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Adorno, Oi!

Oder: Was folgt aus ‘Genua’? – Der Gastkommentar

Es war wohl der größte Erfolg einer linken Mobilisierung der letzten zehn Jahre. Selten waren Versatzstücke und Symbole linker Kritik so präsent in den Medien. Selten bot sich eine linke Bewegung so wahrnehmbar zur Identifikation für Unzufriedene aller coloeur an.
Doch den Repräsentationsgewinn gab’s nicht umsonst. Die Gesellschaft des Spektakels verlangte nicht weniger als einen toten Demonstranten und die schwersten post-68er Krawalle als Aufmerksamkeitsbonus.
Es ist nicht weiter verwunderlich, daß im Folgenden nicht der im kapitalistischen Mediensystem angelegte Zynismus zum Gegenstand der Debatte wurde oder die allgemeine Gewaltförmigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung eine kritische Dramatisierung erfuhr. Vielmehr wurde von allen Seiten die Gewalt während der Proteste zum Fixpunkt stilisiert, an welchem akzeptiertes Verhalten – egal ob von Demonstranten oder Polizisten – von illegitimer Grenzüberschreitung getrennt wurde. Eine Auseinandersetzung, die im Bezug auf Oppositionsbewegungen alt bekannt ist und doch immer wieder eindrucksvoll die Beschränktheit praktischer Kritik innerhalb der bestehenden Ordnung vor Augen führt.
Dementsprechend kurzsichtig, ja von einer scheinheiligen Doppelmoral gekennzeichnet wirken die Positionen der Globalisierungsprotestler, die wie die sozialreformerischen ATTAC einen Großteil der Bewegung ausmachen und auch inhaltlich die Repräsentation der Bewegung bestimmen.
Ohne militante Protestformen keine Medienöffentlichkeit – von dieser simplen Formel profitieren seit Seattle ebenso die netten NGO’s, die sonst bei weitem nicht einen annähernd hohen Bekanntheitsgrad genießen könnten, jetzt aber als erste distanzierende Verlautbarungen von sich geben.
Drauf geschissen, denkt vielleicht die eine oder der andere gestandene Linksradikale und sieht der bereits im Zwischenspiel von Integration und Ausgrenzung aufscheinenden Neutralisierung von großen Teilen einer linken Protestgeneration gelassen entgegen.
Doch wer sich ins Bewußtsein ruft, auf welchen Tiefstand die Möglichkeiten, linke Gesellschaftskritik zu praktizieren, in den letzten Jahren herabgesunken waren, muß im Licht der neuen Bewegung mit mehr Interesse und Nachdruck nach den Bedingungen linksradikaler Intervention und ihren Erfolgsaussichten fragen.
Sicher, die bisherige Diskussion zeigt krude Verlaufsformen. Gleichermaßen stürzten sich linksradikale Gruppen, Reformisten und „Bürgerliche“ auf das Gewalt-Thema. Für letztere ist es bekannterweise Teil einer repressiven Strategie, die zudem noch das ideologische Konzept bedient, von Unterdrückung und Zwang im Kapitalismus sowie vom repressiven Kern jeder Demokratie nicht reden zu müssen.
Statt aber unter anderem an diesem Punkt die Diskussion zu führen, wie radikale Kapitalismuskritik in der Protestbewegung sichtbar werden kann, droht in linken Kreisen die Konzentration auf staatlichen Terror wichtige inhaltliche Auseinandersetzungen zu verdrängen.
Dabei werden oft die abenteuerlichsten Verschwörungstheorien bemüht: Von ATTAC bis zur „Interim“ scheinen sich einige Linke die Dynamik eines Riots, in dem sich der Haß auf die gegenwärtige Ordnung und die Erfahrung einer schier grenzenlosen Handlungsfreiheit in einem durchaus gewaltsamen Rausch Bahn brechen, nur als von Agent provocateurs und Nazis inszenierte Gemeinheit vorstellen zu können. Es ist wohl ein Stück weit der gutgemeinte Wille, die Welt in klar unterscheidbare Bilder, in die wenigen Bösen und die Masse der Opfer zu teilen, der hier die Phantasie beflügelt.
Hinter der realitätsfernen Behauptung, Faschisten und Polizei hätten den Krawall gelenkt, um das Anliegen des Protests zu delegitimieren, steckt aber ebenso die flehende Unschuldsbeteuerung, die sich mit den Spielregeln der herrschenden Ordnung abgefunden hat. Schlimm an der mob action in Genua war aber weder, daß es sie gab, noch ihr Ausmaß, sondern alleinig die fehlende Vermittlung ihrer Ursprünge und ihrer Bedeutung.
Wer in schon fast floskelhafter Regelmäßigkeit von der „Wut auf die Verhältnisse“ spricht, sollte nicht erschrocken sein, wenn sie denn mal Gelegenheit hat, ihren Ausdruck zu finden. Daß Militanz, die für die grundsätzliche und vehemente Ablehnung des Bestehenden steht, sich in der Eile des Gefechtes durchaus antipopulistisch an den Kleinoden des Privatbesitzes und Warenverkehrs austoben kann, ist ebenso verständlich. Unter Berücksichtigung politischer Taktik läßt sich darüber trefflich streiten. Es sollte aber nicht so getan werden, als hätte vor den Genua-Krawallen die Masse der Ausgebeuteten schon das Ticket für die neue linke Bewegung gebucht und nun, angesichts des eruptiven Gewaltausbruchs, ängstlich storniert.
Ohnehin hat die Diskussion über Sinn und Unsinn von Militanz den müßigen Charakter von Auseinandersetzungen in einer Selbsterfahrungsgruppe.
Genauso wie die Diskussion in der radikalen Linken bleibt auch ihre Militanz – von ihrer Funktion als Schlüssel zur öffentlichen Wahrnehmung mal abgesehen – tendenziell wirkungslos. Zwar identifizieren die bürgerlichen Medien hin und wieder die Krawallmacherposition mit der radikalsten Gegnerschaft zur Gesellschaft. Allerdings wird diese, der Selbstwahrnehmung der Linksradikalen entsprechende Kennzeichnung nur oberflächlich vorgenommen. So lauert die Gefahr, daß sie für die breite Masse im besseren Falle wieder nur als extravagante Popvariante erscheint.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Militanz der Proteste wenig davor gefeit, zum Spielball anderer Definitionsmächte zu werden, die sie entpolitisieren und psychologisieren, als Selbstzweck beschreiben und kriminalisieren wollen.
Genau in diesem Sinne, plädiert die „FAZ“ dafür, die Protestbewegung als eine Art „Love Parade“ wahrzunehmen, meint der „Spiegel“ mit der Bezeichnung „autonome Chaoten“ und dem Hinweis auf Randale machende Polizisten und Nazis die größten mitteleuropäischen Straßenkrawalle nach ‘68 erklärt zu haben. Und auch die auf den ersten Blick stutzig machende Umarmung des Jugendmagazins der Süddeutschen Zeitung „Jetzt“, die den Erschossenen zu „unserem ersten Toten“ erklärt, gelingt nur, in dem sie seinen Aktionismus als die Tat eines Irren, der „nicht ganz klar dachte“, verklärt.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der radikalen Linken fehlt eine Instanz – nennen wir sie praktischerweise „Organisation“ –, die mit einem inhaltlichen Konzept hinter der Militanz, und hinter der Debatte über die Militanz, steht. Zu diesem Konzept müßte neben den Eckpunkten einer radikalen Gesellschaftskritik, auch eine Strategie stehen, wie die Bewegung der Globalisierungsproteste radikalisiert werden kann.
Zwar beteiligen sich bisher eine Vielzahl von linksradikalen Gruppen an den Protesten, aber weder ihre Kritik an den reformistischen Positionen vieler Globalisierungskritiker, noch ihre radikaleren Positionen kommen zu Gehör. Da es unter ihnen kaum gemeinsame Diskussionen gibt, bleibt auch ihre Beteiligung zu unkoordiniert und fördert die Diskrepanz zwischen aktionistischer Teilnahme und inhaltlicher Präsenz.
Ganz im Gegensatz dazu steht die Handlungsweise des reformistischen Spektrums. Seien es die Tute Bianche oder die verschiedenen Organisationen des ATTAC-Bündnisses. Daß ihre verkürzte Kritik am Neoliberalismus eine so weitreichende Darstellung und ein so positives Echo erfährt, liegt nicht nur daran, daß das „System“ den immanenten Charakter der Kritik erkennt, sondern ist auch auf ihre professionelle Vermittlungsarbeit zurückzuführen.
Während die Pressesprecher der Tute Bianche noch während der Auseinandersetzungen mit der Polizei die Gründe für ihre Art der Konfrontationstaktik vor laufenden Kameras erläuterten, ATTAC mit Pressemitteilungen nur so um sich warf und schon kurz nach den tödlichen Schüssen mit einem öffentlichen Diskussionspapier zur Gewaltfrage aufwartete, blieben die Stellungnahmen des „black block“ aus.
Sicher, eine Projektion kann schwerlich Presseerklärungen schreiben. Zur Entrüstung taugt die Erfindungsgabe bürgerlicher Medien allerdings nicht. Aufregen sollten sich Linksradikale eher über die Tatsache, daß sie daran scheitern, einen programmatisch handelnden Schwarzer Block zu bilden.
Würde das Schreckbild nur ein bißchen realer, stünde es für radikale gesellschaftskritische Positionen und eine Bewegung, der man sich anschließen kann, wäre viel gewonnen.

„Minima Imoralia“, 9.7k


Parolen blieben dann nicht auschließliches Element der Vermittlung linksradikaler Inhalte. Ganz davon abgesehen, daß Spruchkunstwerke a lá „Adorno, Oi“ oder „Minima Imoralia“ mehr Öffentlichkeit als die Passanten einer Genueser Hauswand verdient hätten.
Träumerische Planungen, nach denen aus der „heterogenen Zusammensetzung“ des Protestspektrums die maximale Energie zu ziehen sei, daß es um „gemeinsame Lernprozesse“ und ein „produktives Nebeneinander“ ginge, erhielten erst mit einer organisierten linksradikalen Strömung innerhalb der Protestbewegung eine Basis. Die schöne Illusion von der befruchtenden Koexistenz linker Spektren, die u.a. von der Gruppe Fels vertreten wird, ist zum gegewärtigen Zeitpunkt deshalb nicht diskutabel, weil es eben die viel beschworene Heteoregenität und schon gar kein Kräftegleichgewicht gibt.
In der Öffentlichkeit dominieren dubiose antikalpitalistische Reflexe. Der Name ATTAC – Association pur une Taxation des Transactions finacières pour l‘Aide aux Citoyens (Vereinigung für die Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger) – ist dafür Programm. Weitergehende Impulse bleiben verschwommen oder nicht bemerkbar.
Zudem kommt es den bereits ansetzenden politischen Vereinnahmungsstrategien sehr entgegen, daß reformistische Positionen als das Nonplusultra der Kritik gelten. Das antiamerikanische, globalisierungsfeindliche und zumindest latent antisemitische Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte keine Probleme, sich unumwunden mit den sichtbarsten Forderungen des Genua-Protestes zu identifizieren. Regelrecht begeistert feierte man den „Widerspruch“ einer neuen Protestgeneration, die Politikern und Konzernchefs „einheizt“ – „und zwar zu recht“. Weniger begeisterte Stimmen nehmen dem Publikum die Angst vor den sogenannten Globalisierungsgegnern, indem sie auf ihren pragmatischen Charakter verweisen, der statt des großen Umbruchs nur den menschlicheren Kapitalismus will und alles in allem nicht mehr als eine Art „ökumenischer Kirchentag“ oder Gegenreformation der Politik darstellt. Man sehne sich danach, das schlechte Gewissen, welches vom Elend der Welt herrührt, zu besänftigen und gäbe sich schon mit der Rückkehr sozialdemokratischer Interessenpolitik, mit vor-neoliberaler sozialer Sicherheit zufrieden.
Auch wenn das Interesse hinter solchen Rationalisierungsbemühungen eindeutig ist, bleibt die Analyse leider nicht völlig falsch. Ein Großteil der Bewegung kann zum Juniorpartner der bestehenden Verhältnisse werden.
Den Weg in eine andere, radikalere Richtung weisen, könnte nur eine organsierte linksradikale Strömung. Die vorherrschende Streitkultur und die daraus folgende Vereinzelung wird über Meckern und Raushalten nicht hinauskommen.

Eberhard aus Berlin


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last modified: 28.3.2007