut
seine sich sozial wie politisch überlagernden Dissensen mit
getrenntgeschlechtlich organisierten Frauen des Antifaschistischen Frauenblocks
Leipzig (AFBL). Aus dem Anspruch, mehr sein zu wollen als ein Politgruppe, in
dem Frauen im sozialen subkulturellen Milieu quasi auf Grund des Geschlechtes
dazugehören würden, ergibt sich ein Fischen im
Trüben, wo die politische und die soziale Grenze gewollt und bewußt
verschwommen bleiben soll. Symptomatisch ist daher auch, daß insbesondere
auf Initiative einzelner AFBL-Frauen mehrmals schon zu einem reinen
Frauenkoordinierungtreffen eingeladen worden ist, bei der die
einzige öffentlich wahrnehmbare Message über den Zweck des Treffens
die ist, daß es sich um ein Koordinierungstreffen eben von Frauen
für Frauen handele. Eine Kritik an dieser nichtssagenden und
unsäglichen Einladungspraxis auf Grund der nicht zu leugnenden Tendenz,
daß hier die Frau zum Wert an sich verklärt würde, durch den
Autor im privaten Gespräch mit AFBL-Frauen, wurde als persönliche
Beleidigung der einladenden Frauen aufgefaßt. Der Autor vertritt die
Meinung, daß eine (zwanghafte) Homogenisierung zu Opfern des
Patriarchats, und sei es nur in der Linken, scheitern muß,
weil die soziale Realität von Frauen trotz patriarchaler
Realitätsebenen längst als ausdifferenziert genug gelten kann (z.B.
Elternhäuser/Familie, Schulen, Milieus, Freundeskreise, politischer
Organisierungsgrad oder auch Erwerbstätigkeit).
In derselben Ausgabe des CEE IEH, in dem auch dieser Text veröffentlicht
wird, erklärt der AFBL in dem Papier Es gibt tausend gute
Gründe anläßlich einer Veranstaltungsreihe
ausschließlich für Frauen seinen Ansatz. Der Autor möchte mit
ein paar Worten darauf Bezug nehmen.
Zuvorderst soll hier die These aufgestellt werden, daß die eigentlichen
Adressaten jeglicher Geschlechterseparierung - wider besserer
Beteuerungen -, immer die Männer und nicht etwa
die Frauen sind. Dieses von Beginn an verdrängte psychosoziale
Problem wird intensiv auf die Frau-an-sich projiziert. Demzufolge geht es
letztlich gar nicht um die Frau wie auch -, sondern einzig
und allein um das Verhältnis zum Mann, das durch die unbedingte
Festschreibung seiner gesellschaftlichen Omnipräsenz bzw. -potenz erst
ihre identitätsstiftende Funktion erfährt. Aus dieser Konstellation
ergibt sich ein gestörtes Verhältnis zum eigenen
Geschlecht, das somit eben nicht schlecht, sondern per se
gut sei. Die Separierung, der Zusammenschluss in
eingeschlechtlichen Gruppen, ist sicherlich eine Reaktion auf das Erlebte, auf
die Alltagserfahrung. Doch diese Alltagserfahrung ist nicht wertneutral,
sondern entsprechend vorbelastet. Insofern sind die Reaktionen auf die
Erfahrungen als bewußte zu begreifen, die gerade den Einflüssen
herumgeisternder Theorie und Praxis aus Jahrzehnten Frauenbeweung unterlegen
sind. Auf deren Ideologeme, Aktionen und Praxis greift man gern dann
zurück. Die scheinbar unendliche Suche nach dem Wesen des Subjektes Frau,
ist ein Unterfangen, das logischerweise scheitern muß, weil es immer die
Bestrebung enthält, das Patriarchale so auszublenden also fast die
gesamte Menschheitsentwicklung -, daß ein abgekoppeltes Etwas im Vakuum
konstruiert wird, das mit wahren gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht nur
nichts zu tun haben will, sondern auch gleich das Scheitern in der Messung am
wirklichen Leben impliziert. Das angeblich Nichtpatriarchale einer
geläuterten Frau gerät so recht schnell zu einer Art
zweiten Natur (Marx).
Frauenseparierung ist auch immer von der Angst getrieben, von einer Linken als
Nebenwiderspruch, als Frauenfrage des traditionellen M/L behandelt
zu werden. Die Geschichte der Linken spricht leider dafür, daß
feministische Positionen gegenüber linken Theorien notorische Skepsis
haben sollten.
Es läßt sich feststellen, daß die Verantaltungsreihe des AFBL
auf einen überdünkten Boden frauenbewegter historischer Praxis
fällt, bei der der offensichtliche Versuch eines Spagats aus 80er Praxis
und 90er Theorie von vornherein auf einem schwerbelasteten Terrain stattfindet.
Nach Meinung des Autors hat die Geschichte der Frauenbewegung bewiesen,
daß der Kampf um den Freiraum für das eigene Geschlecht
(logischeweise) innerhalb der Gesellschaft schneller als gedacht zum
identitätsvernebelten Ressentiment gerät, weil nur ihm der als
notwendig empfundene Irrglaube an die antipatriarchale Autarkie innewohnt. Der
Auschluß qua Geschlecht ist somit immer nur anfänglich eine
mögliche Lösung verkehrt sich aber unversehens eigendynamisch
absolut zum Problem, sobald sich erste Anzeichen von Erfolgen einstellen
(Daß sich in Leipziger linken Antifa-Gruppen und nur dort, nicht
aber in der angeblich linken, in Wirklichkeit aber nicht-linken Subkultur!
mit etlicher Verspätung mit Sexismus auseinandergesetzt wird und
Patriarchatsdiskussionen geführt werden, ist nicht zufällig
wenn auch nicht ausschließlich - auf Initiative und Intervention des AFBL
zurückzuführen. Dieser Erfolg des AFBL führte auch in Leipzig zu
einer veränderten Situation, die andere Konsequenzen notwendig macht als
vordem.), das nicht linke Emanzipation fördert, sondern Abnabelung von
einer Linken, die logischerweise immer nur bedingt besser sein kann als die
Verhältnisse, in der sie existiert ob sie will oder nicht. Somit
löst sich der vielleicht anfängliche emanzipatorische Gehalt quasi
von selbst auf, in dem an die Stelle des Emanzipatorischen pure
Identitätshuberei statt emanzipatorischer Identitätskritik tritt und
damit die einzig und allein erstrebenswerte geschlechterkillende linke
Gesellschaftsoption aufgegeben wird. Der AFBL glaubt scheinbar fest daran,
gerade in Leipzig das Fahrrad neu erfinden zu müssen, weil man angeblich
um jeden Qudratmillimeter Raum kämpfen, (...) begründen,
diskutieren, argumentieren müßte. Jene halluzinierte
Opferrolle basiert auf der sozialpsychologischen Gruppendynamik, entgegen der
eigenen Beteuerungen, hoffentlich das Erkennen der Notwendigkeit zur
Auseinandersetzung mit Sexismus meist nur von Frauen auf längere
Sicht zur Ausprägung größtmöglicher kollektiver
Identität festschreiben zu können. Weil, wie es heißt,
patriarchale Gesellschaftsstrukturen überraschenderweise
tatsächlich in noch stärkerem Maße die Gesellschaft durchziehen
wer hätte das gedacht , legt die Folgerichtigkeit diese
Ansatzes als Legitimation der Verantaltungsreihe den weiterführenden
Vorschlag nahe, doch die gesamte Gesellschaft geschlechtersepariert zu
gestalten. Als weiteren Grund für die Geschlechtertrennung werden
u.a. strukturelle Hierarchien zwischen Männern und Frauen in
den pop- bzw. jugendkultrellen Milieus Leipzigs angeführt, die auf Grund
notorischer Begriffsungenauigkeit durch den nichtssagenden Terminus
Szene extra-nebulös gehalten werden. Nach Meinung des Autors
verlaufen diese Hierarchien jedoch nicht zwangsläufig und
ausschließlich zwischen Männern und Frauen, sondern viel öfter
als gedacht zwischen sozialisationsbedingten individuellen Rollen, in denen
sich jeweils gefallen wird. Die oftmaIs, und im starken Maße auch hier
zur Ideologie erhobene Empirie also die rein individuell-subjektive
Erfahrung von männlichen und weiblichen
Adjektiven wird auch nicht dadurch zur Wahrheit, dass sie zur Schaffung einer
Identiätskonstruktion von Mann und Frau dient. Die
Empirie ersetzt dann tendenziell das Denken. Insofern ist der
grundsätzlich richtige Ansatz, die Kategorie Frau als analytischen Begriff
zur Erforschung gesellschaftlicher Macht- und
Herrschaftsverhältnisse solange als Instrument einzusetzen, wie
ein soziales Ungleichheitsverhältnis und immer auch ein potentielles
Gewaltverhältnis zu existieren scheint, einer Pflicht zur
Begriffsgenauigkeit bei der Beschreibung des jeweiligen Gegenstandes
unterlegen. Diese zwangsläufig notwendige Konkretion ergibt sich aus dem
Zweck, daß der AFBL nach eigenem Bekunden auf eine, wenn auch unbestimmte
nebulöse Binnenwirkung (hier Szene genannt) und nicht auf eine
allgemeine, abstrahiertere Außenwirkung abzielt (z.B. die
Linke oder die Gesellschaft). Es bleibt ausserdem
festzustellen, daß, wenn überhaupt, ein Zusammenschluß in
getrenntgeschlechtlichen Gruppen nur dann Sinn macht, wenn der Kontext und der
Rahmen geklärt sind, innerhalb welcher eine Frauen- oder Männergruppe
agiert (linke Szene als Begriff von alles und nichts reicht da,
insbeondere geschichtlich und gesellschaftlich betrachtet, schon seit Ende der
80er nicht mehr!). Ohne konkrete Andockung, ohne strukturelle Einbindung in ein
konkretes Ganzes (z.B. einer Organisation) macht der Zusamenschluß
für ein linke Binennwirkung (was hier nur organisierte, koninuierlich und
verbindlich existente linke Gruppen meinen kann!) keinen Sinn. Insofern hat
jede eingeschlechtliche linke Gruppe die verdammte Pflicht, den Zweck, den
Adressaten ihres Agierens konkret zu bestimmen. Wenn Linksradikalismus die
Gleichzeitigkeit von Möglichem und Unmöglichem
(Günther Jacob) ist, dann ist, um das Mögliche greifbar zu machen,
der Kontext, in dem das Mögliche mögliche werden soll, so genau wie
möglich zu bestimmen. Darüberhinaus aber hebelt innerhalb dieses
Rahmens das Mögliche das Unmögliche nicht aus. Das positive
Rekurrieren des Autors auf das zugegebene gepflegte intrumentelle
Verhältnis zur Kategorie Frau seitens des AFBL offenbart im Kontext der
(noch) existenten FrauenLesebenmilieus aber gleichzeitig, um wieviele Meilen
der AFBL den meisten links-autonomen sogenannten
FrauenLesbenzusammenhängen voraus ist, deren Theorieabstinenz in mehreren
Fällen schon zu einer Abstinenz des Denkens überhaupt geführt
hat. Es wäre einzig und allein richtig und verantwortungsvoll, eine
Positionsbestimmung in der Richtung vorzunehmen, daß die feministische
Grundposition entweder beim Stand des Dekonstruktivismus angekommen ist, oder
aber, wenn nicht, dann nicht mehr feministisch relevant ist. (Dabei allerdings
müßte bedacht werden, daß dekonstruktivistischer Feminismus
immer nur ein Reformmodell innerhalb des Kapitalismus sein kann und eine
wirklich optional überwindende Gesellschaftskritik eben die Kritik der
politischen Ökonomie, ihrer totalen Warenförmigkeit als
Wertvergesellschaftung notwendig macht.) Wer den Dekonstruktivismus für
sich reklamiert, kann sich in neuer Qualität wohlgemerkt nur
noch um sich selbst kümmern. Die entscheidende zu klärende Frage
dabei aber ist, was dieses Selbst sein soll. Ist es Frau, ist es links? Linke,
also auch linksradikale Feministinnen so sie sich denn selbst so
sähen -, müssen endlich begreifen, daß die Suche nach dem
historischen Subjekt - also auch das der Frau ein für alle mal vom
Tisch ist. Deshalb hat sich jede linke Frau die Frage zu stellen: linke
Organisierung oder Frauenorganisierung? Das eine schließt mittelfristig
(nicht kurzfristig!) unter der Anerkennung des abhanden gekommenen historischen
Subjekts letztlich das andere aus! Eine notwendige ernsthafte Debatte über
diese Frage steht bis heute aus. In Abwandlung einer Polemik von Jürgen
Elsässer (deutsch oder Mensch) stellt sich durchaus die Frage,
Links oder Frau (bzw. Mann). Nach Meinung des Autors haben diejenigen Linken
bereits praktisch und theoretisch verloren, die sich nicht radikal davor
hüten, das Frau- oder Mann-Sein auch nur zu irgendeinem Wert zu
verklären und sei es auch nur ein klitzkleiner, als unbedeutend
empfundener.
Da auch der AFBL scheinbar unwillens ist, einigen
FrauenLesben-Zusämmenhängen die zweifelhafte
Solidarität aufzukündigen und lieber noch den allergößten
Blödsinn deshalb legitmiert, weil er von
FrauenLesbenzusammenhängen, also solchen wie wir
verzapft wurde, ergibt sich so eine Atmosphäre, in der Kritik daran von
blinder Identitätssolidarität abgewehrt wird. Die Sprecherposition
eines Mannes z.B. gerät dadurch folgerichtig immer in die Rolle des
potentiellen Angreifers, der ja nur alles kaputtmachen wolle und
verhindern will. Seine Position ist damit dem Automatismus ausgesetzt, als eine
Kritik der zweiten Klasse bewertet zu werden. Der Autor ist im
übrigen der Meinung, daß der überwiegende Rest der noch
existenten sogenannten autonomen FrauenLesbenzusammenhänge nicht die
Klärung der Linken zu feministischen Positionen befördert, sondern
sie blockiert und regelrecht verhindert.
Es ist nicht verwunderlich, daß der AFBL in dem Papier Es gibt
tausend gute Gründe die Meinung vertritt, es würden in Leipzig
Paranoia und Verschwörungstheorien nicht (nur) gegen den Staat,
sondern besonders gegen Frauen gehegt und in Umlauf gebracht. Abgesehen
einmal von der bravourösen Freudschen Fehlleistung, zwar AFBL zu meinen,
doch Frauen zu schreiben, gibt der Autor zu bedenken, dass nach
seiner Einschätzung gerade diejenigen ob nun Männlein oder
Weiblein blinder Frauensolidarität als Ersatz für eigenes
Denken huldigen, die gegen Staat und Bullen auch nur die Waffe der
Verschwörungstheorie zücken können. Interessant wäre
tatsächlich einmal, den Zusammenhang eines links-traditionell dichotomen
Weltbildes von Oben und Unten, Herrschern und
Beherrschten und blindlings geäußerter Frauensolidarität,
basierend auf der angenommenen gesellschaftlichen Allmacht des
Patriarchats zu untersuchen.
AFBL schreibt weiter: Wenn sexistische Strukturen nicht aktiv angegriffen
werden, wird sich nichts an ihnen ändern. Ein Weg, dies zu erreichen, ist
für uns, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich politisch
auseinanderzusetzen, Inhalte zu diskutieren in einem Rahmen, der eine
Machtvariable, das Geschlechterverhältnis, außen vor
läßt. Nicht nur können Frauen bei Frauenveranstaltungen den
Unterschied überhaupt erstmal bemerken, sie werden ebenso in die Pflicht
genommen, kein Typ wird die erste Frage stellen, keiner die Diskussion an sich
reißen oder vorantreiben, keiner mehr oder weniger posige Analysen
darstellen. Deutlich läßt sich hier ablesen, daß AFBL
eine selten geschichtlose Gruppe zu sein scheint, die unter Umständen, das
sei jetzt unterstellt, gar die Irrungen und Wirrungen der
Geschlechterseparierungen noch zum historischen Erfolg umzumünzen in der
Lage ist.
Wenn dieser beschriebene Weg es wirklich ermöglichen sollte,
daß sich Frauen (...) politisch auseinandersetzen (was immer
das auch heißen mag), was, gelinde gesagt, stark bezweifelt werden kann,
so wird der Preis dieser Auseinandersetzung eine realitätsverzerrte
Rezeption möglichen politischen Engagements sein, die sich dem Irrglaube
hingibt, das Gute im Schlechten zu verkörpern. Die daraus folgende
politische Sozialisation stärkt nicht etwa das individuelle politische
Selbstbewußtsein von Neueinsteigerinnen, nein, es ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit der Anfang vom Ende emanzipatorischem Links-Seins, weil die
Bedingungen bzw. Vorbedinungen, wo der eigentliche Zweck formuliert wird, eben
gerade die sind, sexistische Strukturen aktiv anzugreifen. (Zum
Verständnis sei insbesondere der historische Abriss im Text des Autoren
empfohlen.)
Das Motiv, einen Rahmen zu schaffen, der eine Machtvariabel,
das hierarchische Geschlechterverhältnis, außen vor
läßt, läßt durchaus den Schluß zu, daß
dort das Andere, der Unterschied vorzufinden sei, wo
die kollektive Aura stimme. Geht man davon aus, daß das
Andere in aller Regel eine Projektionsleistung vom
eigentlichen aus voraussetzt, und das mutmaßliche
Unbehagen durch Annahme der Opferrolle bei gemischtgeschlechtlichen
Veranstaltungen (die in aller Regel aber männerdominiert sind) durch
die Frauen durchaus zur politischen Kategorie erhoben wird, dann
ist der Gegensatz von unbehaglich, Behaglichkeit. Diese aber, begriffen
über die krude Selbstaffirmation der ideologisierten Kategorie Frau als
Opfer patriachaler Menschheitsgeschichte, impliziert automatisch das
harmonisierte Miteinander, das, wie im Text des Autors belegt ist (siehe
Fußnote 3, Auszüge aus dem Text Zur Rolle der Frau in der
kapitalistischen Welt), zu den Mythen der neuen Frauenbewegung
überhaupt zählt. Allein aus dieser historischen Herleitung und nicht
etwa aus der subjektiven männlichen Betrachtung von Frau X und
Frau Z, entspringt die Skepsis des Autors. (Darüberhinaus vertritt der
Autor ohnehin die Position, daß in politischen Gruppen, in denen man sich
wohlfühlen kann, grundsätzlich etwas schief läuft.
Gerade in der Krise der Linken und bei weitem nicht nur in der Krise
kann und muß der Maßstab sein: Wenn der Gruppenkonsens darin
besteht, daß sich der überwiegende Teil in der Gruppe
wohlfühlt, es Spaß macht, läuft
garantiert etwas schief. Grundlage jeder dringenden produktiven Kritik ist
demnach die Unzufriedenheit und nicht die Harmoniesucht!) Wenn der AFBL in
seinem Papier immer wieder betont, wie wichtig doch die Erfahrung für eine
Frau wäre, daß kein Typ die erste Frage (stellt), keiner die
Diskussion an sich reißen oder vorantreiben, keiner mehr oder weniger
schlaue oder posige Analysen vorstellen kann, dann läßt sich
das durchaus auf die Frage zuspitzen, ob diese Sichtweise, hervorgerufen durch
einen Glauben an die Allmacht der patriarchalen Herrschaftsverhältnisse
und dem damit einhergehenden suggestiven Sendungsbewußtsein
geläuterter und so politisierter Frauen, überhaupt noch
tendenziell (!) in der Lage ist, andere Frauen als vollwertige individuelle
Wesen, zur bewußten Entscheidung fähig, ernst zu nehmen. In der
Lesart des AFBL scheinen das Stellen der ersten Frage, das An-sich-Reißen
und Vorantreiben einer Diskussion, schlaue (sic!) oder posige Analysen
innerhalb gemischtgechlechtlicher Veranstaltungen, Plenas, Treffen etc. zu rein
männlichen Eigenschaften verkommen zu sein. Dem Autor blieb dies bisher
verborgen. Seiner Wahrnehmung nach erfüllen diese zugeschriebenen
Klischees von angenommenen hundert Männern vielleicht allen Ernstes zwei.
Die aus dieser Realität abzuleitende Zuschreibung als männlich
erschließt sich dem Atuor nicht mal im Ansatz, zumal er auch noch von der
Neugierde geplagt ist, was es denn dann im beschriebenen Fall mit den anderen
98 anwesenden Männern wohl auf sich hat. Darüberhinaus bleibt
festzustellen, das Posing ja wohl ein legitimes Mittel der Selbstinszenierung
sein muß, um in dieser Gesellschaft nicht unterzugehen. Frauen dieses
Instrumentarium madig zu machen, grenzt da schon an Beihilfe zur
Lebensunfähigkeit. Ebenso bleibt zu fragen, wie es sich mit rhetorischen
Fähigkeiten und dominanter Mentalität verhält.
Der AFBL stellt abschließend fest, daß davon auszugehen ist,
daß seine Veranstaltungsreihe oder Frauengruppen eine Erweiterung
der linken Szene darstellen (würden), von der am Ende nur profitiert
werden könnte. Dazu ist festzustellen, daß es gegenwärtig
bis auf weiteres nicht die Aufgabe der Linken sein darf und kann, eine
Erweiterung, der Linken zu verzapfen. Es kann und muß um eine
qualitative Verengung gehen. Die Zeit, in der sich jeder Trottel mir nichts
dir nichts links schimpfen konnte, muß bis auf weiteres vorbei
sein. Ohne die permanente Betonung der Neuorganisierung, nicht zuletzt
notwendig geworden durch das endgültige Scheitern der autonomen Bewegung
inklusive der Frauenbewegung , wird sich nicht notwendigerweise
die Spreu vom Weizen trennen, sondern alle in ihrem altbewährten Trott
weitermachen. Die Pflicht zur geschichtlichen Analyse und zum Geschichtsbezug,
wobei man sich dabei notwendigerweise als Subjekt, als Teil dieser Geschichte,
in der Tradition stehend, begreifen muß, sollte dabei zur Meßlatte
für all jene werden, die ein wirkliches Interesse an der Weiterentwicklung
einer sagen wir neuen Neuen Linken haben.
(11) Festzustellen ist aber, daß ein Loslösung von der Linken
schon immer in der Neuen Frauenbewegung angelegt war. Somit ist die getrennte
Wahrnehmung der dekonstruktivistischen Theorien von der Linken eine Art
Nebenprodukt als Ausweg aus der untergangenen neuen Frauenbewegung.
Hier eine kurze Begriffseinführung in die (geschlechtstheoretischen)
Eckpunkte der Theorien hier von Dorit Heinsohn aus ihrem Text
Feministische Naturwissenschaftskritik eine Einführung
übernommen (entnommen der Zeitschrift Forum Wissenschaft Nr.
02/1999): Die Analysekategorie Frauen und die
Analysekategorie Geschlecht sind nicht gleichzusetzen;
Geschlecht ist eine Analysekategorie für alle sozialen
AkteurInnen, nicht allein für Frauen. Die Kategorie Geschlecht
umfaßt Geschlechterverhältnisse wie das System der
Heterosexualität. Im Begriff der Geschlechterforschung sind sowohl Studien
über Konzeptionen von Weiblichkeit als auch Studien über Konzeptionen
von Männlichkeit und das Erhältnis, in dem beide zueinander stehen,
gefaßt. Der Begriff Geschlecht verweist außerdem auf
Geschlecht als soziale Strukturkategorie und wendet sich gegen
biologistisch-deterministische Bestimmungen. In den 70er und 80er Jahren wurde
mit dem Sex/Gender-Modell zwischen einem biologistischem Geschlecht
(Sex) und einem sozialen Geschlecht (Gender) unterschieden. In den
feministischen Debatten der 90er Jahre wurde diese Unterscheidung reflektiert
du an der Angemessenheit gezweifelt, eine definierbare Grenze zwischen einem
außergesellschaftlichen biologischen Geschlecht und einem sozial
hergestellten Geschlecht zu behaupten. Seitdem dominiert in feministischen
Diskussionen der Begriff Gender, und es erweist sich nicht mehr als
Nachteil, daß es im Deutschen kein Pendant zu dem englischen Begriffspaar
Sex/Gender gibt. Der Begriff Geschlecht ist ausreichend
und angemessen. Unter diesen Prämissen stellt sich nicht nur
für Dorit Heinsohn die entscheidende Frage: Verlieren wir durch
sozialkonstruktivistische Kritik die Möglichkeit, darüber zu
urteilen, welches Wissen das bessere ist, da ja alles Wissen ohne
Ausnahme konstruiert ist?
Hier noch einige kurze Anmerkungen zum einzigsten Popstar des Feminismus, zu
Judith Butler. Butler kritsiert u.a. an der feministischen
Identitätspolitik die Verstrickung in Logik und Politik in das, was
eigentlich bekämpft werden soll. Von einem unbelasteten und unhistorischen
Subjekt auszugehen, auf das feministische Theorie und Politik
zurückgreift, wiederhole den Fehler patriarchaler Subjektkonstitution,
denn Subjeke seien stets durch Ausschlussverfahren und Zwangshomogenisierung
hergestellt worden. Der Feminismus seinerseits befinde sich in dem Dilemma,
dass er das Ausschließende abschaffen will, anderseits aber auch die
Subjektwerdung zum Ziel hat. Butlers Kritik an der Kategorie Frau
zielt aber nicht darauf ab, sich von de Kategorie gänzlich zu
verabschieden, sondern strebt danach, die Ausschlüsse, die diese Kategorie
mit sich bringt, zu hinterfragen, und die Kategorie aus ihrer
Ausschließlichkeit herauszuführen.
Zur weiteren kurzen Erläuterung der Theorien sei auf das Papier Es
gibt tausend gute Gründe des Antifaschistischen Frauenblocks Leipzig
(AFBL) hier im CEE IEH verwiesen und auf die erste Fußnote dieses
Textes.
(12) Nr. 02/ 2 000
(13) In einer ergänzenden Bemerkung schreiben Stötzel/Reiner:
Einen irritierenden Blickwinkel brachte diesbezüglich Frigga Haug
(eine marxistische Feministin R.) in die Debatte, in dem sie darauf
aufmerksam machte, dass einige der inzwischen klassischen Forderungen der
Frauenbewegung von Neoliberalen implizit aufgenommen und unser
Terrain auf diese Weise neu bsetzt wurde: Vor allem die feministische Kritik am
Arbeitsbegriff erlebte eine feindliche Übernahme in diversen
Zukunftsberichten wie dem der Bayern-Sachsen-Kommission. Die Betonung der
produktiven sowie kreativen Aspekte von Haus-, Nachbarschafts- und Eigenarbeit
zielt hier nicht auf Anerkennung der traditionell bisher von Frauen erbrachten
unbezahlten Arbeit, sondern dient in erster Linie der psychologischen
Entlastung des Arbeitsmarktes und versucht diejenigen mit
Bürgerarbeit zu befrieden, für die der Markt weder
Auskommen noch Anerkennung garantieren kann. Ebenso wenn vermutlich auch
unfreiwillig beschleunigt der Neoliberalisms durch seinen Leitungs- und
Flexibilisierungswahn die Auflösung der (Klein-)Familie, die Feministinnen
seit den 70er Jahren als Ort der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht
ins Visier nahmen: Wer auf dem Markt mithalten will, kann sich nicht binden,
nicht mit einer festen PartnerInnenschaft und schon gar nicht mit Kindern.
Durch diese Entwicklungen gewinnt die Kleinfamilie für einige schon wieder
an Attraktivität als Rückzugsort im gnadenlosen
Konkurrenzkampf.
(14) Der gegenwärtige Diskussionsstand muß nach Meinung des
Autors folgendes innerhalb der Linken nach sich ziehen: Nach dem es in der
ernstzunehmenden Linken usus ist, daß Patriarchat und Rassismus auch ohne
Kapitalismus weiter existent wären, drängt sich nur folgerichtig aus
der ersichtlichen Entwicklung der gegenwärtigen sozioökonomischen
Prozesse die Frage auf, ob der Kapitalismus auch ohne Patriarchat und Rassismus
funktionieren kann, vielmehr beides nur konstruierte Instrumentarien zur
Aufrechterhaltung der kapitalistisch notwendigen Konkurrenzsituation sein
könnten. Dabei geht es nicht um die Renaissance alter M/L-Lehre, sondern
um den Erkenntnisgewinn, daß die Marxsche Kritik der politischen
Ökonomie wesentlich als eine Kritik von Wert und Ware und, damit notwendig
verbunden, von Arbeit als dem strukturierenden und basalen Moment
kapitalistischer Vergesellschaftung (Norbert Trenkle) zu begreifen ist.
Hinsichtlich eines wertkritischen feministischen Ansatzes sei der Text von
Roswitha Scholz, Der Wert ist der Mann Thesen zu
Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis aus der
Krisis Nr. 12/1992 empfohlen.
Darüberhinus stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Patriarchat und
Kapitalismus tatsächlich eine der Kernfragen der Linken und ein
immer noch ungelöstes Problem (Roswitha Scholz) dar. Dennoch
oder gerade deshalb bestreitet der Autor, daß sich das patriarchale
System im Kapitalismus erstens endlos transformieren kann und zweitens sich
dadurch permanent reproduzieren würde, wie es z.B. auch in CEE IEH Nr.
60/1999 von einem unbekannten Autor oder einer unbekannten Autorin in dem
Artikel Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen oder vom
naiven Verkennen des Widerspruchs zwischen bewußt artikuliertem
Veränderungswillen und der alltäglich praktizierten
Regenerationspolitik patriachaler Strukturen innerhalb linker
Zusammenhänge behauptet wird. Dort heißt es: Dieses
System, flexibel und historisch stark veränderbar, nimmt
Widersprüche, die das tradierte Geschlechterverhältnis angriffen, in
sich auf und integriert sie als neuen Baustein in das Bild des hegemonialen
männlichen Souveräns (...). Es zeigt sich also die ständige
Flexibilität des patriarchalen Systems, das durch kapitalistische Krisen
zu einer Vervielfältigung männlicher Positionen, nicht aber zu deren
prinzipieller Entmächtigung und Aufhebung hegemonialer Männlichkeit
führt, da die Einverleibung der Widersprüche immer auf Abgrenzung zum
anderen Geschlecht, zur Frau, basiert. Die Pluralisierung von
Männlichkeiten stellen tatsächlich die hohe Flexibilität und
Erneuerungskraft patriarchaler Herschaftsverhältnisse dar, statt Anzeichen
ihrer gestörten Funktion zu sein.
(15) Insbesondere meint das den Streit der autonomen Szene mit der
Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) wegen des Vergewaltigungsvorwurfes
gegenüber einem vermutlich ehemaligen Mitglied der AAB. Rein an der
Faktenlage orientiert, wird hier offensichtlich, wie eine autonome Szene
versucht, den Streit zur eigenen Profilierung zu nutzen besonders
auffällig gerade dadurch, daß es ein inflationäres ungefragtes
Leugnen dieser Tatsache gibt. Die mit Abstand erfolgreichste und
größte linksradikale Gruppe, gerade auch im Hinblick auf
emanzipatorische Strukturen, dient so einigen sogenannten autonomen
Zusammenhängen als integratives Abgrenzungsmodell. Einige kommmentieren
die Situation in Berlin gar spöttisch so, daß es nur dem Erfolg und
der Existenz der AAB zu verdanken ist, daß es noch eine
einigermaßen funktionieende Autonomren-Szene in Berlin gibt. Mit dieser
These konfrontiert, bricht die dortige Szene immer in Hysterie aus.
(16) Das ist natürlich nicht so zu interpretieren, daß Linke vom
Himmel fallen. Empfohlen sei deshalb der Text Der Hase im Pfeffer
können Linke, sobald sie ich links schimpfen, automatisch antisexistisch
und antipatriarchal sein? in CEE IEH Nr. 66/2000
(17) aus: Klarofix das Leipziger Zeckenmagazin Nr. 07/2000.
Mit einem Positionspapier zum Umgang mit Vergewaltigungen hat die
Herausgebergruppe des Klarofix, die Druck-Gruppe, ein Pamphlet abgeliefert, das
mit einer gesellschaftskritischen Sicht, insbesondere mit einer linken, nur
bedingt zu tun hat. Schon die Einleitung, Der folgende Text beschreibt
Frauen als Opfer von Männergewalt (sic!) offenbart, hier zwar als
Lapsus, die reduktionistische verengte Sichtweise der Druck-Gruppe auf das
Thema. Frauen als Opfer, um mehr als Message scheint es dabei gar
nicht zu gehen. Nostalgisch-traditionalistische Romantik pur perlt aus den
Zeilen, wenn es heißt, man wolle sich weitestgehend auf
gemischtgeschlechtliche Zusammenhänge, Gruppen, Bekanntenkreise mit
links-emanzipativen Anspruch beziehen. Diese - Achtung, autonomes
Zauberwort Zusammenhänge, stellten zumindest
einen kleinen Lebensbereich dar, in dem eigene Prinzipien aufgestellt und
gelebt werden können. Die kleinkarierte dichotome Weltsicht
offenbart sich, als der Versuch losbricht, bezüglich von Vergewaltigung
verschiedene Ideologien aufzuführen. Und genau zwei gibt es
da, (und mehr nicht), verrät uns Druck. Geht man also von der Sicht
der vergewaltigten Frau aus und betrachtet (...) Frauen, auch vergewaltigte,
als verantwortungsbewußte, urteilsfähige und selbstbewußte
Menschen, oder (wird) die Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit von Frauen
wieder den Interessen von Männern (der) Betrachtungsweise zu Grunde
gelegt. Merke: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Bei dieser
schier unglaublich einfach gestrickten Weltsicht ist das Scheitern an der
kapitalistischen Wirklichkeit vorprogrammiert in guter alter autonomer
Tradition. Der gute Mensch hier der böse Mensch und seine Welt da.
In ein paar Jahren werden die Verfasser dieser Zeilen nur noch stammeln, dass
alles so schlimm und kompliziert sei. Man kennt das zur
Genüge, weil deren idealtypisches Denkschema sich permanent dagegen
sträubt, sich an der Realität auszurichten.
Und es folgt gleich der nächste Hammer: (...) Was an der
Vergewaltigungsdiskussion fehlen würde, seien die
Interessen von Frauen. Nun, das Problem jeder halbwegs politischen
Diskussion, und das sei selbst denen zugestanden, denen bei der Beteligung an
der sogenannten Vergewaltigungsdebatte das Denken am schwersten zu fallen
scheint, ist ja wohl, dass zumindest immer der Versuch unternommen wird, vom
Konkreten zu abstrahieren. Wenn bei dieser Abstraktionsleistung für die
Autoren die Interessen der Frauen was immer das auch sein
mag nicht berücksichtigt sind, dann liegt es wohl eher daran,
daß sich die Druck-Gruppe mal ein paar mehr Gedanken zum Begriff des
Politischen machen sollte. Es steht ernstlich zu vermuten, daß das, was
dort unter Interessen von Frauen gefaßt wird, wohl weniger in
die Zuständigkeit von politischen linken Gruppen denn der Caritas, der
Heilsarmee oder von Selbsthilefgruppen fällt. Unisono mit der Vereinigung
des Weissen Ring e.V., dem Verein zur Hilfe für Opfer von
Kriminalität vermulich von dort stammt übrigens auch der
unsägliche Terminus Täterschutz (kein Witz!) wird auch in
jenes Horn getrötet, dass sich immer niemand um die Opfer kümmern
würde, sondern bloß alle um die Täter die alte Leier
jedes Stammtisches: Wenn sich nur ein Bruchteil der Gedanken, die sich um
die Situation des Täters gemacht werden, um die der Frau drehen
würden, wäre schon ein riesiger Schritt getan.
Darüber hinaus, so Druck weiter, seien alle Frauen
potentielle Opfer von Vergewaltigung. Dieser gleichmacherische, soziale
Unterschiede und Lebensumfelder leugnende Homogenierungsversuch ist weiter oben
im Text mehrfach kritisiert und widerlegt worden. Trotzdem gibt es auch tolle
Sätze, die durchschimmern lassen, dass auch die Druck-Gruppe sich noch
nicht gänzlich von dem Paradigma der Frau als individuelles plurales
menschliches gesellschaftliches Wesen verabschiedet hat: Frauen
entwickeln ganz unterschiedliche Strategien und Umgehensweisen mit der
Angst. Wer hätte das gedacht, scheinbar geht es da den Menschen wie
den Leuten.
Vergewaltigung sei, so heißt es weiter, unabhängig
vom einzelnen Täter ein strukturelles Machtmittel, um Frauen zu
unterdrücken. Wer aber, so stellt sich die Frage, setzt dieses
strukturelle Machtmittel in der Linken, unabhängig vom
einzelnen Täter ein? Die AAB vielleicht?
Dass Druck mit linken Grundsätzen nicht viel am Hut zu haben scheint,
offenbaren die folgenden Zeilen: Keine Frage, natürlich braucht es keine
objektive, allgemeingültige Definition von Vergewaltigung.
Denn, es (braucht) es sie nicht zugeben, da diese objektive
Definition von Vergewaltigung nur wieder den Zweck hätte, Dritten eine
Richtlinie, die es ihnen erlaubte, die Tat als wirkliche Vergewaltigung zu
bewerten oder als nicht so schlimm abzutun. Es tut dem Autor leid, darauf
verweisen zu müssen, dass die Linke schon immer u. a. den Zweck
hatte, Dritten eine Richtlinie vorzugeben. Daran hat sich bis heute
nichts geändert. Daß dabei allerdings einiges schief gelaufen ist,
beweist die Druck-Gruppe zwar bravourös, steht aber auf einem anderen
Blatt. Vergewaltigung, so weiß auch Druck, wird von jeder Frau
anders empfunden. Aber was ficht es unsere Helden an, daß das ja
bedeutet, daß dieselbe Situation in 99 von hundert Fällen keine
Vergewaltigung bedeuten muß, in einem Fall aber ja. Und das, wo der Mann,
der in allen 99 Fällen beteiligt war, bis dahin nichts als falsch
empfunden hat. Aber, du blöder Schwanzträger, der du eh nur mit dem
Ding zwischen deinen Beinen denken kannst, Pech gehabt, denn Druck spricht
Recht: Jeder Mensch hat eine gewisse Grundvorstellung von Vergewaltigung
(...). Diese Grundvorstellung ist nicht für alle Zeiten starr festgelegt,
sondern veränderbar (...). Tja Macker, so läuft das!
Wie schlimm alles wirklich ist, auch darüber klärt uns der Text
natürlich auf: Nicht jede From sexualisierter Gewalt wird wirklich
als Vergewaltigung, als das Schlimmste empfunden, denn sonst könnte keine
Frau in einer von Sexismus geprägten Gesellschaft leben, ohne
durchzudrehen. Merke: Es gibt keinen anderen Grund, weder
Verträglichkeit, Akzeptanz, Differenzierung, Lustempfinden,
Verführung oder sonstwas. Daß die Frau immer nur gut, edel und weise
ist, wird von Druck selbtsredend vehement verteidigt: Mit dem
Missbrauchsvorwurf, Frauen könnten außerdem jeden beliebigen
sexistischen Übergriff als Vergewaltigung benennen, wird ihnen
(den Frauen) ihre Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit abgesprochen.
Ob Druck das gerne so hätte, will der Autor besser gar nicht wissen, mit
einer einigermassen realistischen Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit
seitens der Druck-Gruppe hat das allerdings recht wenig zu tun.
Nun, aus dieser wirklich schwer-verdaulichen Lektüre zieht der Autor das
wohl einzig richtig Fazit: Bis auf weiteres kein Sex mit Leuten aus der
Druck-Gruppe, nur das scheint sicher!
(18) Um nur einige zu nennen: ihre soziale Stellung, ihre Biografie, ihr
soziales Umfeld, der Stress mit einem Typen, Verärgerung über eine
politische Gruppe etc. pp.
(19) bei aller Unterschiedlichkeit: Vielleicht ließe sich dabei gar
von der oral history der Shoa-Überlebenden etwas übernehmen.
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