von Roswitha Scholz
In der bisherigen marxo-feministischen Debatte blieb das
Verhältnis von Wertform der Ware und Geschlechterverhältnis auf der
theoretischen Meta-Ebene stets unterbelichtet. Der Wert wurde als
eine geschlechtsneutrale Kategorie und die geschlechtliche Hierarchie
bloß als sekundäres oder paralleles Verhältnis verstanden.
Demgegenüber soll im folgenden thesenhaft (und insofern notwendigerweise
unvollständig, da ohne Nachweis der Erkenntnisschritte) die Theorie der
Wert-Abspaltung dargestellt werden, die ein Versuch ist, Wert und
Geschlechterverhältnis auf derselben Abstraktionsebene als ein dialektisch
vermitteltes Gesamtverhältnis zu begreifen. Dabei schließe ich
einerseits an die Gesellschaftstheorie Adornos und andererseits an die
Wertkritik der Krisis-Gruppe an, insbesondere an deren kategoriale
Kritik des Arbeitsbegriffs. Diese theoretischen Positionen sollen durch die
Theorie der Wert-Abspaltung im Sinne einer Kritik des Androzentrismus gewendet
werden, um zu einer kritischen Meta-Theorie zu gelangen, die auch analytische
Kraft für die (postmodernen) Zeitverhältnisse beanspruchen kann.
1. Das asymmetrische Geschlechterverhältnis ist in
theoretischer Hinsicht m.E. beschränkt auf die Moderne zu untersuchen.
Dies soll nicht heißen, daß dieses Verhältnis keine Geschichte
hat; allerdings nimmt es erst mit der Verallgemeinerung der Warenproduktion
eine gänzlich neue Qualität an. Frauen sollen nun primär
für den minderbewerteten Reproduktionsbereich, Männer für die
Produktionssphäre, die Öffentlichkeit (Wirtschaft, Politik,
Wissenschaft) zuständig sein. Ich widerspreche damit allen Auffassungen,
die das Geschlechterverhältnis im Kapitalismus letzten Endes als
vorkapitalistischen Rest sehen. So taucht etwa die Kleinfamilie, wie wir sie
kennen, erst im 18. Jhd. auf; ebenso bildet sich die gesellschaftliche
Aufspaltung in eine öffentliche und eine private Sphäre in unserem
Sinne erst seit der Neuzeit heraus. Nicht bloß die Wertvergesellschaftung
als solche nahm in diesem Zeitraum ihren historischen Lauf, sondern es kam
dabei vielmehr eine geschlechtliche Dynamik der gesellschaftlichen
Verhältnisse in Gang, deren Grundprinzip die Wert-Abspaltung ist.
2. Mit Wert-Abspaltung ist dabei im Kern gemeint, daß
bestimmte Reproduktionstätigkeiten, aber auch damit verbundene
Gefühle, Eigenschaften, Haltungen (Emotionalität, Sinnlichkeit,
Fürsorglichkeit u.ä.) vom Wertverhältnis, dem System der
abstrakten Arbeit, abgespalten und zum weiblichen
Lebenszusammenhang gemacht werden. Diese weiblichen
Reproduktionstätigkeiten haben so einen anderen Charakter als die
abstrakte Arbeit und können deshalb nicht einfach unter den Arbeitsbegriff
subsumiert werden. Sie sind gewissermaßen der Schatten, den der Wert
wirft, und der durch das Marxsche Begriffsinstrumentarium nicht erfaßt
werden kann. Sie sind notwendig mit dem Wert gesetzt, gehören notwendig zu
ihm, andererseits befinden sie sich jedoch außerhalb desselben und sind
dessen Voraussetzung. In diesem Zusammenhang übernehme ich von F. Haug die
Erkenntnis, daß es im Kapitalismus einerseits eine abstrakte
Zeitsparlogik gibt, die prinzipiell der Produktionssphäre (der
betriebswirtschaftlichen Vernutzungslogik entsprechend) zuzuordnen ist, und
andererseits eine Logik der Zeitverausgabung, die dem
weiblichen Reproduktionsbereich entspricht. Im Gegensatz zu Haug,
die noch wesentlich im altmarxistischen Kontext argumentiert (vgl. Haug, 1996),
sehe ich darin jedoch eine kategoriale Kritik des positiven marxistischen
Arbeitsbegriffs angelegt, der eben gerade nicht für die abgespaltene Logik
der Zeitverausgabung eingeklagt werden kann.
Wert (abstrakte Arbeit) und Abspaltung stehen so in einem dialektischen
Verhältnis zueinander. Das eine kann nicht aus dem anderen subsumierend
abgeleitet werden, sondern beide Momente eines
geschlechtlich-gesellschaftlichen Gesamtverhältnisses gehen auseinander
hervor. Insofern kann die Wert-Abspaltung auch als übergeordnete Logik
begriffen werden, die über die warenförmigen Binnenkategorien
hinausgeht. Exakt in diesem Sinne ist sodann ein kritisches
Meta-Verständnis von kapitalistischer Vergesellschaftung zu gewinnen und
nicht allein über den Wert und dessen Binnenstruktur
(Wertform-Ableitungen).
Betont werden muß dabei jedoch, daß die scheinbar unmittelbar
gegebene Sinnlichkeit, persönliche Zuwendung usw. im Reproduktionsbereich,
die Vermittlung des Konsums und die damit verbundenen Tätigkeiten ebenso
wie die Bedürfnisse, die hier befriedigt werden, selbst historisch
gewordene Momente sind. Sie dürfen nicht als unmittelbar-natürliche
mißverstanden werden, auch wenn Essen, Trinken, Lieben usw. nicht nur in
Symbolisierungen aufgeht, wie dies Vulgärkonstruktivismen behaupten.
Die Kategorien zur Kritik der politischen Ökonomie reichen jedoch noch in
anderer Hinsicht nicht aus. Die Wert-Abspaltung impliziert auch ein
spezifisches (sozial-)psychologisches Verhältnis. Bestimmte
minderbewertete Eigenschaften (Sinnlichkeit, Emotionalität, Verstandes-
und Charakterschwäche etc.) werden der Frau zugeschrieben und
von der männlich-modernen Subjektivität abgespalten. Umgekehrt haben
sich auch Frauen nicht selten selber mit diesen Zuordnungen identifiziert.
Derartige geschlechtsspezifische Zuschreibungen charakterisieren wesentlich die
symbolische Ordnung des warenproduzierenden Patriarchats. Es gilt also,
über den sozial-ökonomischen Zusammenhang hinaus sowohl die
sozialpsychologische als auch die kulturell-symbolische Dimension zu
berücksichtigen. Gerade auch auf diesen Ebenen erweist sich die
Wert-Abspaltung als Formprinzip des warenproduzierenden Patriarchats.
3. Dabei gehe ich (wiederum mit F. Haug) davon aus, daß das
warenproduzierende Patriarchat als ein bestimmtes
Zivilisationsmodell aufzufassen ist, modifiziere ihre
Überlegungen allerdings gemäß der Wert-abspaltungsthese (vgl.
Haug, 1996, S. 229 ff.). Wie im Grunde hinlänglich bekannt, zeichnet sich
die symbolische Ordnung des warenproduzierenden Patriarchats demnach durch
folgende Annahmen aus: Politik und Ökonomie sind dem Mann zugeordnet;
männliche Sexualität wird z.B als subjekthaft, aggressiv, gewaltsam
u.ä. angenommen; Frauen firmieren dagegen als Objekt, als reine
Körper. Der Mann wird so als Mensch/Geistmann/Körperüberwinder
gesehen, die Frau dagegen als Nichtmensch, als Körper. Der Krieg ist
männlich konnotiert, Frauen dagegen gelten als friedfertig, passiv,
willenlos, geistlos. Männer müssen nach Ruhm, Tapferkeit,
unsterblichen Werken streben. Frauen obliegt die Sorge um die Einzelnen wie
für die Menschheit. Dabei werden ihre Taten gesellschaftlich
minderbewertet und in der Theoriebildung vergessen, wobei in der Sexualisierung
der Frau ihre Unterordnung unter den Mann beschlossen liegt und ihre
gesellschaftliche Marginalisierung eingeschrieben ist. Der Mann wird als Held
und als werktätig gedacht. Dabei muß Natur produktiv unterworfen,
beherrscht werden. Der Mann befindet sich ständig im Wettstreit mit
anderen. Diese Vorstellung bestimmt auch die Vorstellungen von der modernen
Gesellschaft insgsamt.
Mehr noch: Leistungsfähigkeit- und willigkeit, rationelle,
wirtschaftliche, effektive Zeitverausgabung bestimmen das
Zivilisationsmodell auch in seinen objektiven Strukturen als
Gesamtzusammenhang, in seinen Mechanismen, seiner Geschichte, wie in den
Handlungsmaximen der Individuen. Insofern könnte auch etwas
reißerisch und zugespitzt formuliert werden: Der Wert ist der Mann. Das
warenproduzierende Zivilisationsmodell hat somit Frauenunterdrückung, die
Marginalisierung von Frauen sowie damit gleichzeitig eine Vernachlässigung
des Sozialen und der Natur zur Voraussetzung. Somit sind Subjekt-Objekt,
Geist-Natur, Herrschaft-Unterwerfung, Mann-Frau typische Dichotomien,
antagonistische Gegensätze des warenproduzierenden Patriarchats.
Festzuhalten gilt dabei ebenfalls: Abstrakte Arbeit, Hausarbeit und
einschlägige Kulturmuster von Männlichkeit und Weiblichkeit bedingen
sich gegenseitig. Es ist unsinnig, hier zu fragen, ob zuerst die Henne oder das
Ei da war. Auf einer solchen unsinnigen Fragestellung beharren jedoch
Dekonstruktivistinnen, wenn sie darauf bestehen, daß Männlichkeit
und Weiblichkeit zunächst einmal kulturell hergestellt werden müssen,
bevor eine geschlechtliche Verteilung von Tätigkeiten erfolgt (vgl.
Gildemeister/Wetter, 1992, S. 214 ff.), aber auch F. Haug, wenn sie umgekehrt
in ontologisierender Weise annimmt, daß sich im Laufe der
(Menschheits-)Geschichte an die geschlechtliche Arbeitsteilung, die im Grunde
als Basis gedacht ist, kulturelle Bedeutungen heften (vgl. Haug, 1996, S. 127
f.).
4. Demnach kann auch nicht gemäß dem traditionellen
Basis-Überbau-Schema davon ausgegangen werden, daß die materielle
Ebene der geschlechtlichen Arbeitsteilung den Primat hat. Vielmehr sind das
materielle, das kulturell-symbolische und das sozialpsychologische Moment auf
derselben Relevanzebene anzusiedeln. Die kulturellsymbolische Dimension, wie
sich kollektive Vorstellungen darüber herausbilden, was Männer und
Frauen sind, erschließt sich z.B. über Diskursanalysen in
Anschluß an Foucault (so etwa in den Arbeiten von Hilge Landweer, Claudia
Honegger und Barbara Duden); die (sozial)psychologische Seite des Mann-Seins,
Frau-Seins und Werdens der kapitalistisch-patriarchalen Individuen
läßt sich mit einem psychoanalytischen Instrumentarium erfassen.
Überhaupt geht es darum, sowohl die Beschränkungen der verschiedenen
Ansätze (z.B. das behavioristische Menschenbild, den Positivismus und die
Machtontologie bei Foucault) aufzuzeigen, als auch gleichzeitig ihrer
objektiven Berechtigung nachzukommen, die sie in einer verdinglichten,
disparaten und fragmentierten Gesellschaft haben. Es kann also nicht um ein
ableitungslogisches Vorgehen bei der Integration der verschiedenen Ansätze
gehen. Gerade in der Postmoderne müssen entsprechende
Zwangsvereinheitlichungen mit Adorno in Frage gestellt werden. Vielmehr ist es
notwendig, zu synthetisieren ohne eindimensional zu
systematisieren, wie die Adorno-Schülerin Regina Becker-Schmidt
richtig sagt, ohne daß die erkenntnistheoretischen Prämissen
gleichgemacht werden; ansonsten ist Becker-Schmidt mit ihrer falschen
Ontologisierung des Tausches und damit des hierarchischen
Geschlechterverhältnisses allerdings weit von der Theorie der
Wert-Abspaltung entfernt (Becker-Schmidt, 1987, S. 214).
5. Im warenproduzierenden modernen Patriarchat bilden sich
wie schon gesagt ein öffentlicher Bereich, der seinerseits
verschiedene Sphären umfaßt (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft
usw.), und ein Privatbereich heraus, wobei Frauen in erster Linie dem
Privatbereich zugeordnet werden. Diese verschiedenen Bereiche sind einerseits
relativ autonom, auf der anderen Seite bedingen sie sich aber wechselseitig
(dem allgemeinen Wert-Abspaltungsverhältnis entsprechend). Entscheidend
ist nun, daß die Privatsphäre nicht als eine bloße Emanation
des Werts angesehen werden kann, sondern eben ein abgespaltener
Bereich ist. Die Wertvergesellschaftung braucht eine Sphäre, in die
Tätigkeiten, wie Hege, Pflege, Liebe abgeschoben werden, und
die der Wertlogik/Zeitsparlogik mit deren Moral von Konkurrenz, Profit,
Leistung entgegengesetzt ist. Aus diesem Verhältnis zwischen
Privatsphäre und öffentlichem Bereich ist auch die Existenz von
männerbündischen Strukturen zu erklären, die sich auf den Affekt
gegen das Weibliche gründen. So sind Staat und Politik
über die Prinzipien von Freiheit, Gleicheit,
Brüderlichkeit seit dem 18. Jahrhudert männerbündisch
konstituiert.
Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß das Patriarchat
säuberlich getrennt in den solcherart aufgespaltenen Sphären
sitzt. Frauen waren schon immer auch z.B. im Erwerbsbereich
tätig. Dennoch zeigt sich die Abspaltung auch hier, sind Frauen in den
öffentlichen Sphären als minderbewertete situiert, verdienen sie
weniger als Männer, ist ihnen der Weg in obere Etagen weithin versperrt
usw. All dies verweist auf die Wert-Abspaltung als Formprinzip auf einem
entsprechend hohen Abstraktionsniveau, d.h. das Wirken der Wert-Abspaltung geht
durch alle Ebenen und Bereiche, also auch durch die verschiedenen Bereiche der
Öffentlichkeit.
6. Somit verbietet sich ein identitätslogisches Vorgehen in
doppelter Hinsicht sowohl die Übertragung (Rückprojektion) von
Mechanismen, Strukturen, Merkmalen des warenproduzierenden Patriarchats auf
nichtwarenproduzierende Gesellschaften als auch ein In-Eins-Setzen
verschiedener Ebenen, Sphären, Bereiche im warenproduzierenden Patriarchat
selbst, das von qualitativen Unterschieden absieht. Dabei ist von der
Basisstruktur der Wert-Abspaltung auszugehen, die mit einem
identitätslogischen Denken korrespondiert, und nicht bloß vom
Wert als solchem. Denn entscheidend ist nicht einfach, daß es
unter Absehen von verschiedenen Qualitäten das gemeinsame
Dritte (die durchschnittliche Arbeitszeit, die abstrakte Arbeit) ist, die
gewissermaßen hinter der Äquivalenzform des Geldes steht, sondern
daß der Wert es seinerseits noch einmal nötig hat, die Hausarbeit,
das Lebensweltliche, das Sinnliche, Emotionale, Nicht-Begriffliche,
Nicht-Eindeutige, als minderwertig zu betrachten und abzuspalten.
Dabei ist die Abspaltung des Weiblichen jedoch nicht deckungsgleich mit dem
bloß Nicht-Identischen bei Adorno; stattdessen stellt sie eben die
dunkle Rückseite des Werts selber dar. Damit ist die
Abspaltungsform allerdings Voraussetzung dafür, daß das Kontingente,
Nicht-Regelhafte, das Nicht-Analytische, mit wissenschaftlichen Mitteln nicht
Erfaßbare in den männlich dominierten Bereichen von Wissenschaft,
Ökonomie und Politik weithin unterbelichtet bleibt; also ein
klassifizierendes Denken federführend ist, das nicht die besondere
Qualität, die Sache selbst in Augenschein nehmen kann und damit
einhergehende Differenzen, Brüche, Ambivalenzen, Ungleichzeitigkeiten usw.
wahrnehmen und auszuhalten vermag.
Umgekehrt bedeutet dies für die vergesellschaftete
Gesellschaft, um hier eine Formulierung Adornos zu verwenden, allerdings
genauso, daß die genannten Ebenen und Bereiche nicht bloß als
reale irreduzibel aufeinander bezogen werden müssen, sondern
gleichermaßen, daß sie in ihrer objektiven inneren
Verbundenheit eben gemäß der basalen Ebene der
Wert-Abspaltung als Formprinzip der gesellschaftlichen Totalität, das
Gesellschaft überhaupt sowohl auf der Wesens- als auch auf der
Erscheinungsebene konstituiert betrachtet werden müssen. Dabei
weiß die Theorie der Wert-Abspaltung zugleich immer auch um ihre Grenzen
als Theorie.
7. Dementsprechend darf wiederum keine lineare Betrachtungsweise
gewählt werden, wenn es um die warenförmig-patriarchale Entwicklung
in den verschiedenen Weltregionen geht. Diese Entwicklung hat nicht in allen
Gesellschaften in derselben Weise stattgefunden, bis hin zu (vormals)
geschlechtssymmetrischen Gesellschaften, die die modernen
Geschlechtervorstellungen bis heute nicht bzw. nicht gänzlich
übernommen haben (vgl. z.B. Weiss 1995). In diesem Zusammenhang muß
auch berücksichtigt werden, daß sich das Geschlechterverhältnis
und die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit selbst innerhalb
der abendländisch-modernen Geschichte nicht immer gleich darstellen. Erst
im 18. Jhd. bildete sich das moderne System der
Zweigeschlechtlichkeit (Carol Hagemann-White) heraus und kam es zu einer
Polarisierung der Geschlechtscharaktere (Karin Hausen); vorher
wurden Frauen dagegen eher als gewissermaßen bloß
andere Variante des Mann-Seins betrachtet.
Deshalb wird in den Sozial- und Geschichtswissenschaften neuerdings auch von
der Institution eines Ein-Geschlechtmodells in vorbürgerlichen
Zeiten ausgegangen. So sah man etwa in der Vagina einen nach innen
gestülpten Penis (Laquer, 1996).
Obwohl Frauen auch damals als minderwertig galten, hatten sie über
informelle Wege noch viele Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen, solange
sich eine moderne Öffentlichkeit im großen Maßstab noch nicht
herausgebildet hatte. Der Mann hatte in vormodernen Gesellschaften eher eine
symbolische Vorrangsstellung, wie Heintz/Honegger zeigen. Frauen wurden noch
nicht ausschließlich als Hausfrau und Mutter definiert, wie dies ab dem
18. Jhd. der Fall war. Der weibliche Beitrag zur materiellen Reproduktion wurde
in agrarischen Gesellschaften ähnlich wichtig erachtet wie der des Mannes
(vgl. Heintz/Honegger, 1981).
War das moderne Geschlechterverhältnis mit den entsprechenden polaren
Geschlechterzuweisungen zunächst auf das Bürgertum beschränkt,
so breitete es sich mit der Verallgemeinerung der Kleinfamilie allmählich
auf alle Klassen und Schichten aus; mit einem letzten Schub der fordistischen
Entwicklung in den 50er Jahren.
Die Wert-Abspaltung ist somit keine starre Struktur, wie sie bei manchen
soziologischen Strukturmodellen anzutreffen ist, sondern ein Prozeß. Sie
ist also nicht als statisch und als immer dieselbe zu begreifen. In der
Postmoderne zeigt sie wiederum ein neues Gesicht. Frauen gelten nun als
doppelt vergesellschaftet, wie Becker-Schmidt sagt, d.h. sie sind
für Familie und Beruf gleichermaßen zuständig, auch in
biographischer Versetzung. Das neue daran ist jedoch nicht dieses Faktum
schlechthin (ein großer Teil von Frauen war auch früher schon
irgendwie berufstätig), sondern daß diese Tatsache im Zuge der
Veränderungen in den letzten Jahrzehnten und die damit einhergehenden
strukturellen Widersprüche nun auffallen.
Dabei muß prinzipiell von einer Dialektik zwischen Individuum und
Gesellschaft ausgegangen werden: die Individuen gehen einerseits niemals in den
objektiven Strukturen und den Vorstellungen der symbolischen Ordnung auf,
andererseits wäre jedoch auch die Annahme verfehlt, daß diese
Strukturen und kulturellsymbolischen Deutungsmuster ihnen bloß
äußerlich gegenüberstehen. Schließlich konstituieren die
Individuen diese gesellschaftlich-kulturellen Strukturen selbst mit, auch wenn
sie ihnen dann als verselbständigtes System gegenübertreten so
geraten die Widersprüche der doppelten Vergesellschaftung mit
einer Differenzierung der Frauenrolle im Zuge von Individualisierungstendenzen
in der Postmoderne erst voll ins Blickfeld.
Demgemäß ist die Frau, die alles will, heute längst
fester Bestandteil der Werbung. Diskursanalysen von zeitgenössischen
Filmen, Werbung, Romanen usw. würden wohl ergeben, daß Frauen
längst nicht mehr bloß als Hausfrau und Mutter gesehen werden.
Deshalb ist es übrigens nicht nur müßig, sondern sogar
höchst fragwürdig, wenn etwa Judith Butler den modernen
Geschlechterdualismus dekonstruieren zu müssen glaubt. Sie sieht in der
internen Subversion der Geschlechterdichotomie durch wiederholende
parodistische Praktiken, wie sie in schwulen und lesbischen Subkulturen
anzutreffen sind, eine Möglichkeit, die Geschlechtsidentität radikal
unglaubwürdig zu machen (vgl. Butler, 1991). Das Problem dabei ist jedoch,
daß etwas karikierend unglaubwürdig gemacht werden soll, das
längst obsolet ist. Es haben längst Realdekonstruktionen
stattgefunden, ablesbar etwa an der doppelten Vergesellschaftung
von Frauen, aber auch an der Kleidung, dem Habitus von Männern und Frauen
u.ä., ohne daß jedoch und das ist entscheidend die
Geschlechterhierarchie deswegen prinzipiell verschwunden wäre. Es hat
keine Aufhebung der basalen Wert-Abspaltungsform stattgefunden, sondern nur
eine Fragmentierung und Individualisierung. Anstatt daß Butler die
modernen und die postmodernen Geschlechtervorstellungen in Frage stellt,
affirmiert sie bloß die schlechte postmoderne
(Geschlechter)realität. Das rein kulturalistische Konzept gibt so keine
Antwort auf aktuelle Fragen. Vielmehr wird das eigentliche Problem des
hierarchischen Geschlechterverhältnisses in der Postmoderne, das sich
nicht zuletzt in der (pseudo)zwittrigen Frau zeigt, im Grunde mit progressiver
Attitüde als Lösung kredenzt.
8. Entscheidend bei der Bestimmung des postmodernen
Geschlechterverhältnisses ist es nun, auf einer Dialektik zwischen Wesen
und Erscheinung zu bestehen; d.h. Veränderungen des
Geschlechterverhältnisses müssen selbst aus Mechanismen und
Strukturen der Wert-Abspaltung verstanden werden, die als Formprinzip weiterhin
alle gesellschaftlichen Bereiche und Ebenen bestimmt. Dabei untergraben vor
allem die Produktivkraftentwicklung und die Marktdynamik, die eben selbst auf
der Wert-Abspaltung in diesem Sinne beruhen, ihre eigene Voraussetzung, indem
sie bewirken, daß Frauen sich ein gutes Stück von ihrer
traditionellen Rolle entfernen. So wurden seit den 50er Jahren immer mehr
Frauen in den Erwerbsprozeß eingebunden, u.a. bedingt durch
Rationalisierungsprozesse im Haushalt, die Möglichkeit zur Verhütung
usw. So haben Frauen mit den Männern bildungsmäßig
gleichgezogen und es kann beobachtet werden, daß auch Mütter
zunehmend berufstätig sind usw. (vgl. Beck, 1986, S. 174 ff.). Insofern
hat freilich auch die doppelte Vergesellschaftung gegenüber
früheren Zeiten eine Veränderung erfahren. Sie gibt nun das
gesellschaftliche Leitbild auf einem höheren Niveau ab, auch für das
Identitätsverständnis der Frauen selbst.
Obwohl also Frauen erheblich stärker in die offizielle
Gesellschaft integriert worden sind, sind sie dennoch immer noch primär
für Haushalt und Kinder zuständig; und an ihrer subalternen,
minderbezahlten usw. Stellung innerhalb der öffentlichen Sphären hat
sich durch ihre verstärkte Einbeziehung in dieselbe ebenfalls nichts
geändert. Die Wert-Abspaltungsstruktur hat sich somit gewandelt, sie ist
aber prinzipiell noch da. In diesem Zusammenhang spricht einiges dafür,
daß wir vermutlich wieder auf ein Ein-Geschlechtmodell
zugehen (Frauen sind Männer, nur anders), das allerdings durch den
klassisch-modernen Wert-Abspaltungsprozeß hindurchgegangen ist; es hat
somit ein anderes Gesicht als das Ein-Geschlechtmodell in
vormodernen Zeiten (vgl. Hauser, 1986).
Die alten Geschlechterverhältnisse sind dem Turbo-Kapitalismus
mit seiner rigorosen Flexibilitätsanforderung nicht mehr angemessen; es
kommt zur Ausbildung von Zwangs-Flexi-Identitäten, die sich
geschlechtsspezifisch jeweils anders darstellen (vgl. etwa Schultz, 1994). Das
alte Frauenbild ist obsolet, die doppelt vergesellschaftete Frau steht auf der
Tagesordnung.
Mehr noch: Neuere Analysen zum Thema Globalisierung und
Geschlechterverhältnis legen die Schlußfolgerung nahe,
daß nach einer Zeit, in der es so scheinen konnte (oder auch
tatsächlich so war), als hätten sich Frauen systemimmanent immer mehr
Freiräume und Chancen ergattert, im Zuge von Globalisierungsprozessen eine
Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats im Weltmaßstab kommt,
wobei freilich auch hier die verschiedenen gesellschaftlich-kulturellen
Kontexte in verschiedenen Weltregionen berücksichtigt werden
müssen.
Für einen großen Teil der Bevölkerung auch hierzulande bedeutet
dies, daß sie vermutlich in Verhältnissen leben werden, wie wir sie
aus den (Schwarzen-)Ghettos in den USA oder den Slums aus Drittweltländern
kennen: Frauen sind für Geld und (Über)leben zuständig. Sie
werden zunehmend in den (Welt-)markt integriert, ohne eine Chance zur eigenen
Existenzsicherung zu bekommen. Sie ziehen die Kinder unter Heranziehung von
weiblichen Verwandten und Nachbarinnen auf. Die Männer kommen und gehen,
hangeln sich von Job zu Job und von Frau zu Frau, die sie womöglich noch
miternährt. Der Mann hat nicht mehr die Rolle des Familienernährers
(vgl. Schultz, 1994). Weil keine Bewegungen mit emanzipativem Anspruch
existieren, kommt es zu keiner Aufhebung der traditionellen
Geschlechterverhältnisse, des Werts, der abstrakten Arbeit, der Hausarbeit
usw., sondern die Wert-Abspaltung löst sich gewissermaßen bloß
aus den starren institutionellen Halterungen der Moderne.
Gerade insofern verwildert das warenproduziernde Patriarchat unter
prinzipieller Beibehaltung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses.
In diesem Zusammenhang nimmt auch die (männliche) Gewalt auf den
verschiedensten sozialen Ebenen zu. Damit steht freilich das
westlich-patriarchale Zivilisationsmodell prinzipiell zur Disposition.
Es kommt dabei natürlich auch zu Veränderungen in der psychischen
Befindlichkeit von Frauen. In der Postmoderne bildet sich ein
gleichgeschlechtlicher Gefühlscode heraus, der dem alten
Code der Männer entspricht, wie Kornelia Hauser in dem bereits
erwähnten Aufsatz im Anschluß an Arlie Hochschild konstatiert
(Hauser, 1996, S. 21) allerdings im Kontext von Einschätzungen, die
im Gegensatz zu der meinen optimistisch sind. Dennoch müssen auch hier die
alten Affektstrukturen nachwirken, käme es andernfalls doch nicht
weiterhin zur Übernahme von Reproduktionstätigkeiten durch Frauen
auch noch in postmodernen Ein-Geschlecht-Verhältnissen.
Zwar klagt der Turbokapitalismus geschlechtsspezifische
Flexi-Zwangsidentitäten ein, andererseits kann jedoch nicht davon
ausgegangen werden, daß das dementsprechende postmoderne
Ein-Geschlecht-Modell für den gegenwärtigen Kapitalismus einfach
bloß funktional ist; dreht er doch selber gleichzeitig zunehmend durch
und zerstört seine eigene irrationale Rationalität im Kollaps
der Modernisierung (Robert Kurz). Die doppelte Vergesellschaftung der
individualisierten Frau ist unter diesem Aspekt höchstens in einem
paradoxen Sinne als Funktionalität des warenproduzierenden Patriarchats in
seinem Verfall zu sehen.
So werden z.B. Selbsthilfegruppen in der Dritten Welt vor allem von Frauen
getragen, wobei gesagt werden muß, daß generell
Reproduktionstätigkeiten in Zeiten der Just-in-time-Orientierung noch mehr
ins Hintertreffen geraten als vorher. Sie werden gewissermaßen als
gesellschaftlicher Restmüll vor allem den doppelt belasteten Frauen
zugewiesen (vgl. Schultz, 1994).
9. Manche halten nun die von mir geforderte Spannung zwischen
Wesen (der Wert-Abspaltung) und Erscheinung (der Veränderungen des
Geschlechterverhältnis in der Postmoderne, wie ich sie skizziert habe)
nicht aus, wenn sie wie etwa Christel Dormagen kurzerhand die
Gegenwartsdiagnose Patriarchat ade stellen und dabei positivistisch
verkürzt der (auch weiblichen) Wohlstands-Individualisierung in den
Metropolen bis zu den 90er Jahren, also der Erscheinungsebene, auf den Leim
gehen (Dormagen, 1994).
Zur Diagnose der Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne
bei einer weiteren Verschlechterung der ökonomischen Lage können sie
so nicht kommen. Die Folie für derartige Einschätzungen stellt im
Grunde immer noch die 50er Jahre-Hausfrau als Kontrastpunkt dar; eine
adäquate Analyse des postmodernen Geschlechterverhältnisses
unterbleibt.
Mir geht es stattdessen darum, vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltungsform
sowohl das moderne als auch das postmoderne Geschlechterverhältnis einer
Kritik zu unterziehen und aufzuzeigen, daß kein Weg an der
grundsätzlichen Kritik der basalen Struktur und damit des
warenproduziernd-patriarchalen Zivilisationsmodells überhaupt
vorbeiführt; eine Kritik, die in einer rein soziologistischen Betrachtung
des Geschlechterverhältnissis nicht aufgeht, geschweige denn in einem
partikularen Interessenstandpunkt von Frauen. In diesem
Zusammenhang könnten Frauen jetzt mal rein fiktiv noch so
viel systemimmanente Gleichheit in einem empirischen Sinn erreicht
haben, all dies würde die Kritik an der Wert-Abspaltungsform als negativer
Totalität nicht aushebeln. Es ist m.E. pervers, wenn die Welt
ringsherum zusammenbricht, die Emanzipationschancen von Frauen im
Zuge der Globalisierung zu beschwören, wie dies manche Genderforscherinnen
tun, denen es völlig egal ist, daß diese Chancen sich
immer schon nur in extremen Gewinner-Verlierer-Verhältnissen darstellen,
also innerhalb des zerfallenden warenproduzierendpatriarchalen Systems mit
seiner destruktiven Dynamik für Mensch und Natur.
Literatur:
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt
a.M., 1986.
Becker-Schmidt, Regina: Frauen und Deklassierung. Geschlecht und Klasse. In:
Geschlecht Klasse. Feministische Gesellschaftsanalyse und
Wissenschaftskritik, Bielefeld, 1987, 214 167.
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M., 1991.
Dormagen, Christel: Mond und Sonne. Über die Aufhebung der Geschlechter,
Hamburg, 1994.
Gildemeister, Regine/Wetterer, Angelika: Wie Geschlechter gemacht werden. Die
soziale Reifizierung von Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der
Frauenforschung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Angelika (Hrsg.):
Traditionen Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Freiburg
i.Br., 1992, 201 255.
Haug, Frigga: Knabenspiele und Menschheitsarbeit. Geschlechterverhältnisse
als Produktionsverhältnisse. In: Haug, Frigga: Frauen-Politiken, Berlin;
Hamburg, 1996, 125 155.
Hauser, Kornelia: Die Kulturisierung der Politik. Anti-Political-Correctness
als Deutungskämpfe gegen den Feminismus. In: Bundeszentrale für
politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur
Wochenzeitung Das Parlament, Bonn, 17. Mai 1996, 15 21.
Heintz, Bettina/Honegger, Claudia: Zum Strukturwandel weiblicher
Widerstandsformen im 19. Jahrhundert. In: Heintz, Bettina, Honegger, Claudia
(Hrsg.): Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher
Widerstandsformen, Frankfurt a.M., 1981, 7 69.
Laquer, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von
der Antike bis Freud, München, 1996.
Schultz, Irmgard: Der erregende Mythos vom Geld. Die neue Verbindung von Zeit,
Geld und Geschlecht im Ökologiezeitalter, Frankfurt M., 1994.
Weiss, Florence: Zur Kulturspezifik der Geschlechterdifferenz und des
Geschlechterverhältnisses. Die Iatmul in Papua-Neuguinea. In:
Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun-Axeli (Hrsg.): Das
Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Frankfurt
a.M., 1995, 47 85.
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