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Grenzen der Gemeinsamkeit (II)

Die Debatte über den Nahost-Konflikt hat gezeigt, daß die Linke ihre Altlasten noch immer nicht entsorgt hat. Wer glaubt, man könne nach 10 Jahren antideutscher Pädagogik jetzt unbedacht dem Morgenrot entgegentrampeln, dem hat die Hoffnung den Blick getrübt.

Die Linke, das ist erstmal eine ganz offene Veranstaltung. Schon wer das Label mit sich führt, darf was zum Thema sagen und erst dann zeigt sich oft, daß die eine oder andere Zugangsbeschränkung trotz mangelnden Massenansturms zu überlegen wäre. Über die inhaltliche Essenz eines linken Numerus clausus wird seit Jahren gestritten. Reicht es einfach, schon gut zu sein, die Welt und ihre Nazis schlimm zu finden? Braucht es einen theoretisch determinierten Klassenstandpunkt, eine kommunistische Utopie und eine revolutionäre Praxis? Zwischen beiden Polen tummelt sich doch noch einiges.
Immer noch ganz quirlig dabei sind die Antideutschen, die nun schon seit einer Dekade die Linke auf Selbstkritik und daraus folgende politische Grundsätze festlegen wollen. Von Anfang an hatten sie plausible Argumente auf ihrer Seite. Angesichts des nach der Wiedervereinigung offensichtlich gewordenen Rassismus und Antisemitismus der Massen verbaten sich traditionell anbiedernde Politikkonzepte. Der mörderische Bewußtseinszustand im Volk ließ sich nur mit viel Phantasie als potentiell antikapitalistische Gefühlswallung zurechtlügen. Von dieser Einsicht angestoßen wurde in den letzten Jahren der jahrelang in Praxis umgesetzte Wunsch der Linken nach Identifikation mit Perspektive verheißenden Bevölkerungsmassen zum Gegenstand der Auseinandersetzung. Nicht nur die einheimische „ArbeiterInnenklasse“ war ein Zielobjekt der Begierde, sondern als immer klarer wurde, daß die angebeteten revolutionären Subjekte ihren linken Freiern die kalte Schulter zeigten, richtete sich das Identifikationsbedürfnis auf die nationalen Befreiungsbewegungen als Stellvertreterin für die eigenen Utopien. Um dieses Interpretationsmuster möglichst umfassend anwenden zu können, denn nur so versprach es politischen Erfolg, wurde es unter dem Deckmantel eines oberflächlichen Anti-Imperialismus-Ansatzes, der jede nationale und ethnische Regung als revolutionären Kampf gegen eine internationale Verschwörung des Großkapitals wertete, subsumiert.
Die antideutschen Aufklärungsbemühungen offenbarten dann auch, welche fatalen Folgen dieser Ansatz hatte, als er auf den Nahostkonflikt angewendet wurde. Zum Vorschein kam dabei der originäre Beitrag der Linken zum sekundären Antisemitismus in Deutschland. Der entstand im Allgemeinen, weil und so lange Auschwitz als prinzipielle Schranke für eine positive Identifikation mit der deutschen Nation empfunden wurde. Aggressive Schuldabwehr, die fortdauernde Erzählung, das deutsche Volk sei das erste Opfer der Nazis gewesen und die Leugnung oder erfinderische Relativierung der Verbrechen entsprangen einem Verlangen nach Normalität, dem die Opfer des Holocaust schon qua ihrer Existenz entgegenstanden.
Die deutsche Linke stand diesem Prozeß der Herausbildung eines Nachkriegsantisemitismus tendenziell unkritisch gegenüber, hatte sie sich doch mit ihrem Verständnis für die Konstruktion harmonischer Wir-Gemeinschaften, denen man revolutionäre Blütenträume andichten und im historischen Regelfall hinterherschmeißen konnte, selbst der Waffen der Kritik beraubt. Als sich dann noch ihre starke Sehnsucht nach Veränderung der Welt der palästinensischen Sache bemächtigte, prägte sich nach dem Raster „Antiimperialismus“ eine bis heute wirksame Konfliktsicht heraus, nachdem das gute, bodenständige palästinensische Volk von einer internationalen Kaste von Kapitalisten und Verschwörern unterdrückt wird. Dieses schon strukturell antisemitische Verständnis mußte angewendet auf den Konflikt im Nahen Osten zwangsläufig zu sich selbst finden. Im Form des Antizionismus der Neuen Linken vereinigte sich schließlich ein verkürzter, falscher Antikapitalismus mit dem Bedürfnis nach deutscher Normalität.
Es war ein Kraftakt, der Linken diesbezüglich die Leviten zu lesen. Und wäre sie nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus nicht so eine kränkelnde Patientin gewesen, sie hätte die aufklärerische Medizin sicher nicht geschluckt. Mittlerweile ist man sich bei der positiven Bewertung der antideutschen Heilungsanstrengungen weitgehend einig, bei der gegenwärtigen Diagnose des linken Bewußtseinsstandes herrscht jedoch wahrscheinlich einiger Dissenz vor.
Es gibt wohl einige, die nach 10 Jahren antideutscher „Miesmacherei“ glauben, daß traditionslinke Fehler hinreichend aufgearbeitet sind, um jetzt fröhlich und frei mit dem Sturz des Kapitalismus beginnen zu können. Nun ist der Wille zur Veränderung im linken Sinne eigentlich eher zu wünschen als zu verdammen, nur darf er sich eben nicht wieder in der Reproduktion alter Dummheiten wiederspiegeln.
Die Binsenweisheit, daß die Linke aus ihren Fehlern lernen muß, hat man mittlerweile schon tausendmal gehört und doch scheint es so, als müßten sich diejenigen, die die Lektion schon gefressen haben, gemeinsam mit dem antideutschen LehrerInnenkollektiv auch weiterhin den Mund fusselig reden. Jedenfalls steht die Linke derzeit vor der anstrengenden Situation, daß in einigen Klassenstufen gelangeweilt von der Wiederholung des Lehrstoffs ungeduldig von allem Möglichen gequatscht wird, während die ABC-Schützen orientierungssuchend auf nicht wenige Sitzenbleiber treffen.
Jüngstes Beispiel für die These, daß der Lernprozeß der Linken keinesfalls abgesichert ist, ja herbe Rückschläge an der Tagesordnung sind, zeigten die Positionsbestimmungen angesichts des derzeitigen Konflikts im Nahen Osten.
In der aktuellen „konkret“ (12/2000) wird dokumentiert, was Linke trotz aller Aufklärungsbemühungen heute immer noch über Israel und die Plästinenser denken dürfen. Bei einer Veranstaltung in Leipzig zum Nahost-Konflikt und dem darausfolgenden „Unbehagen der deutschen Linken“ gab es die selbe erschreckende Erkenntnis als audiovisuelles Erlebnis.
Zunächst waren es nur zwei Exil-Palästinenser, die dem typisch linken Antizionismus ihre Stimme gaben. Da wurde mit sprachlos machender Emotionalität am Mythos des guten bodenständigen palästinensischen Volkes gestrickt, welches von einem quasi-faschistischem Israel unterdrückt würde und zwar in einer Art und Weise, die selbstverständlich nicht, aber letztendlich dann doch dem Holocaust gleichkäme. Die Gleichheit von industriell betriebener und ideologisch vorbestimmter Massenvernichtung der europäischen Juden und zweier Massaker, die von libanesischen Milizionären unter den Augen der israelischen Armee an palästinensischen Flüchtlingen begangen wurden, wolle der Redner demnächst mit einem Dia-Vortrag belegen.
Im Gewand der rhetorischen Frage, ob denn die Religionsgemeinschaft der Juden gleichbedeutend mit dem Anspruch auf Staat und Nation sei, wurde dann das Existenzrecht Israels abgestritten, um schließlich in einem fulminanten Schlußakkord bei Strafe des Auschlusses von der Linken eine Solidarität mit den Unterdrückten zu fordern, worunter in diesem Falle alle Palästinenser unabhängig von ihren sozialen und politischen Unterschieden zu zählen seien.
Es war dann aber eine deutsche Linke, die die Hauptthese des Antizionismus referierte, nach der Israel die Sperrspitze des Weltimperialismus im Nahen Osten sei: Entgegen der Tatsache, daß die Staatsgründung Israels die einzige sinnvolle Konsequenz für die Opfer des Holocaust war, die als solche auch gegen den Widerstand der Mandatsmacht Großbritannien und gegen ein Waffenembargo der USA durchgesetzt werden mußte, erklärte sie die Existenz des jüdischen Staates als koloniales Implantat der europäischen Siegermächte und der Nordamerikaner.
Auch wenn solch klassischer Unsinn nicht unwidersprochen blieb, die Entrüstung darüber hielt sich doch in Grenzen. Und diese „interessierte“ Haltung, die auch noch den größten Schwachsinn als mögliche Position akzeptiert, blieb auch vorherrschend, als eine andere krude These in den Raum geworfen wurde. Es müsse eine neue „Geschichtslosigkeit“ her, um den Konflikt angemessen einschätzen zu können. Eine solche Forderung läßt sich nicht einfach an ihrem traditionellen Verständnishintergrund vorbei äußern: Der Konflikt soll aus der Geschichte, vorallem der eigenen und damit auch aus der Allgegenwärtigkeit der antisemitischen Realität gelöst werden, um sich die Palästinenser als Identifikationsobjekte zu erhalten.
Wird bei den Anstrengungen, einen „neuen“ Begriff von Antiimperialismus zu entwickeln, die Geschichte, sowohl die der Nationen als auch die ihrer Linken, zum störenden Ballast, dann ist die Angst berechtigt, daß hier wieder morsche Holzwege beschritten werden.
Ob nun die alte Identifikationslust Vater des Gedankens war oder der Versuch, zu erklären, warum demnächst aus primär ökonomischen und geopolitischem Interesse sowie mit der Begründung ein neues Auschwitz zu verhindern, deutsche Soldaten in Jerusalem stationiert werden könnten, an der diletantischen Vermittlung gescheitert ist, bleibt aufgrund der Auffassungsmöglichkeiten im gegenwärtigen „offenen“ Schulhaus der Linken egal. Für beide Fehlleistungen gibt es Nachsitzen!
ulle


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last modified: 28.3.2007