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Die Ausweitung der Kapitalismus-Kritik. | ||||
Für die Inhaltsangabe sei der Einfachheit halber auf den Klapptext verwiesen: Plattform protokolliert erbarmungslos ein Leben: Tristesse, Liebesglück und tragischen Tod. Der Erzähler Michel ist Beamter im Kulturministerium. Vierzig, farblos, frustriert und nach Dienstschluss einsamer Peep-Show-Erotomane und Experte im TV-Zappen. Die Urlaubspauschalreise ins Traumland Thailand verspricht diesem ziemlich mittelmäßigen Individuum paradiesisches Glück und Erlösung: Sexgenuss mit Asiatinnen. Die Mitreisende Valerie, eine erfolgreiche Managerin in der Tourismusindustrie, lernt er erst nach der Rückkehr ins lieblose Paris wirklich kennen und mit ihr ein tiefes menschliches Glück voller Obsessionen und ohne Bezahlung. Zusammen erfinden Valerie and Michel ein rettendes Programm für die Reisebranche, die Plattform zum Glück: Wenn mehrere hundert Millionen alles haben, bloß kein sexuelles Glück, und mehrere Milliarden nichts haben als ihren Körper, dann ist das eine Situation des idealen Tauschs. Michel and Valerie wollen die verlorene Liebesfähigkeit des Westens in neuartigen Ferienclubs organisieren. Aber das gemeinsame Glück, nach dem Houellebecqs Erzähler Michel verzweifelt sucht, wird bei einem terroristischen Anschlag in Thailand von Islamisten zerstört. Houellebecq schildert wie auch in seinen bisherigen Büchern (Die Ausweitung der Kampfzone, Elementarteilchen) die Verkommenheit der kapitalistischen Gesellschaft vornehmlich am Beispiel der Sexualität. Präzise benennt er die Ausweglosigkeit dieser Situation in einer Gesellschaft, die zwar vom Menschen geschaffen ist, ihm aber übermächtig gegenübertritt. Kapitalismuskritik auf dem Feld der Sexualität abhandeln zu wollen, ist allerdings reichlich ambivalent. Schließlich kann eine Kritik an der Warenförmigkeit der menschlichen Beziehungen schnell in einen moralisch-religiösen Diskurs umschlagen. Schon der oben verwendete Begriff Verkommenheit bietet im Zusammenhang mit der Sexualität Anschlussstellen für allerlei reaktionäre Vorstellungen von einem ursprünglichen und natürlichen Zustand. Houellebecq ist zu schlau und sich selbst zu schade, um diese Anschlussstellen bewusst herbei zu schreiben, allerdings auch zu borniert und pessimistisch, so dass er die herrschende Sexualität gegenüber Versuchen ihrer Überwindung zu bewahren versucht bzw. sich ihre Aufhebung nur im romantisch-bürgerlichen Ideal vorstellen kann. Darüber hinaus können Houellebecqs durchweg männliche Protagonisten nicht unterscheiden zwischen einer vom Kapitalismus geprägten Ökonomie der Liebe und der durch die Frauenbewegung in Gang gesetzte Verschiebung innerhalb der Geschlechterhierarchie. Beide Prozesse werden von den Helden als Zumutungen wahrgenommen, denen mann sich wahlweise durch den Gang ins Pornokino, mit Hilfe der Angebote der Sexindustrie, durch das Schmieden von Mordplänen oder die Flucht in die Kleinfamilienidylle entzieht. Diese Fluchten versprechen zwar keine Befriedigung, aber sie mildern das Elend auf ein erträgliches Maß. Statt auf das sichere Feld der Ökonomie-Kritik auszuweichen, dilettantiert Houellebecq auf dem Gebiet des Kulturpessismismus. Da bedrohen Jugendgangs die Sicherheit der Vorstädte, Frauen werden im Zug vergewaltigt, die Kunst transportiert keine Inhalte mehr, die Menschen holen sich in S/M-Clubs ihren Kick und das Fernsehen langweilt. Bei seiner Kritik nimmt Houellebecq fein abgestufte kulturalistische Wertungen vor: Als Paradies erscheint das vermeintlich weitestgehend vom Kapitalismus unberührte Leben auf den thailändischen Inseln was er vor allem an der frei gelebten Sexualität und der natürlichen und fröhlich-lockeren Einstellung zu Leben, Zeit und Arbeit festmacht. Das Zentrum der Zivilisation, die westliche Welt, ist zwar für das Verderben und die Einöde verantwortlich, bietet aber lebenswerte Nischen (die ebenfalls sexuell ausgefüllte Beziehung zwischen Michel und Valerie in Plattform) oder Entwicklungspotenzen für ihre eigenen Überwindung (die Gentechnologie in Elementarteilchen). Aber selbst das dröge Dasein normaler bürgerlicher Existenzen im Kapitalismus ist für Houellebecq weitaus kultivierter und somit auch verteidigungswert als das der gewalttätigen migrantischen Gangs in Frankreich oder islamischer Menschen. Houellebecq und seine Literatur als reaktionär oder gar faschistisch zu bezeichnen, wie es bisweilen geschieht, geht an der Sache vorbei. Er selbst sieht sich als a-politischen Menschen, der allerdings in konkreten Situationen z.B. die repressive Innenpolitik Frankreichs zu verteidigen weiß, weil er sich von der steigenden Kriminalität bedroht sieht. Einen ähnlichen Reflex vollzieht er mit seiner Kritik am Islam: die terroristischen Anschläge in Frankreich verunsicherten den hauptberuflichen Informatiker im technischen Dienst des Parlaments derartig, daß er, der selbst mit dem Katholizismus sympathisiert, den Islam fortan in seinen Büchern und Essays pauschal verdammt. Dies handelt ihm erst vor einem Jahr eine Anzeige von antirassistischen Gruppen und islamistischen Vereinen Frankreichs ein, die im Oktober 2002 verhandelt wurde. Der Prozess gestaltete sich bizarr: linke Schriftsteller und Faschisten verteidigten Houellebecq aus ebenso unterschiedlichen Gründen wie diejenigen, die von Klägerseite gegen ihn in Anschlag gebracht wurden. Houellebecq wurde im Prozess vom Vorwurf der rassistischen Beleidigung und der Anstiftung zum Rassenhass freigesprochen und anders kann eine Bewertung seines Werkes auch nicht ausfallen. Seine Verteidigung der westlichen Zivilisation ist zu düster und nihilistisch, als dass Nazis wirklich Gefallen daran finden könnten. Aber auch Linke sollten Houellebecq zwar lesen, wenn sie gute Belletristik genießen wollen oder ihnen die Gründe für Kapitalismus-Kritik abhanden gekommen sein sollten, ihn aber ansonsten nicht allzu ernst nehmen. Schließlich liegt Houellebecq mit seiner Kritik daneben, wenn auch nur knapp daneben. Und genau das macht seine Bücher interessant. Von der Lektüre der Plattform sei allerdings abgeraten. Während es Houellebecq in seinen anderen Büchern vermag, das Scheitern der Moderne und sein Unbehagen mit der Postmoderne facettenreich zu schildern, quält er uns in seinem neuesten Buch mit seitenlangen Beschreibung von pornografischen Szenen, abgewechselt von Belehrungen über die Funktionsweise der Tourismusindustrie oder die Schönheit tropischer Strände. Es beschleicht einem das Gefühl, dass Houellebecq, der früher aus Überzeugung schrieb, inzwischen weiß, dass sich sein Zeug gut verkauft und deswegen eine einzige und nur halbwegs gute Idee (Sextourismus als Ausdruck der Warenförmigkeit aller menschlichen Beziehungen), die für eine Kurzgeschichte oder ein Essay geeignet gewesen wäre, ins Unermesslich aufbläht. Ärgerlich auch, dass Houellebecq, der ansonsten keinen Ausweg (Ausweitung der Kampfzone) oder nur einen in einer absurd-utopischen Zukunft (Elementarteilchen) anbietet, mit Plattform ein irdisches Liebesglück präsentiert, welches einerseits unglaubwürdig ist (Wie kann sich das Beamten-Arschloch plötzlich so menschlich verlieben. Muss wohl an den übersinnlichen Fähigkeiten seiner Frau liegen...), anderseits sehr banal und kitschig: Die beiden führen eine stinknormale Beziehung mit ausschweifenden Sexleben, welches sich zwar grundsätzlich von dem anderer Menschen unterscheiden soll aber genauso technokratisch (wer hat wen wo berührt, wie lange dauerte ein Orgasmus, wieviele waren daran beteiligt usw.) beschrieben wird. Diese Beziehung scheitert dann nicht etwa an inneren Widersprüchen, sondern wird abrupt durch einen islamistischen Anschlag beendet. Seine berechtigte Kritik an Terrorismus vermischt sich in Plattform mit unerträglichen rassistischen Passagen, wo es dann um die Eigenarten der Deutschen, Franzosen, Thais und Araber geht. Und zum Abschluss noch die Empfehlung für das Tomorrow-Theorie-Cafe: Die ressentimentgeladenen Anwürfe gegen den Islam sind nur der provokante und wohl kalkulierte Zuckerguß auf einer Erzählung, die eine ganz andere Stoßrichtung hat. Läßt man auch die teilweise hanebüchenen Rassismen beseite und unterstellt literaturkritisch sauber, daß sie der Meinung der Figuren entsprechen, nicht notwendigerweise der des Autors ... räumt Holm Friebe in seiner Buchbesprechung (buch des monats, in: konkret 04/2002) gleich am Anfang alle Einwände aus den Weg. Auch Kritik am Sexismus des Buches lässt er nicht gelten, denn die gleichmäßig übers Buch verteilten (sexuellen) Schilderungen interkulturell oder nicht (sind) unterm Strich noch nicht mal besonders erregend ... Als Gebrauchsporno taugt das Buch mithin wenig. Was ist aber die wahre und verborgen gebliebene Stoßrichtung des Buches? Plattform (ist) nur ein weiterer Bestandteil einer groß angelegten Theorie des sexuellen Kapitals, die sich als notwendige Ergänzung der Bourdieuschen Kapitalformen verstehen läßt. Davon wusste zwar Houellebecq noch nichts, klingt aber gut und Bourdieu kann sich nicht mehr wehren, weil er schon unter der Erde liegt. Aber weiter im Text: Wie ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital, so die schlichte These, ... tendiert auch das sexuelle Kapital zu Monopol und Ausschluß. Sprich: Die Attraktiveren haben Sex und werden dadurch immer attraktiver, die anderen nicht. Houellebecq ist auch in dieser Hinsicht radikaler Materialist. Wahrscheinlich ist er es nur in dieser und in keiner anderen Hinsicht. Zumal die These von der sexuellen Monopolbildung weder vor Karl Marx noch in der Sozialwissenschaft Bestand haben dürfte und im Buch Plattform gar nicht vorkommt. Holm Friebe ist sich aber sicher, dass Houellebecqs Kritiker im bürgerlichen Feuilleton ihm diesen Materialismus übelnehmen, da sie wenigstens Reste des romantischen Konzeptes vermissen und ihm tumbe Leere unterstellen. Dies mag für seine früheren Werke gegolten haben für Plattform stimmt dies absolut nicht. Plattform behandelt somit den auch bei Bourdieu spannenden Komplex, wie sich die Kapitalformen ineinander überführen lassen, wie sich vor allem ökonomisches Kapital heranziehen läßt, um einen Mangel an sexuellem auszugleichen. Als ob die beiden Herren die ersten wären, die sich mit dem wahrlich überaus modernen Phänomen der Prostitution theoretisch auseinandersetzen würden. Was ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung? Ja, man fragt sich sogar, ob diese Variante des Sextourismus, die Friebe als weich und ethisch vertretbar bezeichnet, nicht vielleicht wirklich das geringere Übel verglichen mit dem ohnehin existierenden wilden Sextourismus darstellt. Und wir fragen uns, wann der Eine-Welt-Laden in der Stockartstr. für uns sexuell ausgehungerte Deutschen (Mehr als jedes andere Volk kennen die Deutschen Kummer und Schande, sie verspüren das Bedürfnis nach zartem Fleisch, nach einer sanften und unendlich erfrischenden Haut. Mehr als jedes andere Volk kennen sie den Wunsch nach ihrer eigenen Auslöschung Michel Houellebecq im Klappentext von Plattform) endlich ökologischen Sextourismus anbietet. Aber weiter mit der konkret-Rezension: Keine Rettung in Sicht. Houellebecq ist Zyniker genug, das schonungslos auszuschlachten. Er ist aber auch Humanist genug, daran zu verzweifeln. Die Denker-Pose. In der Houellebecq-Debatte in der jungle World halten Barbara Kirchner und Dietmar Dath dem zurecht ein Karl-Marx-Zitat entgegen: Übrigens ist es ganz einerlei, was das Bewußtsein alleine anfängt. (26/2000) Am Ende kommt laut Friebe sogar noch eine eigentümliche Form der Romantik auf: Die romantische Idee, daß Frauen sich nicht nur prima ficken lassen, sondern einem zwischen zwei Orgasmen auch noch hervorragend die Welt erklären können. Wenn die sich schon nicht ändern läßt. Dass Friebe Houellebecq nicht verstanden hat, daran lässt sich wirklich nichts ändern. Was trotzdem für eine Interpretation in diesem Sinne spricht, ist allein die Tatsache, dass andere ihn noch gründlicher missverstanden haben. So schreibt eine Martina Meister im Feuilleton der Frankfurter Rundschau (15.10.2002), daß Houellebecq mit seinem Roman Plattform die islamistischen Anschläge auf Bali affirmativ vorweggenommen hätte. In Plattform ist das Bombenattentat, bei dem der Erzähler seiner Geliebte verliert, die logische Folge eines Lebensstils, die konsequente Strafe für den Verfall der Sitten. ... Bei Houellebecq erweist die christliche Heilslehre, an die das Personal seiner Romane nicht mehr glaubt und deren Regeln es missachtet, ihre Wahrheit ausgerechnet im fundamentalistischen Wahnsinn. Die Moslems werden dort zu Rächern der abgefallenen Christen. Das ganze Gegenteil ist bei Houellebecq der Fall: Für ihn ist der Terrorismus keine logische Folge, vielmehr tut er so, als ob es gar keinen Zusammenhang zwischen Terror und Zivilisation gäbe. Das wird im Buch Plattform nach dem Anschlag deutlich, wo Houellebecq schildert, auf welche widerliche Art und Weise die westlichen Medien die Terroristen in Schutz nehmen oder wenigstens Verständnis predigen: Denn Kuta ist nicht das balinesische Paradies, als das es nun in den Medien beschrieben wird. Kuta ist die Fortsetzung des westlichen Lebensstils inmitten von Reisterrassen und unweit des Strandes. Kuta suggeriert seinen Besuchern die Dichte europäischer Großstädte. ... TUI und Co. sind der Garant dafür, dass es am anderen Ende der Welt Schnitzel gibt, auch wenn es von Männern im Sarong serviert wird. Und wie überall in diesen Ferienzentren überlagert der importierte Lebensstil die ursprüngliche Lebenswelt, von folkloristischen Zitaten abgesehen, vollständig. Es sind fraglos koloniale Muster, die sich wiederholen, wenn eine Nacht im Hotel mehr kostet, als die heimische Putzfrau im Monat verdient. Aber der Konflikt, den man einst als den zwischen Nord und Süd bezeichnet hat, ist auch im Krieg der Terroristen nicht zu entscheiden. ... der Kampf der Kulturen ist einer, der von vornherein entschieden ist. Alle Beteiligten werden Verlierer sein. Diese Sätze finden sich in dem gleichen FR-Artikel, in dem Houellebecq der geistigen Mittäterschaft geziehen wird. Dieser Vorwurf fällt somit wie ersichtlich ist eher auf die Autorin zurück. Houellebecq hingegen ist bei aller Kulturkritik ein Verteidiger der westlichen Zivilisation. Wer Oriana Fallaci (Die Wut und der Stolz) zu ertragen vermag, wird auch seine Freude an Houellebecq haben. Alle anderen sollten vielleicht mal nichts lesen! Maria |
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