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review corner Buch, 1.8k

The great Dresden swindle.


Helmut Schnatz "Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit", Köln 2000
Kein anderes Thema als die Deutschen als Opfer hat das Buch "Der Brand" von Jörg Friedrich zum Inhalt. Und sie haben verstanden. Vom deutschnationalen Herrenmagazin Der Spiegel bis hin zu allen anderen auch kennt man nur noch das Leiden der verhinderten Herrenmenschen, der fucking german krauts. Und weil sie nicht wahrnehmen wollten, was es allenthalben schon zu lesen gab, muss nach Walser und Grass der nächste Tabubruch her. Aus gegebenen Anlass ein Hinweis auf eine andere Veröffentlichung.

Dresden Bombers: Lancaster, 29.4k

Manche Mythen gelten als unzerstörbar. Und je weiter sie zeitlich entfernt liegen, desto unangreifbarer werden sie. Kein Gedanke, kein Argument, kein Beweis, der die bisherige Sichtweise beeindruckt, gar verändert, wird akzeptiert. Nichtachtung ist das Höflichste, meist aber wird mit Verdammnis gedroht oder es wird gar handgreiflich.
Der große Dresden-Mythos beruht auf einer Tat, die zumeist auf den 13./14. Februar 1945 datiert wird: Die Bombardierung der Stadt. Zerstört wurde, so heißt es, eine unverteidigte Stadt, eine Perle der Barockkultur, welche scheinbar zeit- und raumlos in sich selbst ruhte. Dass es hier Nazis wie in anderen Großstädten – Berlin weicht von der Regel ab – sehr leicht hatten, dass hier die größte NSDAP-Dichte pro Kopf der Bevölkerung und die erste Bücherverbrennung im Reich war und es antijüdische Pogrome, ZwangsarbeiterInnen und politische Verfolgung gab, die ganze NS-Inhumanität also, tangiert die Geschichtsbetrachtung bis heute nicht. Der Oberbürgermeister und alle anderen erzählen immer noch von den 35 000 Toten im Februar 1945, obwohl sie es spätestens seit 1995 es besser wissen könnten. Und in Sachsen, wo es laut Willen der Staats- und Parteiführung sowie deren MitläuferInnen, einen staatlich verordneten Geschichtsrevisionismus gibt, der hervorragend in dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung und dessen Personal präzisiert wurde, ist in der Landeshauptstadt die in Stein gehauene Form dessen sichtbar: der Wiederaufbau der Frauenkirche. Dort erfährt man bei Führungen die Dresdner Todeszahlen aufgrund der Angaben des Leugners der Shoa David Irving. Nur wenige Schritte entfernt sieht man gegen einen Obulus einen Nazi-Film über das alte Dresden. Ein Jahr vor der Zerstörung der Synagogen in Deutschland gedreht, hatte man hier schon das Werk vollbracht. Den sogenannten Canalleto-Blick zeigend, von der Semperoper über die Brühlsche Terrasse, fehlt am Bildende etwas. Es ist die von Gottfried Semper entworfene Synagoge. Sie fiel erst der Retusche, dann ganz ordinären DresdnerInnen zum Opfer.
Aber selbst wenn sie die Wahrheit sagen, müssen sie noch lügen. Wie etwa der Oliver Reinhard von der Sächsischen Zeitung, der auf deren Kulturseiten – das ist dort, wo völkische Schlagersänger wie Heinz-Rudolf Kunze zwar nicht deutsch reden, aber meinen können sowie der Martin-Walser-Freundeskreis herumantisemiteln darf – da also behauptete Reinhard vor einigen Wochen, es gäbe neuere Forschungen. Und nach denen betrage die Zahl der Toten 25 000. Die Zahl ist richtig, da es ohne Lüge nicht geht: weil die SZ aus schlechten Gründen die falschen Zahlen seit Jahrzehnten verbreitet hat, müssen es neuere Forschungen sein, die es nicht gibt. Ein Aspekt der Widerlichkeit bleibt dabei immer außen vor, sei es in den Aussagen der ErlebnisdresdnerInnen oder ihrer Nachkommenschaft und den Zugereisten, den BekenntnisdresdnerInnen. Alle sind Opfer, alle sind DresdnerInnen! Der spätestens seit 1939 drangsalierte Jude, der politische Häftling, das zweijährige Kind. Sie werden identisch gemacht mit dem SS-Mann, der bis zuletzt führertreuen Denunziantin und den kritischen Opportunisten wie Erich Kästner. Um nicht missverstanden zu werden und weil es immer wider besseren Wissens unterstellt wird: Selbstverständlich ist das zweijährige Kind aus der Blut-und-Hoden-Verbindung des SS-Mannes und der BDM-Blondine unschuldig, die Eltern sind es nicht. Für die beiden Letztgenannten gilt: Keine Träne für Dresden!
Der Krieg war längst zu Ende, lügt es aus dem Dresden-Kollektiv heraus. Warum aber hatten dann eben die letzten Juden ihre Gestellungsbefehle bekommen, um Mitte Februar in die Vernichtung gebracht zu werden? ("Lieber eine Bombe auf den Kopf als nach Auschwitz", sagte ihr Vater, berichtet eine der Überlebenden.) Es war ein "sinnloser Bombenangriff", rödelte die PDS-Bundesvorsitzende auf der hiesigen Friedensdemonstration Mitte Januar vor mehreren tausend Gleichmeinenden. Es war also sinnlos, dass mit dem Angriff rund 200 Juden vor den Vernichtung gerettet, eine unbekannte Anzahl von politischen Gefangenen befreit und durch Volltreffer die Akten der Gestapo vernichtet wurden. Nicht der Bombenangriff war schlimm, mag sie gemeint haben, sondern "die Sinnlosigkeit". Das "Coventrieren", wie man in Deutschland die Zerstörung Coventrys nannte, hatte hingegen Sinn. – Ob allerdings die Vernichtung bzw. der Bomben-Holocaust bzw. das Treiben "der alliierten Luftgangster" (Dr. Goebbels) so wirkungsvoll war wie man allgemein darstellt, kann bezweifelt werden. Bereits kurze Zeit später funktionierte das Versorgungssystem per Marken wieder entsprechend der Umstände gut, so erzählen es zumindest Beteiligte. Und noch am 7. Mai – wie gesagt, der Krieg war schon drei Monate vorher entschieden, wenn nicht gar zu Ende – wurde in Dresden die letzte Nazi-Zeitung im Reich gedruckt. Zur Auslieferung kam es aufgrund der bekannten Umstände dann nicht mehr. Ein zentrales Moment für diese Dresdner Erlebnis- und Bekenntnisgenerationen – man begreift sich hier als Kollektivopfer – sind angebliche Menschenjagden durch Tieffliegerangriffe an den beiden Februartagen. Immer schrecklicher, immer detaillierter und immer brutaler werden die Erzählungen. Obwohl seit dreizehn Jahren bekannt ist, dass es sich bei den Darstellungen nicht um die Wahrheit gehandelt haben kann, gab es erst vor zwei Jahren eine wissenschaftliche Untersuchung, die sich aller Behauptungen und Eventualitäten annimmt. In der Natur der Sache liegt es, dass diese Untersuchung nicht in Dresden initiiert wurde, sondern durch den auswärtigen Historiker Helmut Schnatz, der alles verfügbare Material aus deutschen und alliierten Quellen zusammengetragen hat. Penibel weist er nach, was man vorher zumindest ahnte: Es hat neben dem Bombardement keinerlei Angriffe auf Menschen mit Maschinengewehren durch Flieger gegeben. Und die Beweislage ist eindeutig. Mit dem vorhandenen militärischen, politischen, meteorologischen Material und auch ganz einfach durch Anwendung der Naturgesetze belegt Schnatz, dass es sich um einen Schwindel, allerdings psychologisch erklärbaren Schwindel handelt. Das konnte das geballte Dresdentum nicht auf sich sitzen lassen. Auf einer Buchvorstellung hatte sich "das alte Dresden" noch einmal zusammengerottet, um dem Schnatz die Meinung zu sagen: "Sie können gern weiter forschen, aber es muss schon das Richtig rauskommen" oder "Ich protestiere dagegen, dass fremde Historiker, die gar nicht in Dresden zu Hause sind, über unsere Heimatstadt schreiben dürfen!" Als unautorisierter, ihnen aber trotzdem aus den Gedärmen Sprechender war extra einer in Knickebockern angereist, Manfred Roeder. Dazu kamen noch die Antisemiten von den Unabhängigen Nachrichten und der Junge Landsmannschaft Ostpreußen. Das Gesindel per Hausrecht rauszuschmeißen – die Veranstaltung fand in dem kommuneeigenen Stadtmuseum statt – war für die Ausrichter völlig undenkbar. Erzählten doch Roeder und andere Nazis nichts anderes als sie selbst. Und auch als eine Ur-Dresdnerin der Lüge überführt wurde, tat das der guten Stimmung keinen Abbruch. Ihre Behauptung, sie habe die Tiefflieger nicht nur gesehen, es sei auf sie sogar geschossen worden, musste sie auf Nachfragen relativieren. Sie und ihr Vater hätten ein näherkommendes Flugzeug gesehen, daraufhin habe sie der Vater unter den Wagen gestoßen und das Gesicht auf die Erde gedrückt. Und ob geschossen wurde, konnte sie nicht hören. Eine andere "Augenzeugin" musste zugeben, dass sie überhaupt nicht anwesend war, sondern alles nur über zwei weitere Personen gehört hatte. Oral history. Damals konnte auch der schon erwähnte Oliver Reinhard nicht an sich halten. In einem Interview ließ er Schnatz sagen. "...und sogar ein Historiker wie John Irving..." Fehler, Irrtum, Absicht? Selbstverständlich sprach der Koblenzer Historiker nicht von dem Schriftsteller John Irving, sondern dem Revisionisten David Irving. Eine Richtigstellung der Schnatz untergeschobenen Dummheit fand nicht statt. Auch als sich Leser diesbezüglich lustig machten, fand sich die Sächsische Zeitung nicht bereit, die von Reinhard erarbeitete und in der Ausgabe vom 12./13. Februar gedruckte Lüge zu revidieren. Es kann also von nachträglicher Absicht ausgegangen werden. Wäre die Enthüllung dieses Teils des great Dresden swindels die ganze Aussage der akribischen Arbeit, es gäbe nichts zu beanstanden, sondern nur zu loben. Aber Schnatz bleibt nicht bei seinem Untersuchungsgegenstand, sondern schreibt über Dinge, von denen nach der Lektüre anzunehmen ist, dass er davon zumindest keine Ahnung hat. Er bleibt dem Dresden-Mythos verhaftet und verfestigt ihn. Neben der Angabe der falschen Todeszahl konstatiert er im Schlusskapitel eine "informelle rot-braune Allianz" zum Thema Dresden; will heißen: DDR und David Irving. Und so sind viele "unbewusst noch heute Opfer einer politisch motivierten DDR-Propaganda". Wobei richtig ist, dass, wäre die Bombardierung durch die Rote Armee erfolgt, es in der Geschichtsschreibung der DDR eine realitätsgetreuere Darstellung gegeben hätte (Wie es zur Entstehung und Verfestigung der Bombenopfer-Rolle ausgerechnet Dresdens kam, obwohl andere Städte in Deutschland ärger getroffen waren, muss aus Platzgründen andernorts erörtern werden). Nur hat Schnatz scheinbar die Veröffentlichungen in den beiden deutschen Staaten zu Dresden lediglich willkürlich zur Kenntnis genommen, sonst würde er von einer "deutsch-deutschen Allianz" sprechen. Andererseits zitiert er ausführlich bundesdeutsche Autoren, die das "unbesiegbare Dresden" als Opferkollektiv beschreiben, was Schnatz aber als "zeitweise unkritisch" verharmlost. Und selber bekommt er sich kaum mehr ein, wenn er über Arthur Harris und das von ihm angerichtete "Massaker", bei welchem Menschen "ausgerottet" wurden, schreibt. Von "Massenvertreibungen" ist logischerweise dann die Rede, wenn es um Umsiedlungen laut alliierter Abkommen geht. Und so hat Schnatz, wie die Dresdner auch, nicht ein Wort übrig, wenn es um die Opfer geht von denen weiter oben die Rede war. Der Tod der Täter, ihrer vielen willigen Helfer und Akklamateure – leider auch der Tod von Unschuldigen – half diesen Menschen zu neuem Leben.
Und noch ein letztes Wort zum Lektorat. Man hat ja schon einiges gesehen. Eine Arbeit aber, die einen wissenschaftlichen Charakter beansprucht, die in einem Verlag erscheint, der einen wissenschaftlichen Ruf hat, eine solch schlecht lektorierte Arbeit ist eine absolute Ausnahme. Da heißt ein Zeitzeuge mal Werner Ehlich, dann wieder Werner Ehrlich. Neben einer unmotivierten Zeichensetzung im gesamten Text, erscheint z.B. eine Zeitung – Eigennamen werden grundsätzlich nicht hervorgehoben – namens Dresdner Zeitung. Nur gab es diese so nicht, sondern unter gleichem Titel erscheint eine Dresdner Regionalbeilage der Sächsischen Zeitung. Bücher aus Berlin/DDR sind Bücher aus Berlin/Ost, Bücher aus West-Berlin hingegen kommen aus Berlin. Usw., usf.
Als Resümee bleibt lediglich, dass bis auf den Untersuchungsgegenstand, der ganz und gar vorzüglich erarbeitet wurde, das Buch völlig missraten ist und die tiefe Unkenntnis des Verfassers über die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung des 2. Weltkriegs zeigt.

Gunnar Schubert

(Ein besonderer Dank geht an Jens-Uwe Richter, den ideologiekritischen Heimatkundler sowie hauptberuflich so liebe- wie hingebungsvollen Elmar-Brandt-Fans-Hasser, für das Wühlen im Quellenschmutz.)


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last modified: 28.3.2007