Zurück in die Zukunft. Leipzig, 1. Mai 1997
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Als am Abend des 30. April das Oberverwaltungsgericht in
Bautzen die zweite Verbotsverfügung der Stadt Leipzig gegenüber dem
Einspruch der NPD bestätigte, reagierten die Organisatoren des
Nazi-Aufmarsches zunächst mit Ratlosigkeit. Über die Nationalen
Infotelefone verbreiteten sie widersprüchliche Anweisungen über
eventuelle Ausweichorte an die verstörten Kameraden und an dieser
Konfusion sollte sich auch im Laufe des nächsten Tages nichts ändern.
Dabei hatten die Nazi-Kader die Ziele für den 1. Mai hoch gesteckt. Die
NPD-Eigenpropaganda sprach von 10000 Anhängern, die zum Kampftag der
nationalen Arbeit in Leipzig marschieren wollten. Das
Völkerschlachtdenkmal sollte die monumentale Kulisse für den braunen
Mob darstellen, der sich nach dem Aufmarsch in München nicht ohne Grund in
der Offensive wähnte und nach den emphatischen Verlautbarungen des
JN-Vorsitzenden, Holger Apfel, mit der Demonstration in Leipzig, endgültig
aus der Isolation ausbrechen wollte. Die Realität am 1. Mai war weniger
voluminös. Nur etwa 200 Nazis versammelten sich in kleinen Grüppchen
in der Nähe des geplanten Kundgebungsortes oder spazierten im angrenzenden
Stadtteil Stötteritz, durch den eigentlich die anvisierte Demonstration
führen sollte. Einigemale versuchten sich die Nazis zu formieren, kamen
gar fast bis in die Innenstadt, konnten dann aber von Autonomen und/oder der
Polizei gestoppt und vertrieben werden. Die meisten potentiellen Teilnehmer der
NPD/JN-Veranstaltung, die trotz des Verbots nach Leipzig unterwegs waren, kamen
erst gar nicht in die Stadt. Die Polizei hatte weiträumig Vorkontrollen
eingerichtet und so kreisten vorallem die Nazis aus den neuen
Bundesländern um die Stadt, warteten umsonst auf eine verwertbare Order
ihrer Führer oder fahndeten nach einer Möglichkeit vielleicht doch
noch ans Völkerschlachtdenkmal zu gelangen und eine Aktion zu versuchen.
Eine Ausnahme stellte der wohl bundesweit mit am besten organisierte
Zusammenschluß von Kameradschaften bzw. Kreisverbänden
der NPD aus der Region Torgau/Oschatz/Muldental dar. Ihm gelang es am
Morgen in Grimma einen Spontanaufmarsch mit etwa 200 Teilnehmern
durchzuführen. Für die Grimmaer Lokalpresse posierten die
jugendlichen Nazis mit NPD-Fahnen und einem Transparent mit dem für den
Tag angekündigtem Demonstrationsmotto: Arbeit zuerst für
Deutsche. Die Polizei ließ dieses Treiben über die gesamte
Dauer unbeeinträchtigt und das obwohl sie angekündigt hatte, jegliche
Ersatzveranstaltungen zu unterbinden und nach Presseangaben in Grimma mit
sehr vielen Einsatzkräften und Fahrzeugen präsent war.
Während das Grimmaer Landratsamt dementierte, es hätte Absprachen der
örtlichen Behörden mit den Nazis gegeben, die den Aufmarsch
ermöglichten, sprach ein Redner auf der NPD-Kundgebung von einer
genehmigten Veranstaltung. Ähnliche Spontanaufmärsche gab es auch in
Rostock, Alsfeld, Burgdorf und Hannoversch Münden. Der größte
fand mit etwa 300 Teilnehmern in Hann. Münden, einer kleinen Stadt
zwischen Göttingen und Kassel, statt. Die Nazis erzwangen mit ihrem
Erscheinen den Abbruch der örtlichen DGB-Veranstaltung, sie pöbelten
eine Zeitlang durch die Straßen und hielten dann eine Kundgebung ab, bei
der Steffen Hupka, ehemaliges Mitglied der verbotenen Nationalistischen Front
und jetzt ebenfalls Kader der JN eine Ansprache versuchte. Die angeblich
überraschten Polizeikräfte vor Ort ließen die Nazis
gewähren, nicht aber die 70 Antifas, die sofort nach ihrem Eintreffen die
Nazis attackierten und zum fluchtartigen Verlassen der Stadt zwangen. Die
weitaus größere Schmach erlitt der Nationale Liedermacher
Frank Rennicke. Rennicke, überstrapazierter Star der Fascho-Szene,
der derzeit das kulturelle Nonplusultra bei ziemlich allen relevanten
Veranstaltungen von Nazi-Organisationen verkörpert (zuletzt in
München), flüchtete in panischer Angst mit einem Sprung durch die
Schaufensterscheibe eines Militaria/Waffen-Geschäftes vor den Antifas. Die
anrückende Polizei nahm ihn dort wegen des Verdachts eines versuchten
Diebstahls fest. Mittlerweile reagierte der Lautenspieler mit einer
ausführlichen Pressemitteilung, die eine köstlich zu lesende Version
des ihm zugestoßenen Mißgeschicks enthält. Als Propagandist
deutschen Heldenmuts hat er natürlich einigen Erklärungsbedarf und so
gelingt ihm eine Geschichte, in der er sich als Verfolgter einer breiten
Verschwörung von DGB-Leuten,
SPD-Funktionsträgern, Vermummten und Autonomen und
gewissen Polizeiverantwortlichen präsentiert, und die
letztendlich in einem furchtbaren Mißtrauensvotum gegenüber dem
staatlichen Gewaltmonopol endet: Ich gebe ehrlich zu, an diesem Tag eine
andere Einstellung zur Polizei bekommen zu haben...Ich habe nicht zuletzt als
deutscher Staatsbürger und Familienvater von vier Kindern, dafür kein
Verständnis...Ich werde mein Verhältnis zur Polizei neu
überdenken müssen und weiß augenblicklich noch nicht, wie ich
meinen Kindern eine Polizei als Helfer erklären soll... (siehe
auch Homepage F. Rennicke)
Gute Demokraten kommen überall hin... Leipzig, 1. Mai 1997 |
Wie diese kurze Übersicht zu den Ereignissen am 1. Mai zeigt, hielt sich
der Erfolg der Nazis an diesem Tag in Grenzen. Mit ihren hochgeschraubten
Erwartungen führten sich die Organisatoren des Aufmarsches selbst vor.
Marschieren durfte an diesem Tag nur der flexible Kern der
Aktivisten. Doch gerade dies war nicht angedacht, vielmehr strebten die
Kader mit den Planungen für Leipzig eine Fortsetzung des Erfolgs in
München an. Die Szene sollte erneut mobilisiert und die Basis erweitert
werden. Ein zentraler Aufmarsch mit mehreren tausend Teilnehmern steht nicht
nur für die Besetztung der Straße, des öffentlichen Raums und
dient nicht nur als Medium für die Verbreitung der politischen Propaganda.
Er dient gleichermaßen als Bestätigung der
Interventionsfähigkeit und soll den Teilnehmern und Beobachtern ein
Gefühl der Stärke vermitteln und somit letztendlich einen neuerlichen
Motivationsschub auslösen. Bei allem nachträglichen Gerede der Nazis,
der Staat hätte mit dem Polizeiaufgebot am 1. Mai die demokratische
Maske fallengelassen und nur damit eine machtvollere Demonstration des
nationalen Widerstandes verhindert, bei allen offensichtlich
geschönten Zahlenspielereien - nach Eigenangaben der JN ...nahmen
über 3800 Kameradinnen und Kameraden an verschiedenen Veranstaltungen zum
1. Mai bzw. an Spontandemonstrationen im ganzen Bundesgebiet teil -, ein
positives Resümee in oben genannter Hinsicht können die Nazis nicht
für sich beanspruchen. Obendrein beteiligen sie sich mit ihrem
wütenden Geheul über die Ausschreitungen von linksradikalen
Chaoten, die vermummt und unter Duldung der örtlichen Polizeikräfte
auf dort (Hann. Münden - d.A.) noch wenige anwesende Kameraden
einschlugen oder die Anarcho-Schlägerbanden, die ihrem
verstörten Kultursymbol, Rennicke, waghalsige Fluchtmanöver
abverlangten, angenehm an der Mythologisierung der autonomen Antifa. Jedenfalls
klang das von den Nazis in München skandierte Antifa - ha, ha,
ha. noch etwas selbstbewußter.
... Böse Antifas im Polizeikessel. Leipzig, 1. Mai 1997 |
Ein weiterer Umstand der den um ihre Volksnähe so bemühten
Nazi-Aktivisten überhaupt nicht schmecken dürfte, besteht darin,
daß es ihnen kaum gelang, eine größere Öffentlichkeit mit
ihrer Propaganda zu erreichen. Zwar gab es eine relativ breite
Berichterstattung im Vorfeld über den geplanten Nazi-Aufmarsch, diese
wurde aber von der formal-juristischen Auseinandersetzung über Verbot oder
Nichtverbot bestimmt oder unterstützte in relativ starkem Maße die
Organisation von antifaschistischen Gegenaktivitäten. Das eigentliche
Motto der NPD/JN-Veranstaltung: Arbeitsplätze zuerst für
Deutsche wurde kaum erwähnt, statt dessen titulierten prominente
Persönlichkeiten, etwa der Schriftsteller Erich Loest, in der Presse die
besagten Organisationen als das, was sie sind - als Nazis. Und auch die
Tatsache, daß die stattgefundenen Aufmärsche oft in Verbindung mit
Alkoholkonsum (taz: Es wehen nur noch Alkoholfahnen) und Randale -
auch noch in einem Atemzug mit den Krawallen der Chaoten in
Kreuzberg - genannt wurden, widersprach dem propagandistisch-notwendigen
Selbsbild des ordentlichen Deutschen, welches die Nazi-Kader ihrer Klientel
auch im Aufruf für den 1. Mai wieder ans Herz legen wollten:
Bedenke, daß Du Deutscher bist und verhalte Dich
entsprechend!. Da dürfte es die Kader gar nicht freuen, wenn sie
beim Aufschlagen der Zeitungen am 2.5. unter anderem auf diese Zeilen
stießen: Rund 200 junge Leute aus der links-alternativen Szene sind
in einer Straßenbahn zum Völkerschlachtdenkmal unterwegs und treffen
eher zufällig auf das örtliche nationale Lager. Das hat
die Lufthoheit an einem Kiosk erobert und ist beim Frühschoppen.
Augenblicklich kommt es zur Klopperei. Dann gehen die Beamten dazwischen...Am
Kiosk wenden sich einige Dutzend Rechte schnell wieder der Bierdose zu. Nun
kann man im Schutze der sächsischen Polizei einen aufleuchten. Einige
lassen Frust ab. Man wollte ja was machen, ist da von einem mit
strengem Kurzfassonschnitt zu hören, aber die ham doch alle keen
Mumm. Andere entdecken an der sächsischen Ordnungsmacht
plötzlich ganz neue Züge: Hübsche Weiber haben die,
krakeelt einer, der um die Fünfzig ist und schwarze Hose, weißes
Hemdmit schwarzen Schlips trägt. Reichlich angewiedert wenden sich zwei
junge Beamtinnen ab. Scheiß Systempresse, können da die
Kameraden nur sagen.
Bedenke, daß Du Deutscher bist... Leipzig, 1. Mai 1997 |
Aus dem im Vorausgegangenen charakterisierten Mißerfolg für die
Nazis, einen grundlegenden Erfolg für die Antifa abzuleiten, hieße
sich selbst in die Tasche zu lügen. Natürlich ging das Verbot des
Aufmarsches in aller erster Linie auf die Mobilisierung im autonomen
Antifa-Spektrum zurück. Der zur Begründung des Verbots herangezogene
polizeiliche Notstand, wurde explizit mit dem Verweis legitimiert, daß
sich die Polizei nicht in der Lage sehe, die Nazis vor den erwarteten 3000
Autonomen zu beschützen. Doch ein von der Polizei durchgesetztes Verbot
ist eben etwas anderes als die aktive Verhinderung eines Nazi-Aufmarsches durch
die Intervention von Antifas, wie zum Beispiel in Berlin-Hellersdorf. Wäre
dies auch in Leipzig passiert, so wären sicherlich die oben beschriebenen
Auswirkungen eines geplatzten Aufmarsches für die Nazi-Szene viel
eindeutiger eingetreten.
... und verhalte Dich entsprechend. Leipzig, 1. Mai 1997 |
Das relativ breite antifaschistische Engagement verschiedenster politischer
Organisationen und Gruppierungen in Leipzig kann ebenfalls nicht ohne weiteres
als positiv eingeschätzt werden. Zu offensichtlich war der taktische
Umgang des DGB und der SPD, besonders des OBM, Lehmann-Grube, mit den
Informationen über einen Aufmarsch von NPD/JN-Anhängern. Erst nachdem
durch die Initiative des Leipziger Bündnis Gegen Rechts sich
über 100 Organisationen und teilweise prominente Einzelpersonen für
eine Verhinderung des Nazi-Aufmarsches ausgesprochen hatten, lancierten die
Gewerkschafter, insbesondere die IG Metall einen eigenen Aufruf zur
Zivilcourage an die Öffentlichkeit. Gemeinsame
Aktivitäten mit dem BGR lehnten die Vertreter dieser Aktion jedoch ab,
obwohl abzusehen war, daß ihr Plan einer Menschenkette um den Ring, weder
die Nazi-Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal, noch die geplante Demo der
NPD/JN durch den Stadtteil Stötteritz auch nur beeinträchtigt
hätte. Kurz vor dem 1. Mai wendeten sich dann die Organisatoren der Aktion
Zivilcourage eindeutig gegen die Möglichkeit einer aktiven
Verhinderung des Nazi-Aufmarsches. So trafen sie Absprachen mit der Polizei,
daß Antifas, die auf der zentralen DGB-Kundgebung auf dem Sachsenplatz
dazu aufrufen würden, zum Völkerschlachtdenkmal zu gehen, von den
staatlichen Sicherheitskräften und den DGB-Ordnern herausgegriffen werden
sollten. Die befürchtete Trennung in gute Demokraten und böse
Autonome, der mit solcherlei Absprachen Vorschub geleistet wurde, setzte sich
dann auch in der Praxis des Polizeieinsatzes und der Berichterstattung der
Presse über den 1. Mai in Leipzig durch. Mehr als 300 Antifas, die
verhinderten, daß die in Leipzig anwesenden Nazis in die Innenstadt
gelangten, landeten in Polizeikesseln und später dann im Gewahrsam, aus
dem sie teilweise erst spät in der Nacht entlassen wurden.
Und die Leipziger Presse berichtete mit voyeuristischer Freude am
militärischem Schauspiel über das Riesenaufgebot an
Polizisten, welches rechte und linke Krawalle verhinderte.
Leipzig hätte den Ruf als Hochburg der Demokratie verteidigt,
den Chaoten von links und rechts eine Absage erteilt. Ein
Vorbild für Deutschland. Angesichts solcher gleichmacherischen
Verdrehungen, bekommt die wahrlich zynische Vorstellung, es wäre einem
volltrunkenen und pöbelnden Nazimob gelungen, auf den Sachsenplatz zu
stürmen, während sich vielleicht die Autonomen weit, weit weg mit
Fallaffelburger und Haschichpfeife oder in Berlin amüsierten, ein
bißchen was für sich.
Doch eigentlich bringt es nichts, sich über die Vergabe der
antifaschistischen/antiextremistischen Lorbeeren an Polizei und die etablierten
Politiker aufzuregen. Ein tiefergehnder antifaschistischer Impuls für die
Politik der Gewerschaften und vielleicht der SPD war ohnehin nicht zu erwarten.
Da ist es schon fast imposant, daß alle Redner auf der DGB-Kundgebung
notgedrungen ein Statement gegen die Gefahr des Neonazismus abgaben, selbst
wenn sie wie der Leipziger OBM im Vorfeld des 1. Mai so taten, als hörten
sie den Namen NPD das erste Mal. Doch der Widerspruch wird eben
dann evident, wenn der IG-Metall-Vorsitzende Zwickel, der sonst mit seinen
Forderungen nach Entzug der Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge und
Arbeitsimmigranten die rassistische Stimmung der Stammtische forciert, von
seiner Organisation einen aktiven Widerstand gegen Neonazis fordert. Diese
Scheinheiligkeit ist exemplarisch für die Stimmung der noch nicht
radikal-nationalistischen Bevölkerungsteile, die an sich nichts gegen die
rassistische Parole Arbeit zuerst für Deutsche haben, nur
derzeit noch etwas orientierungslos zurückschrecken, wenn jemand sagt,
daß dies eine Forderung der Nazis sei.
Das entscheidenste Ergebnis des 1. Mai 1997 ist, daß sich aufgrund des
gescheiterten Nazi-Aufmarsches nichts Wesentliches daran geändert hat. ulle |