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Auf der Reeperbahn nachts um halb eins: Interview mit den Sternen.


Es ist Abend in L.E., die Nacht legt sich düster über die alterwürdigen Hallen des soziokulturellen Brennpunktes im Süden. Vor Spannung richten sich all unsere Körperhaare auf und endlich ist die Zeit gekommen. Zwei Herren der dynamischen Jungband "Die Sterne" stehen uns Rede und Antwort, ihres Zeichens Sänger (Frank Spilker) und Drummer (Christoph Leich).

Blick auf die Sterne, 18.2k
Flo: Ihr habt euer neues Album "IRRES LICHT" rausgebracht und auf dem Album hat sich Einiges geändert, sowohl musikalisch, textlich als auch in der Besetzung. Vielleicht könnt ihr dazu was sagen?

Frank: Zunächst mal ist das natürlich alles zusammenhängend. Wir sind ausgegangen von einer Situation, wo uns unser alter Keyboarder verlassen hat. Wir haben sehr bald Richard kennen gelernt (den neuen Keyboarder, Anm. d. R.) und die ganzen Verträge mit den Plattenfirmen liefen auch aus. Wir haben deshalb das Ganze neu aufgerollt, auch Veränderungen in der Band, Dinge, die wir gelernt haben, von denen wir gelernt haben, dass man Sachen besser machen kann. Ich denke, das hört man der Platte auch an, also dieses Einarbeiten von Richard. Sie ist ja eine Sammlung von Stücken eben aus dieser Zeit des Kennenlernens, in der es galt, eine neue Basis zu finden, eine ästhetische Basis finden, einfach von der aus man startet. Es ist auch ein bisschen eine Neugründung der Band gewesen...

Tim: Was uns interessieren würde, wie eure Songs entstehen, der kreative Prozess. Kommt da das Lied zum Text oder der Text zum Lied, oder wie?

Frank: Bei dieser Platte war es so, dass ich sehr oft Entwürfe gemacht habe, also die Texte mit Melodien versehen hab'; und wir das dann mit der Band zu Ende gemacht haben, einfach aus einer praktischen Notwendigkeit heraus. Es ist ja halt oft so, wenn man sich hinstellt und ins Blaue musiziert, dass man dann oft frustriert ist.

Flo: Du hast vorhin vom Labelwechsel gesprochen, meinst du von L'age d'or zu...

Frank: Nee, L'age d'or war zuletzt unser Management, ganz am Anfang unser Label, bis wir 95 gemeinsam mit L'age als Management d'or zu Epic (Sony) gewechselt sind. Die jetzige Situation ist so, dass L'age d'or unser Verlag ist, weil es uns wichtig war, Management und Verlag zu trennen, aus Erfahrung. Wobei das Problem ist, dass alle kleineren Indie-Labels das so machen, also Buback und so wollen immer die Verlagsrechte haben. Es ist ein Problem, wenn die Sachen größer werden, das führt zu Ungerechtigkeiten.

Flo: Hat sich dadurch konkret etwas an eurer Arbeitsweise geändert?
Christoph: Die Arbeitsweise ist genau dieselbe, du hast die Plattenfirma, du hast jemanden, der die Band nach außen vertritt, und du hast nen Verlag und du hast ne Band, also das ist echt dasselbe.

Frank: Es ist schon was anderes bei Virgin als bei Sony. Epic/Sony kommt einem so vor wie ein mittelständiger Kleinbetrieb, alles geht irgendwie langsamer.

Tim: Und eure Privatsituation, also hat sich dadurch irgendwas verbessert, das ihr davon leben könnt beispielsweise?

Christoph: Also die hat sich verbessert mit Epic, die Bedingung war ja, dass wir das nur machen, wenn wir davon leben können. Jetzt ist es ungefähr dasselbe, ob jetzt Virgin oder Epic.

Tim : Und der ganze Trubel um euch, man nimmt ja in den Medien so einiges wahr, „Retter des deutschen Pop“ etwa?

Frank: Wir bezahlen die ja nicht, dass die so was schreiben. Wir erhoffen uns mit unserer Arbeit immer, Leute neu zu erreichen und eine Band zu sein, die einen gewissen Status hat, also jenseits des schnellen Musikgeschäfts fungiert. Wir sind eine Band, die für einen bestimmten Sound, ein bestimmtes Lebensgefühl steht.

Tim: Werdet ihr schon mal erkannt oder angesprochen?

Christoph: In Hamburg nich’.(Gelächter)

Die Sterne, 14.5k Frank: Die Leute in Hamburg erkennen einen zwar, sprechen dich aber nicht an. Ich glaube, dass ist irgendwie Respekt vor dem Wohnort, oder so. Aber in Berlin zum Beispiel, in den einschlägigen Ecken, wo viele junge Leute sind. Aber diese Popularität unterliegt so Wellenbewegungen, davon abhängig, ob man gerade ein neues Album gemacht hat oder nicht.

Christoph: Also, dass find ich auch total soft. Da wirst du vielleicht angesprochen und unterhältst dich kurz. Ist ja auch nicht so, dass Leute schreiend auf’m Boden liegen, wenn de inne Apotheke gehst. Ich fänds komisch, wenn’s nich mehr so wäre.

Tim: Also ihr seid mir ja bekannt geworden durch einen Beitrag auf einem L’age d’or Sampler. Dieser Song „Risikobiographie“, ein Lied, dass mich damals wie heute angesprochen hat und für ein Lebensgefühl und auch Lebensstil steht, den ich auch heute noch pflege. Wie ist denn das bei euch, könnt ihr euch darin noch wiederfinden?

Frank: Ich glaube, wenn man inner Rockband spielt, ist das immer mit so einem gewissen Risiko behaftet. Das ist jetzt nicht so, als ob du mit Menschen redest, die so’n Sicherheitsgefühl haben. Das Lebensgefühl, dass dieser Song ausstrahlt, ist ja auch so’n Zitat, die Rockmusik der Anfang 70er Jahre oder Ende der 68er.

Flo: Ihr singt ausschließlich deutsche, warum?

Frank: Warum nicht? Also, für mich ist das ganz ursprünglich so’n Punkerding. Ich wusste, realistische Auftrittsperspektive ist der Jugendclub um die Ecke, realistisches Publikum werden meine Kumpels sein und deren Kumpels. Mir schien es abstrakt, mich dahin zu stellen und auf Englisch zu singen, weil ich ne große internationale Karriere im Kopf hab. Wenn man dann damit Erfolg hat...(Roadie nimmt sich Tüte vom Tisch) Schon gut...(Gelächter) da findet man auch keinen Grund, dass anders zu machen.

Flo: Na ja, wenn ich jetzt selber Musik mache, dann schreibe ich hauptsächlich auch deutsch, einfach um mich zu artikulieren, etwas zu erzählen, was mir wichtig erscheint...

Frank: Mmmh, mmmh, mmh, ja, dass find ich auch ein hinreichendes Argument. Mein Sprachprofil in der Muttersprache ist besser, und was da letztendlich entsteht, spricht am Ende für höhere Qualität, beeinflusst auch bspw. durch Fehlfarben.

Tim: Es ist ja nun so, dass es mittlerweile eine Quotierung deutscher Musik in den entsprechenden Medien gibt. Wie seht ihr das, als deutsches Marktsegment gezielt in Stellung gebracht zu werden?

Christoph: Ja, das wird einfach. Also wir machen Musik, wir machen Musik mit deutschen Texten.

Frank: Ich seh nur ne positive Veränderung daran, dass, im Vergleich zu vor zwanzig Jahren, es heutzutage in der Medienwelt auch immer eine deutschsprachige Entsprechung eines Trends gibt. Also deutsche Grunge-Bands, etc. Da kann man nicht nur Qualität leichter erkennen, weil es kein sprachliches Handicap mehr gibt, sondern auch Schrott.

Die Sterne, 13.5k Flo: Zählt ihr euch selber zur Hamburger Schule?

Christoph: Wir werden dazu gezählt. Also ja, ich finds aber auch nicht wichtig. Wir kommen halt aus diesem Zusammenhang...

Frank: Super wär es jetzt zu sagen, wir machen jetzt nicht mehr Hamburger Schule, wir machen jetzt was ganz anderes. Dieser Begriff ist auch irgendwie so ein Schmerz im Hintern.

Flo: Und wie steht ihr zu, ich sag mal, parallel laufenden Bands? Was unterscheidet euch bspw. von Tocotronic oder Blumfeld?

Christoph: Die Musik, die Texte...

Frank: Das Image, das Aussehen, eigentlich alles...Ich finde schon, dass es einen großen Unterschied gibt, gerade ästhetisch, zwischen diesen drei Bands, aber es muss auch Gemeinsamkeiten geben. Ich hab Tocotronic eher immer als deutschsprachige Grunge-Band gesehen (Tim lacht) , während Jochen also Blumfeld eher abstrakter an das Thema rangegangen sind. Es gibt schon irgendwie gemeinsame Ideale, eine gemeinsame Sprache. Ich denke, das drückt sich hauptsächlich über Sprache aus...
Flo: Es sind schon so Texte, die einen zum Nachdenken anregen...

Frank: Ja, aber auch nicht so zum Nachdenken anregen, mit einer moralischen Instanz dahinter, die einem immer irgendwie ne Moral verkaufen will.

Tim: Da du gerade Moral ansprichst, wie steht ihr zu der inhaltlichen Konzeption von z.B. Blumfeld?

Frank: Was soll ich sagen? Ich verstehe das, was Jochen sagt, ich finde es wunderbar was er macht, ich kann das nur nicht immer nachvollziehen. Keine Ahnung. Ich hör da die neue Blumfeld-CD und sage, ja klar, macht Sinn, logisch aber irgendwie nervt mich der Sound. Ich mag mich da auch nicht in die Kritikerrolle drängen lassen, da bin ich der Falsche.

Tim: Ihr hattet mal das Lied „Klebrig-vermutlich“, in welchem ihr ein klares Statement abgebt, ohne viel Spielraum für Interpretationen zu lassen. Ist euch so was heute zu platt?

Christoph: Ich find die letzte Platte eigentlich textlich die klarste...

Frank:(intervenierend) Es geht ja da um konkrete Aussagen wie „alles hält in dieser Welt, alles hängt ja nur am Geld“ eben dieses politische Engagement so. Ich weiß nicht, aber das ist eher Zufall, das ergibt sich eher aus so ner anderen Idee. Da steckt nicht unbedingt ein Plan dahinter.

Tim: Ich fand das eigentlich immer gut, dass ihr euch nicht so in Plattitüden erschöpft wie bspw. Die goldenen Zitronen.

Frank: Ja, davon kann man genervt sein. Ich hatte gestern auch so ein Gespräch, wo es um International Noise Conspiracy ging. Wie gesagt, das ist auch so ein Klischee, das man sein kann. Also die Agitation, diese Geste der Agitation, dieses ewige sich vegan ernähren und agitieren und sonst nichts, was da halt alles so zusammen passt. Na ja, egal...deswegen mag ich die Band übrigens trotzdem.

Flo: Man kann euch ja schon einem eher linken Spektrum zuordnen. Wie steht ihr zu solchen Ereignissen wie dem 11. September 2001?

Christoph: (Gelächter) Moment, was hat das eine mit dem anderen zu tun, ich fand das sehr spannend, hab den ganzen Tag vorm Fernseher gesessen.

Frank: Dieses Ereignis erfordert ja auch ein Überdenken starrer Positionen. Also so Klassiker, die links und rechts definiert sind, fordert es vollkommen heraus. Nicht, dass ich es deswegen gut finde, aber im Grunde ne Chance auch das Denken zu verändern, Positionen zu verschieben. Ich glaube, das ist auch die Absicht der Tat, also dass die Leute in der westlichen Welt auf etwas aufmerksam werden, auf ein massives Problem.

Tim: Daran anschließend, ihr habt auf der neuen Platte dieses Lied „Du hast die Welt in deiner Hand“, welches in allen möglichen und unmöglichen Zines als Globalisierungskritik gefeiert wird, was mir persönlich wahnsinnig aufstößt, solche abstrakten Texte konkretisieren zu wollen. Ich hab das auch eher als Liebeslied begriffen.

Frank: Im Grunde hast du recht, es geht nicht um ein bestimmtes Emanzipieren, sondern um Emanzipation überhaupt. Das kann von der Ex-Freundin sein, vielleicht auch so ein Ex-Gott, eine Religion, die man hinter sich lässt, oder eben das Emanzipieren von einer Großmacht, die die Welt dominiert oder so.

Flo: Von was seid ihr in eurer Jugend beeinflusst worden, ihr nanntet vorhin NDW?

Frank: Im Grunde genommen war es Punk. Punk war Anfang der 80er eben DAF, Fehlfarben und so.

Tim: Ich hatte auch immer das Gefühl, dass ihr mit Liedern wie „Fickt das System“ mit den typischen Plattitüden des Punk brechen wolltet.

Frank: Ja genau, es gab eine wirklich sehr konservative Hamburger Punkszene, da haben wir uns vehement, auch mit den Mitteln des Hippierocks, dagegen gewehrt. Die damaligen Punks waren dann halt die Hippies von morgen.

Christoph: Es gibt da genauso starre Strukturen. Regeln, die eingehalten werden müssen...

Frank: Es gab da eben so Punkspießer, die gibt es ja noch. So ganz bestimmte Regeln haben, die man nicht überschreiten darf, was irgendwie genau das Gegenteil von meinem Begriff von Punk ist.

Flo: Zum Schluss die obligatorische Frage nach euern Hass- bzw. Lieblingsbands?

Christoph: Böhse Onkelz sind zu langweilig...

Frank: Ganz schlimm finde ich die neue Pink-Single, weil das ist irgendwie so Prollrock...

Frank und Christian im Chor: Xavier Naidoo, der ist richtig scheiße...

Flo: Ich stell bloß fest, dass auf VIVA und MTV ständig so Sachen mit Grunge, Metal und Hardcore-Einflüssen laufen, was ich sehr nervig finde.

Christoph: Linkin Park und Korn find ich schlimm...

Tim: Um noch mal auf vorhin zurückzukommen, wo es um die USA, Weltmacht und so ging. Würdet ihr sie als Strippenzieherin ausmachen wollen?

Frank: Ich bin der Meinung, dass wir solange keine Demokratie haben, solange wir die amerikanische Regierung nicht wählen dürfen...

Flo: Ist es letztlich nicht das Geld, welches die Spielregeln bestimmt?

Frank: Ja, klar, da stellst du die Demokratie an sich in Frage. Das ist logisch, das kann man nicht weit genug denken. Ich sag das jetzt bloß erst mal so, um irgendwas zu sagen, man will ja nicht immer gleich das Kind mit dem Bade ausschütten.

Flo: Das war’s, dann kann ich ja jetzt die Stasimethode ausmachen.(Alles mitgeschnitten.)

Wir sehen uns beim nächsten Interview mit Tocotronic, um eine weitere Nachhilfestunde über die Funktionsweise bürgerlicher Demokratie zu erhalten...

Flo + Tim


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last modified: 28.3.2007