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Im Folgenden dokumentieren wir einen Text aus der Trikont-Zeitschrift iz3w, welcher zur Diskussion um den Israel/Palästina-Konflikt beitragen soll.
Eine Frage des Gedächtnisses
Der Palästinakonflikt muss entideologisiert werden
von Jörg Später

Der Friedensprozess im Nahen Osten ist vorerst gescheitert. Oberflächlich lassen sich dafür die festgefahrenen Verhandlungen oder die Provokation Scharons auf dem Tempelberg verantwortlich machen. Nach Meinung vieler Beobachter ist Letztere der Anlass dazu gewesen, dass der aufgestaute Zorn der Palästinenser sich Luft machte. Tatsächlich zeichnet sich seit dem Osloer Abkommen die israelische Politik durch nicht eingehaltene Zusagen, Verzögerungstaktiken und die Unterwanderung des Rückzugsversprechens aus – in den Jahren nach Oslo hat sich die Zahl der SiedlerInnen in den besetzten Gebieten verdoppelt. Auf der anderen Seite weisen Kommentatoren wie der israelische Schriftsteller Amos Oz darauf hin, dass die palästinensische Seite immer dann auf die Gewaltkarte setze, wenn eine israelische Regierung besonders konzessionsbereit sei. Noch nie habe es so weitreichende Angebote wie in der Jerusalemfrage gegeben, die Intifada sei also völlig ungerechtfertigt. Auch dieser Einwand von Oz ist berechtigt, aber man sollte nicht vergessen, dass es erst der ”Aufstand der Steine” (1987-1991) war, der Israel und die PLO überhaupt an den Verhandlungstisch gebracht hatte.
Die tieferen Gründe für die offenbar beiderseitige Flucht vor dem Frieden liegen aber tiefer. Zu ihnen zählen an erster Selle der Geburtsfehler des Staates Israel und die nicht überwundenen historischen Traumata der israelischen und palästinensischen Gesellschaft: Es war die

Israelis und Palästinenser verweigern sich gegenseitig die Anerkennung der historischen Erfahrung

Erfahrung der deutschen Vernichtungspolitik, dass Juden sich nicht des Schutzes einer Regierung erfreuten, keine wie auch immer gearteten Staatsbürgerrechte mehr genossen und aller angeblich eingeborenen Menschenrechte, ja des Rechtes zu leben, verlustig gingen. Nach dieser Erfahrung konvertierten selbst überzeugte Antizionisten zu Befürwortern eines jüdischen Staates. Zwar hat der israelische Staat die sogenannte Judenfrage, die in Wirklichkeit immer eine Antisemitenfrage war, nicht lösen können, aber er ist seitdem zumindest das potenzielle Refugium, um das sich auch Juden Sorgen machen, die nicht dort leben wollen. Der jüdische Charakter dieses Staates bedingte aber gleichzeitig die Vertreibung und Flucht der Palästinenser im Krieg von 1948, ohne die er nicht oder nur mit einem Apartheids-Regime durchsetzbar gewesen wäre. Bis heute kann Israel nicht beanspruchen, ein demokratischer Staat all seiner Bürger zu sein, wenn es sich zugleich als jüdischer Staat definiert. Die Loyalität der zudem noch sozial diskriminierten arabischen Israelis kann er so nicht gewinnen. Zudem bestreitet Israel, dass es die Vertreibung der Palästinenser überhaupt gegeben habe. Die offizielle Lesart des Krieges von 1948 besagt, dass die arabische Bevölkerung ihre Heimat freiwillig verlassen habe, um mit den siegreichen arabischen Armeen zurückkehren zu können. 1948 ist aber die Geburtsstunde des palästinensischen Traumas – und dieses ist ebensowenig reparabel wie das jüdische.
Beide Seiten verweigern sich gegenseitig die Würdigung der historischen Erfahrung. So vertrauen die Israelis weiterhin nur ihren Waffen und werden das Misstrauen nicht los, auch in einem Arafat stecke ein kleiner Hitler, während die Palästinenser in Israel nichts anderes erkennen können als einen Vorposten des westlichen Imperialismus, der sich ihr Unglück zum Lebensziel gemacht habe. In beiden durch Erfahrung gesättigten Ansichten steckt ein Korn Wahrheit. Sie sind aber dafür verantwortlich, dass, wann immer es um Symbole wie Jerusalem, die (un)heiligen Stätten oder historische Erfahrung wie den 48er-Krieg geht, dass, wann immer historische Gerechtigkeit gefordert wird, die Nerven blank liegen.
Aus diesem Dilemma gibt es nur zwei Auswege. Einmal ist dies der in den vergangenen sieben ]ahren nach Oslo unternommene Versuch, in den rein technisch angegangenen Friedensverhandlungen, die die ideologisch überfrachteten Punkte wie die Jerusalem- und die Rückkehrfrage immer wieder ausklammerten, zu einem Vernunft-Frieden zu gelangen. (Zu diesem gibt es im Grunde keine Alternative und Israel wird sich früher oder später aus den besetzten Gebieten zurückziehen, weil die Besatzung nicht Schutz, sondern Sicherheitsrisiko ist.) Momentan scheint dieses Konzept jedoch gescheitert – nicht zuletzt, weil niemand bereit ist, für die beiden genannten symbolträchtigen Probleme unsensible, kalte Lösungen zu wählen, wie es etwa die Exterritorialisierung und Internationalisierung der unheiligen Stätten um Felsendom und Tempelberg oder die monetäre Entschädigung der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 bzw. ihrer Nachkommen wären.
Die andere Möglichkeit, langfristig Frieden zu schaffen, bestünde darin, einen Prozess voranzutreiben, der vor einigen Jahren begonnen hat und in dem vor allem die Intellektuellen gefragt sind. In ihm geht es um die beiderseitige Anerkennung der jeweiligen Traumata. Diese Revolutionierung des historischen Gedächtnisses würde die politische Kultur in der Region grundlegend verändern. Das ersetzt natürlich keine harten materiellen Kompromisse – aber die Entdeckung der Geschichte des anderen würde die eigene Gesellschaft verändern und damit den Weg zu solchen Kompromissen erst eröffnen.
Im Moment ist daran nicht zu denken. Intellektuelle, die diesen Weg beschreiten, müssen sich gegen die Legenden der eigenen Cesellschaft stellen: Hier zuzugeben, dass Israel auf den Gräbern der Palästinenser entstanden ist, und dort, dass es für die Juden keine Alternative zum israelischen Staat gegeben hat; hier darauf hinzuweisen, dass in den besetzten Gebieten vor allem Palästinenser sterben, und dort, dass Anschläge auf Synagogen in Europa nicht Widerstand gegen Israel, sondern Antisemitismus sind; hier und dort zu betonen, dass religiös begründete Ansprüche auf Landstriche und Betstätten keine politischen Argumente sein können – all diese Ansichten sind heute Häresie und brächten ihren Verkündern nicht Ruhm, sondern gesellschaftliche Isolierung ein. In Israel und Palästina kann aber der Frieden nur gewonnen werden, wenn eine solche Entideologisierung des Konfliktes beginnt.



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last modified: 28.3.2007