home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[68][<<][>>]

kultur-logo, 6.8k

, 0.0k

Irgendwie Pop?

, 0.0k

Eine aktuelle Betrachtung zum PNG

Daß die Kollegen vom PNG erst neulich das Conne Island als „Antipopfestung“ und Ort von „segmentalen Mehrheitenkram“ betitelten, ist sicherlich nicht nur der fatalerweise aufgeheizten Stimmung in Folge des Festivals „Neue Beiträge zur Deutschen Popkultur“ geschuldet, sondern hängt eher an einer grundlegenderen Divergenz in Sachen Pop. Das sollte zum einen zu Denken geben, zum anderen aber auch Anlaß genug sein für eine kleine Retourkutsche...

Das dienstälteste und vielleicht ‘smarteste Musikfanzine ever’, Persona non Grata, kurz PNG, geht auf die Fünfzig zu. Freuen wird dies fast alle. Die Macher selbst, die trotz widrigster Bedingungen in einem Provinznest wie Leipzig aus einem kultigen Fanzine eine spannendere Spex-Variante bastelten, obwohl das ja so schwer nicht mehr ist. Freuen werden sich auch die unzähligen Bands und Künstler, deren Wunsch nach unkonventionellen Fragen und diskurs-schwangeren Artikeln das ein oder andere Mal mehr entsprochen werden konnte. Genauso wie die Plattenfirmen, egal ob Indie- oder Majorlabel, die per Anzeige wiedermal verdeutlichen konnten, daß sie doch eigentlich dazugehören zum Underground, daß
PNG-Cover, 12.2k

Ausgabe 1994, Ausgabe 2000:
Vom Besatzerfanzine für Musik und Comix zur spannenderen Spex-Variante

PNG-Cover, 16.0k

Kapitalismus gar nicht so Scheiße ist und und dabei verschweigen, daß der finanzielle Support von Fanzines nur aus Credibiltiy-Gründen Relevanz besitzt.
Bleiben eigentlich noch die Rezipienten, die, es sei denn sie gehören zu den drei soeben genannten Gruppierungen – Macher, Querdenkerkünstler und Plattenchefs –, entweder komplett belanglos und leider in der Mehrzahl sind, oder sich ein kritisches Sympathiesantentum auf die Fahnen geschrieben haben. Letztere sind dummerweise marginalisiert und seit kurzem, der Kritik- und Diskursunfähigkeit einiger Leute sei Dank, als Gegner deutschsprachiger Musik verschrieen.(1)
Unbestritten bleibt, daß das PNG einen nicht unerheblichen Beitrag zum, sagen wir mal, qualitativen Anschub in Sachen Pop-Indoktrinierung mit-geleistet hat. Angefangen mit dem Start ‘91 als Besatzerfanzine für Musik und Comix, im Anhang diverse Kult-Konzerte, über die ersten Aufklärungsversuche bezüglich Pop schrieb man auch mal über klassische Subkultur-Themen oder wahnwitzigen Italo-Horror. Je nach Trendline verschoben sich die Themenschwerpunkte später zwar überaus aktuell, aber von mal zu mal nichtssagender, mal war’s Brit Pop, dann gestaltete sich D&B und Elektronica zum großen Ding, zuletzt schwamm man ebenso wie alle Alten auf der Rock’n’Roll Welle. Zwischenzeitliche Polit-Avancen und „PNG-Hool“-Aktivitäten ließen so manche Herzen höher schlagen, wie zuletzt beim Witt-Dissing oder wahlweise zu Eisklumpen erstarren, einst in Nr. 22 als Günther Jacobs zugegebenermaßen provokanter Beitrag „Krauts with Attitude“(2) mindestens genauso falsch gelesen wurde, wie man neulich erst die Statements des Conne Island einem im Munde umdrehte.
Da liegt bekanntlich der Hase im Pfeffer, denn beim PNG darf Pop alles und nichts sein, schwebt beliebig um Belegschaft und nicht existierende Redaktionslinie – ist eben, leider unter falscher Anwendung des Begriffes, universell. Dem Liberalismus sei Dank. Interviews wie das mit Alfred Hilsberg sind somit zwar als „Ehrenrettung“ genauso gut allerdings auch als Zufallstreffer deutbar. Da hilft dann auch kein noch so wildes Namedropping mehr: wo keine Inhalte sind, kann man auch keine herzaubern – geschweige denn die Weltrevolution supporten, um das mal als Minimalkonsens vorauszusetzen. Daß nun das schön anzusehende Haus des Überbau-Kosmos Pop im Zuge einer Auseinandersetzung mit nationaler Identität ganz schön ins wanken gerät, ist insofern kein Wunder, ebensowenig das Ergebnis einer Geheimverschwörung aus den Kellergewölben der Koburgerstr. 3, sondern die schlichte und einfache Folge von beständiger Verbannung der politischen Kritik aus der Popkultur. Natürlich kann man die Schlagwörter von einst, wie Subversion und kulturelle Dissidenz, noch so hoch halten, an der Stelle, wo die nach dem Ur-Popansatz aufgestellten kosmopolitischen und antiprovinzialistischen Verbindlichkeiten durch multinationale und später offensiv und selbstbewußt ausgetragenes Identitätsgelaber ersetzt werden, läuft allerdings augenscheinlich etwas schief. Klar schießt das PNG gegen Klumb und Konsorten, Naziästhetik von Rammstein etc., reflektiert allerdings im Gegenzug kaum, daß hinter der augenscheinlichen Rekontextualisierung von Identität der entscheidende Schritt zum nationalistischen Marksegment gemacht wird – sprich: ideologische und ökonomische Konstruktion werden nun mal knallhart geschaffen und umgesetzt.(3) Dies nicht zu benennen, wie im Falle der PNG, ist entweder eine bewußte Verharmlosung des Ganzen oder das Resultat eines jahrelangen Scheuklappenblickes selbstverliebter Freaks, hoffen wir mal, daß letzteres die Situation eher trifft.
Wenn das PNG in Sachen Conne Island also vom Verlust des „subkulturellen Konsens“(4) schreibt, ist das jenes bezeichnende Ergebnis, daß erstens annimmt, wir befinden uns noch im Aufbruchsjahr ’91, und zweitens politische Realitäten(5) außen vor läßt. Die „Preisgabe der Vorreiterolle“(6) ist daher weniger den ökonomischen Zwängen, vielmehr der politischen Erkenntnis geschuldet, daß die netten Abgrenzungsmechanismen in Sachen Subkultur in Zeiten der Kontrollgesellschaft nicht mehr existent sind(7). Pop dient in diesem Sinne nur einer ästhetischen Definition dieser Kontrollgesellschaft und ist nichts anderes als eine Shoping Mall ohne Anfang und Ende.(8) Das das PNG somit Bestandteil des „Mainstreams der Minderheiten“ ist, stellt sich als unumstößliche Folgerichtigkeit ein - an der Entwicklunglinie der Spex in den letzten 3 Jahren ließe sich das vortrefflich untermauern. Eben aus diesem Bewußtsein heraus definiert sich Pop bei uns über das Politische, denn um die Thematik in seiner unerträglichen Leichtigkeit zu banalisieren, ist uns die Lage dann doch zu prekär.
Moses vom ehemaligen Hardcore Fanzine ZAP sagte erst neulich: „...daher entsichere ich beim Wort Subkultur zunächst einmal meine Waffe.“(9) Dem ist widerspruchslos zuzustimmen.
Lars

Fußnoten:
(1)Siehe Artikel „Schwarze Nächte-Rote Zahlen“ im Kreuzer 7/00. Der Autor des Artikels kritisiert die Prämissensetzung des Conne Island hinsichtlich des Wave&Gotik-Treffens und Pop-Festival, läßt dabei aber leider u.a. außer acht, daß das Conne Island kein Dienstleistungsunternehmen ist.
(2)Siehe Konkret 7/95; Jacobs Thesen über nationale und ethnische Segmentierung in der Popmusik im Allgemeinen und über eine kritische Betrachtung des sog. Hamburger Schule-Umfeldes im Konkreten wurde besonders unter den Poplinken als unnötiges Zwietrachtgesäe und Verschwörungstheorie angesehen.
(3)Bestes Beispiel dafür ist immer noch der deutsche Musiksender Viva, der mit seiner selbstverordneten „Deutsch-Quote“ beständig nach nationalen Kriterien in Musik investiert.
(4)PNG # 46, S. 33.
(5)Von Walser über die „Berliner Republik“ bis zum Holocaust Mahnmal und zurück etc...
(6)a.a.O., PNG # 46, S. 33.
(7)Holert/Terkessidis, Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft. Berlin 1996.
(8)Ebd. S. 18.
(9)Reader zum Verstärkerkongreß 1999 in Leipzig (http://www.nadir.org/verstaerker).


  • Weitere Texte zum Schwerpunkt "Pop & Politik" in diesem Heft
  • Linkliste zum Schwerpunkt "Pop & Politik" in diesem Heft

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[68][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007