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Im Rahmen der Kampagne gegen Sicherheitspolitik und Videoüberwachung fanden in der Woche vom 31.1. bis zum 4.2.2000 Demonstrationen in Leipzig-Connewitz statt. Im folgenden dokumentieren wir einen auswertenden Text der „AG Öffentliche Räume beim Bündnis gegen Rechts“ sowie zwei der gehaltenen Redebeiträge.

Demo-Auswertung der AG "Öffentliche Räume" beim BGR
Demo-Redebeitrag der AG "Öffentliche Räume" beim BGR

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Überwachungsgesellschaft, 9.1k

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Sicherheitskonzept gegen Andersdenkende, -handelnde und -ausehende.

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Redebeitrag der „Ökologischen Linken – Regionalgruppe südliche Ex-DDR“.

Was dem autoritären SED-System als Totalitarismus unterstellt wurde, heisst nun im New Speech einiger ehemaliger RevolutionärInnen (?) vom Herbst 1989 „Sicherheitskonzept“. Allen voran Leipzigs Oberguru für Law and Order, Bürgermeister Tschense. Für keine scharfmacherische Äusserung gegen alles, was seinem verminderten Freiheitsbegriff nicht entspricht, ist er sich zu blöd. Nicht einmal ansatzweise setzt er sich mit der „Freiheit der Andersdenkenden“ auseinander. Was für Tschense und Co. wahrscheinlich schon 1989 eine nützliche Phrase war, ist heute erst recht zu solcher verkommen, misst mensch aktuelle Äusserungen am damaligen Anspruch.

Hinweisschild zur Videoüberwachung, 12.1k Im Verständnis der Stadtregierung ist Demokratie das, was Politik gerade vollzieht. Dabei ist ihnen das als Gral demokratischer Weisheit stets überschätzte Grundgesetz nicht einmal das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. So ist alleine schon die permanente visuelle Überwachung am Connewitzer Kreuz nach dem Grundgesetz in Frage zu stellen. Nicht einmal von der Überwachungs-Terminologie kann mensch sich trotz leidiger DDR-Erfahrungen trennen. Die Verfügung eines „Kriminalitätsschwerpunktes“ ist eine pauschale Vorverurteilung aller Menschen, die sich am Connewitzer Kreuz bewegen.
Das Grundgesetz sichert vorgeblich auch die Interessen einer Minderheit gegen deren Verletzung durch eine von kommunalen Behörden und deren hörige Medien sonstwie herbeigeredete Mehrheit manipulierter BürgerInnen. Es ist daher nur wenig verwunderlich, dass Tschense in faschistoider Weise definiert, dass „Privatpersonen“ undemokratisch seien, weil sie nicht kooperativ und gesprächbereit wären. „Wer demokratisch ist, bestimme ich...“, ist Tschenses Botschaft, die erschrecken macht.
Das Tschense einfach nur lügt, verschweigt das Zentralorgan des im und um das Rathaus organisierten Antitotalitarismus-Klüngels, die „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ) geflissentlich.

Kein Wort dagegen verlieren Tschense und sein sich selbstzensierendes Sprachrohr über eigene und Demokratiedefizite kommunaler Behörden bzw. der Leipziger Polizei. So stellt Tschense den spontanen und friedlichen Protest von Connewitzer BürgerInnen gegen die Videoüberwachung des Kreuzes als „die illegale Demo am Mittwochnachmittag“ dar. Welches Verständnis er von Versammlungsfreiheit hat, wird deutlich, wenn er die Wahrnahme eines Grundrechtes als „illegal“ kriminalisiert. Aus dieser Behauptung leitet er ab, dass andere Einzelpersonen und Gruppen, die analoge politische Beweggründe für Demonstrationen haben, „illegale“ Absichten hätten.
Am 26. Januar und seit dem 31. Januar täglich zu erleben, war es aber die Polizei, deren Handlungen „illegalen“ Charakter trugen. Wir meinen:
— Pauschale Platzverweise,
— willkürliche Beschränkung von Demonstrationsmitteln,
— martialische, inhumane Bewaffnung und Ausrüstung,
— ständige Videodokumentation ausnahmslos aller DemonstrationteilnehmerInnen und
— die massive Präsenz insgesamt
— Verhaftungen
Das zeigt nicht nur den absoluten Kriminalisierungswillen der staatlichen Behörden gegenüber einer ungeliebten Szene, sondern neben einem fehlenden Demokratieverständnis vor allem ihren totalen Machtanspruch.

„Humanitäre Katastrophen“ oder die Neudefinition vom „Menschenrecht auf Sicherheit“ sind die Elemente der willkürlichen Moral einer total individualisierten „Neuen Mitte“”. Auf dieser Grundlage praktizierte politische Handlungsweisen assoziieren eine Analogie zu, wie Hannah Arendt schrieb: „Hitlers Diktum, ‘dass der totale Staat keinen Unterschied kennen darf zwischen Recht und Moral’”. Ohne der BR Deutschland explizit unterstellen zu wollen, sie bezöge sich in ihren politischen Äusserungen und Handlungen bewusst auf Naziideologeme, stellt sich aktuelle Aussen- (siehe Kosovo) als auch Innenpolitik objektiv in den Kontext jenes Diktums. Nur mit einer wesentlichen Modifizierung. Das bundesrepublikanische Gesellschaftsmodell überführte die Negation des bürgerlichen Rechtsstaates (Weimarer Republik) durch die Nazis in die totale Verrechtlichung gesellschaftlicher und sozialer Konflikte. So ist es in dieser parlamentarisch verbrähmten Vertretungsdemokratie auch nur scheinbar sinnvoll, die Illegalität staatlicher Sanktionen einzuklagen. Die Folge ist fast immer eine Gesetzgebung, welche die beklagten Handlungen zwar nicht nachträglich, aber immer zukünftig legalisiert. Was in Auswertung der Erfahrungen vor dem Kosovo-Krieg dann der UNO-Beschluss zu Ost-Timor war, sind im Inneren die visuellen Überwachungsmassnahmen öffentlicher Räume. Die dafür fehlenden „eindeutigen gesetzlichen Regelungen...“, so der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, werden noch im ersten halben Jahr „geschaffen“. Die daraus abzulesende Machtborniertheit sagt deutlich: was wir machen ist zwar noch nicht rechtlich abgesichert, aber wir sichern uns im Nachhinein für unser zukünftiges Handeln ab.

In Berlin marschierten dagegen am 29. Januar 2000 erstmals seit 1945 wieder Nazis durch das Brandenburger Tor. Lediglich in anderer Diktion als die offizielle der Schröder, Scharping und Fischer mit ihrer modifizierten Form der „Auschwitzlüge“, relativieren oder bestreiten sie die Mitschuld der meisten Deutschen am Verbrechen der Schoa. Ein ursprüngliches Verbot mit der Begründung aufzuheben, eine notwendige Ersatzveranstaltung für einen verbotenen Naziaufmarsch in Göttingen schaffen zu müssen, ist nicht nur Willkür bei der Anwendung eigener Rechtsvorschriften. Es verdeutlicht auch eine staatlich/rechtliche Position, die den Nazis nunmehr auf grundgesetzlicher Basis einen erneuten Versuch der praktischen Umsetzung ihrer menschenfeindlichen Ideologie ermöglichen könnte. Der Wille, dies wenigstens mit zivilgesellschaftlichen Mitteln zu verhindern, verschwindet dabei hinter der genannten totalen Verrechtlichung aller gesellschaftlichen Bereiche, um bald nicht mehr verifizierbar zu sein.

Was wir fordern, ist nicht nur der Abbau der Kamera am Connewitzer Kreuz. Das wäre nur ein vorhersehbar erfolgloser Appell an eine von uns nur pragmatisch akzeptierte staatliche Autorität. Wir kämpfen für die Schaffung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen es keine Beschränkung der Selbstbestimmung der Individuen durch permanente Beobachtung oder andere staatlichen Restriktionen mehr gibt. Unsere Solidarität gilt allen, die staatlicherseits wegen der Demonstrationen kriminalisiert wurden und werden.


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last modified: 28.3.2007