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Die Deinstallation der Überwachungs-Kamera am Connewitzer Kreuz in Leipzig nimmt die „AG Öffentliche Räume beim BgR“ zum Anlaß, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wir dokumentieren diese in voller Länge.
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Actual Resistance

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Am 19.04.00 wurde die städtische Videokamera am Connewitzer Kreuz abmontiert. Zeitgleich wurden zwei weitere Kameras entlang des Leipziger Stadtrings in Betrieb genommen. Mit der Demonstration gegen „Überwachungswahn“ am 6. Mai in Leipzig hat die „Kampagne zur Rückgewinnung öffentlicher Räume“ ein deutliches Zeichen gegen die öffentliche Videoüberwachung gesetzt. Die „AG Öffentliche Räume beim BgR“ zieht hiermit eine Zwischenbilanz der eigenen Arbeit.

Das öffentliche Bewußtsein
Um die Erfolge der „Kampagne zur Rückgewinnung öffentlicher Räume“ deutlich zu machen, ist es erst einmal nötig, sich die Ereignisse der letzten Monate noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Am 3. November wurde am Connewitzer Kreuz die „umstrittene“ Videokamera installiert. Offenes Ansinnen der Stadt war von Anfang an, die Connewitzer Szene besser überwachen, also kontrollieren zu können. Vorläufer waren die Proteste gegen die Ehrung des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler seitens der Stadt durch AntifaschistInnen. Die Wahrnehmung der veränderten Situation in Leipzig-Connewitz beschränkte sich anfangs auf individuelle Unmutsäußerungen, welche öffentlich keine Wirkung zeigten. Erst mit den beginnenden Protesten im Januar 2000 wurde die Problematisierung der Verhältnisse ins öffentliche Bewußtsein gerückt. Besonders die erste Leipziger Demonstrations-Woche gegen Videoüberwachung vom 31.01.00 bis 04.02.00 rückte die Diskussion um öffentliche Überwachung aus Connewitzer Kneipen in die Leipziger Öffentlichkeit.
Die Situation war also eine grundlegend andere als noch 1996 bei der Installation der städtischen Überwachungskamera am Sachsenplatz. Die zeitliche Nähe zur DDR hätte Proteste gegen diese Form städtischen Demokratieverständnisses als zwangsläufig notwendige erscheinen lassen. Dass diese dazumal ausblieben, ist wohl der Tatsache zu schulden, dass sich kritisches öffentliches Bewußtsein in Leipzig seit jeher aus den inhaltlichen Vorgaben der „Meine Meinung“-Rubrik der Leipziger Volkszeitung speist, denn aus wirklicher praktischer Reflexion herrschender Verhältnisse.
Das Nichtvorhandensein einer demokratischen Öffentlichkeit (Presse, demokratische Vereinigungen, Gewerkschaften, oppositionelle Parteien etc.) in Leipzig machte von Anfang an eine Auseinandersetzung um den Begriff der „(inneren) Sicherheit“, um Überwachung, Repression etc. im öffentlichen Gespräch nahezu unmöglich. Diese Voraussetzung beachtend, konnte als Ziel lediglich die klare Formulierung einer Contra-Position sein, um die Installation von Überwachungskameras als Teil gesellschaftlicher Praxis (Überwachungsgesellschaft), als einen konkreten Konflikt wahrnehmbar zu machen. Diese Wahrnehmbarkeit hat die „Kampagne zur Rückgewinnung öffentlicher Räume“ durchaus erreicht. Die unzähligen Aktionen gegen Videoüberwachung in Leipzig haben einen öffentlich wirksamen Contra-Punkt gesetzt.
Diese geschaffene Situation führte erst langsam auch zu einer öffentlichen Diskussion der Verhältnisse in Leipzig bezüglich „innerer Sicherheit“ und Videoüberwachung. Besonders überregionale Medien sind sich der Problematik bewußt geworden und forcieren in ihren Berichterstattungen die Verankerung des Konflikts im öffentlichen Bewußtsein.

Widerstand lebt
Die Faktoren, die zum Abbau der Kamera am Connewitzer Kreuz geführt haben, sind sicherlich verschiedene. Entscheidend hierfür erscheint uns jedoch vornehmlich die eigene Arbeit. Diesen Schritt sehen wir durchaus als Erfolg des geleisteten Widerstands an. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, dass praktischer Widerstand nicht als Selbstlegitimation politischer Arbeit, sondern als wirksame Möglichkeit zum Eingriff in politische Verhältnisse angesehen werden kann.
Die Relevanz öffentlicher Überwachung der linken Szene in Leipzig-Connewitz bleibt für die Stadt bestehen. Unserer Ansicht nach führen diese Maßnahmen im Verhältnis zum permanenten Protest linker Gruppen jedoch nicht in ein für die Stadt insgesamt objektiven Gesamtnutzen. Vielmehr führten die kontinuierlichen Proteste für die Stadt zu einer unkontrollierbaren Situation der Unsicherheit, welche sich nicht in Einklang bringen ließ mit der nützlichen Funktion der Überwachung linker Zusammenhänge in Connewitz und dem Ziel der Installation eines Sicherheitsgefühls der konformen und damit ordentlichen BürgerInnen.
Die Entfernung der Kamera am Connewitzer Kreuz ist damit mitnichten die Einsicht der Stadt in die Unverhältnismäßigkeit und politische Untragbarkeit öffentlicher Überwachung. Sie ist die Reaktion auf die massive öffentliche Darstellung widerständigen Verhaltens und die störende Einmischung politisch aktiver Menschen in das gesellschaftliche Leben der Stadt. Der Transparent-Spruch „Protest gegen Videoüberwachung stört“, welcher zum Beginn der Aktionen (am 26.01.00 am Connewitzer Kreuz) gegen Videoüberwachung in Leipzig initiiert wurde, erhält somit späte Bedeutung und Bestätigung.

Der Abbau der Kamera ist also ein deutliches Signal, dass Widerstand Sinn macht und Erfolge bringt. Damit in Zusammenhang darf die Demontage der Kamera am Connewitzer Kreuz nicht isoliert, sondern nur im Verhältnis zur Installation der neuen Überwachungsanlagen am Roßplatz und am Martin-Luther-Ring gesehen werden. Die alleinige Installation dieser Überwachungstechnik hätte die Situation in Leipzig nur verschärft. Sie hätte nicht, wie in der Vergangenheit geschehen, als klandestiner Akt an der Öffentlichkeit vorbei geführt werden können, sondern hätte erneute Diskussionen und Proteste herausgefordert. Diese zu erwartende Situation ist für die Stadt in nicht unerheblichen Maße gefährlich. Die Ordnung der Verhältnisse in Leipzig würde nachträglich und schlecht kontrollierbar in Mitleidenschaft gezogen werden. Die zunehmende Fokussierung überregionaler medialer Öffentlichkeit auf die „Modellstadt Leipzig“ könnte überdem das Konzept der vollständig überwachten Innenstadt in erhebliche Erklärungsnöte bringen.
Die Ausweitung der Proteste zu verhindern, musste demnach entscheidendes Ziel der Stadtverwaltung sein. Um also den entscheidenden Träger-Innen des Protests, welche tatsächlich die sich aus Connewitz speisende linke Szene darstellt, die Motivation zu rauben und den stetig zunehmenden Protest zu unterbinden, wurde die Kamera am Connewitzer Kreuz abgebaut. Diese Entscheidung ist also als wesentliche Konzession an die Proteste der letzten Monate anzusehen und kein good-will-act der Stadt.
Damit in Zusammenhang muss auch der Zeitpunkt der Demontage betrachtet werden. Die Entscheidung zwei Wochen vor der Demonstration „Abschotten-Überwachen-Ausgrenzen – NULL TOLERANZ“ am 06.05.00 durch die Leipziger Innenstadt verweist darauf, dass dieser Demonstration ihre Wirkung geraubt werden sollte. Könnte man das noch als spekulative Behauptung abtun, wurde jedoch genau diese Intention seitens der Stadt exemplarisch ausgedrückt. Unmittelbar nach der Demontage der Kamera am Connewitzer Kreuz fragte das Ordnungsamt bei der „AG Öffentliche Räume beim BgR“ nach, ob wir angesichts der aktuellen Situation überhaupt noch unser Recht der Meinungsäußerung in Form einer Demonstration wahrnehmen wollten. Die Hoffnung der Stadt bestand also auch darin, die Demonstration im Sande verlaufen oder doch wenigstens zur marginalen Bedeutung verkommen zu lassen, um ihr Projekt der totalitären Videoüberwachung der Leipziger Innenstadt ohne großes Aufsehens über die Bühne gehen zu lassen.

Dies alles zeigt, wie wirksam massiver Protest und Widerstand in doppelter Hinsicht sein kann. Erstens kann über die öffentliche Darstellung einer eigenen Position der öffentliche Diskurs für die betreffende Problematik sensibilisiert werden. Das hat zur Folge, dass herrschende Institutionen, in diesem Falle die Stadt, ihre Politik nicht in klandestinen Verwaltungsakten vollziehen kann, sondern diese Politik immer im öffentlichen Licht und der damit einhergehenden Bewertung und Auseinandersetzung dargestellt wird. Zweitens, und das ist der für uns entscheidendere Punkt, führt Protest und Widerstand zu störenden Situationen für die öffentliche Ordnung. Das disproportionale Verhältnis von den Vorteilen der Videoüberwachung für die Stadt und den Nachteilen, die aus den störenden Protesten erwachsen, zugunsten des zweiteren, macht für die Stadt die Aufhebung der Videoüberwachung sinnvoll.

Save the Resistance
Das Konzept, das die Stadt nun fährt, ist dabei beileibe kein neues. Schon Bismarck machte sich die partielle Aneignung linker Interessen im eigenen Machtgefüge zu Nutze, um die revolutionäre Gesellschaftskritik als Ganze zu zerstören. Die Initiierung sozialstaatlicher Mechanismen besaßen in der Geschichte „demokratischer“ kapitalistischer Systeme genau die gleiche Funktion. Die Frage, inwieweit das Insistieren auf bürgerliche Grundrechte als systemimmanente Kritik akzeptabel ist, steht also weiterhin im Raum.
Der Kampf für grundgesetzlich legitimierte Grundrechte im Sinne einer Demokratisierung hiesiger Verhältnisse ist nicht unser Ziel. Vielmehr ist es unser Anliegen, im Kampf gegen die totale Videoüberwachung öffentlicher Räume eine hinreichend akzeptables Situation für die eigene umfassendere politische Arbeit zu schaffen. Gleichzeitig sehen wir unsere Aktionen nicht als Teil einer BürgerInnen-Initiative, sondern als Teil linksradikaler Praxis.
Die Videoüberwachung öffentlicher Räume steht damit zum einen unserem Verständnis von der Freiheit der Menschen und zum anderen unseren Möglichkeiten linksradikaler Praxis diametral entgegen. Der Kampf gegen Videoüberwachung muss schon allein aus diesen Gründen konsequent fortgeführt werden. Dabei steht nun weniger die konkrete Repression linker Zusammenhänge in Leipzig-Connewitz, als die Überwachungsgesellschaft als gesamtgesellschaftliche Konzeption zur Disposition.
Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch der Fakt, dass Überwachung in Connewitz mit der Demontage der Kamera am Connewitzer Kreuz beileibe nicht beendet ist. Vielmehr hat die Stadt Leipzig auf der Pressekonferenz vom 19.04.00 darauf hingewiesen, dass mit der Deinstallation der Kamera die Polizeipräsenz in Connewitz erhöht wird. Gespürt haben das bereits die BewohnerInnen der Stöckartstr. am 02.05.00. An diesem Tag fand dort erneut durch ein Großaufgebot der Polizei eine Razzia gegen die BewohnerInnen statt.
Kamera, 8.6k Ausgangspunkt für unsere Arbeit bleibt also die Stadt Leipzig als unser konkretes Lebensumfeld. Die Demontage der Kamera am Connewitzer Kreuz ist lediglich ein Teilerfolg. Sie zeigt, wie Widerstand funktionieren kann. Neben der Problematisierung von Sicherheitsdiskursen und öffentlicher Überwachung als kapitalismus- und staatserhaltender Mechanismen, werden wir weiterhin die konkrete Situation in Leipzig angreifen und versuchen zu verändern. Neben verschiedenen Aktionen, welche die Unzulänglichkeit öffentlicher Überwachung darstellen sollen, wird es auch im Rahmen der „Kampagne zur Rückgewinnung öffentlicher Räume“ am 14. Oktober in Leipzig eine bundesweite Demonstration unter dem Motto „Save the Resistance“ in Leipzig geben. Bis dahin werden wir weiterhin vor keinen öffentlichen Events und Veranstaltungen der Stadt Leipzig zurückschrecken, um auf diesen unsere Positionen darzustellen.
AG Öffentliche Räume beim Bündnis gegen Rechts Leipzig (BgR), Mai 2000


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last modified: 28.3.2007