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das Erste, 1.3k

Der „Summer of Resistance“ geht zu Ende

Ralf, 15.1k „Smash Rascism, Destroy Rascism“
(Autonome Antifa bis zum Jahre 2000)

„Smash Capitalism, Destroy Capitalism“
(Autonome Antifa ab dem Jahre 2000)

„Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen“
(Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie – Einleitung)

„Wenn die Logik des falschen Bewußtseins sich nicht selbst wahrheitsgemäß erkennen kann, so muß die Suche der kritischen Wahrheit über das Spektakel auch eine wahre Kritik sein.“
(Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels)

Der von der Bewegungslinken ausgerufene „Summer of Resistance“ neigt sich seinem Ende. Nicht gerade überrraschend hielt man sich mal wieder lieber an Emma Goldmanns Kitsch von der Revolution, auf der man müsse tanzen können, anstatt materialistisch an die Verhältnisse, die man zum Tanzen bringen muß.
Warum das so ist, darüber verrät die Tatsache, daß die bewegungsnudelnden Linken lieber ihre eigene Melodie arrangieren anstatt den bürgerlichen Verhältnissen die ihrige vorzuspielen, mehr als genug. Hört man nur mal richtig hin, so hat die selbstkomponierte Melodie auch noch einen Text, der zum immergrünen Diktum der linken Bewegung gehört wie das Ei zur Henne. Dieses Diktum lautet kurz und bündig: Es gibt nichts gutes, außer man tut es.
Klassisch selbstherrlich endet der Widerstand im Sommerloch vor handverlesenem Publikum der zur radikalen Linken an sich erklärten übriggebliebenen Anti-Nazi-Reisekader am ersten September in Leipzig. Sich zu neuem Größenwahn aufschwingend, will man Deutschland anläßlich eines unbedeutenden x-beliebigen Naziaufmarsches den „Krieg erklären“, in dem man einen „ersten Mai am ersten September“ ausruft. Nicht nur, daß deutschlinke Geschichtslosigkeit nach mindestens zehn Jahren antideutscher Reflexion immer noch kein Ende in links-antifaschistischen Kreisen gefunden hat, die es schlicht verunmöglichen würde, sich, wie im Fall erster September Leipzig, unglaublicherweise in die Tradition und an die Seite der alliierten Anti-Hitler-Koalition zu stellen (O-Ton: „Damals wie heute: Deutschland den Krieg erklären.“), bekommt man dann im Wahn der Bewußtlosigkeit auch noch die Fehlleistung hin, im selben Atemzug genau diesen „antifaschistischen Menschenrechts-Imperialismus“, der immerhin 1945 dazu geführt hat, daß es noch eine deutsche Linke gibt, die verdammt nochmal Teil der „deutschen Zustände“ (Karl Marx) ist, zum Übel dieser Welt schlechthin zu machen. Als hätte man mit seinem linkem Deutschsein geschichtlich und materiell nicht eine etwas andere Position inne, kommt man aber gleichzeitig bei all dem Gezeter in der analytischen Schärfe der Kritik nicht über den Krieg-ist-Scheiße-Pazifismus der antimilitaristischen Pfaffen und Gandhis dieser Welt hinaus – wohl genau deshalb, weil man die Masse der nur allzugern auf die Nazischweine geworfenen Steine fälschlicherweise für ein schwertähnliches Allheilmittel gegen Pflugscharen aller Art hält. Dem bewußtlosen Treiben ist nichts weiter als die Unverfrorenheit zu attestieren, für den ersten September systematisch alles getan zu haben, um eine kollektive Ingewahrsamnahme der wenigen noch verbliebenen Antifa-Reisenden vorzubereiten. Bleibt an dieser Stelle aus Gründen des Redaktionsschlusses und Erscheinungsweise des Cee Ieh nur zu hoffen, daß diese nicht eingetreten ist.
Über den Realitätsverlust, außer sich nichts großartig radikal linkes mehr zu wähnen, ist hinsichtlich der verstorbenen Antifa sehr oft und ausführlich in letzter Zeit geschrieben worden. Daß es ihn tatsächlich gibt, davon zeugt die Vorbereitung dieses ersten Septembers in Leipzig nur allzugut. Der offensichtliche Ansporn durch die Ereignisse von Genua tat scheinbar sein übriges zur Verdummung als Produkt der unbewußten Ohnmacht. Das klassische Schema der Sublimierung als Flucht vor der Aufarbeitung des eigenen Scheiterns läßt sich vortrefflich an dem Verhältnis der Ex-Antifa zu den Globalisierungsprotesten ablesen – Mister Heinz Kampagnenschenk grüßt da kräftiger denn je. Nicht nur, daß es plötzlich die Nischenautonomen und Wursthaar-Zecken – kurz: die Selbstverwirklicher und Wohlfühler dieser deutschlinken Welt aus allen Löchern und Nischen wieder an die Öffentlichkeit spült, wo man doch dachte, daß die von der Politbühne nun wirklich längst abgetreten seien und aus Wut über diesen unfreiwilligen Abgang nur noch zur Menschenjagd als Pippi-Langstrumpf-Bande fähig wären, freut man sich als aufgesprungener Trittbrettfahrer dieser Protestbewegung über die Quantität der Militanz von Genua und dünkt sich am Ende dann clever mit der Reflexion von Binsenweisheiten: Zu erkennen, daß man sich mit der Militanz nicht so richtig selber nützt, sondern nur den anderen, von den NGOs bis zum protektionistischen Subsistenzspinner, markiert die Grenze der formulierten Selbstkritik, die ja eigentlich lauten müßte, daß man sich unter diesen Vorzeichen der Anti-Globalisierungsbewegung nur als nützlicher Idiot verdingen kann und es eben deshalb lieber gar nicht tun sollte. Mit dieser selbstbegrenzten Kritik des eigenen Handelns fällt man weit, weit hinter den Diskussionsstand um den ersten Mai in Berlin zurück, der ja wegen seines entpolitisierten Charakters die Kritik der allgemeinen entpersonalisierten abstrakten Herrschafts-Verhältnisse zu leisten vermag. In dem das Spektakel erster Mai zur materiellen Gewalt wird, materialisiert sich auch das Feindbild („die Bullen“), auf das man objektiv nun mal nicht verzichten kann. Sich aber unter genau diesen Vorzeichen dem Politisierungswahn militanten Agierens hinzugeben, wie er es den Krawallos von Seattle bis Genua aufnötigt, ist sträflich und allgemein falsch.
In Genua wurde die klassische unsägliche Stellvertreterpolitik – für andere-gemacht, die mit wirklich subjektiver Leidenschaft, die aus dem persönlichen Leiden an den Verhältnissen resultiert und nicht umgekehrt, einfach schlicht und ergreifend nichts zu tun hat. Die Frage, die das nur allzuschnell ans Tageslicht befördert, ist diejenige danach, welches Problem der einzelne protestierende Mensch mit den Verhältnissen hat. Eine falsche Aneignung der Wirklichkeit liegt zum Beispiel vor, wenn man offensichtliche Schweinereien des sich nach seinen eigenen Bewegungsgesetzen dynamisch entwickelnden Kapitalismus wie Sweatshops oder Abschiebeknäste für die gröbsten und damit wesentlichen der kapitalistischen Gesellschaft hält. Wie gesagt, mit richtiger Aneignung der Realität hat das wenig zu tun, denn wer sich der Bewußtwerdung des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital und darüberhinaus, was wichtiger denn je ist, den bürgerlichen Wahnsinn seiner herrschenden Produktionsweise – des Selbtzweckes der Wertschöpfung – und der daraus resultierenden allgemein-sachlichen statt allgemein-persönlichen Herrschaftsform nicht stellen will, verharrt in der Bewußtlosigkeit und damit in der unfreiwilligen Affirmation der wesentlichen Verhältnisse. Die in der Linken stärker denn je verschüttete Voraussetzung jeglicher leidenschaftlicher Kritik, nicht für andere, sondern in allererster Linie für sich selbst zu sprechen und zu handeln, ermöglicht erst die notwendige, nicht zu umgehende subjektive Aneignung seiner eigenen Existenzbedingungen und -weise. Im Klartext heißt das beispielsweise, daß es keine Alternative dazu gibt, daß die Befreiung der Migranten von einem An-sich zu einem Für-sich auch nur das Werk der Migranten selbst sein kann und nicht etwa das von deutschen, italienischen oder sonstigen europäischen Antira-Nudeln, die die Migrantenmilieus zu ihrer persönlichen Spielwiese erklärt haben. In Genua sei Unrecht geschehen, weil die Polizei so hart zurückgeschlagen und gar -geschossen hat. Wer so denkt, lebt in der Gedanken-Welt bürgerlicher Rechtsverhältnisse und nicht in der ihrer Kritik. Wer also meint, daß Widerstand zur Pflicht würde, wenn, wie im Falle Genua, Recht zu Unrecht würde, hat die radikale Kritik der bürgerlichen Verhältnisse leider verfehlt, weil man damit die Unfähigkeit belegt, deren Melodie überhaupt nur zu kennen geschweige denn sie vorzusingen.
Am dritten Oktober ziehen die Antiras dieses Landes wieder einmal vor den Bürener Abschiebeknast – den größten seiner Art in Deutschland. Nicht nur soll es dort nicht gegen den generellen rassistischen Zustand der deutschen Gesellschaft, sondern nur gegen seinen „Normalzustand“ gehen. Nein, es soll darüberhinaus nur das bürgerliche Gejammer nach „gleichen Rechten für alle“ erfolgen. Dem ist, wie auch allen, die plötzlich ihr bürgerliches Unrechtsbewußstein entdecken, mal wieder Adorno entgegenzuhalten, der, hier in der Minima Moralia, einiges vorwegnahm, was sich heute aktueller denn je angeeignet werden müßte: „Eine emanzipierte Gesellschaft (...) wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen. Politik, der es darum im Ernst noch ginge, sollte deswegen die abstrakte Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren. Sie sollte stattdessen auf den schlechten Zustand heute (...) den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann.“
Ralf


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last modified: 28.3.2007