Über einen möglichen Umgang bei einer Vergewaltigung in der Linken
Redaktion 507 meldet sich zu Wort:
A.: Also ich finde, dieser Text gehört nicht und auf gar keinen Fall
ins Heft. Er stellt erkämpfte Positionen von Frauen mal wieder in Frage.
Zur Erklärung: der Text fordert bei Vergewaltigungen eine dritte Position
als Mittler oder Gericht oder so, die beide Seiten anhört. Damit stellt er
ein Problem in die Welt, das so nicht existiert. Denn: lustigerweise wird das
nicht ausdrücklich gesagt, aber es ist deutlich zwischen den Zeilen zu
lesen. Die armen Männer werden vielleicht zu Unrecht der Vergewaltigung
beschuldigt und deshalb sollten sie vorsichtshalber nicht zu hart bestraft
werden. Jetzt sagst du, das steht ja gar nicht wörtlich drin. Aber warum
wird dann so ein Problem überhaupt erörtert? Und überhaupt: Ich
will keine Texte veröffentlichen, die blöd sind, aber zu Diskussionen
anregen. Eine Zensur findet statt!!! Trotzdem bleibt das Problem. Wie gehe ich
mit einem Text um, der einige intelligente Positionen beinhaltet, aber sonst
viel Schrott? Redaktionell eingreifen!
... ein Auszug aus den Auswahlkriterien für Texte aus Interim Nr. 507
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In der Jubiläumsausgabe der interim 500 schrieb
Eine FauenLesben Gruppe aus Berlin einen Beitrag Zur
Umgangsweise mit Vergewaltigung in gemischtgeschlechtlichen politischen
Zusammenhängen. Die in dem Beitrag angeführten Zitate stammen
fast ausschließlich von 1989 und zeigen deutlich den Stand der Diskussion
in der radikalen Linken. Gerade in der feministischen Debatte um sexuelle
Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat es in den letzten elf Jahren
Entwicklungen gegeben, deren Umsetzung wir gerne auch in unserer Szene sehen
würden.
In der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt scheint es
für viele Frauen schwer zu sein, Unterschiedlichkeit im Denken zu
akzeptieren, vielleicht noch schwerer als sonst. Hier werden Stärke und
damit politische Durchsetzungskraft zur Veränderung der Situation
betroffener Mädchen und Frauen ausschließlich aus der Gemeinsamkeit
erwartet, selbst Zweckbündnisse mit Institutionen und Personen
außerhalb eines feministischen Konsenses werden als riskant betrachtet.
Unterschiedliche Sichtweisen oder Kritik an diesem postulierten Konsens
bedeuten das Verlassen einer gemeinsamen Linie, von der allerdings unklar
bleibt, von wem oder wie sie festgelegt wurde. Sie ist in den Anfangsjahren der
feministischen Gewaltdiskussion entstanden und beansprucht
Gewohnheitsrecht."
(Dr. Kavemann, Barbara; 1995, S.13 ff)
In der von Barbara Kavemann beschriebenen Situation befinden wir uns hier und
heute, wenn es darum geht, einen Umgang mit Vergewaltigung in der
linksradikalen Szene zu finden. Das Recht auf Definitionsmacht der
Frau schwebt wie ein Damoklesschwert über jeder Diskussion. Um es
gleich zu Beginn unseres Beitrags auf den Punkt zu bringen: Wir wollen das
Definitionsrecht der Frau nicht abschaffen, wir wollen aber das Verbot
übertreten und es hinterfragen. Unserer Wahrnehmung nach umfaßt die
Definitionsmacht von Frauen drei Aspekte:
1. Eine Frau erlebt eine Situation als Vergewaltigung.
2. Das subjektive Erleben der Frau wird in eine objektive Tatsache gewandelt.
3. Der betreffende Mann wird als Vergewaltiger benannt.
The White Side
Die letzten zehn Jahre linksradikaler Politik haben Veränderungen und
unserer Meinung nach auch Bewußtseinserweiterungen mit sich gebracht, die
einem Stillstand hinsichtlich der Frage zur sexuellen Gewalt gegen Frauen und
Kinder entgegenwirken sollte. Eine Diskussion zum Thema Recht auf
Definitionsmacht der Frau bedeutet für uns nicht, einen Roll-Back
anzutreten, sondern Errungenschaften weiterzudenken.
Die Definitionsmacht der Frau, was eine Vergewaltigung ist, war eine
Errungenschaft der Frauenbewegung und ist rund dreißig Jahre alt. Sie
ging über die Vorstellungen bürgerlicher Gesetze hinaus, die
Vergwaltigung nur unter nachweislichem Zwang bei gleichzeitiger vaginaler
Penetration anerkannte. Damit wurde klar, daß es bei Vergewaltigung nicht
um sexuelle Befriedigung, sondern um Macht und Unterwerfung ging.
Vergewaltigung in der Ehe wurde Thema, sexueller Missbrauch und Täter im
engsten sozialen Umfeld wurden geoutet. Das hat den Raum eröffnet für
viele Frauen über ihre Vergewaltigungen öffentlich zu reden. Aus der
Vereinzelung heraustretend, wurde Vergewaltigung von Frauen als
gesellschaftliches Phänomen begriffen. Diese Entwicklung war aber nie ein
reibungsloser Prozeß. Meist wurden Frauen hierfür angefeindet, ihre
Aussagen in Frage gestellt. Männerkumpanei, Bedrohungen und
Täterschutz gehörten von Anfang an dazu. Das Outen von Vergewaltigern
war schon immer ein äußerst heikles Thema, bei dem Emotionen
hochgeschlagen sind, viele der Aggressionen von Männern wie von Frauen
wurden gegen die vorbringenden Frauen gerichtet. Kühle Köpfe waren
eine Seltenheit.
Diese Diskussionen haben nicht unwesentliche Schritte der Emanzipation in der
bürgerlichen Gesellschaft zur Folge gehabt. Vergewaltigung in der Ehe und
sexueller Missbrauch sind heute strafbar. In linken Zusammenhängen stand
auf Vergewaltigung Ausschluß aus allen sozialen Zusammenhängen. Wir
alle wissen, daß die Definitionsmacht eine Errungenschaft war. Viele
Veränderungen und Diskussionsprozesse wurden in Gang gesetzt, nicht
zuletzt in Liebesbeziehungen waren diese Diskussionen hilfreich für
Veränderungen.
The Black Side
Neben dieser weißen Seite, die wir eben beschrieben haben, gibt es aber
auch die schwarze und vor allem eine mit vielen Grautönen. Zunächst
die schwarze Seite das Geheimnis , über die wir nicht
sprechen dürfen, die aber viele kennen und alle ahnen.
Es hat immer wieder Fälle gegeben, bei denen mit der Definitionsmacht
unehrlich umgegangen wurde, oder sie mißbraucht wurde, aus
persönlichen oder politischen Gründen. Der Umgang mit Vergewaltigern
war in diesen Fällen in hohem Maße unehrlich. Die Folgen trafen aber
in gleicher Härte: Ausschluß des Vergewaltigers. An dieser Stelle
wird es wohl Aufschrei und Beschimpfungen geben. Wenn wir aber ehrlich sind,
wissen wir, daß es die Wahrheit ist. Wir behaupten nicht, daß das
Geheimnis ein Regelfall ist, wir sagen, es war die Ausnahme, aber auch kein
Einzelfall.
Das Outen von Vergewaltigern war immer schon schwierig, weil angstbesetzt, denn
schließlich geht es um uns selbst. Durch das Geheminis wird ohnehin
vorhandenes Mißtrauen geschürt. An dieser Stelle befinden wir uns
jetzt. Wenn in der linken Szene eine Vergewaltigung öffentlich gemacht
wird, setzen sofort Abwehrmechanismen ein. Den Frauen wird nicht geglaubt, den
Männern Täterschutz unterstellt. Vor diesem Hintergrund schlagen wir
vor, die Definitionsmacht der Frau neu zu bestimmen und möglicherwise
sogar einen erweiterten Regelkatalog zu erstellen, um eine andere Umgangsweise
zu finden.
The Gray Scale
Wir kommen damit zu den Grautönen, die den eigentlichen Konfliktstoff
bieten. Zunächst wollen wir festhalten, dass einzig und allein, die
betroffene Frau entscheiden kann, ob sie vergewaltigt worden ist oder nicht.
Wir nennen diese Entscheidung absichtlich nicht Definitionsmacht. Was eine
Vergewaltigung ausmacht, läßt sich nicht in objektive Kriterien
fassen, denn sexuelle Gewalt wird subjektiv dem sozialen Kontext entsprechend
empfunden, trotz ihrer gesellschaftlichen Realität.
Wir haben uns nach langem hin und her dennoch auf eine Definition von
Vergewaltigung geeinigt, da wir im Verlauf unserer Diskussion nicht umhin
kamen, einen Rahmen für das, was eine Vergewaltigung ausmacht, zu nennen.
Denn es besteht ein Unterschied zwischen sexuellen Übergriffen und einer
Vergewaltigung nach wie vor. Es gilt dieses festzuhalten, sowohl für die
Auswirkungen als auch für den darauffolgenden Umgang einschließlich
der Sanktionen. Hier unsere Definition:
Eine Vergewaltigung hat dann stattgefunden, wenn der Mann wissentlich gegen den
Willen der Frau seine sexuelle Befriedigung durchgesetzt hat. Diese Definition
beinhaltet für uns die entscheidende Frage nach dem wissentlichen Handeln.
Wenn eine Frau sagt, sie ist vergewaltigt worden, bedeutet der Umkehrschluss
nicht automatisch, dass der Mann ein Vergewaltiger ist. Wenn eine Frau sich
vergewaltigt fühlt, dann darf daran kein Zweifel bestehen, denn es
entspricht ihrer Realität. Es kann aber trotzdem sein, dass der Mann nicht
vergewaltigt hat, da er das Nicht-Wollen der Frau nicht erkannt hat. Wir
wissen, dass wir an dieser Stelle dünnes Eis betreten, aber wir
möchten hier dennoch vorsichtig weitergehen.
Frauen und Männer haben gleichermaßen Verantwortung beim Sex, sei es
in langjährigen Liebesbeziehungen oder beginnenden, in kurzen Affären
oder in one-night-stands. Frauen sind nicht immer nur Opfer ihrer Erfahrungen.
Sie sind in der Lage Grenzen zu ziehen, Konflikte anzusprechen und Signale zu
setzen. Ebenso müssen Männer nicht immer beim Sex wachsam sein, auch
sie haben das Recht, sich gehen zu lassen und nur bei sich zu sein. Wenn wir
wirklich Abstand nehmen wollen, von den schwarz-weißen
Opfer-Täter-Analysen, dann muss das zugestandene Recht für Frauen
auch für Männer gelten. Beim Sex sollte das Motto gelten: Alles was
gegenseitigen Spass macht, ist erlaubt !
Es kommt aber immer wieder zu Situationen, wo erst der Sex noch ok ist und
plötzlich aber, aus irgendeinem Grund, ist es vorbei. Sie kann es nicht
formulieren. Er merkt scheinbar gar nix. Stunden, Tage oder Wochen später
ein schlechter Geschmack beim Gedanken an die Nacht. Sie fühlt sich von
ihm vergewaltigt, er hätte wissen können, was bei ihr los war. Es hat
ihn nicht interessiert, er wollte nur seinen Orgasmus und für ihn war es
eine tolle Nacht. Sie fühlt sich zu Recht vergewaltigt. Ist er damit ein
Vergewaltiger? Was ist, wenn er wirklich den Moment verpasst hat, wo es
für sie gekippt ist? Wenn er es wirklich nicht gemerkt hat, weil sie ihm
was vorgespielt hat, nicht anders konnte, keine Worte fand, und aus welchen
Gründen auch immer nicht Stopp sagen konnte. Diese Situationen sind die
Grenzfälle, an denen die Konflikte losbrechen.
And what happens now?
Üblicherweise passiert in unseren Kreisen folgendes. Die Vergewaltigte
trifft sich mit ihren FreundInnen und versucht darüber zu reden, was auch
im engsten Freundeskreis sehr schwierig ist. Nach einiger Zeit werden die
FreundInnen dann den Vorfall mit weiteren FreundInnen diskutieren und
irgendwann wird sich entschieden, das Ganze öffentlich zu machen. Bis der
Vorfall öffentlich gemacht wird, sind meist einige Wochen vergangen. Der
betreffende Typ erfährt es, sei es mündlich, sei es als Flugblatt
oder Graffiti. Er ist schockiert und versucht, Kontakt mit der Frau
aufzunehmen, der aber abgelehnt wird. Stattdessen kriegt er mit, daß
sämtlich FreundInnen von ihr sich von ihm abwenden und echt schlechte
Stimmung herrscht. Er merkt, dass es Ernst ist und beginnt mit seinen eigenen
Freunden darüber zu reden. Diesen gegenüber wird er natürlich
seine Unschuld beteuern, um Solidarität zu erhalten. An diesem Punkt
folgen die Auseinandersetzungen keinem kritischen reflektierendem Muster,
sondern sie verlaufen entlang freundschaftlicher Linien. Je schlechter nun die
VertreterInnen dieser beiden Linien es schaffen, miteinander zu reden, desto
heftiger wird die Auseinandersetzung sein.
Turning the Tide
Bleibt die bislang praktizierte Definitionsmacht so wie sie ist, dann ist das
Erleben der Frau gleich einem objektivem Tatbestand, dann ist der Mann ein
Vergewaltiger und dann ist es nur folgerichtig, daß die Bekanntmachung
über Flugblättter erfolgt, also ohne den Versuch der
Auseinandersetzung, und daß Sanktionen eingefordert werden.
Wir wollen nicht, daß die Entwicklung der letzten zehn Jahre an der
Sexismus-Debatte haltmacht. Auch in der Sexismusfrage muß die Aufhebung
von schwarz-weiß Strukturen und dualistischen Opfer-Täter
Perspektiven ein Ziel sein. Damit ist die von uns geforderte Umdeutung der
Definitionsmacht kein Roll-Back, sondern ein Weiterdenken
dekonstruktivistischer Ideen. Für uns bedeutet es, daß das
subjektive Erleben der Frau respektiert und gewürdigt wird und somit eine
geäußerte Vergewaltigung nicht in Frage gestellt wird. Für uns
gibt es allerdings keinen automatischen Wandel von der subjektiven Wahrnehmung
in eine objektive Realität. Es muß vielmehr eine Prüfung und
kritische Auseinandersetzung sowohl mit der Frau wie mit dem Mann erfolgen.
Hier stellt sich natürlich die Frage, wer diese Auseinandersetzung
führen soll. Es kann nur sein, daß sich das Umfeld der Frau an das
Umfeld des Mannes wendet, dieses mit dem Vowurf konfrontiert, um mit der
ausdrücklichen Bereitschaft zur Diskussion zu einer Einschätzung zu
kommen. An dieser Stelle ist das Umfeld des Mannes gefragt, denn es muß
sich mit dem Mann auseinandersetzen und sollte den Diskussionsprozeß dem
Umfeld der Frau gegenüber in einer angemessenen Zeit transparent machen.
Gelingt das nicht, was wohl nicht selten der Fall sein wird, gibt es eine
Verantwortung der Szene in Form einer möglichen dritten
Instanz, die in den Fall einzugreifen hat.
Wenn wir tatsächlich über die Mechanismem des bürgerlichen
Rechts hinauskommen wollen, dann muß es Leute von uns aus
gemischtgeschlechtlichen Zusammenhängen geben, die eine solche
Verantwortung übernehmen und regelnd und klärend eingreifen. Falls
die beteiligten Gruppen zu dem Schluß kommen, daß eine
Vergewaltigung stattgefunden hat, erfolgt der bedingungslose Ausschluß
aus unseren Zusammenhängen. Die weiteren Sanktionen gegen den
Vergewaltiger ermessen sich an der Schwere der Vergewaltigung.
1. The End
Der jetzige Zustand ist nicht zuletzt deshalb unerträglich, weil niemand
diese Verantwortung übernehmen möchte. Umgekehrt denken wir,
daß eben jenes Fehlen von Verantwortung übernehmen, auch Ursache
für die Verfahrenheit der jetzigen Situation ist. Einer der Ausgangspunkte
für unsere Diskussion war der Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Mitglied
der AAB. Hier wurde in hervorragender Art und Weise gezeigt, wie es nicht
laufen sollte. Wir denken, daß es in diesem Fall zu keiner Klärung
kommt, wenn sich nicht die Szene oder irgendeine Verantwortung
übernehmende Gruppe, in klärender und regelnder Art und Weise
einschaltet. Auch dieses wird aber nur dann funktionieren, wenn das Umfeld der
Frau, wie auch die AAB, sich auf einen Trialog einlassen.
2. Wir würden daran mitwirken, denn es geht uns nur um eines:
Inhalte, Inhalte, Inhalte!!!
Franz und Mandy Meiser
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