Nur einen Tag, nachdem Fugazi auf der C.I-Bühne
rumturnen, kommen die Sterne zum wiederholten Male. In alter Frische, sollte
man meinen. Doch was ist die alte Frische?
Das offene Geheimnis eines Sozialisierungspflichtprogramms läßt
feststellen, daß auch die Sterne ihren Fugazi gehört haben - jedoch
sicherlich noch viel mehr Minor Threat und Black Flag und Dead Kennedys. Und
Slime erst recht, versteht sich.
Tja, was haben sie draus gemacht? Gute Frage in langanhaltend beschissenen
Zeiten, die länger sind als eine Ewigkeit. Punk als Lebensschule, als
Lebensschädigung? Zumindest als Blaupause oder Filter ist der
unermeßliche Wert des Punk-Grundwertekanons unersetzlich und kaum zu
vermitteln - es sei denn, man gehörte mal - irgendwie - dazu oder konnte
sich das zumindest guten Gewissens einbilden. Davon zehren sie alle, die um die
dreißig und vierzig sind - alle, die ich meine.
Die Sterne vor dem Spex-Gericht |
Sollte im Falle Sterne zutreffen, was im Begleitheft zur neuen Platte von
Michael Girke zur ersten Sterne-Single Fickt das System
niedergeschrieben wurde, nämlich daß sich, wenn man jenen
Sterne-Text genau anhört, herausstellt, daß der Song
eine Kritik an Parolen sei, dann ist eines damit klassisch belegt:
Das gepaltene Verhältnis zur Phrase als Mittel läßt bei den
Sternen den Anti-Punk-Pilz innerhalb der eigenen Sozialisation wachsen.
Von dergleichen ahnt die aktive Sterne-Zuhörerschaft der Gegenwart
allerdings gar nichts - geschweige denn, sie wüßte es. Bei der
passiven Zuhörerschaft denen, die ein neues Sterne-Album zwar nicht
kaufen, aber mal gehört haben wollen müssen jedoch schon ein
erheblicher Prozentsatz.
Die Sterne sind sich auf der Rezeptionsebene selbst zur Referenz geworden. Ob
bewußt oder unbewußt, findet dies eben auf der neuen Platte
Wo ist hier? seinen Niederschlag zwar nicht durch die Band,
aber wohl durch die geneigte Zuhöhrerschaft. Das ist unvermeidlich und
folgerichtig, jedoch auch sehr problematisch. Baut diese projizierte
Selbstreferenz doch auf dem Luftschloß, daß die Sterne irgendwann
mal als Institution geschaffen(!) wurden ohne Kontext, ohne Hintergrund.
Klar weiß jeder Depp, was Hamburger Schule ist, (nämlich das
jahrelange Warten auf große Plattenverträge und Musik-TV-Rotation,
um dann endlich nachweisen zu können, daß Popularität doch
nicht korrumpiert,) doch reicht das kaum aus, den Unterschied zwischen nichts
weiter als sinnlos schöner Musik a la Smashing Pumpkins und der
Tiefen-Phraseologie (jawoll!) des Sterne-Funk zu fressen.
Die Sterne beim Spex-Gericht
(mit dem Messer von Ralf) |
Fragen sind, besonders in Hamburg, lange genug gestellt worden, jetzt
braucht man neue Strategien, jetzt, nach dem langen Weg nach Mitte, wo die
Fragen zum Spiel dazugehören und eigentlich gar keine mehr sind. Ja
ja, das muß man sich eigentlich gefallen lassen, weil es natürlich
stimmt. Doch wenn, wie in diesem Falle, ein Blatt wie Spex in der
Rezension zur neuen Sterne-Platte so etwas verlautbart, dann klappt bei mir das
Messer in der Tasche auf und ich stellte mich allzugern schützend vor die
Band. Ein Satz in so einem Blatt gerät zur blanken Farce. Niemand anderes
als Spex hat sich so deutlich aus der Gesellschaftskritik katapultiert!
Das Credeo von Spex war einmal: Die Musik interessiert, weil es die
Gesellschaft um sie herum gibt. Unter diesem Aspekt machte es Sinn, über
Pop-Subversion, -Rebellion, -Revolte, -Avantgarde u.s.f zu reden und zu
schreiben. Doch das ist lange vorbei. Heute ist es genau umgedreht: die
Gesellschaft interessiert nur noch, weil in ihr Musik vorkommt, und der
geschlossene Musikkosmos - ohne Gesellschaft - leider (sic!) nicht existieren
kann. Ich wills mal auf den Punkt bringen. Stellt man sich die Frage, wer
dieses Blatt noch braucht, dann bleibt nur die Antwort: Niemand mehr wirklich!
Insofern ist das, was da monatlich erscheint, nur eine Interimslösung auf
dem Weg zur Pop- und Musikbeilage der Süddeutschen Zeitung
der Zeitung von aufgeschlossenen Langweilern für aufgeschlossene
Langweiler. Ein Vergleich der Spex mit den St. Pauli-Nachrichten
von einst und heute bietet sich an: Als letzteres Blatt einst links war, zog
der Sex dort ein, griff aber immer weiter Raum und dominierte das Blatt. Eine
Weile lang fanden sich dann alibimäßig noch linke Themen im Heft
in diesem vergleichbaren Stadium scheint sich die Spex gerade zu
befinden. Irgendwann war dann aber schluß und der eigentlichen Mission
wurde ausschließlich nachgegangen: only Sex, Sex, Sex und immer
an die Männer denken!
Mina nach dem Gericht (gesättigt) |
Aber zurück zu den Sternen. Wo ist Hier?, mit Sicherheit ein
wichtige Frage und eine gute Platte. Doch läßt sich leider alles und
nichts damit assoziieren. Ist diese Frage also gar eine nostalgische auf der
Suche nach irgendwas wie Heimat? Oder gar der positive Bezug auf die erzwungene
Mobilität im Turbo-Kapitalismus? Man weiß es nicht. Und das ist das
Problem: Radikalität, die alles und nichts bedeutet und die vor
allem nichts und keine Auseinandersetzung kostet, schreibt Michael Girke
im Beiheft zu Wo ist hier?. Girke verwendet das zwar in seinem Text
zu Entlastung der Band. Ich drehe hier mal den Spieß um und verwende das
Zitat gegen seinen eigentlichen Sinn - auf die Sterne gemünzt. Das ist
dann hier keine ästhetische Kunstspielerei, sondern wird als notwendig
erachtet. |