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ATTAC in Buchform. | |||
Während die deutsche Popliteratur nicht viel zu bieten hat als langweilige Selbstbespiegelung, kommt aus Frankreich eine, die die herrschenden Verhältnisse pathetisch angreift und in ihrer Kritik gleichzeitig offenbart, welche Verwüstungen die kapitalistische Gesellschaft auch bei den Literaten anrichtet - da sie sich als Alternative lediglich etwas mehr von den alten Werten wie Demokratie, Kunst oder Volksgemeinschaft vorstellen können oder gleich für die innere Emigration plädieren. Der Bestseller 39,90 von Frédéric Beigbeder ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist eine Recherche in der Arbeitswelt á la Wallraff. Mit dem einzigen Unterschied, dass Beigbeder sich nicht mit schlecht bezahlten Dreckjobs nur die Finger schmutzig macht, sondern in der Werbebranche sich seine ganze "Moral" versaut. Nach 10 Jahren Tätigkeit als angesehener und erfolgreicher Werbetexter hat er die Schnauze voll und rechnet ab. Er schreibt ein Buch über sich selbst, also über einen, der sein yuppiehaftes Leben nur noch mit Drogen, Sex, Markenkonsum und Zynismus erträgt, dann aber ein Enthüllungsbuch über die Werbebranche schreibt, um endlich gekündigt zu werden - jedoch, der repressiven Toleranz sei Dank, auf der Karriereleiter immer weiter nach oben steigt. Erlösung findet er - oder zumindest seine Komplizen - erst im Mord an einer amerikanischen Milliardärswitwe; er landet im Gefängnis und kann sein Buch in Ruhe beenden. Beigbeder bleibt dieser radikale Schritt erspart: er wird von seiner Firma gekündigt und macht mit seinem Buch im kulturellen Sektor Karriere. Das scheint ihm keine weiteren Gewissensbisse zu bereiten. Am Anfang klingt das Buch nach einer platten Lebensbeichte. Die Geschichte entfaltet sich erst unmerklich in ihrem Fortgang und es wird klar: die Stillosigkeit ist der bewusst eingesetzte Stil des Autors und nicht nur seine Unfähigkeit zu schreiben. Das Buch ist gegen seinen Autor, gegen die vorgebrachte Kritik und gegen den Hype um das Buch zu verteidigen. Weil es die richtigen Fragen stellt, weil es wagt, Kapitalismuskritik zu üben. Und es ist zu kritisieren, weil es die falschen Antworten gibt, affirmativ wird. Die Radikalität ist nur Attitüde - aber das ist schon mal besser, als gar nix. Und lesenswert ist es deswegen allemal. Dagegen sind die deutschen Besprechungen des Buches allsamt ungenießbar. Die konservative Kritik geht so: Beigbeder zeichnet ein verzerrtes Bild von der Realität, er kenne nur Schwarz-Weiß-Malerei und schüre Sozialneid, es sei keine Literatur im klassischen Sinne, nur des Verkaufs wegen geschrieben, ohne Bewusstsein, "Teil einer Tradition zu sein und im Dialog mit den großen Toten" (DIE WELT 12.05.2001). Dabei verhält es sich so, dass das, was im ersten Teil kritisiert wird, genau die Stärke des Buches ausmacht: nicht zu beschwichtigen, zu differenzieren, einfach herauszuschreien, dass alles Scheiße ist. Die Wahrheit, dass wir alle im "System" gefangen sind, ist platt und einfach und kann genauso niedergeschrieben werden. Dazu bedarf es keiner großen Analysen. Die Kritik der Kulturlosigkeit entspringt einem altmodischen Habitus, der wahrscheinlich alles, was nach Goethe erschienen ist, für niveaulos hält. Beigbeder ist hingegen mit seinem Buch auf der Höhe der Zeit. Obwohl er die Prämissen der Kulturkonservativen nach eigener Aussage teilt (in den Dialog mit den Toten zu treten, deren Erbe fortzusetzen, die Reinheit und Bedeutung der Kultur, die kritische Aufgabe der Kultur gegenüber Gesellschaft), zieht er andere Schlussfolgerungen daraus. Es ist ein Streit wie der innerhalb der Kirche, wie sich der Glauben besser vermitteln ließe: Durch Bibelstunden oder durch Popkonzerte in den heiligen Hallen. Der Vorwurf, Beigbeder würde zwar gegen die Werbung anschreiben, selbst aber sein Buch vermarkten, ist albern aus dem Mund derjeniger, die sonst gegen Werbung nichts einzuwenden haben. Früher hätten sie sicher gesagt: "Geh doch in den Osten, wenn es Dir bei uns nicht passt." Das linksalternative und popkulturelle Lob auf 39,90 hingegen ergötzt sich nicht nur am radikalen Chic, ohne zu bemerken, wo er ins Unerträgliche umschlägt (z.B. bei den penetranten Vergleichen der Methoden der Werbewirtschaft mit denen der Nazis), sondern freut sich insgeheim über die aufgezeigten Lösungen: der Mord an den Reichen, die scheinbar für das Elend zuständig sind, die große, individuelle Verweigerung oder das leise Einrichten in den Verhältnissen, weil es keinen Ausweg gibt. In dieser Lesart werden alle polemischen Übertreibungen, über die befreiend gelacht werden sollte, für bare Münze genommen und eine Verschwörungstheorie daraus gebastelt. Gefeiert wird das Buch als das literarische Pendant zu Naomi Kleins "No Logo", als kompromisslose Kampfansage im Stil von Michel Houellebecq. Gestritten wird sich im Feuilleton, ob Beigbeder seine Kritik erfolgreich popularisiert, weil dies ihm ein Anliegen ist, oder ob er nicht viel mehr sich vermarktet und die Kritik nur als Mittel zum Zweck benutzt. Über die Motive des Autors zu spekulieren ist unwichtig - und führt zu ganz banalen Ergebnissen: Er selbst sagt in einem Interview: "Als erstes würde ich" - wenn er für einen Tag die Macht hätte - "die Autos verbieten. Dann würde ich neue Gesetze erlassen für diese neue Welt, eine Welt, die vielleicht ein bisschen geregelter wäre, wo die Werber den Konsumenten mehr Verantwortung trügen. Ich würde die Weltregierung, die heute in den Händen von wenigen multinationalen Konzernen liegt, in eine demokratische Regierungsform überführen. ... Ich glaube, wir Schriftsteller befinden uns im Krieg gegen die Bilder, gegen die Werbung. ... In diesem Krieg stehen sich der Kommerz und die Kunst gegenüber. ... Ich glaube, dass ich Pickel im Gesicht gekriegt hätte, wenn ich dieses Buch nicht geschrieben hätte." (Deutschlandfunk 19.6.2001) - also ein ganz handzahmer Junge, der gegen seine Pickel in den Krieg zieht. Wichtiger ist jedoch, was und wie er schreibt. Dies bleibt im deutschsprachigen Raum auffallend unbeleuchtet. Weder regt das Buch, obwohl es von nichts anderem handelt, zur Kapitalismuskritik an. Noch geraten die Schwachstellen ins Zentrum der Kritik. Beigbeder beschreibt zwar richtig, wie es kein Entkommen aus dem System gibt, wie irrational es ist, was es anrichtet und dass alle und niemand dafür verantwortlich zu machen sind; die Beschreibung, was das eigentliche System ist, verfehlt er: Die Werbung als Zentrum der Macht in dieser Welt, die Herrschaft von bösen Menschen über die Gefühle der gesamten Menschheit, der "Dritte Weltkrieg der Marken gegen die Menschheit", die amerikanischen Aktionäre, die mit dem Leben der Menschheit spielen. Der latente Antisemitismus des Buches wird genauso wenig in Frage gestellt, wie die Träume Beigbeders von einer gerechten Welt. "Werbung sollte zeigen, wie Dinge hergestellt werden. Also: wir produzieren Schokolade, in dieser Fabrik bei Stuttgart. In diesem Lastwagen wird sie transportiert. ... Und da sehen Sie Kurt, der für uns arbeitet. Wenn Sie unsere Schokolade nicht kaufen, müssen wir Kurt entlassen." (Die Zeit 12.7.2001) Ich könnte, wenn ich Kurt einmal gesehen hätte, nie wieder Schokolade essen. Weil erstens ist er wahrscheinlich ein Arschloch und wenn nicht, würde ich ihm nicht diese Arbeit zumuten wollen. Also besorgt Euch eine Tafel Schokolade sowie das Buch (so wie es in der "schon GEZahlt?"-Werbung vorgemacht wird: denn 39,90 ist nicht nur der Titel, sondern auch der stolze Preis, allerdings in DM), genießt das Buch und nehmt die weiterführenden Literaturangaben (z.B. Marx, Gramsci, Foucault) ernst. Ihr müsst ja dann nicht gleich für die Kommunistische Partei in den Wahlkampf ziehen, wie es Beigbeder es erst letztens getan hat... Laurent |
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