Es genügt, daß wir [Juden] eine gesellschaftliche Gruppe von
Menschen bilden, die sich mehr oder weniger deutlich von der übrigen
Menschheit abhebt und deren Realität von niemandem bezweifelt wird.
Albert Einstein
Da stellt sich uns ein schier verzweifelter Mensch vor. Er sitzt am Tisch,
grübelnd den Kopf in die Hand gestützt: Er kann sich nicht
entscheiden. Auf dieses Problem treffen jeden Tag Heerscharen von Einkaufenden,
doch ihm ist es ernster. Sein Gewissen wiegt hin und her , schale
Gedanken über Gerechtigkeit und demokratische Errungenschaften
drücken sein Gemüt; was ist schlimmer: Israel oder Palästina?
Dann, letztendlich schnell es fällt ihm wie Schuppen von den
Augen. Seine Genossen im Geiste haben es ihm vorgeturnt. Sind nicht die
Völker dieser Erde letztendlich Waschpulver? Wie soll man sich
entscheiden, wenn wir wissen es in bunten Verpackungen zu guter
Letzt das gleiche Pulver steckt. Ulle nickt versöhnlich und notiert: Beide
haben ihre guten und schlechten Seiten. Die Juden sind verfolgt und kriegten
ihren Staat, die Palästinenser sind verfolgt und kriegen ihren Staat.
Diese Lektion gelernt, gesellt sich ein Freund dazu: Ein Hobbypsychologe, der
sich um die hysterischen seiner Schäfchen sorgt, die es
irgendwie noch nicht beisammen haben, daß das europäische Judentum
vernichtet wurde und die die Sensibilität aufbringen, an die Decke zu
gehen, wenn Israel NO gerufen wird. Sein Beitrag: Wenn
Antizionisten Israel ins Meer treiben wollen, hat das nichts mit Antisemitismus
gemein hier spricht nur der über den Tisch gezogene Besitzer eines
Flecken Landes, welches er gerne wiederhaben möchte.(1) Nun zu
zweit am Tisch, auf eben diesem: die Waschpulver-Lösung. Einig sind sich
die beiden Freunde. Die Verpackung muß weg. Alle Menschen sind gleich.
In dieser Denkform präsentiert sich der Theoretiker. Der Theoretiker gibt
sich alle Mühe. Er sammelt Zeitungsschnipsel und Theoriebausteine,
während erstere als Bastelanleitung fungieren, bildet aus zweiteren sich
die Welt. Der Staat und die Nation und das Kapital und ihre Steckverbindungen:
die Ideologie-Konstrukte(2). Der Theoretiker wird von der
Praxis getrieben, gescheit zieht er aus seinen Theorien die Strategien
für: Politik. Und je klarer der Stern der Theorie leuchtet, desto
schöner ist die Politik. Das ist die Geburt der antinationalen Antifa. Sie
hat die blinde Liebe zum Volk zu ihrem
Verhandlungsgegenstand gemacht, fragwürdig
geworden ist der positive Bezug auf nationale Befreiungsbewegungen
und jetzt ist alles gut die Kritik des Kapitalismus
ist nicht aus den Augen verloren. Da stehen sie, die lupenrein
politisch Identischen, schwingen die Keule der Integren, die Objektivität.
Sie stützt die Politik wie das Mehl das Brot. Und auch dieser
Keulenschwung ist, wie alle Gewalt, nur eine Abart des
Herrschenden(3). Bemüht schlägt sie unters Wertgesetz, was
sie beurteilen will, macht gleich, sät Gerechtigkeit, sät
Antirassismus. Objektivität, das ist distanzierendes
Nachdenken und Gleichmacherei. Sie ist nur als Herrschende zu haben, als
vernünftige nur subjektiv zu spüren, nur versöhnt
als Vielheit des Verschiedenen(4) erahnbar.
Nachdenken, welches sich distanziert, verabschiedet
sich notwendig von Kritik. Es trachtet nach Nachvollziehbarkeit und ist dem
Wahnsinn des bürgerlichen Denkens verpflichtet. Es trainiert sich darauf,
das Irrationale denkbar zu machen, es zu Bausteinen zu verarbeiten. Es will den
Wert denken, jenes, welches unterschiedene Dinge zu Gleichen macht bar
jeder Vernunft(5). Das Denken des Verrückten ist objektiv, wenn
es herrscht - das hätte die Linke aus der Kritik der falschen
Nationalsozialismus-Analyse lernen können. Eben dieses Prinzip ist
es, welches in der Demokratie nachlebt jenseits der Empirie und
potentiell bedrohlicher ist, als wenn es sich gegen sie wendet.
Verrückt das ist die Realität auf dieser Welt, verrückt
ist unser Denken. Verrückt unsere Wahrnehmung wahnsinnig ist
jegliches Operieren mit ihr, wenn sie versäumt, auf ihre verrückte
Entstehungslogik zu reflektieren. Wenn sie es nicht versäumt, heißt
dieses verzweifelte Unterfangen Kritik: die Vernunft als negative
Wahrheit aus dieser Irrenanstalt, in der wir leben, zu bergen und ihr
Aufmerksamkeit zu verschaffen. Kritik ist weder Theorie noch Praxis, die
Politik ist ihr fremd.
Wir haben also weder Fähigkeit noch Wunsch, uns unbefangen zum
Nahost-Konflikt zu äußern.
Die Bemühungen der Antisemitismus-Forschung orientieren sich zumeist an
den Tätern. Die Opfer in die Analyse mit einzubeziehen, klingt auf den
ersten Blick zynisch und unmenschlich. Zu stark ist der Eindruck, man wolle
ihnen einen Teil der Schuld andrehen. Wir denken aber, daß es
unmenschlich ist, zu sagen, die Opfer der nationalsozialistischen Barbarei
seien beliebig austauschbar. Die Deutschen hatten ihre freilich zutiefst
unmenschlichen und fanatischen Gründe, gerade die Juden als Opfer
sich auszusuchen. Diese These gilt nicht nur für die deutschen Verbrechen
an den Juden zur Zeit der Shoa, sondern für die gesamte Geschichte der
Judenverfolgung. Die Juden sind also durchaus etwas besonderes. Sie wurden
nicht ohne Grund aus den Kollektiven ausgeschlossen und als das Böse
verteufelt. Der Grund dieser Verteufelungen bestand darin, daß die Juden
von diesen Gemeinschaften als Verkünder der Wahrheit empfunden und mit
dieser selbst identifiziert wurden.
Es handelt sich um die in der mosaischen Religion ausgedrückte Wahrheit.
Eva und Adam gelten der Genesis zufolge als aus dem Paradies vertriebene. So
bringt die mosaische Religion die Kluft zwischen Mensch und Natur auf den
Punkt. Allen illusionären Hoffnungen auf eine Einheit des Menschen mit
sich selbst (mit seiner Natur) erteilt sie eine fundamentale
Absage. Das Element des Nicht-Identischen ist ihr zentrales Thema. Mit dieser
Erkenntnis ziehen sie den Haß der Welt auf sich.
Das Kollektiv der Identischen zeugt von dem Bedürfnis der Menschen in der
Natur aufgehoben zu sein. Inneres Ziel des identischen Denkens ist es, die
eigene Menschwerdung zu verleugnen den Kampf um die Autonomie
aufzugeben, sich danach sehnend, als Kind im Mutterleib zu ruhen. Die
Uneinlösbarkeit dieser Illusion löst den Zorn aus der
Lügner verdrängt die Wahrheit die Juden werden dafür
gehaßt und verfolgt.
Das Alte Testament als zentrale Quelle der jüdischen Religion kann als
kritisches Grundlagenwerk betrachtet werden. Als einzige Religion lehnt es die
Möglichkeit eines Lebens im Einklang mit der Natur und sich selbst vor
Ankunft des Messias ab. Alle Hoffnungen auf paradiesische
Zustände werden mit einem >>Bilderverbot<< belegt. Die
Hoffnung auf irgendein Leben nach dem Tod spielt demzufolge auch eine eher
bescheidene Rolle in der jüdischen Religiösität. Sie ist eine
radikal diesseitsbezogene Religion. Ihre zentralen Inhalte sind die Trennung
des Menschen als denkendes und handelndes Wesen von der Natur, das Ringen um
einen vernünftigen Umgang der Menschen miteinander und die Utopie der
Möglichkeit einer von den Zwängen befreiten Gesellschaft, welche die
Juden als Hoffnung auf Ankunft des Messias in religiöser Form denken. In
der Vision von der Ankunft des Messias ist also die Vision einer befreiten
Gesellschaft aufgehoben. Für die Christen hingegen ist mit der abstrusen
heiligen Dreifaltigkeit und mit der Verehrung Jesu als Messias die
Befreiung bereits vollzogen. Ein Christ wähnt sich bereits in einer
befreiten Welt, da er meint, Jesus sei für ihn am Kreuz gestorben.
Die Rede von den Juden als auserwähltem Volk meinte gerade das
nicht, was (antisemitische) Kritiker ihr oft unterstellen. Laut biblischem
Mythos erwählte Gott die Juden zum auserwählten Volk, damit sie die
Kundschaft der zehn Gebote und das Hoffen auf die Ankunft des Messias in die
Welt tragen. Auserwähltes Volk heißt: Auftrag, den Willen Gottes zu
verwirklichen. Und dieser Wille wird bestimmt als: Auflösung aller
Nationen, Völker, Staaten, Geschlechter vor Gott. Diese Vision ist das
völlige Gegenteil vom deutschen Herrenmenschentum, mit dem diese
biblischen Vision oft in völliger Unkenntnis verglichen wird. Dem am
deutschen Wesen wird die Welt genesen ging es stets um nichts als um
Macht über andere Menschen. Genau das war niemals die Bedeutung der Rede
von den Juden als erwähltem Volk. Auftrag der Juden ist also laut Bibel,
die Botschaft der Auflösung der Völker und Rassen vor Gott, die
Errichtung eines Reiches der Freiheit, die Überwindung der barbarischen
Zwänge der Natur (und also der Gesellschaft).
Die Brisanz der jüdischen Religion bestand darin, daß sie dem
einzelnen die Möglichkeit nicht zusprach, kraft eigenen Willens die
Erlösung zu erlangen, was ein Christ oder Buddhist oder Muslim etwa durch
besonders festen Glauben, strenge Lebensführung, Meditation etc.
individuell zu erreichen können meint. Das Judentum ist also im Ansatz als
eine kritische Religion zu verstehen.
Die Brisanz ergibt sich weiter aus der Sicht der jüdischen Religion auf
die Welt, die als eine prinzipiell zweigeteilte vorgestellt wird. Auf der einen
Seite die von den Zwängen der Natur und Gesellschaft beherrschte
diesseitige Welt, die es zu vestehen und in der es zu handeln gilt, ohne sich
illusionären Hoffnungen hinzugeben. Unarten wie positives
Denken widersprechen somit der jüdischen Religion zutiefst. Auf der
anderen Seite sind sich die Juden darüber im Klaren, daß diese von
Zwängen und Brutalität gezeichnete Welt nicht bis auf unwiderrufliche
Zeiten bestehen muß, sondern daß die Perspektive ihrer Aufhebung
gedacht werden kann. Von diesem inneren dynamischen Widerspruch zehrt seit
vielen Jahrhunderten die jüdische Philosophie und Theologie.
Hinzu kommen die Verfolgungen, denen die Juden in den Gemeinschaften, in denen
sie lebten, ausgesetzt waren. In der jüdischen Geschichtsschreibung
drückten sie das Leiden ihrer Verfolgungen aus und schufen damit eine
Dokumentation des menschlichen Leidens in einer von Ausgrenzung und
Unterdrückung gezeichneten Welt. Sie drückten in ihrem Denken das
aus, was alle anderen Mythen verleugnen. Die Juden machten keinen Frieden mit
den barbarischen Zuständen, weil ihnen ihre Umwelt niemals die Chance dazu
gab.
In diesem Sinne hatten die Antisemiten Recht, wenn sie linkes,
kritisches und revolutionäres Gedankengut als jüdisch
angriffen. Tatsächlich zehrte kritisches Denken stets aus den tiefen
Einsichten der mosaischen Denkungsart. Alle grundlegenden Momente einer
kritischen Theorie der Gesellschaft gehen auf sie zurück: von einer
antinational-kosmopolitischen Perspektive über die radikale Analyse des
Bestehenden bis zur Einsicht in das menschliche Leben als einen
Leidensprozeß.
Philosemitismus ist der Vorwurf, der uns hier fast unvermeidlich treffen wird.
Philosemitismus hieße aber eben wirklich unreflektiert alles
jüdische zu lieben und dabei von den Juden zu fordern, bessere Menschen
als andere zu sein. Genau das aber wollen wir nicht. Wir beziehen uns lediglich
auf die Quellen jüdischer Religion und den daraus erwachsenden
philosophischen Konzeptionen. Daraus Erwartungen bezüglich des Verhaltens
jüdischer Menschen oder gar des Staates Israel zu schmieden, liegt uns
fern.
Völlig anders Ulle: obwohl er wissen müßte, daß jeder
bürgerlich-kapitalistische Staat aufgrund der kapitalistischen
Vergesellschaftungsform rassistische Denkweisen hervorbringen muß, klagt
er speziell Israel als rassistischen Staat bzw. als eine Art
Apartheitsregime an. Damit vertritt er jene Art von Philosemitismus, die
in gefährliche Nähe zum Antisemitismus zu geraten droht. Die
Enttäuschung darüber, die Juden hätten aus ihrer
Geschichte nichts gelernt, ist vorprogrammiert und üblich. Der
Umschlag in ein Strafbedürfnis ist weitverbreitet, und in der deutschen
Linken seit dem 6-Tage-Krieg präsent. Vom Staat Israel, den er wohl mit
Argusaugen betrachtet, verlangt Ulle, besser zu sein, als andere
kapitalistische Staaten.
An dieser Stelle muß darüber reflektiert werden, daß Israel
als einziger Staat der Welt tatsächlich das Recht hätte, einen Staat
nur für das eigene Volk zu begründen. Israel ist nicht nur die
Konsequenz aus der Shoa (allein das würde freilich reichen), sondern das
Ergebnis der Geschichte des gesamten Antisemitismus und Antijudaismus. Weil
Juden nirgends längere Zeit geduldet wurden, weil alle Bildungsprozesse
von Nationen stets zur Ausgrenzung von Juden geführt haben, entstand der
zwingende Gedanke, einen Staat nur für Juden zu schaffen. Daß der
jüdische Staat trotzdem von Anbeginn an ein friedvolles Zusammenleben mit
den Arabern anvisierte, sollte ihm hoch angerechnet werden, anstatt permanent
auf die realen Probleme des Zusammenlebens zwischen Juden und Arabern zu
verweisen, welche wir ganz und gar nicht leugnen wollen. Im Übrigen
veranstaltete Israel unter Shimon Peres im Westjordanland die einzigen freien
Wahlen, die jemals auf arabischem Gebiet abgehalten wurden.
Logischerweise vollzog sich auch in Israel der Prozeß einer
Nationsbildung mit all ihren gefährlichen Folgeerscheinungen: dem
nationalistischen Wahn, der Jagd auf Sündenböcke, der Begründung
und Ausgrenzung von Fremden und Bürgern zweiter
Klasse. In diesem Sinne ist Israel ein Staat wie jeder andere ein
Nationalstaat, der sich verwalten muß, der seine Gründungsmythen,
seinen Sicherheitswahn(6) und seine Feinde braucht.
Aber all das ist bei Israel eben doch auch etwas anderes. Israel ist
gleichzeitig ein Staat wie jeder andere und dabei doch ein besonderer.
Besonders ist er als potentielle Heimat von Juden und somit als einziger
Nationalstaat der Welt, der wirklich über ein eindeutiges Existenzrecht
verfügt. Besonders ist der Staat Israel auch als ein Stück
vorweggenommene menschliche Utopie einer befreiten Gesellschaft. Der Zionismus
ist nicht nur jene bürgerliche Ideologie, als die er von
Ulle attackiert wird. Schon gar nicht ist er per se etwas rechtes.
Zionismus ist der Beweis dafür, daß eine humanistische Denkweise
Praxis werden konnte. Freilich mit allen Widersprüchlichkeiten, die sich
innerhalb einer nicht-befreiten Welt ergeben. Israel steht dafür,
daß es den Juden gelang, sich vor der Jahrhunderte währenden
Rache der Völker einen Schutzraum in einem eigenen Staat zu
verschaffen. Daß Israel damit gezwungen war, selbst ein geschlossenes
Volk zu bilden, um als Nationalstaat zu funktionieren, sollte man gerade nicht
Israel, sondern den Völkern aller Länder mitsamt ihren Antisemitismen
vorwerfen. Auf den realen Problemen, die der Staat Israel heute in seinem
Zusammenleben mit seinen Nachbarn und Minderheiten hat, herumzureiten, ist
zynisch. Die aggressive Politik Israels ist zumindest in stärkerem
Maße nachvollziehbar, als bei allen anderen Staaten der Welt. Jene wurden
nicht begründet, um einer Menschengruppe, die gerade wegen des nationalen
Wahns weltweit verfolgt wurde, einen Schutz vor dem Nationalismus der
Völker zu gewähren(7).
Israel ist somit gleichzeitig notgedrungen ein Staat des jüdischen Volkes
und gerade der Schutzraum der Juden vor den Nationen, die, gerade um Nationen
sein zu können, antisemitisch sind(8) und damit das bloße
physische Existenzrecht von Juden in Frage stellen. Die
religiöse Vision Israel ist erfüllt, wenn es
überhaupt keine Nationen mehr gibt, sondern eine befreite Gesellschaft.
Solange diese aber nicht absehbar ist, muß auf einen starken und sicheren
weltlichen Staat Israel gedrungen werden.
Uns liegt nichts daran, das Leid von arabischen Palästinensern in den
Flüchtlingslagern zu verschweigen. Dieses Problem resultiert aus den
konkreten Problemen, die der Staat Israel heute hat und irgendwie pragmatisch
lösen muß z.B. in Form der Anerkennung eines
palästinensischen Staates. Das aber sollte kein Grund für Linke sein,
sich auch nur in irgendeiner Weise mit einem arabischen Nationalismus zu
solidarisieren. Ein palästinensischer Staat mag angesichts realer
Konflikte unvermeidbar sein ein linkes Anliegen ist er hingegen
niemals.
Betonen möchten wir, daß es überhaupt bedenklich ist, eine
befreite Gesellschaft mit der Auflösung des israelischen Staates zu
identifizieren (nach dem Motto: jetzt gilt es noch, Israel zu verteidigen als
das kleinere Übel, später ist auch dieser Staat dran). So eine Art zu
denken, reflektiert nicht auf die spezifisch jüdischen Wurzeln des linken
Denkens. Es war gerade das Anliegen der frühen zionistisch-kommunistischen
Siedler eine kosmopolitische Gesellschaft zu begründen. Von diesen
frühen Siedlern und der theoretischen Tradition, die ihnen vorausging
(z.B. dem anarchistischer Theoretiker Gustav Landauer) war erkannt worden,
daß die Emanzipation der Juden vom Antisemitismus perspektivisch nur als
Auflösung der Völker und als Begründung neuer kosmopolitischer
Gemeinwesen funktionieren kann.
Eine kritische Linke und ein radikaler Antifaschismus sollten sich daher stets
positiv auf die jüdischen Gründe ihres eigenen Denkens beziehen. Das
bedeutet etwa, daß Linke nicht nur dem rechten Vorwurf
Vaterlandsverräter zu sein, damit entgegentreten sollten,
daß sie sich als Antideutsche und Antinationale gerade dazu bekennen
sollten, Feinde der Nation zu sein, sondern sie auch auch den Vorwurf
jüdisch zu sein, durchaus ernstnehmen sollten.
Als jüdisches Prinzip verteufelt wurde von den Nationalisten
stets das Zeigen von Schwäche(9).Gerade aus diesem Grunde ging
der völkisch-biologistische Antisemitismus stets mit der Propagierung
männlich-patriarchalen Denkens zusammen. Es galt: als unmenschlicher,
harter, deutscher Mann zu leben. Eine Versöhnung mit den
jüdisch-kritischen Grundlagen linken Denkens würde also damit
einhergehen, mit dem Darstellen und Propagieren von körperlicher
Stärke, roher Körperlichkeit und dem Zeigen brachialer Macht zu
brechen.
Gefordert ist der Bezug auf subtile Formen des Widerstandes:
kritisch-subversives Denken, mühselige begriffliche Anstrengung der
kritischen Durchdringung der Gesellschaft, Bewußtmachung des eigenen
Leidens, der eigene Schwäche. Die Praxis linker Kritik wäre nicht das
von Ulle eingeklagte differenzierte Nachdenken, sondern ein
Anschmiegen der Kritik ans Objekt. Und eben das ist die Voraussetzung, die
Kritik überhaupt erst zur Entfaltung bringt.
Martin, Till
Abbbildungsverzeichnis
Abb.1 Der Staat, Abb.2 Das Kapital
Fußnoten
(1) Das dies nicht geht, ist in erster Linie nur dem "brutalen Vorgehen und
Morden der israelischen Armee" zu verdanken. Solidarisierungen mit ihr finden
wir - wir begründen es später - gut.
(2) Wer konstruiert? Die Geschichte wird erst nach der Revolution von den
Menschen gemacht. Die Ideologie resultiert aus den gesellschaftlichen
Verhältnissen und ihren Denkformen.
(3) Schon in der Einleitung zu "Grenzen der Gemeinsamkeiten" heißt es:
"Neuer Streit in der Leipziger Politszene". So spricht es eben auch die LVZ.
(4) Adornos Negative Dialektik ist hier so zentral, wie unverständlich.
(5) Der verwendete emphatische Begriff sei hier der bürgl. Unvernunft, die
oben beschrieben wird, entgegengestellt.
(6) Obwohl auf der Hand liegt, daß die Angst, die den Sicherheitswahn
hervorbringt, in Israel auf deutlich realen Beinen steht.
(7) Auch wenn alle neuen Mini-Staaten mit Schutz des eigenen Volkes
argumentieren, klar muß für kritische Linke sein, daß die
Dynamik und ihre Entstehungsgründe völlig andere sind.
(8) Nicht notwendig konkret, aber prinzipiell.
(9) Weil sie eben genau wußten - auch wenn es ihnen nicht bewußt war
- welche Stärke es in sich birgt
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