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Aussenseiter, Spitzenreiter

Raul Zelik ist einer der wenigen Politaktivisten (u.a. aktiv in der linksradikalen Berliner Gruppe FelS und Autor von Arranca!), der es vermag, literarisch ansprechende Texte zu schreiben. Diese politische Literatur kommt ohne agitatorischen Pathos aus und sein aktuelles Werk „Grenzgängerbeatz“ ist trotz der Anti-Werbung im Klappentext (Raul Zelik hat „das Zeug zu einem Shooting Star der jungen deutschen Literatur“) sehr empfehlenswert.
Cover, 17.2k

Raul Zelik:

Grenzgängerbeatz

Assoziation A: 2001, ISBN: 3-922611-89-3

, 0.0k

Deutsch war seine Literatur noch nie. Sein erster Roman „Friss und stirb trotzdem“ beschäftigte sich mit dem Untertauchen türkischer Antifas, die verdächtigt wurden, in Berlin den Nazikader Kaindl erstochen zu haben. Der Hauptprotagonist flieht nach Lateinamerika – dort, wo sich Raul Zelik aufgrund mehrjähriger Aufenthalte am besten auskennt. Es überraschte also niemanden, dass der zweite Roman „La Negra“ (1999) in Kolumbien spielt. Auch in diesem Buch sind die Grenzen zwischen Wahren und Erfundenem fließend. Gleichzeitig erschien von Raul Zelik das Sachbuch „Kolumbien - Große Geschäfte, schmutziger Krieg und Aufstandsbewegung“. Welches Buch Abfallprodukt des jeweils anderen war, konnte bislang nicht geklärt werden.
Dass das neueste Buch von Raul Zelik, Grenzgängerbeatz, eine Sammlung von Kurzgeschichten, mit einem Stipendium des Berliner Senats gefördert wurde, spricht weniger gegen Raul sondern mehr gegen den Senat – oder für ihn... Dass er mit einer der Kurzgeschichten einen recht unbekannten Literaturpreis gewonnen hat, scheint ihm noch nicht zu Kopf gestiegen zu sein, er veröffentlicht noch immer in den marginalisierten linken Verlagen und seine politische Bodenhaftung dürfte ihn auch in Zukunft vor dem Abheben bewahren.
Grenzgängerbeatz stellt in gewisser Hinsicht die Synthese seiner ersten beiden Romane dar. Die Hälfte der Geschichten spielt in den „Ghettos“ deutscher Großstädte, Protagonisten sind türkische Gangs, deutsche PolitaktivistInnen und vice versa, die andere Hälfte handelt von lateinamerikanischen „Revolutionsgeschichten“ bzw. von Orten, wo er entsprechende Verhältnisse hoffte ausfindig zu machen, aber mehr (Westsahara) oder weniger (Baskenland) gescheitert ist.
Seine kleinen Geschichten wecken große Gefühle. Erzählt wird von den Vorbereitungen kolumbianischer Erdölgewerkschaften zum 1. Mai, die durch die ständigen Ermordungen von AktivistInnen durch Paramilitärs getrübt werden. Vorgeführt wird unser rassistischer Blick in einer Geschichte über eine türkische Frauengang, Ghetto Sistas, in Berlin-Kreuzberg, in der eine Frau in den von deutschen SozialarbeiterInnen organisierten Untergrund geht, da sie mit einem Dorftrottel zwangsverheiratet werden soll und ihr Bruder sie jagt und umbringen will. Das glaubt mensch bis ans Ende der Geschichte, bis sich herausstellt, dass die SozialarbeiterInnen sich die Suche der Familie nach ihrer Tochter nur als Verfolgungs- und Rache-Geschichte halluzinieren konnten. Dabei wurde schon auf der ersten Seite des Buches festgehalten: „Die einzigen Leute, die sie außer Hausmeistern, Kaufhausdektektiven, Gymnasiasten, Busfahrern, Aufsteiger-Alis und Omis aus dem 4. Stock wirklich nicht leiden konnte, waren Sozialarbeiter, Typen, die dafür bezahlt wurden, hauptberuflich Verständnis für andere aufzubringen, drei alternativen Bildungsvereinen gleichzeitig angehörten, die Sache mit dem Ausländerhass für Besorgnis erregend hielten (obwohl das mit den Kopftüchern und Golkettchen auch ein bisschen überhand genommen hat) und einen 24 hours/day mit diesem einen, unsäglichen Wort terrorisierten: D-I-F-F-E-R-E-N-Z-I-E-R-E-N. Differenzieren tun diese Leute nämlich immer am liebsten.“
In anderen, eher amüsanten Geschichten wird gezeigt, wie die Ostzone für Straight Edger lebensgefährlich sein kann, die Westzone sich dagegen ihre „Ausländerkriminalität“ konstruiert, aber auch davon profitiert. Bzw. welche Gefahren das gewerbsmäßige Eintreiben von Schulden in der Baubranche für eine Polit-WG mit sich bringen kann, wenn die großen Abzockerbosse politisch links stehen und die Auftraggeber sich mehr zu den Grauen Wölfen hingezogen fühlen. Wir erfahren von der Schwierigkeit, im westsaharischen Bürgerkrieg ein politisches Subjekt auszumachen und davon, dass die ETA in Spanien ein lustiger Haufen verrückter Jugendlicher sein soll. Während die Geschichten aus Lateinamerika und Afrika einen gewissen Hauch von (Kolonial-)Reiseliteratur atmen (Über Nikaragua: „Die Menschen hier waren nicht nur geschwätzig, sondern auch gleichgültig und langsam, linkisch und allein auf den eigenen Vorteil bedacht. Sie vergifteten einen mit verdächtigen Getränken, konnten einen nicht waren, wenn man rohe Kochbananen aß, wollten nichts ändern, waren erstaunlich desinteressiert, fragten Belanglosigkeiten. Aber vor allem waren sie fremd. Seltsam unbekannte Menschen, die unverständliche Handbewegungen machten und einem immer das Falsche signalisierten“), lehnen sich die „deutschen Ghetto-Stories“ an den Sprackduktus der sogenannten Kanaken-Literatur an. Allerdings geht Zelik sehr dezent damit um, und mehr davon wäre ihm auch nicht gut bekommen. Er selbst kritisiert nicht zu unrecht (in der jungle World 52/2000) den Roman >>Liebesmale, scharlachrot<< von Feridun Zaimoglus, dem wichtigsten Vertreter von Kanak Sprak, als sexistisch, langweilig und aufdringlich Untergrundgehabe vortäuschend.(1) Einige Patzer sind Zelik aber auch unterlaufen. Anstelle aus der Kritik am Sexismus den Schluss zu ziehen, auf genitale Beschimpfungen zu verzichten, schreibt er: „...passt lieber auf, dass wir euch nicht die Eier abschneiden. – Und genauso fühlten wir uns dann auch: Als ob uns jemand mit einem Rasiermesser an den Hoden oder Schamlippen entlanggefahren wäre...“
Aber nichts für ungut. Die zwei schlechten Stellen habe ich Euch jetzt präsentiert, ansonsten gibt es nur Schmäckerchen zu entdecken!

(1)Siehe auch: „Von der Sprache zur Attacke“, CEE IEH #65



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last modified: 28.3.2007