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God is in the TV

Einige kurze Gedanken zur zweitschönsten Nebenbeschäftigung der Welt, welche alle Kultur- und FernsehfreundInnen begeistern sollte.

    Die Produkte selber, allen voran das charakteristischste, der Tonfilm, lähmen ihrer objektiven Beschaffenheit nach jene Fähigkeiten (Vorstellungskraft und Spontaneität, Anm. d. Autors). Sie sind so angelegt, daß ihre adäquate Auffassung zwar Promptheit, Beobachtungsgabe, Versiertheit erheischt, daß sie aber die denkende Aktivität des Betrachters geradezu verbieten, wenn er nicht die vorbeihuschenden Fakten versäumen will.“
    (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung)

WTC, 21.4k Entertainment I
Während einem meiner üblichen Pflichtbesuche bei den Großeltern mütterlicherseits, zu denen ich mich des öfteren genötigt sehe, trug sich folgendes zu.
Um den schon traditionsgewordenen Gesprächen über meine soziale Situation zu entgehen, rettete ich mich durch sprachlich-taktisches Feingefühl vor den Fernsehapparat. Ich sah mir gerade eine Reportage über die Lebensverhältnisse pakistanischer Frauen an, als meine Großmutter sich überraschend zu mir gesellte. Nach wenigen Minuten meinte sie, daß das was ich da sehen würde ja „furchtbar“ sei und ich doch „bitte umschalten“ möge, denn man „selbst“ habe ja „genug Probleme“ und müsse sich „nicht auch noch“ mit denen „anderer“ belasten. Außerdem laufe gerade „TV-Total auf Pro7“, moderiert von diesem „Witzbold Raab“, was man natürlich „auf keinen Fall verpassen“ wolle. Was sich hier als doch eher erheiternde, jedoch zugleich traurige Anekdote darstellt ist die Wahrheit über die modernen Medien (hier konkret das Fernsehen).
Die Medienkultur heute erscheint(1) als eine postmoderne. Längst schon hat das Fernsehen alle Grenzen gesprengt, ist so offensichtlich Spektakel wie kaum etwas anderes. Kaleidoskopartig wechseln die Bilder und wo eben noch kunterbunt heitere Cartoons flimmerten, fallen einen Knopfdruck später Bomben und Menschen sterben „live and direct“. Es (das Fernsehen) ist Metapher an sich, zerstückelt Zeit und Raum, um in Sekundenschnelle etwas völlig neues zusammenzukitten. Doch der eigentliche Spielraum, welcher als großflächiger erscheint, ist stark eingeschränkt. Das Fernsehen ist Ware und muß sich entsprechend verhalten, mehr noch, es zeigt den Status Quo unserer Gesellschaft. Produktivität heißt das Zauberwort und das schnellstmöglich vermittelt durch die Hektik, die sich unseren Sinnen darbietet. Doch wo für einen anonymen Markt produziert wird und nicht etwa für die Bedürfnisbefriedigung, entbehrt die erhöhte Produktivität jeglicher Logik, außer der des Kapitals. Wo beständig das Hämmerchen des Informationsüberflusses auf die Köpfe donnert und das im Sekundentakt, da bleibt kaum Zeit für eine Reflexion des eigenen Handelns und Denkens, von einem Versuch, sich dem Wesen(2) der Dinge anzunähern ganz zu schweigen. Medienkritiker jeglicher Coleur ziehen unter dem Banner der Postmoderne in den Kampf gegen die „ultimative Verdummung“, weil sie zu wissen meinen, daß wo alles in Bilder aufgelöst erscheint, keine „wirkliche“ Realität mehr greifbar ist. Es scheint als wären sie selbst Opfer dessen, was im Lichte ihrer Kritik schwebt, mal nach links, mal nach rechts und mal ganz woanders hin, nie jedoch innerhalb einer gesellschaftlichen Totalität sich bewegt. Oft gelten ihnen die modernen Medien auch als „Vorboten der Apokalypse“, wobei dem Fernsehen wahrscheinlich die Rolle der Pestillenz angedacht ist, verblöde es doch die Menschen und mache sie gar zu willenlosen Sklaven. Dabei erledigt das diese Gesellschaft schon ganz gut ohne das von ihnen kritisierte Medium, welches doch nichts weiter ist als ein geschaffenes Bedürfnis im Kapitalismus, wenn auch ein sehr spezielles. Solche Kritik scheint den Rest der Gesellschaft auf ihrer Seite der Barrikade zu wissen, die es nun gegen die „Barbarei der Trivialität“ mit flammendem Worte zu verteidigen gilt. Die Kritik, die sie einer Ideologie heulend und keifend entgensetzen, ist selbst schon immer eine gewesen.

Doppelt hält besser...

    „Das Prinzip des Warenfetischismus ist es, ... , das sich absolut im Spektakel vollendet, wo die sinnliche Welt durch eine über ihr schwebende Auswahl von Bildern ersetzt wird, welche sich zugleich als das Sinnliche schlechthin hat anerkennen lassen.“
    (Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels)

Britney, 15.8k Entertainment II
Debord meinte mit Spektakel selbstverständlich nicht nur das Fernsehen, sondern die warenförmige Gesellschaft als solche, dennoch scheint dieser Satz treffend zu formulieren, was Ton und Bild, die zeitgleich via Bildschirm und Lautsprecher unsere Sinne reizen, vermitteln. Die Welt erscheint verdoppelt durch Abbilder von gesellschaftlichen Prozessen und Natur (Auf diesen Begriff möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.). Wer will da noch sagen was Wahrheit und was Schein ist? Es scheint als befänden wir uns in einem Science Fiction Roman, wo mehrere Paralleluniversen auch mehrere Möglichkeiten von Wahrheit anbieten. Werden wir am Ende nur verarscht von den Medienmachern, die uns Welten vorgaukeln, die nicht existieren? So einfach und plausibel das für manche klingen mag ist es jedoch nicht. Die von der Regie, etc. vorgefertigte Aussage ist jedoch zweifelsohne ein Original und somit auch wahr, denn Kriterium für die Wahrheit des Gegenständlichen ist immer auch ein subjektives. Wenn ich beispielsweise in den Nachrichten die traditionellen Riots am 1. Mai in Berlin verfolge, meine Mutter neben mir sitzt und die Nachrichtensprecherin von „schlimmen Ereignissen“ und dem „deeskalierendem Konzept der Polizei“ faselt, wird ihr meine Mutter zweifelsohne beipflichten, während ich diese Meinung nicht teilen möchte und ein anderes Bild von der Wahrheit habe. Keine von beiden ist jedoch falsch, denn die sinnliche Wahrnehmung der Ereignisse ist tendenziell dieselbe, unterschiedlich nur durch die Einschätzung. Anders ausgedrückt könnte man sagen, daß das entscheidende Kriterium für Wahrheit das eigene Vorurteil ist und nicht etwa ein „objektives“ Urteil, gebildet nicht anhand materieller Erscheinungen und der Kommunikation zwischen Menschen, sondern durch deren technisches Abbild. Kommunikation erscheint als eine abstrakte vermittelt durch ein gottesgleich scheinendes Medium, wo Erlösung nur in der Realität und somit in der Totalität zu finden ist. Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse werden nicht etwa durch das Spektakel aufgelöst, sondern vielmehr wird die herrschende Ordnung verdoppelt und sogar noch in sich gestärkt. Die Welt die gezeigt wird ist Kopie und Vorlage für gesellschaftliches Leben zugleich. Fernsehen ist Mythos. Die Konsumenten gehen in dem Gezeigten völlig auf, was sich anhand der Identifizierung mit eben jenem bestätigt.

    „Innerlichkeit, die subjektiv beschränkte Gestalt der Wahrheit, war stets schon den äußeren Herren mehr als sie ahnte untertan. Von der Kulturindustrie wird sie zur offenen Lüge hergerichtet. Sie wird nur noch als Salbaderei erfahren, die man sich in ... psychologischen Filmen und women serials als peinlich-wohlige Zutat gefallen läßt, um im Leben die eigene menschliche Regung desto sicherer beherrschen zu können. In diesem Sinn leistet Amüsement die Reinigung des Affekts, die ... Mortimer Adler wirklich dem Film zuschreibt.“
    (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung)

Der Krieg tobt in den Wohnzimmern...

Big Brother, 22.2k Entertainment III
Wo Nachrichten, welche zwangsläufig Waren sind und sich verkaufen müssen, immer mehr zu Slogans gerieren, ist die Berichterstattung über den Krieg wohl eine der profitabelsten. Man kann sie getrost als ereignis- oder erlebnisorientiert bezeichnen, die Nachfrage nach Reportern in Krisengebieten ist besonders hoch, nicht nur wegen der über Durchschnitt liegenden Ausfallquote. Umso grausamer und zügelloser die Kriegshandlungen, desto krasser die Bilder, desto größer das Entsetzen vor den Bildschirmen, desto höher die Einschaltquoten. Ist ein Ereigniss ausgeschlachtet, sinkt das Interesse daran stetig und ein neues muß her. Die Inszenierung ist wahres Medienspektakel mit Pauken und Posaunen. Wer hat die schockierendsten Bilder, wer die authentischsten Interviews, wer fesselt uns vor den Fernseher. Es scheint als wären unsere Gefühle duplizierbar, wenn zu bedeutungsschwangerer Musik die Toten abgefilmt und beweint werden. In einer Zeit da wir um uns selbst trauern sollten, wird uns durch Bestimmung des öffentlichen Diskurses vorgegeben was es zu betrauern gilt und damit gleichzeitig die Verantwortung darum abgenommen. Trauer selbst wird zum Spektakel, also zur Ware, an dem alle partizipieren können und sollen. Da das Medium Wahrheit und Botschaft zugleich vermittelt, verschwindet jeglicher Versuch einen Hauch von Objektivität zu bewahren und die angeblichen Konzentrationslager im Kosovo bleiben auf ewig Realität in den Köpfen der Mehrheit. Wo die Nachricht einst zweckbestimmt war und der Information diente, ist sie es heute auch. Sie ist Angebot und muß sich dem entsprechend verhalten. Ob Bundestagsentscheid oder Riot, ob Lady Di oder Saddam Hussein, als Produkt muß sie in eine ästhetische Form gepresst werden um den Inhalt dahinter zu präsentieren, der dann oft nur noch aufgeweicht über die Mattscheibe flimmert. Die belangloseste Information erhält den selben Stellenwert wie die über einen bevorstehenden Krieg. Alles dient der simplen Zerstreuung, jegliche Bedeutung fast völlig aufgegeben. Selbst die erschütterndsten Meldungen veranlassen niemanden, sich wimmernd unter der Bettdecke zu verkriechen, wenn alles Gezeigte Entertainment ist und hauptsächlich unserer Reproduktion dienen soll. Wenn sich dann noch ca. 3 Milliarden Menschen während der Beerdigung von Lady Di vor den Fernsehapparaten einfinden, ist das Medienereignis zur Zufriedenheit aller Beteiligten, Produzenten als auch Konsumenten, gut über die sprichwörtliche Bühne gegangen. Wo der Zuschauer danach lechzt an daily soaps aus dem „echten“ Leben teilzuhaben und der Fernsehproduzent täglich mit klammem Blick über den Einschaltquoten hängt, bestimmt im Grunde einzig und allein der Konsument das Fernsehprogramm, wenn auch nicht immer den Inhalt so jedoch mit Gewißheit die Form. Die Auswirkungen dessen, etwa auf die Politik, sollten nicht unterschätzt werden (überschätzt jedoch auch nicht). Wo die moderne Warenproduktion, und damit auch das Fernsehen, auf Massenpsychologie setzt um Produkte anzupreisen, was könnte da besser greifen als Ästhetik für die Massen. Was ist Marketing denn anderes? Ein möglichst breites Spektrum soll, mit den unglaublichsten Mitteln, erreicht werden, Steigerung des Vorhergehenden ist dort immer möglich, das Absolute ist nicht absolut genug, es hat gefälligst noch absoluter zu sein. Es gilt, den menschlichen Verstand so zu manipulieren, daß das beworbene Produkt unerläßlich für das eigene Leben scheint. Nichts anderes obliegt den Medien, sie manipulieren, ja ich wiederhole gern noch einmal, sie manipulieren. Wer dies abstreitet, dem ist schon jetzt nicht mehr zu helfen. Ich denke da etwa an gewisse Linke, welche mir erzählen wollen, daß Medien an sich (also Manipulation) nichts schlechtes sind, man müsse sie nur in die eigenen Hände nehmen und alles ist in Butter. Wer bei der Kritik des Inhalts stehenbleibt und die Form als absolut ansieht, sie gar völlig aus dem Lichte der Kritik in den Schatten schiebt, hat mit emanzipatorischer Gesellschaftskritik etwa soviel gemein wie Joschka Fischer. Wer dann noch davon faselt, man könne sich doch die Massenmedien aneignen um diese zu mobilisieren, dem sei als Schlußwort ein Zitat von einem um die Ohren gehauen, der dies wohl verstand. „Die Masse ist dumm und lenkbar.“ (Adolf Hitler)
Guten Tag
Schlaubi

Fussnoten:
(1) Erscheinung meint die Gesamtheit all jener Eigenschaften der Dinge, welche uns durch unsere Sinne, Anschauung und unmittelbare Erfahrung gegeben sind. Für sich genommen ist Erscheinung, das Unwesentliche, immer mit dem Moment des Zufalls behaftet. Da unmittelbare Erfahrung nicht mehr erkennen läßt als Erscheinung, bedeutet eine Gesellschaftskritik, die ausschließlich auf Erscheinungen sich beruft, die Flucht in die Empirie. Zu welchem opportunistischem Blödsinn dies führt, weiß wer sich kritisch mit linken Bewegungen der Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzt.
(2) Sehr grob gesagt beschreibt das Wesen etwa den materiellen, inneren Zusammenhang der Dinge (gesellschaftlichen Wirklichkeit), welcher deren qualitative Prägung bestimmt. Das Wesen erschließt sich nicht der sinnlichen Wahrnehmung, sondern nur dem theoretischen Denken, durch Abstraktion.


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last modified: 28.3.2007