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Antideutsche Kritik des Elends als Elend der antideutschen Kritik?

Über die wundersamen Verlautbarungen und Nicht-Verlautbarungen in und um die Zeitschrift konkret in den letzten Monaten

    „Sei mißtrauisch gegen den, der behauptet, daß man entweder nur dem großen Ganzen oder überhaupt nicht helfen könne. Es ist die Lebenslüge derer, die in Wirklichkeit nicht helfen wollen und die sich vor der Verpflichtung im einzelnen bestimmten Fall auf die große Theorie hinausreden. Sie rationalisieren ihre Unmenschlichkeit. Zwischen ihnen und den Frommen besteht die Ähnlichkeit, daß beide durch ‘höhere’ Erwägungen ein gutes Gewissen haben, wenn sie dich hilflos stehen lassen.“
    (Horkheimer in: „Dämmerung. Notizen in Deutschland“, S.251)

    „Du denkst immer nur an deine 1914er Analogie und nie an die (...) gestellte Frage, ob ein amerikanischer Linker dem Kriegseingriff der USA gegen die Nazis nicht auch hätte dann zustimmen müssen, wenn er von den imperialistischen Motiven überzeugt gewesen wäre.“
    (Gremliza in der Diskussion „Bankrott der Linken“ zu Ebermann; in konkret 05/91)
Die mancherorts erstunkene und erlogene, andernorts kolportierte These von der Sozialdemokratisierung der Antideutschen spätestens nach den Anschlägen vom 11. September als angebliche Wiederkehr eines immergleichen Jahres 1914 wird zur Stärkung des eigenen linken Selbstbewußtseins und Selbstwertgefühls zu dem Preis erkauft, daß historisch betrachtet nichts auch nur im Entferntesten an die Konstellation zur Zeit des Nationalsozialismus heranreichen dürfe. Dieser gezollte Tribut an den unkritischen linken Geist, der sich so unbewußt an der Ehrenrettung des bürgerlich-idealistische Vernunftbegriffes der ungetrübten Fortschrittsgläubigkeit versucht, weil etwas wie Auschwitz nur ein Ausrutscher der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft sein könne, der sich ähnlich gar nicht wiederholen ließe und deshalb in einem Schwarzbuch des Kapitalismus als ein paar Seiten Geschichte abgeheftet werden kann, paart sich zu allem Überfluß auch noch mit dem Quatsch, daß die antideutsche Position gegen das selbstauferlegte theologische Bilderverbot der Kritischen Theorie verstossen würde, weil sie als Utopie einer menschlichen Gesellschaft jene nur als kollektiven american dream des Aufstiegs von Tellerwäschern zu Millionären vorstellbar mache.
Nun kann man sich ruhig mal fragen, warum die geschichtliche Analogie von 1914 zulässig sein soll und eine ähnliche konkrete Konstellation wie die, die Auschwitz möglich gemacht hat, immerwährend reinweg antideutsches Hirngepinst wäre.
Wenn selbst H. L. Gremliza (H.L.G.) in seiner Kolumne der Januar-Ausgabe von konkret Dinge nicht selbst aussprechen mag, sondern lieber Autoritäten mit aktuellen antideutschen Bonusheften, wie Ulrich Enderwitz eine ist, zitierender Weise zu Wort kommen läßt, dann berechtigt das durchaus zu der Vermutung, daß die Zeitschrift konkret derzeit tatsächlich vom Kopfe her muffelt, wenn nicht sogar stinkt.
Schon ein reflexartiger Verweis in der November-Ausgabe darauf, daß man pluralistische Autorenvielfalt selbst dann schätze, wenn sich die Betreffenden „einander ansonsten politisch kaum über den Weg trauen“, nötigte die Redaktion allzugleich zu dem anschließenden Hinweis, daß dies um Gottes Willen nicht als „postmoderne Beliebigkeit“ mißdeutet werden solle.
Wer sich dafür rechtfertigen will, daß er nun wirklich nicht postmodern sei, der ahnt wohl etwas davon, was in seinem Unbewußten das Unbehagen schürt. Da Unbehagen und Unsicherheit im Gleichschritt marschieren und nicht nur zusammengehören wie das Ei zur Henne, sondern auch noch die Angst hervorbringen, gerade nach den durch und durch antisemitischen Anschlägen vom 11. September und der Reaktion seitens der USA darauf, gar das Falsche zu tun, darf man die Frage, wie verzweifelt ein kritischer Theoretiker sei, nicht nur anderen, sondern auch sich selbst ruhig stellen.
Gremliza allerdings stellt keine selbstreflexiven Fragen, sondern gibt lieber Diagnosen wie der gesunde Arzt im Verhältnis zum kranken Patienten – wohl dem Irrglauben aufsitzend, daß dieses projektive Verfahren Selbstheilung verspräche: „Antiamerikanismus ist eine Pest. Anti-Antiamerikanismus (...) keine Medizin, sondern Cholera“, kolumnisiert er im Januar-konkret.
Nun frage man sich, wer denn nun ernstlich am „Anti-Antiamerikanismus“ erkrankt sei und welchem Adressaten diese Pseudo-Pathologie zugestellt werden soll.
Als eine Art Wunderheiler, so könnte man abfällig deuten, schlägt Gremlizas analytische Wünschelrute einmal in Freiburg an der Höhle zu den vermeintlichen Gralshütern der Kritischen Theorie namens Initiative Sozialistisches Forum (ISF) aus, zum anderen in Richtung eines ehemaligen Kreises kritischer Wiener, die sich einer Wertkritik-Abspaltung unterziehen mußten, und, last but not least, fast selbstredend gen Insel der glückselig-antideutschen Bahamas-Macher. Was aber verrät uns eine Wünschelruten-Aktion über die Wirklichkeit, außer daß der noch so feste Glaube an sie mit ihr nicht automatisch identisch sein kann?
Die Weisheit des H.L.G. verklärt sich hier leider zum Ausdruck eines Naseweises, der mit dem Hinweis darauf, daß „der linke Anti-Antiamerikaner (...) den Spieß, den er gegen den Feind im eigenen Land geführt sehen will, einmal zu oft“ herumdrehen würde, das „Antideutschtum“ (Enderwitz) zu einer Pyrrhustheorie abstempelt. Fragt man sich allerdings, ob H.L.G. einen realen Grund dafür hat, so muß man dies leider verneinen: man kann die Erklärungen von ISF, Bahamas und anderen lesen, drehen und wenden wie man will, was laut H.L.G. angeblich drinstehen soll, steht einfach nicht drin. Er ist also einer Fiktion aufgesessen, die dem Identitätskritiker schlußfolgern lassen könnte, daß die Fiktion, die zur Realität wird, zum Maß der eigenen Dinge werden kann: die Kraft der Negation einer antideutschen Position, die real gar keine ist, befördert die Fähigkeit zur eigenen identitären Positionsfindung. Vieles von dem, was sich als Mythen in antideutschen Tüten, Schriften oder Zeitungen entpuppt, trägt starke Züge affirmierter Kolportage durch andere. Daß sich dieser H.L.G. und andere bemächtigen, ist schlecht und nicht gut.
Denk’ ich an Anti-Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf
Bush, 5.8k

Der Unterschied zwischen einem "Barbar in Zivil" und einem "Barbar in Uniform" ist augenscheinlich.

Bin Laden, 6.6k
gebracht. Dieser so begrifflich konkretisierte Geist einer in der Hinsicht substanzlosen Phobie scheint derzeit die Redaktionsräume von konkret zu erfüllen und tatsächlich eine Art langsam aber stetig Einzug haltende geistige Umnachtung heraufzubeschwören. In der Januar-Ausgabe gar personifiziert sich die als zivile Barbarei begriffene USA zum „Barbar in Zivil“: die verstaubte Charaktermaske wurde also von der Wand genommen und ihr endlich wieder Namen und Gesicht gegeben – das eines George W. Bush. (Die Nazis von heute bekommen im übrigen solche Zeitschriften-Titel wohl kaum besser hin.)
Zu diesem Griff in die unsägliche linke Mottenkiste kann man nur noch gratulieren. Denn so gewinnt man garantiert längst verloren geglaubte ehemalige linke Kundschaft zurück, deren antiimperialistischer geistiger Stumpfsinn einst aus gutem Grunde ein Wiedersehen als konkret-Klientel verunmöglichen sollte. Das Gejammer, man solle doch gefälligst alle Opfer des Kapitalismus sukzessive Imperialismus gleichermaßen betrauern und gedenken, hat längst wieder häppchenweise Einzug gehalten auf den Seiten von konkret. Man treibt damit wieder im traditionslinken Fahrwasser der Preisgabe besonderer Menschheitgeschichte als eine abstrakte allgemein blankgeputzte Normativität des Faktischen. Und diese linke Unterwerfung und gleichzeitge Zurichtung von wirklicher Geschichte hat Auschwitz vom unermeßlichen Leiden der Menschen, das für sie unvorstellbarer Weise hieß, „Schlimmeres (zu) fürchten als den Tod“ (Adorno), genauso abgetrennt und gleichgemacht, wie es das Sterben unserer Großväter in Stalingrad dem Leiden der Juden angegeglichen hat: weil wir ja irgendwie alle nur Indianer seien, sind wir letztlich auch alle gleichermaßen Opfer des Imperialismus.
Es gibt zwar allgemein betrachtet nicht bessere oder schlechtere Opfer, aber immer noch solche und solche. Solche, deren Leid die Vorstellungskaft des common sense bei weitem übersteigt, und solche, deren Opferdasein unter der Last des Täterstatus nichts oder kaum etwas zählen kann. Das besondere Leid des Opfers zu betonen, verlangt eben auch deren besondere Geschichte neben der geschichtlichen Faktizität nicht zu leugnen oder in der Theorie oder Historisierung gleichzumachen. Die Perfidie der vollendeten Subsumtion des Leidens unter das Allgemeine muß einem Denken nach Auschwitz unerträglich sein. Wer deshalb beklagt, daß die Opfer des 11. September wohl mehr zählten als andere Opfer des Kapitalismus, verdoppelt nicht nur die abstrakte Herrschaft des Allgemeinen, sondern will letztlich nicht schonungslos die Frage nach den allgemeinen und besonderen Umständen der Anschlagsmotive stellen und damit nicht die ganze Wahrheit darüber wissen, „wie die Kuhscheiße aufs Dach gekommen ist“ (H.L.G. in konkret 01/91), sondern maximal die halbe. Weder ist es so, daß „nur der Einzelfall zählt“ (Pro Asyl), noch so, daß er gar nichts zählte. Die Erfahrung des konkreten Leidens der Menschen an den objektiven Verhältnissen der Subsumtion unter das Kapital darf nicht zum unmenschlichen Suhlen in der erkannten eigenen Ohnmacht führen: rücksichtslose Kritik findet dort ihre emanzipatorischen Grenzen der Aufklärung.
Wie nur soll man die ausgemachten Tendenzen bei konkret deuten? Die Macher, nichts weiter als ein Haufen antideutsch lackierter Rotgardisten, deren Lack in der Konfrontation mit der Realität des 11.September abplatzte wie ein schlechtes Goldimitat von Billigschmuck? Ist die antideutsche Ausrichtung der Zeitschrift spätestens seit dem Golfkrieg ein Bluff a‘ la Glasperlenspiel? Zählt inzwischen der Verlust von Abonnenten mehr als der Gesichtsverlust vor der Wirklichkeit?
Eine Psychologisierung der Antideutschen als Instrument zur Verdrängung eigener Unsicherheit steht dem H.L.G. schon wegen seiner antideutschen Meriten, die man auch als Leichen im eigenen Keller deuten könnte, nicht gut zu Gesicht – auch wenn man gerade Linke nicht oberlehrerhaft auf eine saubere bruchlose Biografie verpflichten sollte. Und so ist eben an seine weisen Worte von 1991 zu erinnern, die bis heute die unveränderte Lage seit ‘89 auf den Punkt zu bringen vermögen. Über jene urteilend, die Fanon einst zu den „Verdammten dieser Erde“ stempelte, vermochte H.L.G. scharfsinnig auszumachen, was aus ihrem Schoße kriechen könne: „Nun, da sie allein gegen die One World stehen, ist mit ihrem Bezugsrahmen ihre Zurechnungsfähigkeit vollends abhanden gekommen: Ihre Kämpfe, die sie selbst nicht mehr als Verbesserung ihrer Position in der globalen Hierarchie des Elends dienend begreifen können, sind von vornherein verlorene letzte Gefechte. Entsprechend ihre Mittel: ‘Wunderwaffen’ (wie des deutschen Führers Gläubige der letzten Tage sie nannten) und Terror“ (konkret 01/91).
Weil man zum einen glücklicher Weise als konkret-Herausgeber über mehr Schiß als Vaterlandsliebe verfügt, zuckt man andererseits heutzutage komischer Weise vor den Konsequenzen dieser vaterlandslosen Geselligkeit zurück, als wollte man die Geister, die man 1991 angesichts der Golfkriegspositionierung rief, nun loswerden. Der entscheidende Unterschied von heute zu damals, als man falsche Leser ohne Ende verlor und damit fast die Zeitschrift selbst, deutet sich einmal mehr auch daran an, daß man vorgab, sich wie ein Schneekönig zu freuen, als die Verkaufszahlen des November-Heftes die Bedeutung des quantitativen Ausverkaufs einer Ausgabe erstmalig seit 1991 über den des qualitativen zu stellen drohten.
Fragt man sich einmal, ob man dem linken Anti-Faschismus ähnliches vorwerfen kann, wie es Ulrich Enderwitz hinsichtlich der „Paradoxie des Antideutschtums“ tut, erhellt sich vielleicht einiges. Enderwitz, den H.L.G. wie erwähnt als den Kronzeugen eines legitimen Anti-Deutschen-Bashings anführt, stellt in einem Brief an den Freiburger Ca Ira-Verlag, aus dem auch H.L.G in seiner Kolumne zitiert, fest, daß die antideutsche Kritik gerade nach dem 11. September „einer aus Provinzialismus und Projektion gemischten negativen Deutschtümelei in die Arme“ triebe. Nun, man kennt das ja eigentlich von Anbeginn: Antinationale sind negative Nationalisten und Antideutsche eben negative Deutschpatrioten. Den einen geht sowas runter wie Öl, an den anderen perlt es inzwischen schon deshalb ab, weil sie ihr genügend Fett derlei Herkunft ausreichend wegbekommen haben.
Nun stellen wir uns einmal die Frage – nur mal so zum Vergleich und zur allgemeinen Erhellung des Gegenstandes, der hier verhandelt wird –, was zum Teufel nur sind Anti-Faschisten? Sind sie auch nur negative Faschisten, deren wirkliches Wesen in der Paradoxie ihres Antifaschistentums läge? Eine Auflösung erfolgt an dieser Stelle nicht, weil sich die Antwort unter normalen Umständen von selbst ergeben sollte. Warum aber nun in aller Welts Namen muß man hinter Hegels dialektische Identitätsdefinition der Wechsel- und Gleichzeitigkeit von Identität und Nichtidentität zurückfallen, die aus der notwendigen Identifikation mit dem Gegenstand gerade kein kindisch anmutendes Aufheben (remember Hegel!) machen lassen sollte? Warum soll das, was allgemein und überhaupt erst zur geistigen Erkenntnis verhilft, nicht für das „Antideutschtum“ gelten? Ist man wirklich materialistisch so schief gewickelt? Wenn man davon ausgeht, daß diese objektive dialektische Antinomie der Identitätsbildung eine Binsenweiseit bei denen sein müßte, die die Schriften von Hegel, Marx, Lenin, Lukacs und der Kritischen Theorie nicht nur gelesen, sondern sich auch kritisch angeeignet haben, dann tut das verdammt weh – ja, richtig gelesen, verdammt weh.
Niemand muß sich dümmer machen lassen, als man durch die Verhältnisse eh schon ist. Wer sich von diesem Imperativ allerdings selbst ausnimmt, ihn anderen aber aufzwingen möchte, hat bereits vor den Verhältnissen selbstherrlich kapituliert. Denn die objektiven Verhältnisse versprechen gerade für ihre Kritik keine uneingeschränkten Gewißheiten. Deshalb auch ist nicht nur die Betonung, sondern erst die Durchführung der Selbstreflexion jenes kritische Moment, das sich dem gnadenlosen Dummwerden an den Verhältnissen zumindest teilweise entziehen läßt. So ist eben auch das Prinzip der Wahrheit dem Prinzip der Wurst, das im Gegensatz zu anderen Dingen am Ende zwei Seiten hat, wesensverwandter als einem zur eigenen Sicherheit im Leben lieb sein könnte. (Daß die Wahrheit viel öfter als es einem gefällt zwei Seiten haben kann, ist aber gerade nicht der Verzicht auf sie, um diesem möglichen Einwand gleich die Argumente zu seiner Formulierung zu nehmen.) Eine Kritik des Werts als die Kritik am Gegenstand, der alles in seinen Vergesellschaftungsbann zu ziehen vermag, macht die Totalität des Wertgesetzes noch lange nicht zum Einheitsbrei als dem unmittelbaren Zusammenfallen von Allgemeinen und Besonderen. Die Paradoxie eines von Marx ironisch als „automatisches Subjekt“ auf den Begriff gebrachten Gesellschaftscharakters eröffnet sich erst, wenn man sich der Dimension dieser begrifflichen Ironie als einer anzunähern versucht, die nur durch die Vergegenständlichung, also durch die Subjekte hindurch als Gesellschaftsprinzip funktionieren kann – es also nichts gibt, was uns als bürgerlichen Subjekten insofern hinsichtlich des Wesens der Gesellschaft äußerlich wäre. Und selbst ein „Barbar in Zivil“ macht noch lange keine zivilisierte Barbarei an sich, sondern immer noch die duale Optionierung von Hoffnung und Verzweiflung, von Sozialismus oder Barbarei. Angesichts dieser Konstellation das Prinzip Hoffnung zu betonen und an diesem festzuhalten, verlangt aber wiederum die Zurkenntnisnahme, daß die lebendige Arbeit als die Substanz des Werts dieser Gesellschaft mehr und mehr verlustig geht und kein Weg daran vorbeiführen kann, dies als Ausdruck einer geschichtlich bisher einmaligen Krise des Kapitalismus zu begreifen. Das allerdings rechtfertigt nicht den Rückfall in eine platte Ableitungstheorie von Arbeit und Überbau, die die bürgerliche Subjektform nur als reinen Arbeitskraftbehälter zu denken vermag, dessen Triebstruktur angeblich vollends der Natur entrissen sei. Der Arbeitsfetischismus der marxistischen Arbeiterbewegung wird so nur auf den Kopf gestellt: der negative Bezug auf die Kategorie der Arbeit gerät zur Basis aller Dinge und deren gesellschaftlicher Entfaltung. So ist immer wieder darauf zu verweisen, daß die Kollision des menschlichen Lustprinzips mit der Realität eben nicht ein Loslösen aus der Natur ist, sondern ihre Formung. Wer aber die endgültige Loslösung als Ausdruck von gleichzeitiger konkreter und allgemeiner Totalität behauptet, affirmiert die zweite Natur des Kapitals und läßt die bürgerliche Subjektform völlig in ihr aufgehen. Eine Identisch-Setzung von erster und zweiter Natur allerdings ist pure Ideologie und ein Fall für ihre Kritik.
Wenn die bürgerliche Subjektform nichts mehr in sich birgt, was Hoffnung verspricht, ihr also auch nicht mehr auch nur das kleinste Versprechen auf Hoffnung innewohnt, dann ist nicht nur die bürgerliche Subjektform nicht mehr zu retten, sondern auch man selbst in der Befähigung geistiger Reflexion auf das ganze Falsche. Niemand vermag es, die bürgerliche Subjektform ins Blaue im Denken und gesellschaftlichen Handeln zu überwinden, ohne daß man sich der wirkungsmächtigen Dimension einer Realabstraktion (Sohn-Rethel/Adorno) bewußt wird, die nicht nur zwanghaft zum Handeln vor dem Denken nötigt, sondern dieses Denken eben unermeßlich beeinflußt.
Es ist sicherlich einigen nicht entgangen, daß derzeit gezielte Streifzüge gegen den Emanzipationsbegriff der Antideutschen und einem Großteil kritischer Linker stattfinden. Gerichtet gegen einen Emanzipationsbegriff, der im Denken und praktischen Handeln nach Auschwitz an einem kategorischen Imperativ festhalten läßt, der in der Tradition von Marx nicht nur alle Verhältnisse umwälzen soll, sondern sich eben auch der geschichtlichen Notwendigkeit stellt, den Versuch der negativen Umwälzung dieser Verhältnisse konkret verhindern zu wollen. Man kann durchaus vermuten, daß ein solcher Emanzipationsbegriff, der im Festhalten an der praktischen Verhinderung von etwas ähnlichem wie Auschwitz auch das handelnde Subjekt in der Wirklichkeit nicht verabschieden will, einer blendenden Theorie von Krise als Dorn im Auge zur Verdoppelung des objektiven Verblendungszusammenhanges gerät.
An der Voraussetzung aller Kritik festzuhalten, die laut Marx eben in der Kritik der Religion besteht, heißt, auch Bedingungen zu begrüßen, die eine Kritik der Religion als “Entzauberung der Welt” (Max Weber) und Austritt aus der Mythologie ermöglichen. Diese Fortführung eines Marxschen Begriffes allgemeiner Grundlage jeglicher Kritik jedoch mit einer geschichtlichen Determinierung á la M/L gleichzusetzen, verabschiedet sich dergestalt vom historischen Materialismus, daß hier dann wohl das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. So allerdings wird sich nur von einem wesentlichen materialistischen Geschichtsbegrfiff abgeschnitten und damit die Marxsche Kritik folgenreich ausgehöhlt.
Voraussetzung aller Kritik sind gesellschaftliche Bedingungen, die eine Säkularisierung der Religion überhaupt optional machen. Säkularisierungstendenzen zu befördern, ist deshalb gerade nicht falsch. Der religiöse Fundamentalismus als Form einer Doktrin verbotener Weltlichkeit und der Fundamentalismus des Marktes lassen sich zwar als zwei Seiten einer Medaille fassen, deshalb aber nicht zu sagen, daß die eine das Aussprechen von Kritik möglich macht, die andere aber genau dies verunmöglicht, ist, bemessen am konkreten Leiden kritischer Individuen, ein Unterschied ums Ganze persönlicher Erfahrung. Liest man Horkheimers geflügelten Worte über den Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus einmal zusammenhängend mit den ihnen unmittelbar vorangestellten, so eröffnete sich durchaus ein Erfahrungshorizont, der zumindest eine Ahnung davon entwickeln läßt, warum es nach Auschwitz nicht gut zu Gesicht stehen kann, einen „Barbar in Zivil“ als solchen an den linken Pranger zu stellen. Horkheimer schreibt: „Daß die Emigranten der Welt, die den Faschismus aus sich erzeugt, gerade dort den Spiegel vorhalten, wo sie ihnen noch Asyl gewährt, kann niemand verlangen. Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Man kann sich gut und gerne darüber streiten, warum man Horkheimer an dieser Stelle nicht zu ernst nehmen sollte. Nicht streiten allerdings läßt sich darüber, warum man ihn erstmal ernst nehmen muß, um den ganzen Zusammenhang seines oft zitierten Satzes überhaupt erfassen zu können. Und das um so mehr, wenn man seinen Satz über den Faschismus aktuell als verklausierten linken Vorwurf an die antideutsche Adresse entschlüsselt, daß jene ja gar nicht vom Kapitalismus reden wollten, wenn sie über den reflexionslosen Wahn der Islamisten nicht schweigen können.
Es läßt sich derzeit nicht oft genug feststellen, daß es endgültige Gewißheiten nicht geben kann. Das klingt so trivial wie es notwendig scheint, diese Binsenweisheit einmal mehr zum Besten zu geben.
Leo Löwenthal, ein bekanntlich guter Kollege von Horkheimer, war es zum Beispiel, der einmal bekannte, daß das antisemitische Ressentiment in den gesamten 20er Jahren im deutschen Alltagsleben ein Randphänomen darstellte: „(...) Im alltäglichen Leben hat es eigentlich gar keine Rolle gespielt, ob man Jude war oder nicht. (...) Wir haben uns immer darüber lustig gemacht, eben weil es (der Antisemitismus – d. Verf.) eine solche Randerscheinung war (...).“ Erst im Exil in den USA, so Löwenthal, kamen ihm derlei Alltagsphänomene ernstlich unter: „(...) Wir (er und seine Kollegen vom Institut für Sozialforschung – d. Verf.) haben auf einmal entdeckt, daß es hier (in den USA – d. Verf.) etwas gibt wie wirklichen everyday-Antisemitismus und daß man sich nicht ungehemmt und frei als Jude in allen gesellschaftlichen Bereichen bewegen kann“ (vgl. Leo Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie, Frankfurt 1980 S. 32/33).
Man muß nicht bei der abgenagten Kritik durch eine ausschließlich kommunikativ handeln wollende Habermaus landen, um die jeweilige Akzentverschiebung einer Kritik in seiner Bindung an das Objekt bzw. dem jeweiligen Gegenstand der Kritik zu denken. Also den konkreten Umstand beispielsweise, daß wer im Verhältnis des Antiamerikanismus zu einem kryptischen Begriff wie dem vom „Anti-Antiamerikanismus“ nur den Unterschied zwischen Pest und Cholera herbeischreiben kann, wohl nichts will als die Reinheit des Besonderen durch das Waschpulver des Abstrakten.
Eine Kulturkritik als Ideologie- und Erkenntniskritik ohne Kritik der politischen Ökonomie ist keine. Eine Kritik der politischen Ökonomie ohne Kulturkritik aber schon lange keine ausreichende Kritik mehr, weil sie weder die Formung der menschlichen Triebstruktur als Brandmale der Vergesellschaftungsprozesse zu fassen vermag noch das Verhältnis des Menschen zu äußerer und innerer, erster und zweiter Natur als Maßstäbe von Versöhnung und Glück.
Daß die Form des Antisemitismus keine Ausschreitung des Antisemitismus ist, sondern er selbst, haben Adorno/Horkheimer einst in den Elementen des Antisemitismus auf den Punkt gebracht. Umso verblüffter kann man sein, wenn Jürgen Elsässer als ausgewiesener Redakteur von konkret in Ausgabe 12/01 darüber verblüfft tut, daß, wie Mathias Küntzel es in konkret 11/01 schrieb, bezüglich der Geschehnisse vom 11. September nur „die Tat selbst“ entscheidend ist. Scheinbar ganz dem hehren verfassungspatriotischen Ideal des investigativen Journalismus verfallen, schwingt er sich zum Möchtegern-Markwort von konkret auf, ohne dabei jedoch an seine Leser und deren linksnotorischer Anfälligkeit für üble Verschwörungstheorien aller Art zu denken. Dabei gerät ihm die journalistische Leidenschaft zur Sensationshascherei immer stärker zu einer sensationellen linken Leidenschaftslosigkeit. Damit aber verlängert er den deutschen Anti-Goldhagen-Typus strukturalistischer Emotionslosigkeit (vgl. Mommsen und Co.) geradewegs von der unsäglichen sogenannten Wehrmachtsausstellung, die in der Neukonzipierung endgültig die Emotionalität der Opfer der Deutschen zum störenden Nebengeräusch sauber-steriler Fakten gestempelt hat, direkt in die Redaktionsstube von konkret.
Zu guter Letzt noch eine Probe aufs Exempel für diejenigen, die diese machen möchten: Wer hält die Antideutschen eigentlich für so blöd, daß sie nicht zwischen der Zerschlagung Jugoslawiens, der Lügen über Milosevic, der angeblichen Verhinderung eines zweiten Auschwitz’ und der notwendigen Zerschlagung des Taliban-Regimes unterscheiden könnten und damit die Besonderheiten dieser beschissenen Welt wahrzunehmen in der Lage wären, und trotzdem das Ganze als das Unwahre zu denken vermögen?
Als kleine Eselsbrücke soll an dieser Stelle der Gremliza von 1991 das letzte Wort haben. Man achte dabei nicht so sehr auf die Begriffe, die Verwendung finden, sondern zur Abwechslung mal in erster Linie auf den Inhalt: „Seit es das sozialistische Lager nicht mehr gibt, sondern nur noch die imperialistische One World, ist jeder Krieg ein imperialistischer Krieg. Wem es für die Bestimmung seiner Haltung genügt, daß der Krieg imperialistisch ist, muß gegebenenfalls auch bereit sein, Partei für Pol Pot zu ergreifen oder jedenfalls nicht gegen ihn“ (konkret 05/91).
Und, so läßt sich vortrefflich anschließen, man verrät unter solch glasklarem Antiimp-Himmel von
Binsenweisheiten zugleich, wie es in einer solchen Konstellation unkritischer Allgemeinplätze um eine Solidariät mit Israel im Zweifelsfalle nur bestellt sein kann.
Sören Pünjer


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last modified: 28.3.2007