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Im folgenden dokumentieren wir eine überarbeitete Fassung des Referats der AG Öffentliche Räume beim BGR, welches auf der Veranstaltung „Überwachung in der heutigen Gesellschaft" am 25.02.2000 in der Lichtwirtschaft in Leipzig-Connewitz gehalten wurde.
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Echelon

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Weltweites Abhörsystem

der BND hoert alles, 27.7k
Den üblichen Vorwurf der Paranoia hinsichtlich staatlicher Überwachung und des Potentials technischer Möglichkeiten zu widerlegen, ist das Ziel dieses kleinen Exkurses über das größte geheimdienstliche Überwachungssystem Echolon – es ist keine Verschwörungstheorie, sondern realistische Einschätzung, von der umfassenden Überwachung der technisch übertragenen Kommunikation weltweit auszugehen.
Dennoch sollte die Relevanz von Echolon für unsere Kreise weder überschätzt, noch unterschätzt werden – wesentlich näherliegend und uns unmittelbarer betreffend ist die Entwicklung der sogenannten Überwachungsgesellschaft; darauf an diesem Punkt näher einzugehen, würde allerdings den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Im Rahmen einer Kampagne gegen den allgemeinen Überwachungswahn der AG Öffentliche Räume beim BgR wird es dazu noch Ausarbeitungen geben.
Echelon liegt trotzdem auch im Einflußbereich unserer politischen Arbeit. Diese neue Situation sollte bei der Einschätzung dieses Systems der staatlichen Überwachung keinesfalls aus dem Blickwinkel geraten. Es geht uns vorrangig darum, die technischen Möglichkeiten zu zeigen, und welcher Aufwand betrieben wird, um einen informellen Vorsprung zu haben.


Echolon

Das staatliche Echolon-System ist ein Netzwerk von elektronischen Spionage-Stationen zur Überwachung der weltweiten Kommunikation, das es in dieser Form seit Anfang der 90er Jahre gibt; der Aufbau des Überwachungssystems begann jedoch bereits in den 70er Jahren durch den US-amerikanischen Geheimdienst National Security Agency (NSA). Echolon wird von Auslandgeheimdiensten der Länder Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland sowie des CIA unter der Führung der NSA betrieben.
Das System untersucht routinemäßig die gesamte Telefon-, Fax- und Email-Kommunikation weltweit, die über Satelliten und die interkontinentalen Untersee-Kommunikationskabel läuft sowie die drahtlose Kommunikation im Inland (Funktelefone, Richtfunkstrecken, Funknetzwerke...); erfasst wird sowohl die Kommunikation innerhalb als auch zwischen Ländern und Kontinenten.
Der Datenfluß wird automatisch über das Programm „Dictionary“ nach bestimmten Begriffen durchsucht, welches mehrere nationale Wörterbücher und spezifische Suchbegriffe sowie Namen von Zielpersonen enthält. Die beteiligten Geheimdienste stellen diese nach ihren Bedürfnissen zusammen und bestimmen damit die Auswahlkriterien für relevante Daten. Durch Änderung dieser Auswahlkriterien ist es auch binnen kürzester Zeit möglich, den Erfassungsbereich des Systems von zum Beispiel Wirtschaftsspionage auf politische Randgruppen zu verlegen.
Inzwischen wird sogar kontextbezogen gesucht, d.h. der Sinn von Sätzen wird durch Computerprogramme erfaßt – das ermöglicht eine viel differenziertere Filterung als das Durchsuchen nach Stichworten. Das hochwertige Computersystem nutzt hierfür weitentwickelte Sprach- und Texterkennungsprogramme, komplexe Suchprogramme und Stimmerkennung, so dass jeder Anruf einer bestimmten Person, unabhängig von welchen Anschluss er erfolgt, aufgezeichnet werden kann. Diese Programme sind keineswegs vergleichbar mit kommerzieller Software – sie sind dieser vom Stand der Entwicklung erheblich voraus und laufen auf Hochleistungsrechnern mit wesentlich höherer Kapazität.
Die relevante Kommunikation wird herausgefiltert und für die zukünftige Auswertung aufgenommen; die europäischen Daten werden über die Zentrale in Menwith Hill in England über Satellit in das US-amerikanische strategische Zentrum Fort Meade in Maryland gesendet.
Von Millionen von Botschaften täglich, die durchsucht werden, wird nur ein geringer Teil zur manuellen Auswertung herausgefiltert – die Leistung von Echolon besteht gerade in der Fähigkeit, aus Unmengen von Datenmengen mittels hochwertigster Technologien automatisch die als relevant eingestuften Daten herauszufiltern.
Überwacht wird prinzipiell jeder: Politiker, Organisationen, Unternehmen, Privatpersonen – also vorrangig nichtmilitärische Ziele.
Aus der Zeit des kalten Krieges, als die Grundlagen des Echolon-Systems gelegt worden sind, resultiert die politische Spionage; in den 90ern stellt die kommerzielle Spionage in gewisser Weise dessen neue Rechtfertigung dar und bildet ein neues und in der Realität bedeutsames Aufgabenfeld.
Offiziell dient Echolon der „Bewahrung der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität“ – de facto wird über dieses System auch Wirtschaftsspionage betrieben. Da keine parlamentarische und öffentliche Kontrolle existiert, hat jeder der beteiligten Geheimdienste die Möglichkeit, seine individuellen Kriterien einfliessen zu lassen und seine Motive umzusetzen, indem die entsprechenden Suchworte festgelegt werden.
Viele werden denken, dass uns dieses Abhörsystem nicht betrifft, da es hauptsächlich internationale Kommunikationsverbindungen überwacht. Allerdings ist das etwas kurz gedacht, da ein großer Teil der Kommunikation auf nationaler Ebene (zum Beispiel ein Anruf von Leipzig nach Hamburg) durchaus über Leitungen im Ausland oder Richtfunkstrecken übertragen werden. Und damit sind sie automatisch ein Fall für Echelon. Und wie oben bereits beschrieben, hängt der Erfassungsrahmen nur von den Auswahlkriterien der jeweiligen Geheimdienste ab.
Interessant ist in dem Zusammenhang nebenbei, dass deutsche Behörden keinen Zugriff auf die Informationen von Echelon haben, obwohl auf dem Boden der BRD Echelon-Stationen stehen, die auch die BRD abhören.
Die BRD, genauer der BND, betreibt aber ein ähnliches System, mittlerweile sogar gesetzlich legitimiert. Und dass von dort Informationen an andere deutsche Behörden weitergegeben werden, dürfte allen klar sein. Irgendwie müssen sich die Leute ja legitimieren, und sei es, indem sie Infos über Randgruppen liefern.

Ähnliche Projekte

Es gibt ca. 140 überwiegend nationale Abhörsysteme; Echolon ist das größte und international umfassendste (Zum Vergleich: Es gibt zur Zeit 162 Länder, die UN-Mitglied sind...).
Der deutsche Auslandgeheimdienst BND hört überdies mittels eines ähnlichen Überwachungssystems offiziell alle Auslandtelefonate einschliesslich Fax ab.
Telefonueberwachung, 27.6k
Neben Echelon ist ein für uns relevantes Projekt Enfopol, eine Organisation der EU, die innerhalb der europaweiten Zusammenarbeit der Innen- und Justizministerien geschaffen wurde und ebenfalls ausserhalb der parlamentarischen Kontrolle steht. Ähnlich dürfte es wohl mit dem EU-Geheimdienst werden, der von einigen Politikern immer mal wieder ins Gespräch gebracht wird.
Eines der Ziele ist es, die Möglichkeit zur permanenten Überwachung des gesamten Telefon- und Datenverkehrs zu haben und die Verschlüsselung von Firmen- und Privatdaten in Computernetzen zu unterbinden, um sie überhaupt abhören zu können. Enfopol stellt Forderungen an Regierungen und Unternehmen im Computer- und Kommunikationsbereich, in denen definiert wird, wie die entsprechenden Techniken ausgerichtet sein sollen, damit die Voraussetzung für Überwachung gegeben ist (d.h. alle Telekommunikationsdienstanbieter müssen die „Durchführung nationaler Überwachungsanordnungen ermöglichen“). Im Rahmen der „grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ werden überdies die Überwachungsdaten zwischen den beteiligten Staaten ausgetauscht.
Die Kryptographie-Debatte ist eng mit Enfopol in Europa und mit der NSA in den USA verbunden: die Überwachung von Internet und Telekommunikation wäre ohne Zugriff auf verschlüsselte Daten unvollständig; daher sollen die Anbieter der entsprechenden Dienste die übertragenen Daten in Klarform, also unverschlüsselt, bereitstellen. Dies betrifft jedoch eher die interne, meist technisch bedingte Verschlüsselung.
Bezüglich privat anwendbarer Verschlüsselungen (wie zum Beispiel PGP) übt zum Beispiel der NSA Druck auf die US-Regierung aus, effektive (sogenannte starke) Verschlüsselungsverfahren zu verbieten (also nur die zuzulassen, die von ihm geknackt werden können) und gesetzlich vorzuschreiben, dass Verschlüsselungsprodukten Hintertüren eingebaut werden sollen, die den Geheimdiensten zugänglich gemacht werden müssten.
Auch in der Kohl-Ära gab es vor allen von Manfred Kanther einige Vorstösse um das Recht auf Privatsphäre aufzuheben. Kanther machte einige Vorschläge, die selbst sogenannten rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprachen. So wollte er zum Beispiel das Recht auf Aussageverweigerung faktisch abschaffen, um im Falle eines Ermittlungsverfahrens den Behörden zu ermöglichen, mit Zwangsmitteln wie Beugehaft Beschuldigte und Zeugen (!) zur Herausgabe von Passwörtern zu zwingen, egal ob sie sich oder Familienangehörige belasten oder nicht.
Die Kryptodebatte wurde aber in dem Fall durch eine höhere Macht als Politiker entschieden. Die Industrie sah nämlich ihre Firmengeheimnisse gefährdet und so rückten sie den Politikern auf die Pelle und machten ihrerseits Druck. Man hatte die durchaus berechtigten Befürchtungen, daß damit der Industriespionage Tür und Tor geöffnet werden würde.

Konsequenzen

Jede Kommunikation der anfänglich beschriebenen Form wird durch Echolon und ähnliche Systeme überwacht; jede Person kann entsprechend den Suchkriterien herausgegriffen werden. Darüber hinaus können Personen gezielt überwacht werden (natürlich immer noch klassisch über die Überwachung bestimmter Anschlüsse, zum Beispiel aber auch über die Stimmerkennung).
Abhoeren von Telefonen - alte Variante..., 12.9k
Die Effizienz von Echolon liegt in der Automatisierung:
„das Echolon-System ist in den letzten 10 Jahren weitgehend automatisiert worden und hat tausende Abhöroperateure, die bei den Nachrichtendiensten beschäftigt waren, ersetzt. Lauschen und Analyse gehen nun automatisch vor sich, dank eines globalen Netzwerks von Computern, die selbständig ihr Material durchsieben können. Buchstäblich werden stündlich Millionen von persönlichen und geschäftlichen Mitteilungen durchforstet. [....] Schon 1992 erreichte das System nach Angaben eines früheren NSA-Direktors einen Durchsatz von zwei Millionen abgehörten Nachrichten pro Stunde.“
(Zitat von Duncan Campbell)
Das neue und bedeutende dieser neuen Formen von Überwachung ist jedoch, daß jede Person zunächst verdächtig ist – es gilt nicht mehr das Verdachtsmoment für die Überwachung; eine Person muß nicht erst auffällig geworden sein, um überwacht zu werden. Das ist ein wesentliches Merkmal von dem, was wir Überwachungsgesellschaft nennen.
Dieses Novum ist das charakteristische Merkmal der aktuellen Überwachungsmethoden und -strukturen und keineswegs spezifisch für Echolon.
Betont werden soll an dieser Stelle nochmals, dass dieses System für linksradikale politische Arbeit in Deutschland eher zweitrangig ist – zwar wird Email- und Internet-Kommunikation mit grosser Wahrscheinlichkeit auch durch die Echolon-Rechner durchsucht werden, da diese im allgemeinen über Auslandsleitungen verlaufen; jedoch sind die Interessen und Auswahlkriterien der an Echolon beteiligten Geheimdienste vermutlich nicht auf diese politische Arbeit ausgerichtet, und Deutschland, bei denen ein solches Interesse bestünde, ist nicht beteiligt. Die Kriterien sind allerdings nicht bekannt, die Interessenlagen veränderlich, und auch der Kreis der beteiligten Staaten kann sich erweitern. Wovor nur gewarnt werden soll, ist eine Überschätzung der unmittelbaren Bedeutung von Echolon. Es ist aber jederzeit möglich, durch Änderung der Filterkriterien, daß auch linksradikale Zusammenhänge oder andere Randgruppen Ziel derartiger Überwachungssysteme werden, je nachdem, was politisch zur Zeit sinnvoll oder gewollt ist.

Zum Weiterlesen:
Cilip Nr. 61 – „Auf dem Weg zum globalen Überwachungsstaat – Ergebnisse eines Berichts für das Europäische Parlament“
Telepolis: http://www.heise.de/tp/ (Magazin der Netzkultur mit vielen guten Beiträgen über Überwachungsbehörden und -techniken)
Statewatch: http://www.poptel.org.uk/statewatch/ (Menschenrechtsorganisation für die Europäische Union mit Schwerpunkten: Polizei, Geheimdienste, Datenschutz, Justiz)
Nicky Hager: Secret Power. New Zealands role in the international spy network, Nelson (NZ) 1996 (auch zu finden unter: http://www.fas.org/irp/eprint/sp/; in diesem Buch wird Echelon das erste Mal „enttarnt“)
NSA: http://www.nsa.gov:8080
Echolon Watch: http://www.aclu.org/echelonwatch/
Duncan Campbell: http://www.gn.apc.org/duncan/ (Autor mehrerer guter Bücher über Echelon, die sich auch auf seiner Homepage im Volltext befinden)


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last modified: 28.3.2007