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Im folgenden dokumentieren wir den Aufruftext zur Demonstration gegen Überwachungswahn der AG öffentliche Räume beim BgR Leipzig.
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Dokumentation: Abschotten... Überwachen... Ausgrenzen...

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„Für Videoblick auf kriminelle Szene soll Gesetz kommen“.

Diese Überschrift der Leipziger Volkszeitung (LVZ) zeigt sehr gut in welchem fatalen Widerspruch sich das Konzept der Videoüberwachung öffentlicher Räume bewegt. Denn die in diesem Falle städtischen Vertreter von ‘law and order’ bewegen sich außerhalb der von ihnen so hoch stilisierten Legalität. Im Gegenzug findet eine pauschale Vorverurteilung und Kriminalisierung von Menschen statt, welche sich eben nicht dem Raster angeblich gängiger Verhaltensnorm anpassen wollen oder können, z.B. Menschen, welche nach Äußerlichkeiten willkürlich der alternativen Szene zugeordnet werden, Flüchtlinge und Menschen anderer Hautfarbe oder aber Menschen, welche das teilweise stark von der Realität abweichende subjektive Sicherheitsgefühl vieler BürgerInnen beeinträchtigen würden.

Videoueberwachte Strassenbahnen gehen auf Tour, 2.6k

Diese Strategie ist allerdings nichts neues, so laufen seit 1996 in der Stadt Leipzig Modellprojekte im Bezug auf die Überwachung öffentlicher Räume. Möglich wurden diese Vorstöße, da die politischen Grundlagen für solche Maßnahmen vergleichsweise weit vorangeschritten waren. Und das Konzept der Videoüberwachung und die damit verbundenen Ausgrenzungsprozesse paßten sehr gut in die Image- und Standortkampagnen Leipzigs. Seit damals wird der Hauptbahnhofsvorplatz und Teile der Leipziger Innenstadt überwacht. Das Zauberwort „Kriminalitätsschwerpunkt“ diente nur zu oft als Rechtfertigung, um die Observierung vor einer breiten Öffentlichkeit zu begründen, soweit das überhaupt nötig war. Dieser „Schwerpunkt“ läßt sich aber beispielsweise durch undifferenzierte Kriminalitätsstatistiken überall konstruieren. Oft wird die öffentliche Meinung noch dadurch angeheizt, daß Ordnungswidrigkeiten (z.B. Hunde ohne Leine) absolut überzogen durch die Polizei geahndet werden und dies dann als Erfolg in der Presse nachzulesen ist.

Beispiel Connewitzer Kreuz oder „wie schaffe ich mir einen Kriminalitätsschwerpunkt“

Exemplarisch dafür stehen die Entwicklungen am Connewitzer Kreuz in Leipzig. Hier erschien der OBM der Stadt Leipzig, um großspurig die Steigerung eben jenes Sicherheitsgefühls durch erhöhte Polizeipräsenz und die permanente Beobachtung anzukündigen. Als scheinbaren Grund dafür wurde eine Gruppe von Menschen vorgeschoben, welche ihre tägliche Zeit dem Biertrinken gewidmet hat. Jene pauschal als potentiell gefährlich und in diesem Zusammenhang auch gern als kriminell erklärt, sollte vorerst also die pauschale, verdachtsunabhängige Überwachung legitimieren. Doch die Geschehnisse in Connewitz zeigen weiter, daß die Videoüberwachung verschiedene Personengruppen nicht „nur“ kriminalisiert, sondern sie ihrer grundlegenden Rechte beraubt. So wirkt die permanente Kontrolle des öffentlichen Raumes auch zutiefst repressiv auf die politische Meinungsäußerung bzw. verunmöglicht die ungestörte Demonstration eben dieser z.B. dadurch, daß es nicht nachvollziehbar ist, ob die Kamera nicht doch personengebundene Daten, etwa von den DemonstrantInnen am Connewitzer Kreuz, aufzeichnet und diese in irgendeiner ominösen Datensammlung erstmal pauschal gesichert werden. Das ständige Einfilmen auf den Demozug während einer Protestreihe gegen die Videoüberwachung seitens der Polizei spiegeln die Dringlichkeit der Forderung nach Rücknahme der Übrwachungsmechanismen sehr gut wider. Als auf die Videoanlage in Connewitz bezogen die Polizei und das Ordnungsamt zunehmend in Erklärungsnot gerieten, wurde plötzlich das Argument ins Feld geführt, daß es sich am Connewitzer Kreuz um einen „Kriminalitätsschwerpunkt“ handele, obwohl der zuständige Polizeibeamte zunächst keine Auffälligkeiten in dieser Hinsicht erkennen konnte. Und als angeblicher Beweis wurde eine Statistik angeführt, welche jeglicher Differenzierung entbehrte und deshalb der Realität entgegen stand, statt sie zu repräsentieren.

Videoüberwachung als Lösung?

Die Begründungen für Videoüberwachung, wie z.B. rassistische und sexualisierte Gewalt oder eine offene Drogenszene, kann diese höchstens kosmetisch bekämpfen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, als Grund, werden ganz bewußt nicht in den Diskurs gebracht oder gar der Versuch unternommen diese zu verändern. Ganz im Gegenteil Videoüberwachung und aggressive „zero tolerance“-Konzepte setzen einen Ausgrenzungs- und Vertreibungsprozeß in Gang, welcher darauf ausgerichtet ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse aufrecht zu erhalten. Nach rassistischen und vor allem kommerziellen Motiven werden alle Menschen, welche sich nicht einem gängigen Raster unterwerfen lassen, ausgegrenzt bzw. an einen ihnen zugewiesenen Ort abgeschoben. Und hier zeigt sich, daß die Tragweite des Themas nicht allein auf staatlich repressive Formen der Überwachung reduzierbar ist. Es stellen sich hier zwei zentrale Fragen: zum einen, wo liegen die Motive für pauschale Überwachung und zum anderen, warum wird das Verlangen nach jener von einer so breiten Bevölkerungsschicht getragen und sogar gefordert?

Die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes

Es wird sehr schnell deutlich, daß ökonomische Motive eine sehr große Rolle spielen, wenn es um Überwachung des öffentlichen Raumes geht und dabei ist die Videoüberwachung nur ein Baustein im Gefüge. Denn ein Konglomerat aus Polizei, Ordnungsamt, BürgerpolizistInnen und privaten Wachunternehmen vertreibt alle Menschen, welche den Glanz der zum Einkaufsparadies hochpolierten Innenstädte, Einkaufspassagen und Supermärkte beeinträchtigen. Als störend werden alle Menschen empfunden, welche verschiedenen Verhaltens- und Konsumnormen nicht entsprechen. Auf diese Leute bricht dann die geballte Gewalt sogenannter Sicherheitskonzepte, in Form von ständigen Kontrollen und dem Bewußtsein ständig den Blick von Kameras auf sich zu ziehen, herein. Also beugen sich Menschen dem Druck, ständig Ziel der Überwachung zu sein und passen sich bewußt oder unbewußt den vorgegebenen Normen an oder sie werden vertrieben. Wer versucht, vor Ort Protest gegen diese Verhältnisse zu artikulieren, ist zusätzlichen Repressionen ausgesetzt.

Vom Überwachungsstaat zur Überwachungsgesellschaft

Diese aktiven Abschottungs- und Ausgrenzungsprozesse sind aber nur eine Form der realen und permanenten Überwachung in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft, deren Ausmaß sich kaum erfassen läßt. So kommt es durch die gezielte Überwachung öffentlicher und privater Räume wie z.B. Bahnhöfen, Straßenbahnen und Supermärkten zu einer kommerziellen Verwertung des Menschen. Durch Kundenbefragungen, Kameraüberwachung, Rabattangeboten, Kundenkarten und bargeldlosem Einkaufen wird das Kaufverhalten aller Konsumenten registriert und verwertet. Daher ist auch zu sagen, daß ein Großteil der Überwachungstechnik zunehmend aus diesem Motiv entwickelt wird. Staatliche Behörden müssen deshalb heutzutage nicht mehr gezielt ihnen verdächtige Personen observieren. Denn was früher rein logistisch wegen des Umfangs für diese überhaupt nicht organisierbar war, übernehmen heute private, kommerzielle Anbieter, teilweise sogar nur als Nebeneffekt ökonomischer Verwertung. Statt z.B. Bewegungsprofile von Personen erstellen zu müssen, kann sich die Polizei heute an Banken wenden, um nachzuprüfen, wann der oder die Verdächtige wo ihre Geldkarte benutzt hat. Angesichts dieser Entwicklungen wie z.B. dem Aufweichen des staatlichen Gewaltmonopols und der Möglichkeit, kommerziell Überwachung zu betreiben, ist es nicht hinreichend, noch immer nur vom Überwachungsstaat zu sprechen, denn es ist der generelle Wandel zur Überwachungsgesellschaft offensichtlich.

Die Gier nach Sicherheit

Woher aber kommt dieses scheinbar ungebremste Verlangen nach Überwachung? Abgesehen vom ökonomischen Streben, Konsumenten besser einschätzen zu können, verlangt eine breite Masse aus allen Bevölkerungsschichten nach immer höherer Polizeipräsenz und Kameras. Über die jeweils persönlichen Motive kann nur spekuliert werden. Fest steht aber, daß das jeweils subjektive Sicherheitsempfinden stark manipulierbar ist. So wird erhöhte Polizeipräsenz von einem Großteil der Bevölkerung indirekt eher als Bedrohung empfunden: „die Polizei wird schon ihren Grund haben, hier zu sein“, als daß das Sicherheitsgefühl steigt. Gleiches gilt auch für Kameras. Kriminalisierung ist ein weiteres Schlüsselwort, denn den zahlreichen medialen Darstellungen zufolge bedrohen „ausländische Drogenkriminalität“, „mafiös organisierte Kriminalität“, „Überfremdung durch ungebremste Einwanderung“ und „extremistischer Politterror“ die Existenz der sogenannten demokratischen Grundordnung, sowie jeden einzelnen Bürger. Statt aufklärender Information jedoch unterstützen staatliche Stellen dieses Treiben mit personeller sowie technischer Aufrüstung der Exekutivorgane. Daß damit die Radikalisierung der betroffenen Personengruppen und deren Handlungsmöglichkeiten provoziert wird, ist politisch sogar erwünscht.

Abschottung nach innen und außen

Die kommerzielle Verwertung der Überwachten ist jedoch nur ein weiterer Aspekt, welcher der permanenten Observierung der Menschen implizit ist. Erfolgt in Einkaufszentren die Vertreibung von Nichtkonsumenten, ist es an der deutschen und EU-Außengrenze die Abschottung gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen. In diesem Beispiel spiegeln sich die rassistischen Mechanismen, denen sich die Überwachung bedient, deutlich wider. In einem ca. 30 km breiten „Sicherheitsschleier“ entlang der Grenze und auf Durchgangsstraßen werden „verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen“ nach rassistischen Kriterien durchgeführt, um die „illegalen“ EinwanderInnen aufzuspüren und zurückzuweisen. Dazu ist der BGS hoch ausgerüstet: Wärmebildkameras, Radargeräte, Hubschrauber etc. Die BewohnerInnen der Grenzgemeinden tragen diesen rassistischen Konsens mit: Aufrufen zur Denunziation leistet die Bevölkerung gern Folge. Aber nicht nur an Grenzen zeigt sich der rassistische Charakter von Überwachung. „[...] soll man auf das Aufgreifen von Rauschgifthändlern etwa verzichten, weil die political correctness verlangt, nach einem sich auffällig verhaltenen Asylbewerber vor dem Hauptbahnhof in Leipzig erst einmal 20 Messebesucher und Einheimische zu kontrollieren, bevor der nächste auffällige Schwarze überprüft werden kann [...].“ Diese Äußerung des Leipziger CDU-Chefs Schimpff im sächsischen Landtag verdeutlicht, was der Anspruch nach Sicherheit und Überwachung in sich birgt.

Ihr seid daher aufgerufen, am 6. Mai 2000, 14:00 Uhr, gegen diese immer fortschreitenden Entwicklungen zu demonstrieren. Aktueller Anlaß ist die vom 4.-5. Mai stattfindende Innenministerkonferenz der Länder, welche sich zu diesem Thema beraten wird, um auch auf Bundesebene ein einheitliches Gesetz zu schaffen, welches die pauschale visuelle Überwachung öffentlicher Räume ermöglicht. Dieses zu verhindern und kontinuierlich Protest zu artikulieren, das muß unser Anliegen sein, denn sonst wird dieser Diskurs ohne nennenswerte Gegenstimmen bald reale Praxis überall in Deutschland. Repressiv überwachungsstaatliche Praxis und die Privatisierung öffentlicher Räume wird nicht nur jeglichen politischen Protest verhindern, sondern früher oder später überall ein selbstbestimmtes Leben unmöglich machen.

Und deshalb fordern wir:

  • Sofortiger Ausbaustop der Überwachungsmechanismen!
  • Wiederherstellung öffentlicher Räume!
  • Entkriminalisierung statt Ausgrenzung und Repression!
  • Recht auf informelle Selbstbestimmung!

Samstag, 6. Mai, 14:00 Uhr, Leipzig, Karl-Tauchnitz-Str./Ecke Friedrich-Ebert-Str. (Johanna-Park)


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last modified: 28.3.2007