Die antideutsche Position steckt angesichts des
Kosovo-Krieges in der Krise. Doch so schlecht, wie inzwischen oft angenommen,
siehts nun auch wieder nicht aus. Von Ralf
Der Wegfall des impliziten bzw. expliziten Bezugsmodells
einer westdeutschen Linken der real existierende Sozialismus und die
durch ihn manifestierte historisch legitimierte Teilung Deutschlands
eröffnete bekanntlich mit einigem Schrecken einen Blick auf die wahren
Absichten und Denkmuster vieler jahrelanger Bündnispartner aus Friedens-
und Antikriegskampfzeiten der achtziger Jahre. Über eine
Anhängerschaft von Perestroika, Glasnost und Marktwirtschaftsfetischist
Gorbatschow vollzogen ehemalige Bezugs-Massen (sic!) für kommunistische,
trotzkistische oder ML-Linke die Wende zum Deutschnationalismus von den
völkisch und heimattümelnd geprägten Friedensbewegten ganz zu
schweigen. Plötzlich stand man noch alleiner auf Feld und Flur als ehedem.
Das konnte schon folgenschwer erschüttern. Einen Ausweg schien die
Initiierung der Radikalen Linken zu weisen, bei der sich, in Abwandlung von
Marlene Dietrichs Deutschland? Nie wieder! der Slogan Nie
wieder Deutschland durchsetzen konnte. In Folge dieser Initiative
versuchte diese Radikale Linke ihre Position gegen Deutschland auch über
die Kritik der bisherigen linken insbesondere der der Neuen Linken
zu finden. In diese laufende Auseinandersetzung platzte der Golfkrieg
und die Bedrohung Israels durch Raketen Saddam Husseins. Insbesondere um die
Zeitschrift konkret versammelten sich damals all jene, die den
deutschnationalen, antizionistischen/antisemitischen und antiamerikanischen
Aus Marlene Dietrichs Slogan wurde Nie wieder Deutschland
Auszug aus dem Plakat zur Mobilisierung für den konstituierenden Kongreß der Radikalen Linken Pfingsten 1990 in Frankfurt/Main. |
Gehalt der deutschen Antigolfskriegbewegung nicht ertragen konnten. Stattdessen
kam aus ihren Kreisen etwas, was für eine fundamentale Linke bis zu diesem
Zeitpunkt unvorstellbar gewesen ist: Die Befürwortung der Bombardierung
des Iraks durch US-Bomber als Schutz von Israel als dem Staat der
Überlebenden der Shoah. Diese Prohaltung stellte eine Zäsur
bezüglich grundlegender linker Allgemeinplätze dar: Die
Befürworter des Bombardements stellten sich also an die Seite DER
imperialistischen Großmacht den USA. In der Folge kamen all jene
merkwürdigen und sonstwie legitimierten pazifistischen Grundsätze auf
den Prüfstand derjenigen, die sich explizit für den aktiven Schutz
Israels vor irakischen Raketen und Giftgas aussprachen. Die Argumentation, die
West-Alliierten, insbesondere die USA und England, könnten im Falle der
Niederschlagung des Nationalsozialismus nicht auf den Ausdruck von
Konkurrenz um Weltmacht- und Vormachtpositionen (Jan Phillip Reemtsma) reduziert werden, bekam entprechend Nahrung.
Der Streit innerhalb der Linken um die Haltung zum Golfkrieg symbolisierte sich
repräsentativ in der Kündigung von rund 1.100 Abos der wichtigsten
linken Zeitschrift, der konkret. In nullkommanichts schrumpfte damals
die Abozahl des Blattes, so daß der damalige und heutige Herausgeber
Hermann L. Gremliza nur konstatieren konnte: Nachdem man auf den Busch
geklopft hat gemeint ist die Haltung zur Bombardierung des Iraks
haben sich Leute auf eine Weise gemeldet (...), wie man es in
schlimmster Vorahnung nicht für möglich gehalten hätte. Wer
hätte gedacht, daß unter den Lesern von konkret so viele
Antisemiten sind, wie sich jetzt in Briefen zu Wort gemeldet haben? Leute, die
von der Endlösung der Araberfrage faseln, vom Holocaust
am irakischen Volk, vom rassistischen Staat Israel und soweiter.
Angesichts dieser Situation tat die Klärung, was eine deutsche Linke an
antisemitischen Stereotypen reproduziert oder selbst hervorbringt, mehr als
Not. Zum explizitesten Sprachrohr der unbedingt zu leistenden Kritik an einer
antiamerikanisch-antizionistisch geprägten deutschen Linken avancierte die Zeitschrift konkret.
In der Folge dieser Konstellation kristallisierte sich eine antinationale
grundsätzliche Kritik am Nationenmodell übende und
antideutsche linke Strömung heraus, die bereit war, sich dem Diktum,
daß Deutschland denken Auschwitz denken heißen müße, zu
stellen. Ihr Verständnis von der Aufmischung der Linken tat mehr als Not.
Sie führte im Gleichlauf zur Kappung der Illusion vom Massenansatz,
demgemäß die Leute gefälligst da abzuholen seien, wo sie
stünden. In den Auseinandersetzungen um den 50. Jahrestag der deutschen
Niederlage kristallisierte sich neben der formulierten Kritik an der deutschen
geschichtlichen Sonderrolle und dem folgerichtigen Gipfeln in dem geschichtlich
singulären Verbrechen der Shoah eine moralische Kategorie
heraus, die es vermochte, die Bombardierung Dresdens aus der Kriegslogik und
der Besonderheit des kollektiven deutschen Volksgemeinschaftsdenkens als eine
moralisch legitmierte Handlung gegen den deutschen Wahnsinn zu begreifen. Diese
historische Einschätzung knüpfte letztlich kausal an die Debatte um
den Golfkrieg an und wäre ohne diese vermulich nicht als Position zustande
gekommen, weil schließlich dort, wie das oben angeführte Zitat von
Reemtsma deutlich macht, der positive Bezug einer moralischen Bedeutung
US-amerikanischer Intervention entgegen der traditionell
antiimperialistisch-antiamerikanischen Sichtweise möglich gemacht wurde.
Es war seitdem das Steckenpferd der Kritik schlechthin, einer
antinational/antideutschen Sichtweise ein ausschließliches
unökonomisches Moralisieren unter die Nase zu reiben und eine
Kausalität von Verbalradikalismus und Kokettiererei mit bürgerlicher
Humanität herzustellen. Tatsächlich ging und geht es den
Antideutschen immer noch um die Verteidigung westlicher Werte im Sinne einer
aufgeklärten materialistischen Weltsicht, die dazu in die Lage versetzen
soll (und muß), zwischen der Guillotine der fanzösischen Revolution
und den Gaskammern von Auschwitz wohlweislich zu unterscheiden, also den
Unterschied zwischen einer vernunftbegabten bürgerlichen Zivilgesellschaft
in der Tradition von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und einer
völkischen Gemeinschaftskonstruktion zu begreifen. Tatsächlich ist es
so, daß diese Differenzierung erst die Möglichkeit eröffnet,
das Horkheimer-Diktum, daß vom Faschismus schweigen sollte, wer vom
Kapitalismus nicht reden will, inhaltlich zu füllen. Doch genau das hat
eine antideutsche Linke weit in den Hintergrund gerückt. Zwar gab es eine
in Ansätzen geführte Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie
und Auschwitz, doch stand und steht letztlich die Formel Adornos, daß
alles Denken und Tun darauf gerichtet sein müße, daß sich
nichts ähnliches oder vergleichbares wiederhole, im unmittelbaren Zentrum
jeglicher Analyse. Wichtig sei doch gerade in diesem Zusammenhang, konstatiert
Jürgen Elsässer, einer der antideutschen Exponenten, in der
Juli-konkret, daß der Hauptwiderspruch (...) nicht
Krieg und Frieden (sei), sondern (...) antideutsch oder prodeutsch.
Wenn von einem Desaster angesichts des Kosovo-Krieges bei den
Antideutschen überhaupt die Rede sein kann, wie es in der Wochenzeitung
Jungle World (Nr. 26) Gerhard Hanloser in seiner Abrechnug mit
den Antideutschen (Kapitulation, theoretsich und konkret) tut, dann
wohl nur im Sinne o.g. Voraussetzung für eine geschichtlich richtige
Grundlage einer Analyse und linken Kritik: Horkheimers Diktum muß
gefüllt werden. Denn sonst, so ist Jutta Ditfurth beizupflichten, tritt
tatsächlich folgendes ein: Antideutsch, um antikapitalisitsch
gekürzt, wird reaktionär und gelegentlich proimperialistisch.
Die Verdienste antideutscher, antinationaler Aufmischungsversuche hinsichtlich
antisemitischer, antizionistischer, antiamerikanischer, nationalistischer und
massenentschuldigender linker Grundlagen können nicht hoch genug bewertet
werden. Gerade deshalb aber steht es einer antideutschen Linken schlecht zu
Gesicht, sich selbst noch mit der zugeschriebenen Rolle fachidiotischer
Wächter des antifaschistischen Ausschwitzvermächtnisses zu
arrangieren. Auf der Grundlage der geleisteteten Schwerstarbeit, die sicherlich
und da wirklich nur allzu berechtigt ihren kleinen Beitrag zum
endgültigen Niedergang der alten Neuen Linken folgerichtig beigetragen
hat, läßt sich aufbauen. Nur muß sich dazu eine Bereitschaft
zur Erarbeitung neuer alter Begrifflichkeiten wie Antikapitalismus und
Antiimperialismus gestellt werden, die im Zuge einer notwendigen Fokussierung
vorschnell und allzu leichtfertig aus Augen und Sinnen verschwanden. Ansonsten
wirds wohl nie was mit einer sich universell begreifenden Radikalen Linken
jetzt mal vorausgesetzt, man will die überhaupt noch. |