Auf jeden Fall gelingt es besonders der NPD mit ihrer dosierten
Aufmarschtaktik, die faschistische Subkultur bei der doch eigentlich faden
politischen Stange zu halten. Man demotiviert die jugendliche Klientel nicht
mit inflationär aufeinandertreffenden Großereignissen, vielmehr sind
diese Termine inhaltlich und im Zeitpunkt sehr weitsichtig mit den lokalen und
regionalen Schwerpunkten verknüpft. In diesem Jahr waren die Demonstration
gegen die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht in Dresden (1200
Teilnehmer) und der NPD-Kongreß in Passau (5000 Nazis in der
Nibelungenhalle) die bisher herausragenden Events, die nun von der
Großdemonstration des nationalen Widerstandes am 1. Mai in
Leipzig in den Schatten gestellt werden soll.Ablehnung I
Die Erfolge der Nazis sind so evident, daß gegenwärtig nicht nur
bürgerlich-brave Rechtsextremismusexperten (z.B. Bernd Wagner
und Burkhard Schröder) und liberale Journalisten (z.B. Jens Schneider
(SZ)) die lange bekannten Analysen autonomer Antifagruppen in ihren Statements
wiederholen, sondern auch staatsfromme Verfassungschützer (z.B. in Sachsen
Eckhard Dietrich) von der braunen Realität zum Nachplappern gezwungen
sind. Fast im O-Ton von Antifa-Infos warnen sie vor den Gefahren der NPD als
Auffangbecken von Aktivisten verbotener Nazi-Organisationen und den
national befreiten Zonen im Osten. Verhallt die Aufklärung
unabhängiger Antifas desöfteren wie das Rufen in der Wüste,
korreliert bei den professionellen Experten der pädagogische Duktus mit
einem starken medialen Interesse an den ostdeutschen Nazi-Provinzen, besonders
aber an deren Springerstiefel-tragenden Protagonisten.
Die Ergebnisse der gesteigerten Aufmerksamkeit sind ambivalent. So vermittelt
die Leipziger Volkszeitung machmal den Eindruck, sie wäre von der
Propaganda-Abteilung der NPD ferngesteuert, weil sie entweder durch die
fotografische Dokumentation von Nazi-Transparenten deren Inhalte bereitwillig
transportiert (LVZ, 26.1.) oder sie in Kommentaren, sei es aus politischer
Unbedarftheit oder aus Sympathie, die NPD als Sachwalter der sozial
Schwachen adelt, welche soziale Mißstände und zunehmende
Ausländerkrimminalität anprangert. Mit zunehmendem
journalistischen Niveau wird die Wertung jedoch präziser. Von
Frankfurter Rundschau bis zur Woche bekommt die NPD
sehr zu ihrem Verdruß das Stigma Sammelbecken von
Rechtsradikalen bestätigt. Leider entspricht in diesen Kreisen der
Jargon nur selten richtig der Realität, werden die Nazis auch als solche
benannt, was ein Blick auf die NPD-Programmatik eigentlich nach sich ziehen
müßte (dazu an anderer Stelle mehr). Aber auch wenn die Bezeichnung
rechtsradikal verharmlost und die Erwähnung des
Linksradikalismus wie bei einem pawlowschen Reflex nach sich zieht,
daß besagte Verdikt ist einer der wenigen Steine, die den Nazis derzeit
noch in den Weg gelegt werden.
Kein Mensch mit ernsthaften Karriereabsichten kann es sich leisten,
öffentlich als Rechtsradikaler gebrandmarkt zu werden. Selbst staatliche
Institutionen mit äußerst niedriger Aufnahmeschwelle wie die
Bundeswehr wollen solche nicht haben, bzw. genieren sich, wenn Nazis mit
Vorliebe gerade hier am Start sind.
Niemand mit Verstand würde ernsthaft behaupten, es gäbe keine
Affinität zwischen Bundeswehr und deren Vorgängerorganisation
Wehrmacht. Und für die Nazis ist der Bund ja auch nicht ihr Bekenntnis zum
Verfassungspatriotismus, dafür aber ein besser organisiertes und
ausgestattes Wehrsportlager inklusive Traditionspflege. Doch der hochgekochte
Skandal in den letzten Monaten hat gezeigt, wo die Grenze der Synthese, nicht
nur innerhalb dieser Institution, sondern gesamtgesellschaftlich, verläuft.
Es ist ein dünner oberflächlicher Grat, bestehend aus dem
Gründungsmythos, daß die BRD aus den Lehren der Geschichte
entstanden ist und der, insbesondere von den ehemaligen Alliierten der
Anti-Hitler-Koalition überwacht, die allgemeine Rechtsentwicklung in
Deutschland vom Übergang in ein Modell der Vergangenheit als
Zukunft (Habermas) trennt.
Ein aktuelles Lebenszeichen jener letzten öffentlich anerkannten Bastion
des Antifaschismus (die zweifelsohne seit der konservativen Wende Anfang der
80er inhaltlich ständig hohler wird), ließ sich bei der
außenpolitischen Verstimmung zwischen Deutschland und der
Türkei im März beobachten. Der türkische Ministerpräsident
Yilmaz verglich die deutsche EU-Politik mit der Expansion der
Nationalsozialisten: Die Deutschen verfolgen die gleiche Strategie wie
früher..., sie glauben an den Lebensraum. Das bedeutet, die mittel- und
osteuropäischen Länder sind für Europa und Deutschland als deren
Hinterhof von strategischer Bedeutung. Mit dieser Äußerung ist
die deutsche Außenpolitik und ihre wiederbelebte geopolitische Tradition
exakt bezeichnet. Gerade weil die Parallele zur NS-Zeit auf der Hand liegt,
reagierten Kinkel, Kohl & Co wie getroffene Hunde und wiesen alle
Anschuldigungen von sich. Wäre die Standpauke von einem
einflußreicheren Land ausgegangen, hätte man die Kritik nicht so
einfach mit der Aussage, es handle sich hierbei um eine unentschuldbare
Diffamierung der deutschen Politik wegkläffen können. In Bezug
auf die Türkei kam den Deutschen die Interessenkonstellation der
Weltmächte und der anderen EU-Staaten zu Hilfe. Was ganz nebenbei zeigt,
daß man sich auf die Kontrollfunktion der Weltöffentlichkeit im Fall
Deutschland nicht verlassen sollte.
Aber weshalb diese Ausschweifungen, wenn am 1. Mai weder das türkische
Militär noch US-amerikanische GIs gegen die Nazis zur Verfügung
stehen? Nun, sie helfen ganz allgemein zu verstehen, warum der Antifaschismus
der letzte Bereich ist, bei dem die Linke hierzulande noch ab und an praktische
Erfolge erzielen kann, während derzeit alles weitere im linken
Theoriekämmerlein am besten aufgehoben ist, oder deutlicher gesagt, dort
den letzten geduldeten Zufluchtsort findet. Antifaschismus ist jedoch noch
beschränkt bündnisfähig und so läßt sich das reale
Kräfteverhältnis zwischen links und rechts einigermaßen
kaschieren. Nicht zugunsten der Linken, aber zum Schaden der Nazis.
Ablehnung IIGanz Leipzig scheint gegen den Nazi-Aufmarsch am 1. Mai zu sein. Weder die
frühesten noch die radikalsten Statements kamen von den Autonomen. Nein,
der Verfassungsschutz befürchtete, noch bevor das erste
bundesweite Antifa-Treffen zur Planung antifaschistischer Gegenaktivitäten
einberufen war, daß es zu einer NPD-Demonstration...mit mehr als
4500 Anhängern der rechten Szene kommen werde (LVZ, 21.2) Es
drängte sich der Eindruck auf, daß die Behörde die Autonomen
zum Agieren etwas aufstacheln wollten. Hatte man vielleicht ein bißchen
Angst ohne Mobilisierung im unabhängigen Antifa-Spektrum ließen sich
die notwendigen Gründe für die Verbotsverfügungen der Nazi-Demo
und antifaschistischer Gegendemonstrationen nicht beschaffen? Mittlerweile
dürfte in diesem Sinne alles wunschgemäß verlaufen.
Die Gewalt geht aber diesemal wirklich von den Christdemokraten
aus. Ob der CDU-Kandidat für das Leipziger Oberbürgermeisteramt,
Kaminski, einfach nur das antifaschistisch gesinnte Wählerpotential in der
Stadt überschätzt ist noch nicht raus, jedenfalls forderte er in
einer Pressemitteilung, daß der geplante Nazi-Aufamarsch mit allen
Mitteln zu unterbinden sei, meint damit natürlich in erster Linie
ein Verbot der NPD-Veranstaltung. Die anderen Kandidaten, von PDS bis FDP
fordern dies ebenfalls. Und als wäre damit dem öffentlich gebotenem
Abgrenzungsritual nicht Genüge getan, rufen die potentiellen Anwärter
auf den Leipziger Thron auch noch gemeinsam zu einer Demonstration gegen
Rechtsextremismus in der Leipziger Innenstadt auf.
Die NPD-Organisatoren werden nicht großartig kotzen, wenn sie im Vorfeld
ihres geplanten Mega-Ereignisses mitbekommen, wie sich in der Stadt bzw. durch
deren wahrnehmbarste Repräsentanten ein Anti-Nazi-Konsens, inhaltlich
diffus aber spürbar, konstituiert. Sie halluzinieren sich ja sowieso immer
eine linke Ablehnungsfront, die von den Systemparteien bis zu den
Autonomen reicht, zurecht, die es auf inhaltlicher Ebene gar nicht und formal
(unter den oben beschriebenen Bedingungen) immer seltener gibt. Verunsichern
dürfte es sie schon. Natürlich ist diese Ablehnungsstimmung mit
Vorsicht zu genießen. Wer nimmt den Kandidaten, außer vielleicht
PDS-Tippach schon ab, wenn sie sich als Antifas geben? Die Gründe für
das Engagement liegen deutlich auf der Hand: Keiner von ihnen will
Bürgermeister einer Nazi-Hochburg sein auch wenn dies de facto eine
ist, nimmt man die Mitgliedsstärke der NPD und die Dominanz der
faschistischen Jugendkultur in der Stadt als Maßstab. Jeder von ihnen
weiß, daß Leipzigs Entwicklung mit dem Ruf der Stadt als
weltoffene Messemetropole steht und fällt. Und da passen 10000
Nazi-Schläger, die durch die Straßen der Stadt marschieren, nicht
gerade in das gewünschte PR-Design.
CEE IEH-Cover vor einem Jahr |
Eineindeutig
Die Substanz der relativ weitreichenden Anti-Nazi-Stimmung erweist sich auch
noch aus einem anderen Grund als fadenscheinig. Besonders linke Organisationen
und Gruppen scheinen den Nazi-Aufmarsch gerade wegen der Terminwahl
empörend zu finden. Während autonome Zusammenhänge traditionell
am 1. Mai auf revolutionären Hokuspokus setzen, geben sich
auch Gewerkschaften, PDS und SPD echauffiert, weil die Nazis den Kampftag
der Arbeit für sich beanspruchen. Dahinter steckt die Angst, die NPD
könnte der potentiellen Massenbasis besagter Organisationen und Gruppen
die Lösung der sozialen Frage unter rechten Vorzeichen vorgaukeln.
Genau dies aber wollen die Volksgenossen überhaupt nicht. Weder ihre
Strategie, ehemals von links besetzte Symbolik zu verwenden, noch ihr Programm,
jetzt die nationale antikapitalistische Wirtschaftsordnung
schaffen, sind Ausdruck einer perfiden Demagogie. Der Kurs der NPD ist
eineindeutig nationalsozialistisch. Ihre Forderungen machen nicht einmal den
Anschein völkische und antisemitische Stereotypen zu verschleiern. In
einem Flugblatt der NPD heißt es zum Beispiel, die
Krebsgeschwüre am deutschen Volkskörper müssen abgewählt
werden und das vagabundierende Kapital solle einer
volkswirtschaftlich raumorientierten Ordnung weichen. Im
letztjährigen Aufruf der Nazis für den 1. Mai (Motto: Gegen
System und Kapital unser Kampf ist national) plädiert man
für die Überwindung der kapitalistischen Zinswirtschaft
und das Verbot von Spekulationsgeschäften. Mit
Zinswirtschaft und Spekulation, mit
vagabundierenden Kapital und Krebsgeschwüren
wurden seit der Enstehung des modernen Antisemitismus in Europa die Juden
gleichgesetzt. Seit Durchsetzung des nationalrevolutionären Flügels
innerhalb der NPD vor einem Jahr, hat die Programmatik der Partei einen
Qualitätssprung erlebt, der völlig unverhohlen auf ein
nationalsozialistisches Gesellschaftsprojekt hinausläuft. Wer den Nazis
heute nur eine dumpfe Rattenfängermentalität zubilligt, wer denkt,
sie beziehe sich mit ihrer Semantik auf originär linke Traditionen, spielt
dabei aber mit gefälschten Karten, der manövriert sich in eine
gefährliche Schattenboxerposition.
Die NPD ist kein chamäleonartiger Konkurrent bei der Beantwortung der
sozialen Frage, dem man nur die populistische Maske vom Gesicht reisen
muß, damit er in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
Selbstverständlich propagiert die NPD mit Vorliebe die Parole Arbeit
zuerst für Deutsche, weil sie weiß, daß sie damit auf
eine nahezu konsensuale Zustimmung in der Bevölkerung trifft. Wird die
Partei aber nur aufgrund der manifesten Fremdenfeindlichkeit
abgelehnt, beschönigt man jedoch noch ihren Kurs. Denn genauso wie der
antisemitische Antikapitalismus beruht auch die Ideologie des Rassismus bei der
NPD und ihren Anhängern auf der angenommenen aggressiven Identität
von Blut und Boden. Völkischer Antikapitalismus und Rassismus sind
hierzulande wahrhaft ursprünglich und deshalb auch derzeit so erfolgreich.
Sie bauen auf eine Traditionslinie, mit der in beiden deutschen Staaten nie
endgültig gebrochen wurde. Wäre der oben beschriebene
antifaschistische Gründungsmythos der BRD mit Inhalten gefüllt,
wäre die NPD schon lange wegen ihres Programms verboten.
Am 1. Mai 1997 sprengten Nazis, die aufgrund des Verbotes nicht in Leipzig
demonstrieren konnten, eine DGB-Veranstaltung in Hannoversch Münden. Die
von ihnen improvisierte Kundgebung stand unter dem Motto, welches, einst
über dem Portal von Auschwitz, zu einem Symbol für den Holocoust
geworden ist: Arbeit macht frei.Ablehnung III
Angesichts dieser Sachlage noch zu lamentieren, der 1. Mai sei doch unser
Tag und den solle man sich nicht von den Nazis diktieren
lassen (Interim), zeigt, wie wenig historisches Bewußtsein in
einigen linken Zusammenhängen verankert ist. Zum Glück kündigt
sich innerhalb der autonomnen Antifa-Szene ein Prioritätenwechsel an. Die
Bereitschaft, in Leipzig an den antifaschistischen Gegenaktivitäten
teilzunehmen, ist groß. Daß man sich darüber besonders freuen
muß, ist den schlechten Erfahrungen der letzten Zeit geschuldet. Weder
der Nazi-Aufmarsch in Dresden noch die kleineren Nazi-Demos der letzten Wochen
konnten wirksam behindert, geschweige denn verhindert werden. Und dies nicht,
weil es prinzipiell nicht möglich war, sondern weil zu wenig Antifas
gewillt waren, sich den Nazis entgegenzustellen. Selbst an den obligatorischen
Gegendemonstrationen nahmen nur wenige autonome Antifas teil und folgerichtig
hämten die Nazis z.B. nach ihrem Aufmarsch in Dresden, daß das
Kräfteverhältnis auf der Straße deutlich zu ihren Gunsten gekippt ist.
In Leipzig stehen die Chancen, den Nazis das eine oder andere Bein zu
stellen, nicht schlecht. Mehrere antifaschistische Kundgebungen entlang
der angemeldeten Nazi-Route, die wahrscheinlich durch Leipzig-Stötteritz
führt und am Völkerschlachtdenkmal auf eine eindrucksvolle Kulisse
baut, könnten die Kameraden über 10.000 werden erwartet
in ein Spalier zwingen, welches mehr als nur einen unangenehmen Eindruck
hinterläßt. Vielleicht gelingt es sogar, den Nazis ihre Route streitig zu machen.
Das viel gepriesene Vorbild heißt in diesem Zusammenhang immer noch
München. Dort gelang es im März letzten Jahres, den
Abschlußkundgebungsort der NPD-Demo zu besetzen. Die 5.000 Teilnehmer
mußten schließlich, arg gebeutelt über die gesamte
Strecke regnete es Fallobst und aus den Fenstern flogen Eier , einem
Bündnis von couragierten Bürgern, abenteuerlustigen Kids und
Autonomen weichen und zogen sich schmählich aus der Stadt zurück.
CDU-Kaminski hat also recht: Der Nazi-Aufmarsch am 1. Mai ist mit allen
Mittel zu unterbinden. Dieses Ziel nimmt aber nicht nur Christdemokraten
und Autonome in die Pflicht. Neben Kaminski und der Antifa haben auch
Alternative, Skater, Punks und vielleicht noch die Genossen von der PDS einen Ruf zu verlieren.
Und natürlich die Nazis. Wie heißt es doch so ekelhaft in ihren
Aufrufen: Bedenke, daß Du eine Deutscher bist und verhalte Dich
entsprechend Bei denen wird knallhart auf Disziplin gesetzt. Die
deutschen Sekundärtugenden sollen hoch gehalten werden; zu gern
präsentiert sich das braune Mördergesindel als Verein von
Saubermännern. Dieses Ansinnen müßte eigentlich die Phantasie
der Antifas enorm beflügeln. Fällt die im Lande unbeliebte Aura des
Chaotentums auch auf die Nazis zurück, wären sie
gezwungen, wenigstens eine Kröte zu schlucken. Heiner
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