Die Klärung, was eine Vergewaltigung ist, braucht einen Rahmen, der
veränderbar ist.
Wir wollen vorwegnehmen, daß wir unsere Position als einen Standpunkt
innerhalb eines, von uns im folgenden eingeforderten Diskussionsprozesses
verstehen. Nichts ist uns lieber, als uns von besseren Argumenten
überzeugen zu lassen, doch momentan vermissen wir Argumente, ja generell
eine Diskussion, die diesen Namen verdient, innerhalb der bundesweiten
Antifazusammenhänge. Zumindest kann es nicht der Weisheit letzter
Schluß sein, zum Definitionsrecht ja und amen zu sagen und sich daraufhin
stets auf der Sonnenseite der antisexistischen Gruppen zu wähnen. Wir
fordern eine Diskussion, welche sich mit allen Formen des Sexismus
auseinandersetzt. Erst dadurch wird eine Debatte möglich, wie sexistisches
Verhalten generell innerhalb der Antifaszene leichter öffentlich gemacht
werden kann und wie dieses sanktioniert werden soll. Wir versuchen mit diesem
Papier eine (für uns erste) Begriffsbestimmung des Definitionsrechts.
Dieses Diskussionspapier ist erst nach der Einforderung unseres Standpunktes
zum Definitionsrecht durch das BAT entstanden. Es soll hier nicht verschwiegen
werden, daß eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Thema bis dato
im BgR nicht geführt wurde.
Des öfteren wurden wir in der Vergangenheit auf unsere Zusammenarbeit mit
der AAB angesprochen, die wir trotz des Täterschutzvorwurfes
fortführen. Diese Zusammenarbeit soll ihre Begründung finden.
Zum Definitionsrecht der Frau im Falle einer Vergewaltigung
Im Folgenden wird von unseren Vorschlägen zum Umgang mit sexistischen
Herrschaftsmechanismen innerhalb der linksradikalen Szene die Rede sein,
insbesondere vom möglichen Umgang mit einer ihrer extremsten Ausformungen,
der Vergewaltigung. Opfer von Vergewaltigungen sind in den allerhäufigsten
Fällen Frauen. Wir halten an der Sprachweise fest, derzufolge Frauen
vergewaltigt werden und Männer vergewaltigen. Die Rede von TäterInnen
und (geschlechtsneutralen) Opfern findet keine Entsprechung in der
Realität, in welcher es die Frau ist, die unterdrückt und beherrscht
wird. Es sind die männerbeherrschten gesellschaftlichen Verhältnisse,
die es eben nicht zum Zufall machen, daß Frauen zu Opfern und Männer
zu Tätern werden, eine geschlechtsneutrale Redeweise suggeriert, eine
bloße Zufälligkeit der Verteilung, suggeriert, daß das
Täter-Opfer-Verhältnis innerhalb dieser Gesellschaft gar leicht
kippen könne.
Männliches sexistisches Verhalten beginnt nicht bei einer Vergewaltigung,
sondern durchzieht das gesamte Alltagsleben. Deswegen erscheint uns eine
alleinige Diskussion darüber, ob eine Gruppe das Definitionsrecht
anerkennt oder nicht, als viel zu kurz gegriffen. Es muß darum gehen, die
sexistischen Verhaltensweisen im Alltagsleben wie in politischen Gruppen
sichtbar zu machen und über ihre Reflexion eine Veränderung dieses
Verhaltens zu ermöglichen. Auch bei diesem alltäglichen sexistischem
Verhalten finden wir Definitions- wie Sanktionsmöglichkeiten angebracht.
Diese Sanktionsmöglichkeiten können sich aber nicht darin
erschöpfen, den Täter aus allen Szenezusammenhängen
rauszuwerfen.
Wir lehnen eine feste Definition von Vergewaltigung ab. Nichtsdestotrotz bewegt
sich das Empfinden der Frau nicht im luftleeren Raum, es ist gesellschaftlich
geprägt. Über einen über die heutigen Gesetze und
gesellschaftlichen Vorstellungen hinausgehenden Rahmen, von dem, was eine
Vergewaltigung ist, streben wir eine Diskussion an. Versuche, die Gruppen dazu
in der Vergangenheit unternommen haben, können als Ausgangspunkt dienen.
Ungeachtet ihrer inhaltlichen Schwächen weisen sie doch in die richtige
Richtung. Der angesprochene Rahmen muß veränderbar bleiben, weil
auch das Bewußtsein darüber, was Vergewaltigung ist, im
gesellschaftlichen Wandel bleibt. So galt bis vor kurzem Vergewaltigung in der
Ehe den Gesetzen nach als nicht existent, ist aber inzwischen ein anerkanntes
Faktum. Zu betonen ist aber, daß wir keineswegs eine Orientierung an
geltendem bürgerlichen Recht für notwendig erachten.
Wir halten einen Rahmen aus mehreren Gründen für notwendig. Er kann
es der betroffenen Frau erleichtern, eine Vergewaltigung öffentlich zu
machen. Auch wenn sie um ihre subjektive Empfindungen weiß und diese
durch nichts wegzureden sind, ist es für viele Frauen ungeheuer schwer,
mit dem Erlebten in die Öffentlichkeit zu gehen. Eine breite
Auseinandersetzung mit Vergewaltigung und deren Ergebnis in Form eines Rahmens
kann der betroffenen Frau den Rücken stärken und ihr ein Stück
weit Unsicherheit nehmen. Eine abstrakte geführte Diskussion, die nicht
vergessen darf, daß es sich um ein konkretes, alle betreffendes Problem
handelt, kann die Anerkennung des konkreten Falles fördern und dem
Definitionsrecht zu einer breiteren Akzeptanz verhelfen und letztendlich
Sanktionen leichter durchsetzbar machen. Für Jugendliche und ein
halbpolitisches Szeneumfeld steigt die Transparenz der bisherigen
Diskussionen, die sie allzuoft als interne Schlammschlacht wahrnehmen.
Frauen werden innerhalb der Gesellschaft strukturell unterdrückt,
sexualisierte Gewalt dient hierbei als ein Machtmittel. Infolge einer
mangelnden Auseinandersetzung mit diesem Herrschaftsverhältnis ist es in
der linken Szene kaum anders. Die Anerkennung des Definitionsrechts kann es den
betroffenen Frauen erleichtern, die Vergewaltigung öffentlich zu machen.
Wir verstehen diese Anerkennung nicht als einen emanzipativen Schritt hin zu
einer herrschaftsfreien Gesellschaft, sondern als ein strukturelles Mittel,
welches dazu dienen soll, die Situation der vergewaltigten Frau zu erleichtern.
Definitionsrecht bedeutet für uns, daß die Frau auf Grundlage des zu
diskutierenden Rahmens die Möglichkeit hat, einen Vorfall als
Vergewaltigung zu benennen. Der Aussage der Frau wird geglaubt, ohne daß
sie den Tathergang schildern muß.
Der in Diskussionen sehr gern unterstellte Mißbrauch des
Definitionsrechts läßt sich nicht generell ausschließen, doch
zeugt dieser Einwand vielmehr von der Unfähigkeit nicht weniger
Männer, Frauen als entscheidungsfähige Individuen zu sehen und von
deren Angst, ihnen könnte Macht genommen werden.
Generell finden wir es falsch, sich vorwiegend auf die Täter zu
konzentrieren und auf diese und ihre Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.
An erster Stelle hat die Situation der betroffenen Frau zu stehen. Der erste
Schritt kann deswegen nur sein, den Mann sofort aus allen
Szenezusammenhängen hinauszuwerfen, damit die betroffene Frau ihn nicht
wieder zu Gesicht bekommen muß. Auch müßte es eigentlich das
Interesse aller, nicht allein der Frauen, sein, den Täter zu sanktionieren
und den sozialen wie den politischen Umgang abzubrechen. Weitere konkrete
Hilfen für die vergewaltigte Frau und ein Umgang mit ihr sind
einzufordern, doch ist die Situation zumindest innerhalb der
gemischtgeschlechtlichen Gruppen eher von Hilflosigkeit mit betroffenen Frauen
gekennzeichnet. Wir als politische Gruppe können aber zumindest dafür
sorgen, daß die Sanktionen, die sich aus dem Definitionsrecht ergeben,
verwirklicht werden.
Zum Täter ist zu sagen, daß politische Gruppen unserer Meinung nach
keine Resozialisierungsarbeit leisten können und damit auch nicht in der
Lage sind, ihn zum Besseren zu erziehen.
Zum Umgang mit Gruppen
Bei der Vergewaltigung, welche sich im Dezember 1998 in Berlin zutrug, wurde
als Täter das mutmaßliche AAB-Mitglied Flo benannt. Im Januar 2000
erschien schließlich ein Diskussionspapier der AAB mit dem Titel
Neue Sachlichkeit, in welchem sich mit dem Definitionsrecht sowie
mit dem Vorwurf des Täterschutzes auseinandergesetzt wurde. Kritik an
diesem Papier halten wir für gerechtfertigt, es hat sehr lange auf sich
warten lassen, ist durchgehend geschlechtsneutral geschrieben und geht kaum auf
die Situation vergewaltigter Frauen ein.
Nicht gerechtfertigt ist für uns das pauschale Gruppendissing welches nach
der Veröffentlichung dieses Papiers von vielen Seiten betrieben wurde. In
Auseinandersetzungen mit politischen Gruppen ist es unabdingbar, ein
Mindestmaß an Sachlichkeit zu bewahren und vor allem Möglichkeiten
der Diskussion untereinander zu schaffen. Die AAB vertritt und vermittelt nach
außen einen emanzipatorischen Anspruch und dies läßt es uns
als gerechtfertigt erscheinen, mit ihr zu diskutieren und weiterhin mit ihr
zusammenzuarbeiten. Die Notwendigkeit zu diskutieren, sehen wir nicht nur im
Zusammenhang mit der AAB, sondern sie gilt für alle sich als links bzw.
linksradikal verstehenden Gruppen. Eine Veränderung des
Gruppenstandpunktes des Gegenübers kann nur über gemeinsame Debatten
erreicht werden, die wir auf Grundlage unseres Standpunktes führen.
Pauschale Abgrenzungserklärungen hingegen sind mit unseren Vorstellungen
eines verantwortungsvollem Umgang von politischen Gruppen untereinander nicht
vereinbar. Wir möchten uns selber ein Bild von den Meinungen der Gruppe
machen, bevor wir entscheiden, ob und wie wir mit denen in Zukunft weiter
zusammenarbeiten wollen.
Die Anerkennung des Definitionsrechtes, so wichtig und notwendig sie uns in der
hier vorgeschlagenen Form ist, ersetzt keine Auseinandersetzung mit Sexismus
und Patriarchat. Gruppen, die das Definitionsrecht ohne vorherige Diskussion
anerkennen, beschreiten den falschen Weg. Allzuleicht winkt hier die
Sonnenseite.
Bündnis gegen Rechts
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