home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt | [72][<<][>>] |
Im Folgenden dokumentieren wir einen Text aus der Trikont-Zeitschrift iz3w, welcher zur Diskussion um den Israel/Palästina-Konflikt beitragen soll. |
Eine Frage des Gedächtnisses | |
Der Palästinakonflikt muss entideologisiert werden von Jörg Später
Der Friedensprozess im Nahen Osten ist vorerst
gescheitert. Oberflächlich lassen sich dafür die festgefahrenen
Verhandlungen oder die Provokation Scharons auf dem Tempelberg verantwortlich
machen. Nach Meinung vieler Beobachter ist Letztere der Anlass dazu gewesen,
dass der aufgestaute Zorn der Palästinenser sich Luft machte.
Tatsächlich zeichnet sich seit dem Osloer Abkommen die israelische Politik
durch nicht eingehaltene Zusagen, Verzögerungstaktiken und die
Unterwanderung des Rückzugsversprechens aus in den Jahren nach Oslo
hat sich die Zahl der SiedlerInnen in den besetzten Gebieten verdoppelt. Auf
der anderen Seite weisen Kommentatoren wie der israelische Schriftsteller Amos
Oz darauf hin, dass die palästinensische Seite immer dann auf die
Gewaltkarte setze, wenn eine israelische Regierung besonders konzessionsbereit
sei. Noch nie habe es so weitreichende Angebote wie in der Jerusalemfrage
gegeben, die Intifada sei also völlig ungerechtfertigt. Auch dieser
Einwand von Oz ist berechtigt, aber man sollte nicht vergessen, dass es erst
der Aufstand der Steine (1987-1991) war, der Israel und die PLO
überhaupt an den Verhandlungstisch gebracht hatte.
Beide Seiten verweigern sich gegenseitig die Würdigung der historischen Erfahrung. So vertrauen die Israelis weiterhin nur ihren Waffen und werden das Misstrauen nicht los, auch in einem Arafat stecke ein kleiner Hitler, während die Palästinenser in Israel nichts anderes erkennen können als einen Vorposten des westlichen Imperialismus, der sich ihr Unglück zum Lebensziel gemacht habe. In beiden durch Erfahrung gesättigten Ansichten steckt ein Korn Wahrheit. Sie sind aber dafür verantwortlich, dass, wann immer es um Symbole wie Jerusalem, die (un)heiligen Stätten oder historische Erfahrung wie den 48er-Krieg geht, dass, wann immer historische Gerechtigkeit gefordert wird, die Nerven blank liegen. Aus diesem Dilemma gibt es nur zwei Auswege. Einmal ist dies der in den vergangenen sieben ]ahren nach Oslo unternommene Versuch, in den rein technisch angegangenen Friedensverhandlungen, die die ideologisch überfrachteten Punkte wie die Jerusalem- und die Rückkehrfrage immer wieder ausklammerten, zu einem Vernunft-Frieden zu gelangen. (Zu diesem gibt es im Grunde keine Alternative und Israel wird sich früher oder später aus den besetzten Gebieten zurückziehen, weil die Besatzung nicht Schutz, sondern Sicherheitsrisiko ist.) Momentan scheint dieses Konzept jedoch gescheitert nicht zuletzt, weil niemand bereit ist, für die beiden genannten symbolträchtigen Probleme unsensible, kalte Lösungen zu wählen, wie es etwa die Exterritorialisierung und Internationalisierung der unheiligen Stätten um Felsendom und Tempelberg oder die monetäre Entschädigung der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 bzw. ihrer Nachkommen wären. Die andere Möglichkeit, langfristig Frieden zu schaffen, bestünde darin, einen Prozess voranzutreiben, der vor einigen Jahren begonnen hat und in dem vor allem die Intellektuellen gefragt sind. In ihm geht es um die beiderseitige Anerkennung der jeweiligen Traumata. Diese Revolutionierung des historischen Gedächtnisses würde die politische Kultur in der Region grundlegend verändern. Das ersetzt natürlich keine harten materiellen Kompromisse aber die Entdeckung der Geschichte des anderen würde die eigene Gesellschaft verändern und damit den Weg zu solchen Kompromissen erst eröffnen. Im Moment ist daran nicht zu denken. Intellektuelle, die diesen Weg beschreiten, müssen sich gegen die Legenden der eigenen Cesellschaft stellen: Hier zuzugeben, dass Israel auf den Gräbern der Palästinenser entstanden ist, und dort, dass es für die Juden keine Alternative zum israelischen Staat gegeben hat; hier darauf hinzuweisen, dass in den besetzten Gebieten vor allem Palästinenser sterben, und dort, dass Anschläge auf Synagogen in Europa nicht Widerstand gegen Israel, sondern Antisemitismus sind; hier und dort zu betonen, dass religiös begründete Ansprüche auf Landstriche und Betstätten keine politischen Argumente sein können all diese Ansichten sind heute Häresie und brächten ihren Verkündern nicht Ruhm, sondern gesellschaftliche Isolierung ein. In Israel und Palästina kann aber der Frieden nur gewonnen werden, wenn eine solche Entideologisierung des Konfliktes beginnt. |
|