Der Kreuzer, das Leipziger Stadtmagazin, sucht den Diskurs und
findet ein schwarzes Loch. Pop in der Krise?
Oje, auch das noch.
Ist der Leipziger Pop in der Krise? Oder nicht? Oder
was?(1) Eine Kreuzer-ernannte Expertenrunde, vom
Prinzen-Sänger Krumbiegel über Vertreter von Moritzbastei und PNG bis
zum Drum&Bass DJ Booga, diskutiert über Selbstverwirklichung,
kulturelles Kapital und die Unendlichkeit von Pop. Irgendwo zwischen
Selbstverliebtheit, halbherziger Kritik und Blauäugigkeit schreitet die
analysierende Kennerschaft dabei exemplarisch den langen Weg nach
Mitte ab und verdeutlicht, trotz gegenteiliger Bekenntnisse, daß
die Verbindungslinie zwischen Pop und Politik nicht mal mehr als Schattierung
einer zur Beliebigkeit avancierten Definitionsmacht existiert. Vielmehr geht es
um Partizipation und Standortbestimmung- bzw. Entwicklung, knallhart via
provinzieller Stadtbeobachtung in Bezug gesetzt mit den Schlagworten
Respekt, Erfolg und Markt.
Gute Musik ist natürlich Geschmackssache
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Daß beim Quatschen über Pop bedeutungsschwangere, dennoch wichtige
Begriffe wie Dissidenz, Differenz und Subversion völlig außen vor
bleiben, ist daher nicht der realitätsnahen und kulturpessimistischen
Analyse einiger alter Kulturlinker geschuldet, die irgendwie versuchen, zu
retten was zu retten ist und sich von peinlichen Relikten verabschieden,
sondern vielmehr Ausdruck einer grandios anmutenden
Geschichtslosigkeit. Was dann doch sehr verwundert, weiß doch
ein jeder bescheid über die Taten der Einzelnen, als sich die
Popwelt noch in der richtigen Bahn wähnte. Kein Sterbenswörtchen mehr
von Gegenkultur, stattdessen wird allen Ernstes über Modelle wie
Kulturförderung spekuliert, somit gleichzeitig die Integrität zur
Region, Institutionen und Industrie offenbart, breit legitimiert über die
Parameter Geschmack, Wissen und Kennerschaft. Da scheint die Weisheit mit
Löffeln gefressen: Subkultur funktioniert nicht, wenn du die Hand bei
Vater Staat aufhältst, damit du gegen ihn singen kannst. Falsch, wenn
du in die Verwertungslogik paßt, kannst du auch mit Subkultur steinreich
werden, das ist heute so.
System und Systemkritik vereint als Systemkosmetik können heute gut
miteinander leben, das weiß jeder A&R Typ, ohne sich mit
Deleuze/Guattari beschäftigt zu haben. Wenn an dieser Stelle also der
Kreuzer schreit: da fehlt Diskurs!, ist das kein Zeichen für die
Erkenntnis, daß kein randständiges, subversives Pop-Gegenüber
zum geschlossenen Mainstream mehr die Stellung bezieht, sondern maximal eine
neue Form der Öffentlichkeit, die mit authentischen Stimmen von der
Straße der Popkulturellen auf Leserfang für Dumme geht. Eben eine
Frage des eigenen Anspruchs. Mit dem ist es bekanntlich nicht weit her, hat
doch der Kreuzer die Geschichte mit dem Pop nie ganz verstanden,
insbesondere dann, wenn es um die Unterscheidung zwischen Reformismus und
Revolutionsvehikel ging. Im Gegenteil, in der seit geraumer Zeit praktizierten
Modifizierung von Pop erstrahlt man in neuem Glanze und wagt den vermeintlichen
Schritt, dem fehlenden Diskurs auf die Beine zu helfen. Daß dabei
der zu überblickende Tellerrand nicht erreicht wird, versteht sich von
selbst, ist da doch noch das Diktum des Marktes. Und so lange Leipzig keine
Popstars hat, mit denen eine Zeitung Kohle machen kann, übt man sich eben
in Bedeutungsproduktion. Das ist nun mal ein Mediending. Genau. Denn nie
war Bedeutungsproduktion als Rohstoff des Musikmarktes wichtiger als heute.
Also merken: wenn im Kreuzer die Worte Diskurs, Erfolg, Markt und
Respekt in einem Artikel verwandt werden, gilt es aufzupassen. Da hilft nur
eines: existentielles Besserwissen oder plumpes Gegensteuern a la Krumbiegel,
der zum Thema wie folgt ausführte: Gute (Pop) Musik ist
Geschmackssache. Punkt.
Lars
(1)Kursiv hervorgehobene Passagen sind Original-Zitate des
thematisierten Kreuzer-Artikels: Popmusikszene:
Streitgespräch über den Standort Leipzig. Kreuzer 01/2001
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