home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[72][<<][>>]

Primat der Normativität des Faktischen

Der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis im Focus links-deutscher Begrifflichkeiten der 90er
von Ralf

„Ich meine natürlich nicht, daß sich die deutsche Linke nur um die deutsche Vergangenheit kümmern sollte. Aber wenn Hunderttausende bereit sind, gegen den amerikanischen Imperialismus zu demonstrieren, und nur ein paar Hundert gegen die Rehabilitation der Nazi-Vergangenheit, denke ich schon, daß der erste Anlaß instrumentalisiert worden ist. Auf dieser Ebene (und nicht auf der Ebene der Rechtmäßigkeit der Sache selbst) reproduziert die Linke diese in Deutschland weit verbreitete Denkart, die immer wieder versucht, den Nazismus zu entschuldigen. (...) Der Punkt ist, daß Ihr Deutsche seid, und daß – wenn Ihr nicht die Verantwortung übernehmt, Euch der Vergangenheit zu stellen – auch Ihr mitschuldig seid an der Übertragung und Reproduktion des Systems von Lügen und kollektiver Verdrängung, das seit 1945 charakteristisch war – weil die Deutschen es versäumten, sich selbst zu befreien. (...) Es gibt aber in der Tat nur zwei Möglichkeiten: Eine endgültige Versöhnung mit dieser Vergangenheit oder aber der konstante, das heißt in fortwährender Auseinandersetzung zu vollziehende Bruch mit ihr.“ So schrieb der amerikanische Soziologie Moishe Postone Mitte der 80er an die deutsche Linke.
Eine Konsequenz aus diesen Worten schien Ende der 80er der Versuch der Initiierung einer Radikalen Linken zu sein, bei der sich 1990 Marlene Dietrichs „Deutschland? Nie Wieder!“ als dortiges Allgemeingut der Slogan „Nie wieder Deutschland!“ durchsetzen konnte. In Folge dieser Initiative versuchte diese Radikale ihre Position gegen Deutschland auch über die Kritik der bisherigen Linken – insbesondere der Neuen Linken – zu finden. In diese laufende Auseinandersetzung platzte der Golfkrieg und die Bedrohung Israels durch Raketen Saddam Husseins.
Insbesondere um die Zeitschrift konkret versammelten sich damals all jene, die den deutschnationalen, antizionistischen/antisemitischen und antiamerikanischen Gehalt der deutschen Anti-Golfkriegsbewegung nicht ertragen konnten. Stattdessen kam aus ihren Kreisen etwas, was für eine Linke bis zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar gewesen ist: Die Befürwortung der Bombardierung des Irak durch US-Bomber als Schutz von Israel als dem Staat der Überlebenden der Shoah. Diese Pro-Haltung stellte eine Zäsur bezüglich grundlegender linker Allgemeinplätze dar: Die Befürworter des Bombardements stellten sich also an die Seite der imperialistischen Großmacht – den USA. In der Folge kamen all jene merkwürdigen und sonstwie legitimierten pazifistischen Grundsätze auf den Prüfstand derjenigen, die sich explizit für den aktiven Schutz Israels vor irakischen Raketen und Giftgas aussprachen. Die Argumentation, die West-Alliierten, insbesondere die USA und England, könnten im Fall der Niederschlagung des Nationalsozialismus nicht auf den „Ausdruck von Konkurrenz- und Vormachtpositionen“ (Jan Phillip Reemtsma) reduziert werden, bekam entsprechend Nahrung.
Der Streit innerhalb der Linken um die Haltung zum Golfkrieg symbolisierte sich repräsentativ in der Kündigung von rund 1.100 Abos der wichtigsten linken Zeitschrift, der konkret. In nullkommanichts schrumpfte die Abo-Zahl, so daß der damalige und heutige Herausgeber Hermann L.Gremliza nur konstatieren konnte: „Nachdem man auf den Busch geklopft hat“ – gemeint ist die Bombardierung des Irak – haben „sich Leute auf eine Weise gemeldet (...), wie man es in schlimmster Vorahnung nicht für möglich gehalten hätte. Wer hätte gedacht, daß unter den Lesern von konkret so viele Antisemiten sind, wie sich jetzt in Briefen zu Wort gemeldet haben? Leute, die von der ‘Endlösung der Araberfrage’ faseln, vom ‘Holocaust am irakischen Volk’, vom ‘rassistischen Staat Israel’ und so weiter.“
Angesichts dieser Situation tat die Klärung, was eine deutsche Linke an antisemitischen Stereotypen reproduziert oder selbst hervorbringt, mehr als Not. In der Folge dieser Konstellation kristallisierte sich eine antinationale – grundsätzliche Kritik am Nationenmodell übende – und antideutsche linke Strömung heraus, die bereit war, sich dem Diktum, daß Deutschland denken Auschwitz denken heißen müsse, zu stellen. Ihr Verständnis von der Aufmischung der Linken tat mehr als Not. Sie führte im Gleichlauf zur Kappung der Illusion vom Massenansatz. In den Auseinandersetzungen um den 50. Jahrestag der deutschen Niederlage 1945 kristallisierte sich neben der formulierten Kritik an der deutschen Sonderrolle und dem Gipfeln in der Shoah eine moralische Kategorie heraus, die es vermochte, die Bombardierung Dresdens aus der Kriegslogik und der Besonderheit des kollektiven deutschen Volksgemeinschftsdenkens als eine moralisch legitimierte Handlung gegen deutschen Wahnsinn zu begreifen. Diese historische Einschätzung knüpfte letztlich kausal an die Debatte um den Golfkrieg an und wäre ohne diese vermutlich nicht als Position zustande gekommen, weil schließlich dort der positive Bezug einer moralischen Bedeutung US-amerikanischer Intervention entgegen der traditionell antiimperialistisch-antiamerikanischen Sichtweise möglich gemacht wurde.
Tatsächlich ging und geht es um das Verständnis der Unterschiedes zwischen der Guillotine der Französischen Revolution und den Gaskammern von Auschwitz. Um den Unterschied also, zwischen einer vernunftbegabten bürgerlichen Zivilgesellschaft in der Tradition von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und einer völkischen Gemeinschaftskonstruktion. Tatsächlich ist es so, daß diese Differenzierung erst die Möglichkeit eröffnet, das Horkheimer-Diktum, daß vom Faschismus schweigen solle, wer vom Kapitalismus nicht reden will, inhaltlich zu füllen.
Doch Genau dieses Diktum hat die antideutsche Linke in starkem Maße in den Hintergrund gerückt. Zwar gab es eine in Ansätzen geführte Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie und Auschwitz, doch stand und steht letztlich die Formel Adornos, daß alles Denken und Tun darauf gerichtet sein müße, daß sich nichts ähnliches oder vergleichbares wiederhole, im unmittelbaren Zentrum jeglicher Analyse. Wichtig sei doch gerade in diesem Zusammenhang, so konstatiert z.B. Jürgen Elsässer, einer der antideutschen Exponenten, daß „der Hautpwiderspruch (...) nicht Krieg oder Frieden (sei), sondern (...) antideutsch oder prodeutsch.“
Die Verdienste antideutscher, antinationaler Aufmischungsversuche hinsichtlich antisemtischer, antizionistischer, antiamerikanischer, nationalistischer und massenentschuldigender linker Grundlagen können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auf der Grundlage der geleisteten Schwerstarbeit, den Weg für eine Neukonstituierung der deutschen Linken freizumachen, läßt sich aufbauen – ja muß sich aufbauen lassen. Nur muß sich dazu eine Bereitschaft zur Erarbeitung neuer (alter) Begrifflichkeiten wie Antikapitalismus und Antiimperialismus gestellt werden, die im Zuge einer notwendigen Fokussierung vorschnell und allzu leichtfertig aus Augen und Sinnen verschwanden.
„Antideutsch, um antikapitalistisch gekürzt, wird reaktionär und gelegentlich proimperialistisch“, so Jutta Ditfurth. Und wer Wilhlem Liebknechts Parole „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ ernst genug nehmen will, hat die Pflicht zu verstehen, wer der Feind überhaupt ist. Denn wer dies nicht weiß, kann auch den Hautpfeind nicht, nur unzureichend oder gar falsch bestimmen.
Wo stehen heute die verbliebenen oder nachgewachsenen vereinzelten Häuflein linken Elends? Sie geben das Bild eines Trümmerhaufens ab, das Kritiker in den mehr als gelüfteten Reihen inzwischen zu einer kultivierten Kampfsportform, dem Schattenboxen gegen imaginäre linke Gegner animiert hat: Der Schatten der eigenen Kritik wird zum Objekt der Begierde und zur repäsentativen Realität erklärt. Ein aktuelles Beispiel findet sich in der Dezember-Ausgabe von konkret. Das online taz-Leser-Forum, in dem viel Blödsinn und schlimmeres steht, wird kurzerhand zu einem von Linken umgemünzt und schon stimmt die Gegnerschft wieder und legitimiert die eigene Kritik als die gegenwärtig links-relevante.
Jede kaptitalistische Nation bekommt die nationale Linke, die sie verdient oder hervorbringt. Es ist m.E. zu konstatieren, daß die Geschichte die deutsche Linke überrollen wird, wenn sie sich nicht von dem endlosen Paradigma der deutschen historischen Sonderrolle ein ganzes Stück weit lösen kann, um in der Gegenwart das Besondere und die neue Qualität der imperialistischen Menschenrechtsinstrumentalisierung zu begreifen und damit auch die „normalisierte“ imperialistische Großmacht Deutschland. So ist es zum Beispiel ein Witz, den wirklich ehrlichen Anti-Faschisten der Berliner Republik wie Schröder, Fischer und Co. vorzuwerfen, daß sie zwar von Faschisten redeten, nicht aber vom Zusammenhang mit dem Kapitalismus, wie es beispielsweise in einem Redebeitrag des Leipziger Bündnis gegen Rechts auf der Antifa-Demo Anfang November dieses Jahres in Delitzsch bei Leipzig passierte. (Der Redebeitrag ist in dieser Ausgabe des CEE IEH dokumentiert.) Zu erinnern ist daran, daß Kommunisten, Sozis und andere Recht hatten, wenn sie als Lehre aus der NS-Zeit betonten, daß es kein linkes Monopol auf Antifaschismus gibt.
Die Zeichen der Berliner Republik sehen so aus: die existente deutsche historische Sonderrolle neigt sich in starkem Maße ihrem Ende. Schlußendlicher Ausdruck davon wird sein – um symbolisch zu sprechen –, wenn deutsche Truppen im Gaza oder Westjordanland im Rahmen der sogenannten UN-Misson friedenssichernd mitmischen, auch oder gerade, weil es sehr schwer sein wird, wie im Falle des Kosovo, im Nahen Osten von deutscher Seite kriegspropagandistisch zu behaupten, es gelte, im Nahen Osten ein „zweites Auschwitz“ zu verhindern. Daß dieses Szenario nicht einfach dahergeholt ist, bewies erst jüngst der Besuch von Schröder im Nahen Osten. „Deutschland gewinnt an Bedeutung für die Wiederbelebung des Friedensprozesses, auch wenn der Bundeskanzler bei Barak und später beim Treffen mit Palästinenserpräsident Arafat seine Rolle herunterzuspielen versucht“, so konstatiert die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung. Daß hinter Schröders Lamentieren jedoch das Wissen um mehr lauert, verdeutlichte auch die jüngste gemeinsame Forderung der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Sie „haben die Bundesregierung (...) zu einer aktiveren Politik gegenüber den Vereinten Nationen aufgefordert. Die Bundesrepublik solle ihren Einfluß noch stärker als bisher geltend machen, damit die UN ihre Aufaben bei der Bewahrung oder Wiederherstellung von Frieden, Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Gleichgewicht besser erfüllen könnten (...).“ (FAZ vom 09.11.2000)

Es steht m.E. ernsthaft zu vermuten, daß hinter der Pro-Israel-Haltung einiger deutscher Linker mehr Philosemtismus steckt, als zu befürchten ist und man wahrhaben will. Jener Philosemtismus, der, überspitzt formuliert, eine Art Umkehrung von Treitschkes „Die Juden sind unser Unglück“ in ‘Die Juden sind unser Glück’ bedeutet.
Neben der differenzierenden Erarbeitung eines spezifisch deutschen Antisemtismus-Begriffs, der zudem die Begrifflichkeit des sekundären Antisemtismus (also dem nach Auschwitz) herausarbeitete, haben sich deutsche Linke auch einen Begriff davon gemacht, daß jener Philosemitismus eine besondere Spielart des Antisemtismus ist und in Deutschland eine ganz besondere Note hat. Darüber hinaus hat jener Antisemitismus-Begriff das Verständnis vom linken Antikapitalismus geschärft bzw. spezifiziert und hat die Unterscheidung von Antijudaismus als vornehmlich religiöse Motivation der Judenfeindschaft und dem modernen Antisemitismus als biologistisch, völkisch herausgearbeitet.
Im November-CEE IEH schreibt Ulle: „Eine Linke, die in Deutschland das Verschwinden von Israel herbeischreit, ist keine mehr.“ Diese richtige Feststellung ist zu erweitern: ...und wer als Linke einen starken Staat Israel fordert, hat den linken Anspruch ebenso verloren.
Nicht nur, daß mit dieser Forderung nach einem starken Staat die nach wie vor in dieser Hinsicht notwendige Staatskritik und immer noch einschlägig taugenden libertären Grundsätze verlassen werden, wird damit auch der kapitalistisch-militärische Charakter des Staates Israel mehr als nur verklärt – nämlich gar noch bestärkt. Daß Israel von Gegnern umzingelt ist, macht in der bürgerlichen Logik einen wehrhaften Staat erforderlich, dessen Unterschied in der Gesellschaftsordnung zu einem Staat wie Kuba erst mal festzuhalten ist. Deshalb macht sich mit linken Grundsätzen unvereinbar und verabschiedet sich von ihnen, wer diesen starken Staat von Links(!) legitimieren will – das macht auch einen entscheidenden Unterschied zwischen einer historischen Herleitung und einer linken Kritik aus, die zwar beide Gemeinsamkeiten vorweisen, aber eben nicht identisch sind und sein können. Insofern kann auch niemand von links bestreiten, daß der Frieden für Israel bewaffnet sein muß.
Was der Shoah-Überlebende Imre Kertesz feststellt sollte sich für die deutsche Linke im besonderen verifizieren lassen: „Der Holocaust ist ein Trauma der europäischen Zivilisation, und es wird zu einer Existenzfrage für diese Zivilisation werden, ob dieses Trauma in Form von Kultur oder Neurose, in konstruktiver oder destruktiver Form, in den Gesellschaften Europas weiterlebt.“
In einer Erklärung des israelischen Außenministers Shlomo be-Ami an die jüdischen Gemeinden in aller Welt, in der er sich im Namen der Israelischen Regierung „über die häßliche Antisemitismuswelle, die in letzter Zeit in vielen jüdischen Gemeinden spürbar war“, besorgt zeigt, wird festgestellt, daß „nicht zwischen Israel und der Diaspora unterschieden werden“ könne, wenn Rassismus und „Verbreiter von Haß“ wüteten und es gelte, „niemals unsere Wachsamkeit gegenüber dieser Bedrohung (...) zu lockern“. Und er stellt abschließend fest: „Liebe Feunde: Israel und das jüdische Volk sind heute stärker als jemals zuvor.“
Diesen Worten folgend, ist festzuhalten, daß im derzeitigen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis die Existenz von Israel in keinster Weise ernsthaft bedroht ist. Allein „die wirtschaftliche Wirklichkeit spricht (...) eine andere Sprache: 94 Prozent der palästinensischen Exporte gehen nach Israel, 84 Prozent der Importe in den Gaza-Streifen und ins Westjordanland kommen von dort.“ (FAZ vom 14.11.2000)
In einem Interview mit der Tageszeitung junge Welt erläutert Bryan Atinsky vom „Independent Media Center – Israel“ sehr anschaulich: „Zum Verständnis wichtig ist das eigentümliche Rechts-Links-Schema in Israel, das sich von dem in anderen Ländern stark unterscheidet. Politisch links wird außerhalb Israels fast immer an den Kriterien Ökonomie und Kultur gemessen. Hier (in Israel – R.) ist das Kriterium die Haltung zu den Palästinensern. Barak gilt als links, nur weil er mit ihnen gesprochen hat. Um als links zu gelten, muß man noch nicht einmal glauben, die Palästinenser hätten einen Zipfel eines Bantustan-Staates verdient. Wer ihnen ein bißchen Autonomie zugesteht, gilt schon als radikal links. Bezüglich einer Kapitalismuskritik existiert mit Ausnahme von der Chadasch-Partei keine Linke. Denn sowohl Labour als auch Likud verstehen sich gleichermaßen als Träger der neoliberalen Revolution (...)“
Auf die Frage der jungen Welt, „was an der israelischen Berichterstattung über den Palästinenseraufstand zu kritisieren“ wäre, erläutert Atinsky weiter: „Es heißt hier (in Israel – R.) ‘Krieg zur Zerstörung Israels’, ‘Heiliger Krieg gegen Israel’ oder ‘Was heißt Unabhängigkeit, die Palästinenser sind doch unabhängig, sie benutzen das doch nur als Ausrede, um die Juden ins Meer zu treiben’. Entlang dieser Linien wird der Konflikt in den israelischen Medien präsentiert. Was nicht vorkommt, weil es das Bild zum Wackeln bringen würde, sind die schlimme wirtschaftliche Situation der Palästinenser, die hohe Arbeitslosigkeit, die Tatsache, daß palästinensische Autonomie nur ein Inselreich ist – umgeben von hochgerüsteten israelischen Siedlern und einer Armee, die letztere ausrüstet und verteidigt. Wir sind, folgt man den israelischen Medien, anscheinend eine Nation im Belagerungszustand, und nicht die Palästinenser. Diese einseitige Berichterstattung existiert nicht nur in Tageszeitungen wie Yedioth Aharonot und Maariv, sondern auch in der angeblich linken Zeitung Haaretz.“
Festzuhalten bleibt, daß die Logik des bewaffneten Konfliktes – um den Begriff Krieg zu vermeiden – die (Kriegs-)Propaganda hervorruft und benötigt. Unter umgekehrten Vorzeichen läßt sich selbiges also auch ohne genaue Nachweisführung für die palästinensische Seite konstatieren und voraussetzen.
Die Unterscheidung zwischen dem völkischen Blutsdenken – dem Blutsprinzip ius sanguinis – und der Boden-Historisierung – dem Territorialprinzip ius soli – verschwimmt bei so manchem deutschen Linken, wenn gefragt wird, ob es rechtens wäre, daß die Staatsgründung Israels mit der Vertreibung und Besatzung derer, die dort vordem waren, zusammenfällt.
Es muß immer mal wieder festgestellt werden, daß die – wenn man so will – Landnahme der späteren Gründer des Staates Israels nicht zu dem Zweck erfolgte, andere zu vertreiben oder zu besetzen. Viemehr stellt selbiges in den Augen der Israelis ein notwendiges historisch begründetes Übel dar.
Wer die Kategorien Besatzung und Unterdrückung aus dem Völkerrecht der Selbstbestimmung der Völker ableitet, dem ist – im Gegensatz zu Lenin und Stalin und dem „proletarischen Internationalismus“ – das Links-Sein streitig zu machen. In Folge dessen jedoch mit dem Vorwurf des Völkischen zu hantieren, entspringt vereinfachendem binärem Denken in den ausschließlichen Kategorien von Bluts- oder Territorialprinzip, das die besonderen historischen Konstellationen nicht erfassen kann.
Ginge man davon aus, daß sich Israel mehrheitlich als eine postzionistische Gesellschaft begreifen würde, ergäben sich daraus weitreichende Möglichkeiten, die die Normativität des Faktischen als Primat gegenüber der Geschichte installieren würde. Dieser m.E. notwendige innergesellschaftliche Paradigmenwechsel Israels ermöglichte eine Form von vertretbarer – nun ja – Geschichtslosigkeit, die eine wesentliche Stärkung notwendiger säkularer Prozesse auf beiden Seiten – der der Palästinenser wie der der Israelis – befördern würde.
Die beidseitige Zurückdrängung religiöser Motive und Argumentationen wäre im Konflikt schon die halbe Miete bürgerlichen Völkerrechts, hinter das es im Namen bürgerlicher Demokratie keinen Rückfall und dazu auch keine ernstliche Alternative geben sollte.

(Der Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines einleitenden Referats zu einer Diskussionsveranstaltung anfang November in Leipzig unter dem Titel „Das Unbehagen der deutschen Linken – der Konflikt zwischen Palästinensern und Isrealis“)