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Kluge Popmusik,  die Freude macht, 11.0k
Flirt mit den Klischees, 1.4k I Am D I S C O, 1.2k

Stereo Total

Stereo Total, 30.2k

Die Soundproduktion reißt nicht ab. Geht ja auch gar nicht, weil: „Musik ist unsere Freundin“. Das singen Françoise Cactus und Brezel Göring und legen nach dem Erfolg mit „Musique Automatique“ ein weiteres Album nach. „Do the Bambi“ heißt das gute Stück und so niedlich und kaputt wie der Titel daherkommt, klingen Stereo Total im zehnten Jahr ihres Bestehens. Mit minimalen Mitteln erzielt das Berliner Duo seit Jahren beste Wirkung. Zwischen essentiellem Punkrock und verspieltem easy listening bedienen sie sich ganz eklektizistisch der verschiedensten Geschichten und Sprachen dieser Welt. Diskodance, Liebe, Feminismus, „es gibt sogar einen Teil der Revolution, der darin besteht, sich zu feiern“. Jedes Mal eine wilde Mischung, der Françoise Cactus’ Stimme, die Liebe zum französischen Chanson und der Sinn für den richtigen elektronischen Effekt den unverkennbaren Schliff verleihen.
Die Angst, dass das irgendwann langweilig werden könnte, liegt nahe. Was für ein Glück ist es da, dass das neue Album nicht nahtlos an liebgewonnene Hörgewohnheiten anknüpft. Stilistisch hat sich Stereo Total verändert. Viele Lieder drehen sich um Filme. „Jetzt haben wir fast eine Bühnen-Filmmusik-Konzeptplatte zusammen“, sagt Brezel Göring und spricht damit auf Songs an, die durch Filme wie „Christiane F.“ und Godards „Weekend“ inspiriert wurden. Das Ganze fing damit an, dass Stereo Total den Song „Cinemania“ für den gleichnamigen Film über „Die Kinosüchtigen“ produzierten. Übrigens ein Film, über den Chris Allgedues schreibt: „Die Figuren in Cinemania haben eindeutig eine Grenze überschritten und können nicht länger als ‘normal’ und ‘gesund’ betrachtete werden. Jetzt, wo wir dieses Figuren gesehen haben, sind auch wir bereit, diese Grenze zu überschreiten.“ Eine Beschreibung, die gleichsam auf Stereo Total gemünzt sein könnte.
Die Platte beschäftigt sich aber nicht nur mit Filmgeschichte. Gewohnt ironisch, mitunter aber nachdenklicher als bisher singt Françoise Cactus über Liebessehnsucht und das Verhältnis zum eigenen und zu anderen Körpern. Sie tut das mal traurig, mal wütend, mal außer sich vor Liebe. Mit kokettem Bambiaugenaufschlag weint sie im Track „Do the Bambi“ selbstironisch dem Bild der idealen, weil selbstaufopfernden Partnerin hinterher, spielt mit klassischen Frauenklischees, um sie in einer Welt zwischen Traum und Wirklichkeit ins Absurde zu steigern. In „Ich bin nackt“ macht sie sich gleichzeitig über den Spanner am Nachbarfenster wie auch über wohlmeinende Bigotterie und verklemmte Moralisten lustig. Selbstverständlichen Feminismus nennt Francoise Cactus das: „Stark und pervers! Ja, das ist meine Vision und ich glaube, so sind die Mädchen auch jetzt. Der Alice Schwarzer- Feminismus war zwar notwendig in dieser Zeit und ich glaube, dass die jüngeren Frauen total davon profitieren. Nichtsdestotrotz habe ich den Eindruck dass wir jetzt anders drauf sind. Jetzt gibt es zum Beispiel viel mehr Mädchen, die Musik machen. Die machen einfach, was ihnen gefällt.“
Kluge Popmusik, die Freude macht. Auch live dürfen wir wieder getrost best Entertainment erwarten. Ob in Japan, USA, Finnland oder Brasilien STEREO TOTAL sind bekannt für ihre Auftritte: Wenn Françoise Cactus vor ihrem winzigen Schlagzeug die Stücke aneinander hämmert und innerhalb von Sekunden von der romantischen Ballade zum „Hyperspeed-Rock’n’Roll-will-never-die!“ switcht, an ihrer Seite, ihr Komplize und perfekter Entertainer Brezel, am Synthesizer oder an den Saiten seiner rechteckigen Gitarre zugange. Musik, unsere Freundin! Nie möchten wir sie vermissen!

saudade


Rhythm King & her Friends

Rhythm King and her Friends, 24.4k

Jipppie!!!! Sie dreht sich doch! Und nicht nur um sich selbst! Die Debütscheibe der Rhythm Kings and Her Friends, „I Am Disco“, zeigt allen eine lange Nase, die sich beim Labern über die Unvereinbarkeit politischer Texte mit fetten, tanzbaren Beats einen sehr sehr langen Bart wachsen lassen haben und nun nicht mehr aufstehen können, weil ihre Beine genauso kurz geworden sind wie die Lüge, die da eben noch am Tisch verbreitet wurde. Grins, 0.1k ähm... jedenfalls ist der Beweis vollbracht. Es geht!
Wie sie selbst sagen, wurde es ihnen Ende der 90er seeeehr langweilig...: „Die ganze Riot Girl Umbruchstimmung war lange vorbei, und ich wusste nicht mehr was ich hören soll.“* So Pauline Boudry (ex-Monotex), die mit Sara John und Linda Wölfel (ex-Miyax) 2000 Rhythm Kings and Her Friends gründete.
Vorbilder gab es nicht, und so entwickelte die Berliner Band neben Le Tigre, Solex, Peaches u.a. ihren eigenen Stil. RK&HF: Wir wollten (...) etwas Neues entwickeln: Queer-Politics mit elektronischer Musik verbinden.“ * Und so arbeiten sich Samples mit Keyboard, Xylophonen, Megaphonen, Gitarren und allerlei digitalem Equipment durch die Texte und umgekehrt. Isabel, die feste Mischerin der Band, wird alle Hände voll zu tun haben. Gesungen wird dabei in einem „sehr internationalen Englisch.“*, in Französisch und auf Bulgarisch. In der Art der Verarbeitung von Musik und Text könnte man an an Liliput, The Slits, Au Pairs, Peaches und Stereo Total erinnert sein. Die Leichtigkeit und der Umgang mit verschiedenen Musikstilen erinnert an Luscious Jackson. Trashiger Drumauftakt schnell vielschichtig – Bassbegleitung, quirlige Samples – gebrochen von monotoner Maschine und distanziertem Gesang (oder besser auf den Punkt gebracht: es gibt nicht Beknackteres, als sich über Musik zu unterhalten oder gar zu schreiben Grins, 0.1k)
Im Song „I Am Disco“ wird die zunehmende Vereinnahmung persönlicher Eigenschaften in Jobs thematisiert („I get paid to be friendly“) und bemerkt, dass auch die „schlechten“ Eigenschaften arbeiten wollen: „I have got a good disposition I have got a bad and that wants to work too“. Wie das praktisch aussehen könnte, wird in „Get Paid“ beschrieben. Hier wird von Arbeits-Sabotage an zwei Orten gesprochen: In einem Office würde sich die Strategie „Put the machines out of order Load a virus on the computer“ anbieten. In der „anderen“ Form von Arbeit, die oft zu Hause und auch an/in Beziehung(en) meistens von Frauen geleistet wird, sollte besser auch öfter mal gestreikt werden: „I could refuse to think about it, could stop arguing and caring about your feelings.“
„Get Paid“ war die erste 10“ Veröffentlichung von Rhythm Kings and Her Friends. Dieser Titel wurde ge-remixt, was das Zeug hält, und so legte SuGar von den japanischen Buffalo Daughter einen old school Rave Track hin, der sich gewaschen hat. Der Mix von „Robots in Disgiuse“ (I AM X, Sänger von Sneaker Pimps), der sich der D.A.F.-Beats bedient, dürfte in jedem Club als Smash-Hit durchgehen. Etwas düsterer die Liverpooler Band Ladytron, deren Mix von „Get paid“ an den Sound von Anne Clark erinnert, allerdings mit treibenden Beats unterlegt wurde. Im Song „Pants what can i wear today? Choose my pants or shall i wear my dress? Everything looks queer today...“ wird den konventionellen Genderrollen eine eingeklinkt, während in „One-Two“ auf extrem tanzbare Weise mal darüber Frust abgelassen werden kann, wie beschissen es ist, sich in Diskussionen einem Haufen Zuschreibungen und Vorurteilen ausgesetzt zu sehen. Man fängt dann einfach an zu zählen „One two ... I want you to shut your mouth cos I want you to one, two,...“.
Der Song „Sister“ ist musikalisch durch Samples strukturiert, die die Geschichte des weiblichen Hip-Hop als Sister-Kontext aufscheinen lassen. Im ersten Teil des Songs werden Sätze einer aktuellen Erzählung der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar verwendet: „I was silent, and opened Lenins book, State and Revolution...“ In diesem Lied geht es um eine Frau, die nicht dazu kommt, in einem Bus ein Buch zu lesen, weil sie sich der aufdringlichen Blicke des Busfahrers zu entziehen versucht.
Pauline Boudry dazu „(....) Der Text erinnert mich sehr an Situationen, als ich ein Mädchen war, und dachte, klar gibt es keinen Unterschied, wenn ich will, habe ich Zugang zu allem! Und in der unerwartetsten Weise wird man immer wieder daran erinnert, dass man ‘gendered’ ist – auch wenn man es gerne vergessen möchte (...)“ . * Der zweite Teil verweist auf Virgina Woolfs Text „A room Of One’s Own“ von 1929. Das Video zu „Sister“ kommt von Konzeptkünstlerin Sharon Hayes (L.A.) und ist nicht das einzige Video, das bei den Konzerten zu sehen sein wird. Die Videos haben für die Band keine illustrative Funktion. Pauline Boudry, die für die meisten der Clips verantwortlich ist, sagt: „Vorher haben wir oft versucht, zwischen den Stücken was zu den Liedern zu erzählen. Und eigentlich mag ich nicht das Lied erklären und es dann zu spielen. Ich finde es interessanter, wenn die Bilder dazu was erzählen, vielleicht etwas klarer machen, aber auf einer abstrakten Ebene, und dadurch die Lieder noch komplexer machen.“ *
Die Rhythm Kings haben sich bei ihrer nunmehr fünf-jährigen Tour-Erfahrung (unterwegs mit Le Tigre, in England und auf diversen Ladyfesten) ihr Publikum selbst gesucht. So wie sie auf queeren, antirassistischen Veranstaltungen zu Hause sind, bewegen sie sich innerhalb der linken Szene und möchten als Teil dieser wahrgenommen werden. Missionieren wollen sie nicht. Linda Wölfel: „Ein Publikum, das sich nicht auseinander setzen möchte, interessiert uns nicht wirklich.“ **
So – genug getextet, am 24.03. geht’s jedenfalls ins Island, schließlich spielen auch noch Stereo Total, wobei nicht mehr klar ist, wer hier eigentlich die Vorband von wem ist. Grins, 0.1k

nine

Für den Text wurde die Bandinfo der RK&HF des Labels kitty-yo ordentlich verbraten, die Zitate sind entnommen:
* dem Interview von Katharina Ellerbrock mit der Band (Feb/Mai 2004);
** dem Text „Queerest Indie-Electro-Punk from Berlin“ von Leonie Wild (erschienen in Melodiva Juni/Juli 2004; www.melodiva.de)





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last modified: 28.3.2007