Neuer Streit in der Leipziger Politzszene: Nachdem die Vereinigung der
Palästinenser in Leipzig mit dem Verteilen und Verlesen eines
antizionistischen Flugblattes auf der Demo gegen
Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn auf ihre Sicht
des Nahost-Konfliktes aufmerksam gemacht hatten, ist aus konkretem Anlaß
die Diskussion um die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen und
das schwierige Verhältnis deutscher Linker zu Israel neu entbrannt.
Ein Diskussionsbeitrag von Ulle.
I. Überraschung
Nicht wenige TeilnehmerInnen der Demo gegen Überwachungsgesellschaft und
Sicherheitswahn dürften darüber erstaunt gewesen sein, als sie der
Vereinigung der Palästinenser in Leipzig gewahr wurden. Nicht
weil sie durch den im Vergleich zu anderen Blöcken höchsten
pro-Kopf-Fahnenanteil und überproportional viel Stimmungsmache auffielen,
eher wohl, weil politisch artikulierende MigrantInnen hierzulande eine Ausnahme
sind. Dies gilt insbesondere für den Osten Deutschlands.
Das potentielle Ansinnen insbesondere der Antifa mit Gruppen aus dem
MigrantInnespektrum zusammenzuarbeiten, bleibt aber nicht nur wegen der
rassistischen Zustände, die eine Selbstorganisation von Flüchtlingen
immer schwieriger macht, oft nur Lippenbekenntnis, sondern dies liegt auch an
der programmatischen Desorientierung der Linken nach 1989. Über
Generationen hinweg wurde Linken in der BRD das Internationalismusgebot
ansozialisiert. Dies bedeutete im Groben, daß alle sich irgendwie als
links selbsteinschätzenden Bewegungen dieser Welt, egal ob sie
für die Einführung von grundlegenden Bürgerrechten, einen zur
Ethnie passenden Nationalstaat oder für die Weltrevolution kämpften,
als Teil eines gemeinsamen politischen Projekts angesehen wurden und ihnen
deshalb nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch unkritische Solidarität
sicher war. Nach dem die sozialistische Systemalternative das Zeitliche
gesegnet hatte, machte es für Befreiungsbewegungen, die jahrelang auf
deren Unterstützung gebaut hatten, zumindest praktisch keinen Sinn mehr,
die linken Ideale vor sich herzutragen. Ein Großteil der politischen
Forderungen, z.B. nach nationaler Selbstbestimmung kam auch ohne linke Rhetorik
aus. So ließ sich über die letzten Jahre bei der baskischen ETA, der
nordirischen IRA, der kurdischen PKK und auch bei der palästinensischen
PLO beobachten, wie ethnische und religiöse Argumentationen linke Inhalte
verdrängten. Dies wiederum machte für die Linke in den Zentren der
hochentwickelten Industrieländern den positiven Bezug auf nationale
Befreiungsbewegungen politisch fragwürdig. Begünstigt von der
generellen Schwäche der Linken setzte eine kritische Auseinandersetzung
ein, die in Städten wie Leipzig, wo es keinerlei Tradition eines
westlinken Internationalismus gab, auf fruchtbaren Boden fiel. Dies war
einerseits ein glücklicher Umstand, denn anstatt entgegen allen
politischen Realitäten an einer illusionären Revolutionsromantik
festzuhalten, konzentrierte man sich nun auf die Leichen im eigenen Keller.
Nicht nur die Neuformierung einer selbstbewußten und machthungrigen
deutschen Nation stand jetzt stärker im Focus linker Thematisierung, auch
die eigenen Fehler konnten in dieser spezifischen Situation (der Schwäche)
aufgearbeitet werden. So wurden nach und nach die blinde Liebe zum Volk, die
den Rassismus der Massen nicht sah, die falsche Nationalsozialismusanalyse, die
den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen nicht fassen konnte und am
Ende dieser Kette auch der Antisemitismus in der deutschen Linken zum
Verhandlungsgegenstand. In der Leipziger Szene hatten die in den vergangenen 10
Jahren kritisierten Positionen wie gesagt von vorneheierin einen schlechten
Stand. Sie konnten sich im Gegensatz zu einigen westdeutschen
Metropolen nicht in den politischen Strukturen (Gruppen,
Wohnprojekten, Infoläden) festsetzen. Damit ist zu erklären, warum
hier die Linke, oder vielleicht genauer, die Antifa von einer
traditionskritischen Meinungsbildung geprägt wird. Was im Großen und
Ganzen zu begrüßen ist, birgt andererseits doch ein Manko in sich.
Dies meint nicht, daß eine antinationale, postautonome Antifa
die Kritik des Kapitalismus aus den Augen verloren hat, die jüngste
Entwicklung spricht hier eine andere Sprache. Es geht vielmehr - zumindest ganz
konkret vor Ort - um den selbstbezogenen Blickwinkel der hiesigen linken
Gruppen. Zwar ist es schlauer, die eigenen linken Utopien nicht mehr wahllos
den nationalen Emanzipationsbewegungen der sog. Dritten Welt
aufzubürden, aber dies sollte kein Grund sein, nicht mit den
VertreterInnen, die sich weiterhin als links verstehen und hier als
MigrantInnen selbstorgansierte Politik machen, die Diskussion zu suchen. Daraus
wächst kein neues strategisches Konzept für die Linke dieser Welt, es
läßt sich aber feststellen, welche Grundpositionen überhaupt
noch geteilt werden und welche thematischen Gemeinsamkeiten existieren.
Um auf den Punkt zu kommen: Bei der Kritik an Aktionen politischer MigrantInnen
sollte bedacht werden, was kritrisiert wird. Auch wenn zu vermuten ist,
daß bei der Diskussion mit Palästinensern, die gegen die Politik
Israels protestieren, das Streitpotential sehr hoch ist, ja sich die Diskussion
mit einiger Wahrscheinlichkeit auf vermintem Gelände abspielt, muß
der politische Inhalt Ziel der Kritik sein und nicht schon die Tatsache,
daß sich eine Gruppe, von der sonst eher weniger zu hören ist, jetzt
lautstark politisch artikuliert. Wer die Form, das Aufreten, ...
daß da Palästinenser/Araber/Fundamentalisten demonstrieren ...
etc. unangenehm findet, sollte bedenken, daß sich hier schnell das
Gefühl mit dem Vorurteilsrepertoire der deutschen Volksgemeinschaft gemein
macht und daß es zum rassistischen Allgemeingut hierzulande gehört,
MigrantInnnen keine politische Stimme zu geben bzw. nicht als politische
Subjekte wahrzunehmen. Dies ist aber andererseits kein Freibrief für alle
möglichen politischen Argumentationen. Es gibt keinen bzw. es sollte
keinen Ausländerbonus bei der Äußerung
abzulehnender politischer Inhalte geben. Es gibt spezifische, zum Beispiel aus
historischen Gründen voneinander abweichende Sichtweisen. Es gibt aber
auch deutliche Grenzen gemeinsamer Politik. Diese lassen sich nur in
inhaltlichen Auseinandersetzungen finden. Eine Demonstration ist dafür ein
denkbar ungeeigneter Ort. Hier kann zwar hervorragend symbolisiert aber kaum
argumentiert werden. So neigt die politische Präsentation von Inhalten auf
Demos zur Bestätigung von Vorurteilen.
Die Überraschung, teilweise zunächst nur vorurteilsbehaftete
Abneigung gegenüber den Palästinensern auf der Demo am 14.10.
wäre geringer ausgefallen, hätte es vorher eine gemeinsame
Standortbestimmung gegeben. Daß es dazu nicht kam, liegt nicht
ausschließlich an der örtlichen Antifa, sondern auch an der
Schwäche antirassistischer Gruppen und politischer
MigrantInnen-Organisationen vor Ort.
II. Grenzen der Gemeinsamkeit
Was ist nun eigentlich passiert? Die Vereinigung der Palästinenser
in Leipzig, eine nach Selbstauskunft linke Gruppierung der
palästinensichen Community der Stadt, hat sich an der Demo gegen
Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn beteiligt, um gegen die
israelische Politik im derzeit eskalierten Nahostkonflikt zu protestieren. Als
erstes fielen wohl die zahlreichen Fahnen auf. PLO-Fahnen nannte
Jahrelang linke politische Praxis: Unkritische Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen....
...bis hin zu Boykottauforderungen, deren Parallelen zur nationalsozialisitschen Politik unübersehbar sind.
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man sie früher des öfteren, heute können sie als symbolischer
Ausdruck eines in der Gründung befindlichen palästinensichen Staates
gelten. Natürlich wäre es falsch gedacht, hier eine ungebrochene
Analogie zu einem schwarz-rot-goldenem Fahnenmeer zu entwerfen. Ohne
spezialisierter Kenner der politischen Situation im Nahen Osten zu sein,
vermute ich, daß die Fahnen ebenso als allgemeines Symbol des
Widerstandes gelten. Und der ist nicht ungerechtfertigt. Die Palästinenser
stilisieren sich nicht nur aufgrund historischer Mythen zu einem Volk, welches
heute unterdrückt wird, sondern werden durch die Ausgrenzungspolitik
Israels, die teilweise rassistische Züge trägt, aber auch durch die
Flüchtlingspolitik der arabischen Nachbarstaaten als die
Palästinenser unterdrückt. Selbst ethnische Palästinenser
mit israelischer Staatsbürgerschaft werden als Bürger zweiter Klasse
angesehen. Schlimmer trifft es die BewohnerInnen des Gaza-Streifens und des
Westjordanlandes, die in der Mehrheit unter regiden
Aufenthaltsbeschränkungen, Kontrollen, schikanöser Wasserzuteilung,
Arbeitslosigkeit, politischer Repression zu leiden haben etc. Daß sie
also die Nationenform als vereinenden politischen Rahmen akzeptieren und mehr
oder weniger alle den selbstbestimmten Staat als ein gemeinsames Hauptziel der
Politik anstreben und dabei von realen Klassen- und Schichtenunterschieden,
sozialen Forderungen, antipatriarchaler Emanzipation und religiösen
Unterschieden absehen, ist zumindest nachvollziehbar. Links ist der Kampf
für den eigenen Nationalstaat allerdings nicht.
Im Gegensatz zu den Fahnen war das Skandieren der Demo-Parole Israel No -
PLO richtig Scheiße. Sicher, die Entrüstung über die
vielen toten Palästinenser, die bei den Auseinandersetzungen ums
Leben kamen, ist verständlich. Ein Grund, das Existenzrecht Israels
abzulehenen, ist es nicht. Schon die aktuell-politischen Hintergründe der
derzeitigen Eskalation gehen nicht ohne weiteres auf das Konto der Israelis.
Ganz im Gegenteil. Keine Regierung vorher hat gegenüber den
Palästinensern solche Zugeständnisse gemacht wie die von Ehud Barak.
Festmachen läßt sich dies in aller erster Linie an dem Angebot,
Jerusalem als Hauptstadt sowohl eines zukünftigen palästinensichen
Staates als auch von Israel zu teilen. Es war Arafat, der in Camp David die
Fortsetzung des Friedensprozeßes scheitern ließ. Nichtsdestotrotz
war es eine Provokation, als Ariel Scharon, der Oppositionsführer des
rechtsgerichteten Likud, die Aksa-Moschee auf dem Tempelberg besuchte. Zwar
steht sie nach geltendem Recht auf israelischem Staatsgebiet, aber der von
einem großen Medien- und Polizeiaufgebot begleitete Besuch eines
bekennenden Friedensprozeßgegeners mußte Gegenreaktionen
hervorrufen. Daß sie so wütend ausfielen, liegt einerseits an einem
jahrelang aufgestautem Frustrationspotenial, aber eben auch an den
Scharfmachern auf palästinensicher Seite. Und die werfen keinesfalls
ausschließlich mit Steinen. Sowohl Arafats Polizei als auch bewaffnete
Teile der Fatah, dem militanten Flügel der PLO, und natürlich die
Mitglieder der Hamas schießen scharf. Zweifelsohne würden sie, wenn
sie die Gelegenheit dazu hätten, auch noch mehr israelische Soldaten
lynchen. Daß die heraufbeschworenen Gegenreaktionen der israelischen
Armee trotzdem dazu in keinem Verhältnis stehen, ist die einzige aktuelle
Kritik, die man gegewärtig an Israel gelten lassen sollte.
Zur Legitimation der oben benannten Demo-Parole reicht sie nicht. Bei aller
Betroffenheit der Palästinenser, so müssen auch sie mit ihren
politischen Forderungen der Tatsache Rechnung tragen, daß Israel der
Staat der Holocaust-Überlebenden ist. Die Forderungen, daß Israel
verschwinden soll, löst automatisch historische Assoziationen aus.
Daß die positive Anspielung auf den deutschen Versuch, die Juden zu
vernichten durchaus bei vielen Palästinensern sowie in vielen anderen
arabischen Staaten anzutreffen ist, davon wissen selbst ansonsten ahnungslose
MittelmeertouristInnen am Ende ihrer Trips nach Ägypten, Tunesien, ... ein
Lied zu singen. Und wie bitteschön, soll eine solche Parole in Deutschland
rezipiert werden? Es hieß, die BürgerInnen, die am Rande die Demo
beobachtet haben, hätten sehr wohlwollend auf die palästinensischen
Sprechchöre reagiert. Ich weiß es nicht, ich habe es nicht selber
gesehen. Aber vorstellbar find ich es allemal. Was sonst können
Bürgrinnen und Bürger im Land der Täter, in dem zwei Drittel
sich einen Schlußstrich unter die Diskussion um die Judenverfolgung
wünschen, an einer linksradikalen Demo gut finden, außer der
Forderung, daß der Judenstaat, der schon qua Existenz immer
an den Vernichtungsversuch erinnert, zu verschwinden hat?
Eine Linke, die in Deutschland das Verschwinden von Israel herbeischreit, ist
keine mehr. Bevor Deutschland und das Deutschsein nicht abgeschafft sind, ist
die Existenz des Staates Israel als Konsequenz der Geschichte zu verteidigen.
Auch eine palästinensische Linke muß sich mit dieser Situation
auseinandersetzen. Und sie hat es in der Vergangenheit auch schon getan. So hat
die PLO vor einigen Jahren das Existenzrecht des Staates Israel aufgrund dessen
historischer Entstehungsgeschichte und als Voraussetzung für die
Partnerschaft beim beginnenden Friedensprozeß anerkannt zumindest
auf dem Papier und für die Weltöffentlichkeit.
Für die Vereinigung der Palästinenser in Leipzig scheint
daraus keine differenziertere Sichtweise zu folgen. Vom besagten Sprechchor
abgesehen, zeigt auch ihr Flugblatt eine Ignoranz gegenüber der Geschichte
und gegenüber den Rezeptionsbedingungen für die hieruzulande
artikulierte Kritik an israelischer Politik. Israel, daß sind auf ihrem
Flugblatt die zionistischen Eroberer. Daß der Zionismus als
bürgerliche Ideologie mit dem Ziel eines jüdischen Nationalstaates
einen großen Anteil an der Staatsgründung von 1948 und auch an der
schon vorher in Gang gesetzten Vertreibung der Palästinenser aus dem
britischen Mandatsgebiet hatte, ist zweifellos richtig. Ohne den Holocaust
läßt sich der Erfolg des Zionismus jedoch nicht verstehen. Zionismus
ist im übrigen nicht per se etwas rechtes, quasi-faschistisches. Sowohl
Rechte als auch Kommunisten und Sozialisten machten sich vor und besonders nach
1945 die Idee zu eigen, einen jüdischen Staat zu gründen. Bis heute
hat sich an diesem Pluralismus nichts geändert.
Trotzdem hat man auch heute noch in Diskussionen über Israel hin und
wieder den Eindruck, erklären zu müssen, daß Israel kein
faschistischer Staat ist. Das Flugblatt der Vereinigung der
Palästinenser in Leipzig haut in dieselbe Kerbe: Wer
kaltblütig Kinder vor den Augen der Welt ermordet, was ist der anders als
ein Faschist, ein Verbrecher, ein Rassist. Auch wenn es aus der Wut
geschrieben ist, bleibt es falsch. Das Vorgehen der israelischen Armee ist oft
unverhältnismäßig, die Politik Israels gegenüber den
Palästinensern kann als eine Art Apartheidsregime abgelehnt werden
ohne Frage. Aber in Israel herrscht, auch wenn man es seit Jahren
herbeizupolemisieren versucht, einfach kein Faschismus. Der Vorwurf, von seinen
Urhebern als moralischer Verstärker ins Feld geführt, geht nicht nur
an den politischen Realitäten vorbei, er relativiert die historischen
Verbrechen des Faschismus und ist und bleibt in Deutschland ein dankbar
aufgenommenes Entlastungsargument. Er steht hier in der Tradition einer
...(links-) deutsche(n) Sehnsucht nach (...) Entlastung von der Haftung
für die eigenen nationalhistorischen Hypotheken...., so Martin W.
Kloke im Standardwerk Israel und die deutsche Linke. Sicher gibt es
den Unterschied, aus welcher lebensgeschichtlichen Perspektive die israelische
Palästina-Politik mit faschistischen Verbrechen gleichgesetzt wird. Doch
das Verständnis für die historische Unsensibilität
rechtfertigt noch lange nicht ihren Inhalt.
Der Faschismusvorwurf bleibt nicht er einzige Grund zur Aufregung, den das
Flugblatt der Palästinenser bietet. Gefühlstriefend stilisiert sich
die verfassende Gruppe, mitsamt allen Palästinesern zu unschuldigen Opfern
einer ausschließlich israelischen Eskalationspolitik. Sie sind es, die
... den Frieden und die Gerechtigkeit (lieben) (...) und (...) mit dem
Finger auf die wahren Verbrecher zeigen .... Nicht nur das Bild der
Palästinenser, die nach dem Lynchen israelischer Soldaten in Ramalah stolz
und wahnhhaft ihre im Blut der Opfer gebadeten Hände präsentieren,
spricht gegen diese reinwaschende Verallgemeinerung. Wenn dies das
Verständnis von ihrem Recht auf Selbstverteidigung mit allen
Mitteln ist schon die Formulierung klingt im Kontext der
jüngsten Geschichte des Nahostkonflikts wie die ankündigende
Legitimierung von Selbstmordattentaten , so können sie sich eine
linke Solidarität heute hoffentlich abschminken. Und erfolgreich wäre
die einst von den Antinationalen intendierte Auseinandersetzung um den
Zwangscharakter von Volk und Nation, wenn die Passage des Flugblattes, in
welcher der Wille der Völker beschworen wird, nicht
romantische Hingabe, sondern distanzierendes Nachdenken produziert.
III. Israel oder Palästina?
Eine Positionierung im Nahostkonflikt ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Besonders die historischen Implikationen sollten einen Zwang zum
verantwortungsvollen Sprechen nachsichziehen. Die positive Bezugnahme eines
Sprechers der Antifa/M auf den Redebeitrag der Palästinenser, welcher zu
großen Teilen dem Flugblatt entsprach, ist deshalb gelinde gesagt
unbedacht. Zwar war der Beitrag nicht antisemitisch, wie es ein anderer
Kommentar aus dem Lautsprecherwagen nahelegte; ein Grund zur Freude oder zur
Solidarität war er aber bei weitem nicht. Man kann nur hoffen, daß
die Soli-Erklärung der besagten Antifa der wunschgesteuerten Halluzination
entsprang, daß mit der Anwesenheit einer palästinensischen Abordnung
die weltgeschichtliche Bedeutung der Linken ein Fitzelchen zunimmt. Da
Verlangen schon mal den Blick trüben kann, soll nicht weiter darauf
rumgehackt werden.
Anzuerkennen ist, daß es mittlerweile in vielen linken Gruppen ein
sensibilisiertes Verständnis für linken Antizionismus und
Antisemitismus gibt, zumal es auch heute noch einen Bodensatz von linken
Antisemiten gibt. Dies wurde auch auf der Demo sichtbar, als OrdnerInnen der
Demoleitung als Judenfreunde in negativer Absicht bezeichnet
wurden. Sicher existiert gegenwärtig so etwas wie die übertriebene
gegensätzliche Position einer prozionistischen Haltung. Sie liebt
unreflektiert alles jüdische und verbietet sich selbst die
Kritik an jeglicher israelischer Politik. Auch sie ist wie der antizionistsiche
Vorläufer ein Ausdruck für die Suche nach einer lupenreinen
politischen Identität. Solange es in Deutschland noch einen grassierenden
Antisemitismus gibt, bleibt sie das kleinere Übel. Um es konkret zu
machen: Es ist nicht besonders progressiv, ein T-Shirt der
israelischen Armee zu tragen, für einen deutschen Judenfeind bleibt es
eine der wirkungsvollsten Provokationen. Aus diesem Grund sollte man sich
über solche Ausformungen der linken Suche nach einer moralisch eindeutigen
Position nicht über alle Maßen ereifern. Zumal wenn man bedenkt,
daß seit 1967 bis zum Golfkrieg die Mehrheit der deutschen Linken Israel
als Sperrspitze des Imperialismus verdammte. Unter Ignorierung der
besonderen historischen Umstände der Staatsgründung wurden beim
antizionistischen Engagement jahrelang Stereotype, wie die des geldgierigen und
streitsüchtigen Juden reproduziert. Heute, wo die bedeutenden
Fehlleistungen dokumentiert und mehrfach Gegenstand linker Thematisierung sind,
ist klar, daß die derzeitigen prozionistischen Haltungen, sowohl in ihrer
Bedeutung als auch in ihrem Ausmaß in keinem Verhältnis dazu stehen.
Im Gegensatz zur antizionistsichen Ausrichtung der Linken nach 1967,
insbesondere der Autonomen in den 80er Jahren, sind sie kein Programm. Sie
richten sich unter anderem auch nicht gegen einen palästinensischen Staat
oder gegen die Palästinenser an sich. Demzufolge ständen sie auch
keiner Diskussion um die politischen Gemeinsamkeiten zwischen deutschen und
palästinensichen Linken im Wege. Falls diese überhaupt gewünscht
wird.
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